Protokoll der Sitzung vom 12.11.2015

Ich möchte mal die Internetseite der Senatsverwaltung von Herrn Geisel zitieren:

Radfahren ist gesund und kostengünstig, braucht wenig Platz und entlastet die Umwelt.

Und weiter heißt es dort:

Daher fördert der Senat die Entwicklung des Radverkehrs mit zahlreichen Instrumenten.

Aha! – Herr Geisel! Vielleicht können Sie mir diese Instrumente ja mal nennen. Sind das – a – die wenigen Kilometer Radverkehrsanlagen, die Sie dann doch mal neu gebaut haben, oder – b – die noch geringere Sanierungsquote oder – c – die verschlafene Ausschreibung des Leihfahrradsystems oder – d – die eine einsame Pi

(Wolfram Prieß)

lotstrecke der grünen Welle für Radfahrerinnen und Radfahrer? – Herr Geisel! Das sind nicht mal winzige Schrittchen, und das sind auf keinen Fall „zahlreiche Instrumente“. Sie müssen es irgendwann einmal zugeben: Der Radverkehr in Berlin hat Sie einfach überrollt, und Sie haben es geschafft, ein paar Zählschleifen in den Boden einzulassen, damit man das auch amtlich feststellen kann. Hier gilt, dass es mehr Engagement braucht. Da muss sich etwas ändern, Herr Geisel, und zwar auch in Ihrer Verwaltung.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Andreas Baum (PIRATEN)]

Es ist ja nicht so, dass man das Rad neu erfinden müsste. Es gibt viele neue Instrumente, die schon überall ausgeprobt sind. Ich sage einfach mal: Mehr Radverkehrsinfrastruktur, mehr breitere, geschützte Radverkehrsanlagen, Beseitigung von Sichthindernissen an Kreuzungen, die eben schon zitierte grüne Welle! – All das ist möglich, all das ist erprobt, all das kann man machen.

Sie sagen auf Ihrer Webseite auch – das möchte ich ebenfalls zitieren –:

Gleichzeitig sorgen wir dafür, dass die Sicherheit der Radfahrer gewährleistet wird.

Nein, Herr Geisel! Mit Verlaub: Das tun Sie nicht, denn Sicherheitsdialoge allein schaffen keine Sicherheit. Sie schaffen es nicht einmal, in diesem Jahr die gefährlichen Kreuzungen zu entschärfen. Nein! Der Radfahrer bzw. die Radfahrerin wird von Ihnen nicht geschützt.

Damit sind wir bei der Möglichkeit, doch mal etwas auszuprobieren, was wir in Deutschland noch nicht ausprobiert haben – mit dem schon angesprochenen Pilotprojekt „Idaho“. Wir haben in der StVO eine entsprechende Erprobungsregelung. Das kann man also alles machen. Blicken wir mal kurz über den Tellerrand! Die Erfahrungen sind durchweg positiv. Man hat das in Straßburg, in Bordeaux und in Nantes teilweise mehrjährig ausprobiert, und überall ist kein einziger Unfall bekannt, der auf diese Idaho-Regelung zurückgeführt werden konnte. Paris hat sich deswegen entschlossen, das künftig an 1 800 Ampeln – wir haben in Berlin 2 000 Ampeln – zu machen. In Paris hat man festgestellt, dass der Radverkehr dadurch flüssiger wird, und die Regelung ist nicht unfallträchtig. Sie vermeidet nämlich den toten Winkel beim Abbiegen – eine der Hauptursachen für schwere Unfälle mit Todesfolgen bei Radlerbeteiligung. In Idaho, und auch das wissen wir inzwischen, ist die Unfallquote sogar gesunken, und zwar in nicht unerheblichem Maße.

Jetzt könnte man sich fragen, wie der Senat das Ganze sieht. In der Tat, der abwesende Senator Henkel hat schon eine Verlautbarung von sich gegeben. Ich hoffe, Herr Geisel, Sie sprechen im Senat nicht immer mit einer Stimme. Vielleicht schaffen Sie es, sich an dieser Stelle abzusetzen. Die wollen ja anscheinend alle Ihren Job – Herr Henkel macht Verkehrspolitik, Herr Heilmann – er

ist abwesend – macht jetzt auch Radverkehrspolitik und unterbreitet Vorschläge. Sie müssen da wieder in die Vorhand kommen! Der heutige Tag gibt Anlass zur Hoffnung auf mehr Abgrenzung. Das traut sich ja zumindest der Regierende Bürgermeister in Bezug auf den Koalitionspartner. Grenzen Sie sich ein bisschen von Ihren Kollegen im Senat ab und sagen Sie: Das können wir anders machen!

Nur ganz kurz dazu, was Herr Henkel gesagt hat. Er war ganz uninformiert und meinte, diesen Vorschlag „zynisch und abwegig“ nennen zu müssen. Mit Verlaub: Wenn in Paris und in anderen Städten, wenn in Idaho festgestellt wurde, dass sich die Quote der Unfälle damit senken lässt, dann ist daran nichts zynisch, dann ist daran nichts abwegig. Das ist die Politik von Herrn Henkel; die ist geradezu mit Schaum vor dem Mund. Das ist ideologisch, und das muss sich ändern!

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Andreas Baum (PIRATEN)]

Ich habe gehört, dass Herr Henkel Dienstreisen mag. Ich würde Herrn Geisel bitten, ihn einfach mal auf eine Dienstreise mitzunehmen, wahlweise nicht nach Köln zu irgendwelchen sportlichen Angelegenheiten, sondern nach Paris – das ist sehr schön – oder auch nach Idaho. Das wäre eine Dienstreise, die vielleicht wirklich einen Punkt setzen würde. – Ich sehe ein Nicken, das nehme ich mit! Dann freue ich mich darauf, von Ihnen und Herrn Henkel dazu zu lesen.

Ein letzter Punkt: Das passt alles perfekt in Ihre Radverkehrsstrategie hinein. Die Instrumente, die ich Ihnen vorschlage, sind konkret die, die Ihnen extrem viel bringen. Da man ja hört, dass es in Sachen Tram – auch wenn die SPD jetzt dafür ist – noch nicht so richtig vorangeht: Investieren Sie in den Radverkehr! Nehmen Sie ihn in den Fokus, dann schaffen Sie verkehrspolitisch noch etwas in dieser Legislaturperiode. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Danke schön! – Für die SPD-Fraktion folgt Herr Kollege Kreins. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Kollege Gelbhaar! Die Reise eines Senators der SPD nach Paris mit einem Senator der CDU, das muss man natürlich mal betrachten, sollte vielleicht nicht im Wahlkampf stattfinden, denn sonst haben Sie ja wieder Sorge, auf der Oppositionsbank zu landen.

[Zuruf von Andreas Baum (PIRATEN)]

(Stefan Gelbhaar)

Paris ist ja bekanntlich die Stadt der Liebe. Dann vielleicht doch lieber Idaho.

[Andreas Baum (PIRATEN): Da ist doch nichts mehr zu kitten!]

Über die Bedeutung des Radverkehrs brauchen wir an der Stelle nicht erneut zu sprechen. Wir sind uns im Haus einig: Radverkehr ist emissionsarm, gesund und flächen- und ressourcenschonend. Wir freuen uns, dass wir in dieser Stadt mit einer Radverkehrsstrategie und einem wachsenden Radverkehr nicht nur im Innenstadtbereich nach vorne gehen.

Zur fahrradgerechten Stadt der Grünen gehört für die Grünen der Blick nach Kopenhagen – heute mal nach Idaho – und dann zu drittens auch wieder der Blick nach Kopenhagen. Dabei ist das immer wieder – wie der Vergleich zwischen Äpfeln und Birnen – ein schiefer Vergleich zwischen Berlin und dem ländlichen Idaho oder der „Kleinstadt“ Kopenhagen, die flächenmäßig so groß ist wie der Bezirk Spandau und die so viele Einwohner hat wie zwei Berliner Bezirke zusammen. Selbstverständlich eignen sich kleinere Städte mit kürzeren Wegen für den Radverkehr, und auch Berlin als große Stadt muss sich für Radverkehr eignen. In diese Richtung sind wir auch unterwegs.

Die Grünen schlagen drei Maßnahmen vor, die durchaus diskutierenswert sind. Erstens – breitere Radwege für schnelleres Radeln und gefahrloses Überholen. Ich finde, dass man das da machen soll, wo es möglich ist. Es gibt ja noch den Dissens, auch an manchen Stellen dieses Hauses, ob man dafür den Straßenraum verkleinern muss. Ich finde, da, wo es möglich ist, sollten wir das machen.

Zweitens – die grüne Welle für Radfahrerinnen und Radfahrer. Dazu kann man festhalten, dass das durch den Senat in einem Feldversuch probiert worden ist. Man muss natürlich an der Stelle auf den Gesamtverkehrsfluss achten.

Die letzte Maßnahme, die medial schon häufig beschrieben worden ist, ist das Rechtsabbiegen bei roten Ampeln, und, wenn ich das richtig verstanden habe, auch die Idaho-Regelung, also nicht nur das Rechtsabbiegen, sondern das Stoppen vor der Ampel und das Queren einer roten Ampel für Radfahrerinnen und Radfahrer. Gerade bei der letzten Maßnahme hege ich erhebliche Zweifel, ob das zu mehr Sicherheit oder nicht doch zu mehr Verunsicherung von Fußgängerinnen und Fußgängern und Autofahrerinnen und Autofahrern führt. Um das machen zu können, benötigt man Kreuzungsbereiche, die weit einsehbar sind, die eine entsprechende kurze Kreuzungsquerungszeit haben.

Herr Kollege! Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Matuschek?

[Christopher Lauer (PIRATEN): Oh!]

Wenn ich dem Antrag richtig folge, dann ist das eben auch die Querung der gesamten Straße, und ich glaube, dass mit mehr Schnelligkeit nicht zwangsläufig mehr Sicherheit verbunden ist.

Deswegen stelle ich die Frage, ob nicht andere Maßnahmen – Kreuzungsumbau, breite Radspuren, Radfahrstreifen und frühere Sortierung von auf der Straße nach rechts abbiegendem motorisierten Individualverkehr und geradeaus fahrendem Radverkehr – geeigneter sind, die Sicherheit zu erhöhen, statt dass heute die nächste Sau durchs Dorf getrieben wird und hier Ideen ausprobiert werden, die an anderer Stelle vielleicht mit anderen nationalen Verkehrsordnungen übereinstimmen. Die bundesdeutsche Straßenverkehrsordnung steht dem entgegen; hierzu wird es erheblichen Diskussionsbedarf im Ausschuss geben.

Letztlich bleibt mir die Frage, ob wir das, was wir für die Radfahrerinnen und Radfahrer erlauben wollen, nicht auch für Fußgängerinnen und Fußgänger ermöglichen. Warum sollten denn nur Radfahrer/-innen die Kreuzung queren dürfen, warum nicht auch Fußgänger/-innen und Rollstuhlfahrer/-innen? Wie wird sich dann der Straßenverkehr verhalten, gerade wenn wir über Hauptstraßen reden? Ich denke, wir diskutieren das im Ausschuss, das ist der passende Ort dafür, auch Kontroversen zu diskutieren. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD]

Für die Fraktion Die Linke folgt jetzt der Kollege Wolf. – Bitte sehr!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Von dem Vorschlag einer gemeinsamen Dienstreise von SPD- und CDU-Senatoren würde ich auch abraten. Man sollte die Zwangsgemeinschaft nicht auch noch auf Dienstreisen ausdehnen. Es würde auch das seelische Wohlbefinden der einzelnen Senatsmitglieder befördern, wenn sie getrennt verreisten.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Christopher Lauer (PIRATEN) – Christopher Lauer (PIRATEN): Diese Ehe muss annulliert werden! – Heiko Melzer (CDU): Herr Wolf weiß ja, wovon er redet!]

In jeder Koalition gibt es Konflikte, das ist richtig. Aber das, was Sie hier in den letzten Wochen aufgeführt haben, ist in gewisser Weise ein Novum. Das kenne ich nur aus

(Ole Kreins)

der Endzeit der letzten großen Koalition. Da war das ähnlich freundlich.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN – Beifall von Stefan Gelbhaar (GRÜNE)]

Aber wir reden ja über das Thema Radfahren.

[Ole Kreins (SPD): Ja!]

Einige Anmerkungen dazu – erstens: Der Vorschlag der Grünen, breitere Fahrradstreifen und Radwege einzurichten, und zwar da, wo sie noch auf dem Bürgersteig vorhanden sind und auch bleiben müssen, ist richtig, wobei auch die Forderung richtig ist, dass man sie, wenn sie sich noch auf dem Bürgersteig befinden, rechtzeitig vor der Kreuzung auf die Straßen führen sollte. Das sind überfällige Maßnahmen, und im Parlament haben wir eine Mehrheit, besteht Konsens dazu, dass das umgesetzt wird.

Der zweite Punkt: Der Vorschlag der Abtrennung auf Hauptverkehrsstraßen durch eine Art Bordsteinkante – wie in Paris – ist auch sinnvoll, weil wir nicht in der Lage sind zu verhindern, dass auf diesen für den Radverkehr reservierten Streifen permanent Autos parken und man zu riskanten Ausweichmanövern gezwungen ist. Wenn es uns nicht gelingt, über Ordnungsämter und Polizei zu regeln, dass sich hier eine andere Kultur etabliert, dann ist die Forderung der räumlichen Trennung sicherlich sinnvoll.

Der dritte Vorschlag ist die Einführung des grünen Pfeils für Radfahrer. Die Grünen haben nicht vorgeschlagen, dass man das an jeder Kreuzung macht, sondern dass man erst einmal ein Pilotprojekt dazu durchführt. Das ist ein sinnvoller Vorschlag. Er ist realitätsnah, denn das Abbiegen an bestimmten Kreuzungen, auch bei Rot, findet auch gegenwärtig schon statt. Kollege Kreins! Es findet übrigens auch bei Fußgängern statt, wenn kein Auto in der Nähe ist, die auch bei Rot über die Fußgängerampel gehen. Wenn es in diesem Raum bleibt, gestehe ich, dass ich auch als Radfahrer gelegentlich bei Rot nach rechts abbiege – auch der Kollege Kreins outet sich. Dann können wir doch mal sehen, ob wir unser Fehlverhalten nicht legalisieren können, weil es doch besser ist, ein Gesetz oder eine Regel, die ständig übertreten wird, vielleicht dann auch an die Realität anzupassen,

[Beifall bei der LINKEN]