Protokoll der Sitzung vom 12.11.2015

In der Beratung beginnt die Fraktion Die Linke. – Frau Lompscher, bitte schön, Sie haben das Wort!

(Andreas Baum)

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Berlin baut auf und Berlin reißt ein. Das hat Tradition, und das ist im Fall der Friedrichswerderschen Kirche fatal. Sie ist das größte, von Kriegszerstörung am wenigsten betroffene und sie war bis vor drei Jahren das am besten erhaltene Gebäude von Karl-Friedrich Schinkel in Berlin. Seither ist sie schwer beschädigt und geschlossen – Perspektive ungewiss. Wir fordern deshalb Sofortmaßnahmen zum Schutz, volle Kostenübernahme durch die Verursacher und schnelle Beseitigung der Schäden.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Ein bisschen mehr Elan wäre nicht schlecht an der Stelle. Es geht ja um die historische Mitte, die Ihnen immer so am Herzen liegt. – Es geht im Übrigen insbesondere darum, die Zerstörung zu stoppen und noch Schlimmeres zu verhindern. Wir fordern den Senat auf, unverzüglich, gemeinsam mit dem Bezirksamt Mitte, alles zu unternehmen, um entweder bei den geplanten Baumaßnahmen eine weitere Schädigung der Kirche auszuschließen oder diese zu stoppen.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Philipp Magalski (PIRATEN)]

Eine weitere Schädigung der Friedrichswerderschen Kirche wäre ein Armutszeugnis. Der Senat ist den Berlinerinnen und Berlinern und genauso dem Eigentümer Kirche und dem seinerzeitigen – und hoffentlich bald wieder – Nutzer Stiftung Preußischer Kulturbesitz gegenüber in der Pflicht, dass seine Entscheidung für eine kritische Rekonstruktion der Berliner Mitte nicht mit dem Verlust dieses wertvollen kulturellen Zeugnisses bezahlt werden muss.

Selbstverständlich muss sich auch das Abgeordnetenhaus die Frage gefallen lassen, ob das Planwerk Innenstadt von 1999 und die darauf aufbauenden Bebauungspläne dieses Problem möglicherweise verursacht haben. Unsere Fraktion hatte im Jahr 2011 Korrekturen vornehmen wollen und konnte sich gegenüber der SPD nicht durchsetzen. Begründet wurde dieses seinerzeit mit dem Planungsvorlauf, eben seit 1999. In der letzten Plenarsitzung der 16. Wahlperiode haben dann die Fraktionen SPD, Linke und CDU dem Bebauungsplan I-208-1 zugestimmt. Es waren viele beteiligt, damals Noch-Fraktionschef Müller, Senatsbaudirektorin Lüscher, das Baukollegium. Der Druck des Investors war immens. Das Projekt wurde mehrfach überarbeitet, aber geholfen hat das nicht. Heute sollten wir schlauer sein.

Ich möchte aber klarstellen: Ein Baurecht berechtigt nicht zur Zerstörung der Nachbargebäude, und deshalb muss der Senat handeln. Der Sakralraum in seiner einmaligen Anmutung und Belichtung, das gesamte Ensemble, ist durch die Verschattung und durch skurrile Baugerüste im

Inneren dahin. Wer würde unter diesen Umständen durch die Vorführung des gebauten Planwerks Innenstadt heute einem solchen Bebauungsplan noch zustimmen, auch wenn sich die Schäden vermeiden ließen? Wie absurd sind Denkmalschutz und kritische Rekonstruktion, wenn Denkmale Schaden nehmen, weil Renditeobjekte entstehen, Schutzmechanismen vom Denkmalschutz bis zur Bauaufsicht nicht greifen und nebenan nicht mehr vorhandene Denkmale wie die Alte Kommandantur, das Schloss oder bald die Bauakademie wieder aufgebaut werden.

Und das Drama geht weiter, z. B. bei der drohenden Zerstörung des Innenraums der St. Hedwigs-Kathedrale. Die Behörden sahen sich offenbar aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht in der Lage zu widersprechen. Bund und Land als Fördergeber wären gut beraten, in den anstehenden Verhandlungen auf Veränderungen zu drängen.

[Beifall bei der LINKEN – Beifall von Philipp Magalski (PIRATEN)]

Was wird aus dem Magnus-Haus und seinem Garten? Wir begrüßen den Aufruf von Kammern und Verbänden an ihre Mitglieder, am Wettbewerb SiemensRepräsentanz nicht teilzunehmen. So etwas hat es in der Geschichte noch nicht gegeben. Wie wird der Senat, falls Siemens jetzt keinen Rückzieher macht, wozu ich ausdrücklich rate, ausschließen, dass auch durch den Bau dieses Gebäudes, mit Tiefgarage im Übrigen, Schäden am Barockpalais entstehen? Wird der Senat endlich aus Schaden klug? Auf meine Anfrage zu Perspektiven öffentlicher Bauten in der historischen Mitte hat er lapidar geantwortet, es lägen ihm bei nicht im Landeseigentum befindlichen Gebäuden keine Erkenntnisse vor. Das legt den Schluss nahe, dass sich der Senat um eine aktive Abstimmung mit den Eigentümern nicht wirklich bemüht.

Offen ist z. B. die Zukunft des jüngst privatisierten Opernpalais, des in Bundesbesitz befindlichen Kronprinzenpalais und des landeseigenen Palais am Festungsgraben. Nicht nur barocke oder klassizistische Denkmale, auch Nachkriegsbauten in der historischen Mitte sind bedroht, wie das Bürogebäude Unter den Linden 62-68 von 1962, das dem Bund gehört und dem Neubau von Bundestagsbüros weichen soll. Sie können ja mal in Ihren Bundestagsfraktionen nachhorchen, wie sich die Abgeordneten dazu stellen.

Nachdem viele schutzwürdige Bauten aus der historischen Mitte verschwunden sind, stellt sich die Frage, ob hier langsam und schleichend ein Ort ohne authentische Denkmale, dafür mit zahlreichen Denkmalattrappen, um nicht Disneyland zu sagen, entstehen soll. Auch deshalb fordern wir den Senat auf, dem Abgeordnetenhaus regelmäßig über geplante Baumaßnahmen an und im Umfeld von Denkmalen im historischen Zentrum zu berichten. Vielleicht ist ja noch etwas zu retten. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Danke schön! – Für die SPD-Fraktion hat Frau Kollegin Haußdörfer das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin mir sicher: Wir sind uns mehrheitlich einig, dass die Friedrichswerdersche Kirche als Denkmal erhalten werden muss. Der spätklassizistische Bau muss geschützt werden, und es gibt, glaube ich, niemanden im Raum, der dieses Denkmal verlieren möchte.

Ich möchte aber auch zu den Anträgen sprechen und keinen Rundumschlag für die historische Mitte durchführen. Die Bebauung östlich und westlich der Kirche wurde mit einem Bebauungsplan 2011 festgesetzt – und ja, selbstkritisch: Es war Rot-Rot-Schwarz –, und die Bauarbeiten sind damit rechtens. Umso bedauerlicher sind die aus den Bauarbeiten entstandenen Schäden an der Kirche. Auch hier sind wir uns alle einig: Die Kosten für die Restaurierung und Sicherung der Kirche müssen von den Verursachern getragen werden.

[Zurufe von den GRÜNEN und der LINKEN]

Die westliche Baustelle hat bereits vor einigen Jahren Risse und Absenkungen an der Friedrichswerderschen Kirche verursacht. Daraufhin kam es zu einem sofortigen Baustopp. Die Bauwert Investment Group, die die Bauarbeiten durchführte, war bisher äußerst kooperativ und hat die Kosten für die Instandsetzung der von ihr verursachten Schäden übernommen. – Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber das Ausmaß an Untersuchung und Überwachung ist dennoch bemerkenswert. Fest steht leider aber auch, dass nicht alle Schäden völlig behoben werden können. Dafür müssen im Nachhinein eine Lösung und eine Entschädigung gefunden werden.

Die Überwachung der Auswirkungen der westlichen Baustelle auf die Kirche war bis vor Kurzem unzureichend. Doch in Anbetracht der nächsten Baustelle an der östlichen Seite wurde von der Kirche, dem Senat und dem Bezirksamt nachgesteuert. Es existieren jetzt sensible Sensorensysteme, die penibel und haarklein jede Erschütterung und Absenkung in der Kirche feststellen, sodass jetzt viel schneller reagiert werden kann, sollte es erneut zu Auswirkungen der Baustelle auf das Schinkeldenkmal kommen. Zusätzlich ist der Bauherr an der östlichen Baustelle, die Frankonia Eurobau, sehr daran interessiert, die Kirche zu schützen und keine weiteren Schäden zu verursachen. Da spielt aber auch eine Neuerung in der Technik eine Rolle, weil sie extra dafür ein besonderes Baustellenkonzept entwickelt haben, das weniger Erschütterungen verursachen soll. Zusätzlich dazu hoffe

ich, dass der etwas größere Abstand der Baustelle von der Kirche ausreicht, die Kirche vor weiteren Rissen und Absenkungen zu bewahren. Aus der Ausschussbesprechung im Juni wissen wir, dass das Bezirksamt Mitte aktiv alles in seiner Macht Mögliche tut und auf die Sorgfaltspflicht des Bauherrn hinweist. Gemeinsam wurden die schonendste Ausführung der Bauarbeiten erarbeitet und strengere vertragliche Auflagen festgehalten. Doch all diese Maßnahmen sind eben kein Garant dafür, dass keine weiteren Schäden an der Kirche entstehen, weil es eine absolute Sicherheit leider nicht gibt.

Die Fraktion Die Linke hat in ihrem Redebeitrag in den Wahlkampfmodus geschaltet und möchte suggerieren, dass der Senat nicht mehr die Denkmäler der Stadt schützen würde. Dem ist mitnichten so. Schon im Planwerk Innenstadt war der historische Grundriss dargestellt – sicherlich nicht mit zwei Untergeschossen und oftmals auch höher als in der Historie –, aber angesichts dieser Erfahrungen muss man sich fragen, ob man dies rund um die Marienkirche noch mal erleben will. Da Bauten in der historischen Mitte bisher nie wirklich umgesetzt wurden, sollten auch wir unsere Lehren für die restliche historische Mitte ziehen.

Die Suggestion, der Senat würde nicht alles in seiner Macht Mögliche tun, um die Friedrichswerdersche Kirche zu schützen, ist, gelinde gesagt, dennoch frech. Zu behaupten, es würden Baugenehmigungen ausgestellt, die nicht den bautechnischen und denkmalrechtlichen Anforderungen genügen, ist haltlos.

[Steffen Zillich (LINKE): Ja, ganz offensichtlich!]

Und dass die Verursacher der Schäden an der Kirche die Kosten sowieso tragen, das wissen Sie doch selber.

[Steffen Zillich (LINKE): Na, und?]

Damit zu spielen, dass die Kirche niemals mehr geöffnet würde, soll nur Angst schüren. Ich befürchte zwar auch, dass eine Wiedereröffnung bis nach der Fertigstellung beider Baustellen warten muss. Doch die Öffentlichkeit wird früher oder später wieder Zutritt erhalten und wieder Ausstellungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz bewundern können.

[Steffen Zillich (LINKE) meldet sich zu einer Zwischenfrage]

Ich lasse keine Zwischenfragen zu! – In der anstehenden Beratung sollten wir vielleicht nicht nur die Denkmäler der historischen Mitte betrachten, sondern den Blick auf alle Berliner Denkmäler, die durch nahestehende Baustellen geschädigt werden, ausweiten.

Ich denke, wir sind uns hier im Hause einig: Die Friedrichswerdersche Kirche muss erhalten, wiederhergestellt und öffentlich zugänglich gemacht werden. Das Fragezeichen, das uns in der weiteren Beratung begleiten wird, bleibt das wohl kürzlich erstellte Gutachten zur östlichen Baumaßnahme. Wenn neue Schäden nicht vermeidbar

sind, muss tatsächlich eine Evaluation der Baumaßnahme im Sinne des Denkmalschutzes erfolgen. – Herzlichen Dank!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Die Grünen jetzt Frau Kapek. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn jetzt die Sicherheitsfragen hier geklärt sind, will ich ganz gern noch mal zurückkommen zur Friedrichswerderschen Kirche. – Liebe Frau Haußdörfer! Ich danke Ihnen für Ihre Einschätzung, muss aber sagen, dass mir die Schlussfolgerung, dass am Ende nichts gewiss sei, nicht ausreicht. Hoffnung, finde ich, sollte bei einem der entscheidendsten Baudenkmäler, die wir in dieser Stadt haben, nicht für die Frage entscheidend sein, was wir genehmigen und was nicht.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Ich glaube, dass man hier wirklich ohne Untertreibung sagen kann: Die Geschichte der Baugenehmigungen links und rechts der Friedrichswerderschen Kirche in den letzten fünf Jahren wird von Pfarrer Frielinghaus perfekt zusammengefasst, wenn er sagt: Das ist Zerstörung mit Ansage!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Ich finde, da können es sich alle – außer den Piraten, die waren zu der Zeit noch nicht im Parlament – nicht so einfach machen, auch Sie nicht, Frau Lompscher. Sie haben zwar selbstkritisch darauf hingewiesen, dass Sie damals dem B-Plan zugestimmt haben. Aber dass Sie dabei eine tragende Rolle gespielt haben und dass sehr wohl zum Ende, im Sommer 2011, auf die Risiken hingewiesen wurde, dass schon damals bekannt war, welche Risiken wir mit diesem Bauprojekt der Firma Bauwert eingehen – das können Sie nicht von der Hand weisen.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Ich würde deshalb ganz gern aus dem Plenarprotokoll der letzten Plenarsitzung vor der Wahl am 1. September 2011 zitieren. Da hat meine damalige Kollegin Astrid Schneider so schön gesagt:

Heute lachen Sie noch, meine Herren von der SPD, heute lachen Sie noch hier in diesem Haus, morgen werden Sie laut jammern und heulen und sagen, dass keiner von uns gesehen hat, wie sehr dieses Baudenkmal verschandelt wird. Niemand von Ihnen hat hingeschaut.

Das gilt leider auch für Sie, Frau Lompscher, die damals Mitglied dieses Senats war und den B-Plan auch mit beschlossen hat.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Das geht sogar noch einen Schritt weiter: Der damalige Ausschussvorsitzende, Thomas Flierl, hat maßgeblich mitverhandelt. Ich erinnere mich daran, dass damals die Geschosshöhe noch auf 60 Meter minimiert wurde und dass er darauf wahnsinnig stolz war. So hat er dann im Plenum am 9. Juni 2011 sehr schön zu Protokoll gegeben, dass dieser B-Plan

„in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Entwicklung genommen hat und wir zumindest als Regierungsfraktion der Linken maßgeblich daran mitwirken konnten und mitgewirkt haben.“

Also erzählen Sie mir jetzt nicht, dass das alles so ohne Ihr Zutun geschehen ist! Das hat die damalige Koalition gemeinsam zu verantworten, und auch die CDU hat zugestimmt. Die Einzigen, die mit uns dagegen waren, war die FDP, und die ist heute nicht mehr anwesend.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielleicht sollte uns das zu denken geben. Aber ich finde, Sie weisen ja auf die richtigen Punkte hin. Sie weisen darauf hin, dass dieses Bauprojekt von Anfang an einen Geburtsfehler hatte – es ist viel zu nah an die Kirche herangebaut, und die Tiefgarage hat Schäden verursacht, die irreparabel sind. Darauf hat Frau Haußdörfer auch hingewiesen.

Jetzt wird aber auf der anderen Seite der Kirche dieser Fehler eins zu eins wiederholt, und, liebe Frau Haußdörfer, erzählen Sie uns doch nicht, dass wir heute genau wie 2011 wegschauen und uns mit bautechnischen Neuerungen zufriedengeben können, obwohl jetzt schon klar ist und von allen Fachleuten prognostiziert wird, dass auch dies wieder zu Rissen und zu Schäden an der Kirche führen wird! Ich kann mich deshalb nur den Forderungen anschließen und sagen: Ganz klar Baustopp und Rücknahme der Baugenehmigung für alle noch nicht begonnenen Baumaßnahmen! – Selbstverständlich brauchen wir eine Kostenbeteiligung an den Schäden, und ich finde, wir brauchen grundsätzlich einen Verzicht der Tiefgaragen an dieser Stelle, egal, ob von links oder rechts geplant.