Protokoll der Sitzung vom 26.11.2015

Es ist richtig, bestehende gesetzliche Regelungen auf ihre Wirksamkeit, Angemessenheit und etwaige Schutzlücken zu überprüfen. Es kommt daher bei den bevorstehenden Beratungen darauf an, zunächst einmal festzustellen, ob es überhaupt einen Regelungsbedarf für einen weiteren Schutz vor Diskriminierungen gibt und worin ein etwaiger Regelungsbedarf besteht.

Sollten wir zu dem Ergebnis kommen, dass eine gesetzliche Regelungslücke besteht, müssen wir uns fragen, wie wir sie schließen. Dann wird sich die Frage stellen, ob wir das durch ein fünftes Landesgesetz machen sollten oder ob es nicht besser wäre, die bestehenden gesetzlichen Regelungen zu ergänzen. Für unser christliches Menschenbild ist die Unverletzlichkeit der Würde eines jeden Menschen wesentlich.

[Elke Breitenbach (LINKE): Aber jeden Tag! – Zuruf von Fabio Reinhardt (PIRATEN)]

Darum ist es für uns auch selbstverständlich, dass wir die Diskriminierung des Einzelnen wegen äußerer Merkmale oder seiner Veranlagung ablehnen und dies in wirksamer Weise gesetzlich abgesichert sehen möchten. Grundsätzlich sind wir der Ansicht, dass die bestehenden gesetzlichen Regelungen diese Absicherungen bieten. Wir sind aber gern bereit, dies in den zuständigen Parlamentsausschüssen einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Darauf sollen wir uns konzentrieren. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU – Beifall von Alex Lubawinski (SPD)]

Vielen Dank, Kollege Dregger! – Für die Piratenfraktion spricht jetzt Kollege Reinhardt. – Sie haben das Wort. Bitte sehr!

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das ist doch wirklich ein Trauerspiel hier! Das meinen Sie doch nicht wirklich ernst! Wir haben in vielen Bereichen durch vier Jahre rot-schwarze Blockade Probleme, Investitionsstau und was auch immer. Aber im Bereich Antidiskriminierung ist es richtig akut, da sind die Menschen direkt davon betroffen, dass wir hier zwei Fraktionen haben, die sich komplett lahmlegen und überhaupt keine Bewegung zu erkennen geben. Nicht nur, dass es überhaupt keine Entwicklung oder progressiven Projekte in dem Bereich gibt – Herr Kollege Lehmann! Nein, das, was wir in den letzten Jahren erlebt haben, ist keine grundsätzliche Verbesserung! –, es gibt noch nicht mal eine Einigung darüber, dass der Koalitionsvertrag umgesetzt wird. Das muss man sich mal vorstellen!

[Beifall von Carsten Schatz (LINKE)]

Das hatten wir schon beim Thema „Ehe für alle“, das wir hier besprochen haben, wo man dreist gesagt hat: Nein, den Koalitionsvertrag setzen wir an der Stelle einfach nicht um. Wir haben gerade keine Lust darauf. Wir befragen mal lieber unsere Mitglieder. – Bei anderen Themen ist das natürlich nicht der Fall. Aber hier: Der Koalitionsvertrag gilt nicht. Das, was dort völlig präzise formuliert wird, wird außer Kraft gesetzt. Aber nur beim Thema Antidiskriminierung! Super!

Und, Kollege Lehman: Die ganzen Gesetze, die Sie gerade aufgezählt haben, die auch in vielen Bereichen hilfreich sind, die gab es doch damals schon. Man fragt sich: Wer setzt sich denn hin und schreibt diesen Koalitionsvertrag und kennt angeblich die ganzen Gesetze nicht, die Sie gerade genannt haben? Das macht doch keinen Sinn! Waren das Stümper?

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Zumal Sie verschiedene Gesetze genannt haben, die völlig unterschiedliche Wirkungsformen entfalten! Das Partizipations- und Integrationsgesetz, das Sie gerade aufgeführt haben, hat mit dem Themenbereich überhaupt gar nichts zu tun. Da werden Beiräte und Beauftragte festgelegt und gesetzlich geregelt, die in der Praxis überhaupt keine Wirkung entfalten können, weil Frau Senatorin Kolat sie erfolgreich lahmgelegt oder in ihre Verwaltung integriert hat. Das hilft den Leuten, die auf ein Landesantidiskriminierungsgesetz warten, null weiter.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Natürlich braucht man ein Landesantidiskriminierungsgesetz. Mit diesem LADG würden das Verbot der Diskriminierung und das Gebot der Gleichbehandlung im Land Berlin endlich vollständig umgesetzt. Das ist bisher nicht der Fall. Deutschland hat zwei der vier europäischen Richtlinien im Bereich Antidiskriminierung, deren Zweck es ist, Diskriminierung aufgrund von Rasse, ethnischer

(Burkard Dregger)

Herkunft, Behinderung, Alter, sexueller Ausrichtung oder Geschlecht zu bekämpfen, nicht vollständig umgesetzt. Das ist bekannt. Und diese Richtlinien gelten gleichermaßen nur für Personen in öffentlichen wie in privaten Bereichen. Insofern brauchen wir ein Landesantidiskriminierungsgesetz, das diese Lücke füllt. Genau deswegen haben Sie das auch in den Koalitionsvertrag geschrieben, in dem Wissen, dass es notwendig ist.

Ja, und es ist gut, dass das Gesetz schon einige Jahre lang ausgearbeitet wurde. Es hätte auch in der letzten Legislaturperiode schon verabschiedet werden können, wurde es leider aber nicht. Insofern haben wir gewartet, dass es in dieser Legislaturperiode passiert. Und Sie können uns an dieser Stelle nicht nur zugutehalten, dass wir Fristen einhalten und keine Dringlichkeit beantragen – nein, wir waren sehr geduldig. Ich habe schon im Februar 2012 – da wusste ich noch nicht mal, wo die Räume sind, in denen wir hier sitzen – eine Anfrage an den Senat gestellt, wann endlich die Stärkung des Diskriminierungsschutzes, wie in der Koalitionsvereinbarung festgelegt, umgesetzt wird. Und da hieß es dann, dass die verschiedenen Durchsetzungsinstrumente des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vor allem hinsichtlich der Fristen, der Beweislast und der unzureichenden Möglichkeit für Antidiskriminierungsverbände, Betroffene bei der Geltendmachung ihrer Rechte zu unterstützen, noch ausgebaut werden müssen.

Der Senat sieht in den genannten Punkten einen deutlichen Korrektur- und Handlungsbedarf durch den Bundesgesetzgeber. Soweit Länderzuständigkeiten berührt sind,

und das ist hier das Land –

wird der Senat im Wege einer eigenen Gesetzesinitiative dafür sorgen, dass von Diskriminierung betroffenen Menschen wirksamer unterstützt werden.

Senat von Berlin, Februar 2012. So, Herr Lehmann, jetzt erzählen Sie mir noch, dass Frau Kolat damals Quatsch unterschrieben hat – weil Sie es ja alles besser wissen. Ich glaube, dass Frau Kolat richtig lag mit diesen Aussagen, die ich zu 100 Prozent teile.

[Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Und dann warten wir darauf dreieinhalb Jahre, komplett geduldig – nichts passiert. Und jetzt haben wir dieses Gesetz eingebracht, weil wir gesagt haben: Es reicht. Es muss in dieser Legislaturperiode noch darüber gesprochen werden, und jetzt haben wir die Zeit, das noch im Ausschuss zu debattieren, wobei ich mich wirklich frage, was das jetzt noch bringen soll, das im Ausschuss zu behandeln, denn Sie haben ja Ihre Linie festgelegt. Sie werden es nicht unterstützen und suchen nach Ausflüchten, nennen Gesetze, die damit nichts zu tun haben. Das ist enttäuschend, das ist schade. Das ist eine vertane

Chance für alle Menschen in Berlin, die auf dieses Gesetz warten. Und das ist eine Schande für diese Stadt.

[Beifall bei den PIRATEN, den GRÜNEN und der LINKEN]

Vielen Dank, Kollege Reinhardt! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags federführend an den Arbeitsausschuss empfohlen, mitberatend an folgende Ausschüsse: Bildungsausschuss, Innenausschuss und Rechtsausschuss. – Widerspruch höre ich nicht, dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.4:

Priorität der Fraktion Die Linke

Gesetz zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen

Dringliche Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 17/2583

Erste Lesung

Mir ist signalisiert worden, dass gegen die Dringlichkeit Widerspruch erhoben wird. Ich erteile dem Kollegen Lux von den Grünen das Wort. Nach unserer Geschäftsordnung § 59 Abs. 4 kann man Rede und Gegenrede haben. – Bitte schön, Sie haben das Wort!

Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal möchte ich mich bedanken, vor allen Dingen bei den Koalitionsfraktionen, dass wir in dieser Wahlperiode großzügig mit Dringlichkeiten umgehen, die insbesondere wir als Oppositionsfraktion häufig stellen und die dann auch dringlich auf die Tagesordnung genommen werden. Hier aber geht es um ein Gesetz zur Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen, durchaus ein dringliches Anliegen, das zum Gegenstand hat, das Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes zu ändern. Und hier gibt es einen wesentlichen Unterschied, der dafür entscheidend ist, ob man einer Dringlichkeit zustimmen sollte oder nicht. Es handelt sich bei dem Gesetz zum Erhalt des Tempelhofer Feldes eben nicht um ein Parlaments- und ein Fraktionsgesetz, nein, es handelt sich um ein Volksgesetz. Sie sehen es auch an der Einleitungsformel.

Das Volk des Landes Berlin hat das folgende Gesetz beschlossen:

Nicht wir als Fraktionen, nicht die Abgeordneten, nicht das Parlament, sondern das Volk. Und das ist eine Zäsur. Das ist das erste Mal, dass das Parlament ein solches Volksgesetz ändern will. Und wir – nicht ganz 150 Leute

(Fabio Reinhardt)

sollten uns vor Augen halten, dass 1 115 000 Berlinerinnen und Berliner am 25. Mai 2014 über dieses Gesetz abgestimmt haben und 740 000 Berlinerinnen und Berliner mit ihrer Ja-Stimme das Gesetz beschlossen haben. Also, wenn das geändert werden soll, dann bedenken wir es wohl, übereilen nichts!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Ich darf bei Ihnen dafür werben, gerade bei dem Thema Unterbringung von Flüchtlingen, das uns allen ein wichtiges Anliegen ist, noch mal abzuwägen. Sie verlieren einen Monat Zeit, Sie gewinnen Verlässlichkeit, Vertrauen, Glaubwürdigkeit, indem Sie auf Augenhöhe mit den Berlinerinnen und Berlinern agieren und sich eben nicht das parlamentarische Dringlichkeitsrecht, das im Kern ein parlamentarisches Dringlichkeitsrecht der Fraktionen ist, zu eigen machen. Und deswegen bitte ich Sie, die Dringlichkeit hier abzulehnen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Vielen Dank! – Das Wort zur Gegenrede erteile ich dem Kollegen Schneider von der SPD-Fraktion. Danach wird abgestimmt.

[Steffen Zillich (LINKE): Es wäre jetzt wichtig, dass die CDU dagegen sprechen würde!]

Der Große sticht den Kleinen, so ist das Geschäft. – Meine Damen und Herren! Wir haben das gehört, der Kollege Lux hat zutreffend ausgeführt, dass, wenn die Opposition ein Anliegen für dringlich hält, das dann auch regelmäßig hier als dringlich aufgerufen wird. Im Gegenteil, es ist dann sogar so, dass sich die Opposition gelegentlich an ihre eigene Dringlichkeit nicht mehr erinnern möchte, wenn es darum geht, dass die Anträge dann auch aus den Ausschüssen dringlich wieder zurückkommen. Insoweit ist das in sich widersprüchlich.

Wir wissen alle hier im Raum – insoweit will ich jetzt mal nachdenklicher werden –, um was es eigentlich geht. Der Senat bittet hier das Hohe Haus, zu einer schwierigen Abwägungsentscheidung zu kommen. Und, das will ich gar nicht wiederholen, Sie haben zutreffend gesagt, um was es geht, nämlich um das Novum, dass wir uns dem Umstand stellen, dass der Senat der Einschätzung ist, da eine gesetzgeberische Indikation zu haben, einen Novellierungsbedarf zu sehen, und dass hier ein Volksgesetz das erste Mal in Rede steht. Das ändert aber überhaupt nichts an dieser Geschäftsordnungsdebatte. Denn es geht hier nur darum, dass der Senat zunächst etwas auf die Tagesordnung setzt. Wie seriös und wie objektiv dieses

Hohe Haus den Umstand der dringenden Unterbringung von Menschen, die hier Zuflucht suchen, in Abwägung bringt zu dem Umstand, dass die Bevölkerung mit anderen Voraussetzungen eine andere Entscheidung getroffen hat, ist nicht davon abhängig, ob wir heute dazu reden. Und ich finde, das entzieht sich eigentlich auch einer Geschäftsordnungsdebatte. Deswegen werden wir diesen Antrag ablehnen.

Danke schön! – Rede und Gegenrede fanden statt. Ich lasse Sie jetzt abstimmen. Wer bei der Einbringung dieses Gesetzes die Dringlichkeit als gegeben ansieht, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind CDU und SPD. Wer ist dagegen? – Das sind Linke, Grüne und alle Piraten. Ersteres war die Mehrheit. Damit ist die Dringlichkeit beschlossen.

Ich eröffne die erste Lesung und erteile dem Herrn Senator Geisel das Wort. Er bat um das Wort, und der Senat darf jederzeit, insbesondere wenn er es einbringt, sprechen. – Bitte sehr, Sie haben das Wort, Herr Senator Geisel.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Ich habe für den Senat die Aufgabe übernommen, dieses Gesetz hier einzubringen und einige erklärende Worte dazu zu sprechen, aufgrund der öffentlichen Diskussion, die es zu diesem Gesetzentwurf gegeben hat.

In welcher Situation befinden wir uns? – Wir haben im Jahr 2015 bisher 65 000 Menschen in unserer Stadt zusätzlich aufgenommen. Wir haben für zusätzliche Unterkunft für 65 000 Menschen gesorgt. Das ist nicht immer leicht. Es ist sogar an verschiedenen Stellen unserer Stadt sehr schwierig. Trotzdem möchte ich festhalten, dass wir 65 000 Menschen bisher untergebracht haben – eine große Leistung der Stadt Berlin. Das ist eine große Leistung aller Menschen, die damit befasst waren und sind. Und wir müssen davon ausgehen, dass noch mehrere Tausend Flüchtlinge bis zum Ende des Jahres nach Berlin kommen und ebenfalls untergebracht werden müssen. Gegenwärtig erwarten wir etwa 800 Flüchtlinge pro Tag, die untergebracht werden müssen. Und was glauben Sie, wie das 2016 weitergeht? Meinen Sie, Ende des Jahres 2015 ist damit Schluss? Ich fürchte, alle Anzeichen deuten darauf hin, dass wir auch im Jahre 2016 mit entsprechenden Flüchtlingszahlen in Berlin zu rechnen haben. Und dann ist es unsere Aufgabe, dafür Vorsorge zu treffen.

Wie ist die gegenwärtige Situation? Wie ist die Aufgabe des Koordinierungsstabes zur Unterbringung von Flüchtlingen? – Die gegenwärtige Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass über Nacht Flüchtlinge in Berlin ankommen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Koordi