Protokoll der Sitzung vom 14.01.2016

Das hier in Berlin ansässige Berliner Zentrum für Industriekultur, BZI, soll, so fordert es unser Antrag, zusammen mit öffentlichen Akteuren – mit anderen Museen oder auch mit der Deutsche Bahn – wie auch mit Privatunternehmen ein Konzept entwickeln. Es ist eine wirkliche Querschnittsaufgabe, daher ist der Antrag in vier Parlamentsausschüsse überwiesen worden. Es sind Aspekte der Stadtentwicklung, der Kultur, der Medien und der Wirtschaft betroffen. Ich freue mich auf die Diskussion in den Ausschüssen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Danke schön! – Für Bündnis 90/Die Grünen habe ich hier Herrn Schweikhardt stehen, es folgt aber Herr Olalowo. – Bitte schön!

Herr Präsident! Ich darf den Kollegen Notker Schweikhardt vertreten. – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Historisch gehört Berlin im neunzehnten Jahrhundert und zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts sicherlich zu den bedeutendsten Industriemetropolen sowohl Deutschlands als auch Europas. Ende des neunzehnten Jahrhunderts war Berlin ein Zentrum der modernen Großindustrie – so weit, so richtig. Weltweit bekannte und tätige Industrieunternehmen wie Siemens, AEG, Borsig wurden in Berlin gegründet, und selbst Mercedes verlagerte im Zuge seiner Fusion mit Daimler 1928 seinen Hauptsitz und einen erheblichen Teil seiner Produktion nach Berlin. Zugleich war die Berliner Wirtschaft in dieser Zeit – Herr Kollege Jahnke, Sie haben das gerade dargestellt – durch die vielen kleinen und mittleren Unternehmen geprägt, durch innovative Produktion im dritten und vierten Hinterhof. Ich will nur einige der über 400 Objekte – zum guten Teil auf der Berliner Denkmalliste stehend – nennen, die dafür heute noch Zeugnis stehen: Der Borsigturm in Reinickendorf, die Borsighöfe in Mitte, das PelikanHaus in Kreuzberg. Als Zeugnis des sozialpolitischen Engagements dieser Zeit nenne ich die Großsiedlung Siemensstadt, heute Teil von Charlottenburg. Öffentliche Gebäude der damaligen Zeit sind heute Denkmale der Industrialisierung, wie z. B. das Radialsystem in Friedrichshain oder das heutige Euref-Gelände in Schöneberg – wunderbare Denkmale der Industriekultur, heute nur leider im privaten Besitz. An den Führungen dazu können Sie, wie jeder Tourist, der nach Berlin kommt, teilnehmen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor Berlin seine führende Rolle als Industriestandort in Deutschland. Viele Unternehmen verlagerten ihren Hauptsitz nach Westdeutschland, und mit der Wiedervereinigung mussten auch viele der Industrieunternehmen im Ostteil der Stadt schließen.

Die Berliner Industrie erlebte einen erheblichen Strukturwandel, und in der Folge wurde eine ganze Reihe von Standorten geschlossen, eine Vielzahl von Arbeitsplätzen musste abgebaut werden. Viele der Gebäude aus dieser Phase sind heute attraktiv für Gründungen und werden auch so genutzt.

Eigentlich sollte es aber bei einem Antrag, der federführend in den Wirtschaftsausschuss verwiesen werden soll, um Wirtschaftspolitik und eben nicht um Wirtschaftsgeschichte gehen. Mögen die industriekulturellen Zeugnisse dieser Stadt auch noch so ästhetisch und attraktiv sein, mögen sie auch für Gründungswillige – im Sinne eines sehr weichen Standortfaktors – zur Attraktivität des Standortes beitragen: Wichtiger für Gründungen und das wirtschaftliche Prosperieren der Stadt sind heute sicherlich wissenschaftliche Potenziale, eine hervorragende Fachkräfteausstattung am Standort Berlin, die bis vor einiger Zeit noch gute und günstige Ausstattung der Stadt mit Gewerbeimmobilien – und auch mit Wohnraum; das ist inzwischen verspielt –, ggf. auch die Attraktivität Berlins als vielfältige Kultur-, Sport- und auch Amüsierstadt.

Dieser heute vorgelegte Antrag ist, um den Bundestagspräsidenten Lammert zu zitieren, Ausdruck der Lähmung der real existierenden Regierungskoalition dieser Stadt.

Frau Kollegin Becker hat das Thema bereits zu Beginn der Legislaturperiode als Anfrage eingebracht. Seitdem ist nichts mehr passiert. Es hat geruht. Jetzt liegt es wieder vor. Die Hängepartie, mit der die Koalition, Herr Kollege Jahnke, Sie haben es angesprochen, das Berliner Zentrum für Industriekultur fast abgewürgt hätte, haben Sie jetzt zum Glück beendet. Die Förderung wurde einmal durch den Zuständigkeitswirrwarr gereicht, zunächst bei der Kultur verortet – mit der EFRE-Förderung bis 2014 –, dann im Jahr 2015 bei Wirtschaft mit lächerlichen 90 000 Euro für die Öffentlichkeitsarbeit bedacht, um im Haushalt 2016/2017 bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt zu landen. Hier wird das Thema mit 140 000 Euro gefördert. Entweder reicht das, oder es reicht nicht, mehr wird zum Thema Industriekultur in dieser Legislaturperiode sicherlich nicht mehr geschehen.

Mit Wirtschaftspolitik, mit Industriepolitik hat so etwas wenig zu tun. Die Industriepolitik dieser Stadt krankt doch daran, dass die einen nicht mehr nüchtern werden zu feiern, wie attraktiv Berlin ist – was im Moment sowohl im Tourismus, in der Gastronomie als auch in Teilen der IT-Wirtschaft zu einem Boom führt –, während die anderen die Industrie scheinbar als Monstranz vor sich hertragen und ins Museum stellen wollen. Nachhaltig ist beides nicht.

Was tatsächlich passiert, sehen wir an Oberschöneweide. Dort ist ein Batterieunternehmen angesiedelt, das über

(Frank Jahnke)

eine Reservefläche verfügte, welche aber durch den Senat nicht geschützt wird. Das Unternehmen, das expansionswillig ist, wird verdrängt, übrigens gegen den Widerstand der Anwohnerinnen und Anwohner. Die sind dafür, dass das Unternehmen am Standort bleibt; dem Senat hingegen gelingt es nicht, dieses Unternehmen zu schützen. Hier kann der Senat weder die eigentlich vorgesehenen Erweiterungsflächen noch geeignete Ausweichflächen garantieren.

Die IHK hat gestern ein Papier veröffentlicht: Berliner Standorte für die Industrien von morgen. Die industriekulturelle Geschichte spielt hier eine eher untergeordnete Rolle. Die Folgerungen: Berlin braucht ein Gesamtkonzept für die Industriestandorte von morgen. Das kann nur funktionieren, wenn wir eine klare Vorstellung davon haben, wo unsere Stärken liegen, wo unsere Kapazitäten und – gerade auch, was die industriekulturellen Orte angeht – wo unsere Potenziale liegen. – Danke!

[Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die CDU-Fraktion Herr Schultze-Berndt. – Bitte schön, Herr Kollege!

[Andreas Gram (CDU): Jetzt wird Klartext gesprochen!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Olalowo! Sie haben so gut angefangen, und den zweiten Teil der Rede fand ich sehr bedauerlich. Herr Jahnke hat den Facettenreichtum der Stadt, die Industrie, die Stärken der Stadt und wie wir uns nach vorne bewegen wollen und können darzustellen gewusst. Laut aktueller Statistik der Arbeitsagentur haben wir in Berlin derzeit 184 267 Arbeitslose. Wir haben eine Verantwortung für diese Menschen. Die Regierungsparteien CDU und SPD sind zusammengekommen, gerade um im Schwerpunktbereich Wirtschaft und Arbeitsmarkt vieles voranzubringen. CDU und SPD haben gemeinsam vieles geliefert. Sie haben geliefert, und das in einem Ausmaß, dass es offensichtlich auch den Oppositionsparteien die Sprache verschlagen hat. Der Anstieg der Zahl der Arbeitskräfte, das Sinken der Arbeitslosigkeit, das Steigen des Renommees der Stadt Berlin als Ganzes, das Steigen des Renommees der Wissenschaftslandschaft und der Forschungslandschaft, der Zuzug von ausländischen Akademikern und Führungskräften, das kommt nicht von allein.

[Zuruf von der CDU: So ist es! – Stefan Gelbhaar (GRÜNE): Nein, es kommt per Flugzeug am BER an!]

Das kommt nicht von allein, sondern insbesondere auch die von Cornelia Yzer vorgeschlagenen Maßnahmen für Innovationen Industrie 4.0 und das bei der Gesamtregie

rung angekommene Ziel der Reduzierung der administrativen Komplexität, Stichwort Einheitlicher Ansprechpartner, führt eben irgendwann auch zu Erfolgen.

[Wolfgang Brauer (LINKE): Sie haben das falsche Manuskript!]

Jetzt kommen wir zu anderen Aspekten, die dafür wichtig sind, die Stadt Berlin nach vorne zu bringen. Wir haben hier einen Antrag, der dazu führt, dass in der Wirtschaft Arbeitsplätze geschaffen werden. Die heutige Tagesordnung hat im Bereich dessen, was aus der Opposition kommt, jedenfalls an der Stelle, keinen einzigen Arbeitsplatz geschaffen.

Berlin ist spannend, Berlin ist kreativ, Berlin hat Kultur und Berlin hat Industrie, hat es heute und hatte es auch schon gestern. Und Industriebauten sind insbesondere auch für kreative Geister des heutigen Tages – – Herr Olalowo, Sie haben eine Zwischenfrage, gerne!

Ja, ich wollte gerade fragen.

Kein Problem, dafür haben wir ja die blinkenden Mikrofone. – Bitte schön, Herr Kollege, stellen Sie Ihre Zwischenfrage!

Vielen Dank, dass Sie die Frage zulassen, Herr Kollege Schultze-Berndt! – Würden Sie mir erklären, was das, was Sie bisher dargestellt haben – insbesondere die Arbeit der sehr geschätzten Senatorin Yzer –, mit dem Thema Industriekultur in Berlin zu tun hat?

Das kann ich Ihnen gerne sagen. Wir sind hier nicht in einem Gremium, um eine Fachdiskussion, die in den Fachausschüssen noch einmal geführt wird, vorwegzunehmen, um dann an anderer Stelle zu reproduzieren, was wir schon mal gesagt haben, aber in einem anderen Gremium,

[Zuruf von Ramona Pop (GRÜNE)]

sondern wir sind hier dabei, dafür Sorge zu tragen, dass die Menschen, die da draußen zuhören, und all die anderen Kollegen, die nicht aus dem Fachausschuss kommen, wissen, was eigentlich der Kontext ist, worüber wir reden, und was das gemeinsame Ziel ist.

[Philipp Magalski (PIRATEN): Das haben Sie verfehlt!]

Das Ziel ist es, die Stadt Berlin in all ihren Stärken, mit allen Facetten in der Form darzustellen, dass die Leute verstehen, dass sich etwas bewegt und wie wir unserer Verantwortung gerecht werden und eben auch in dem Bereich Industrie und in dem Bereich Kultur und all dem, was damit zusammenhängt, dass die Stadt ein wertvolles Konglomerat von guten Leistungen und Kulturgütern ist, wie es sich bisher darstellt, und wir gerne wollen, dass es auch künftig der Fall ist.

Wir brauchen eben nicht nur schlaue Geister, nicht nur moderne Computer, die wir irgendwo auf dem flachen Land hinstellen, sondern eine Heimat für die Menschen, für den Kontext, der kreativ wird. Die kreativen Geister kommen nicht nur nach Berlin, weil es hier billig ist oder weil Brandenburg so schön außen rum ist oder wir so flotte Baumaßnahmen am Flughafen haben,

[Lachen von Benedikt Lux (GRÜNE) – Zuruf von Oliver Friederici (CDU)]

sondern die kommen her, weil wir Charme, weil wir in bestimmen Bereichen einen Shabby-Charme haben, aber einen Charakter.

[Benedikt Lux (GRÜNE): Arm, aber sexy!]

Die Leute fühlen sich hier wohl. Und wir wollen, dass sich die Leute nicht nur wohlfühlen, sondern sie sollen sich hier zuhause fühlen. Berlin ist eben auch Heimat. Und das soll es noch viel mehr werden, deswegen soll es nicht nur Heimat, sondern auch Arbeitsplatz und für noch mehr Menschen als bisher sein.

Die 184 000 Menschen, die arbeitslos sind, von denen ich gesprochen habe, erwarten, dass wir PS auf die Straße bringen. Da habe ich den Eindruck, dass SPD und CDU das sehr wohl tun und dass sie es verstehen, in welchen Bereichen es nach vorne gehen kann.

[Zuruf von Sabine Bangert (GRÜNE)]

Wenn wir darüber sprechen, dass der Shabby-Charme von Industriebauten heute dafür sorgt, dass sich die Leute dort auf dem analogen, schweißgetränkten Umfeld der Industrie 1.0 mit Industrie 4.0 und der Kreativwirtschaft beschäftigen, dann kann ich sagen, ist das genau das, was wir brauchen.

Der Kultur- und Kreativwirtschaftsindex 2015 zeigt die Entwicklung der letzten fünf Jahre. Die Kultur- und Kreativwirtschaft ist in Berlin und Brandenburg ein bedeutender Wirtschaftsfaktor. Rund 30 500 Unternehmen sind in der Region ansässig. Und sie erzielen mittlerweile einen Rekordumsatz von 15,6 Milliarden Euro, erwirtschaften somit 6 Prozent aller privatwirtschaftlichen Umsätze der Region.

Städte müssen eine Geschichte erzählen. Das tut Berlin. Und Berlin erzählt eben nicht nur eine historische Geschichte von Ereignissen, die die Welt prägten, sondern Berlin ist eben auch Elektropolis gewesen. Berlin war bis

1945 die größte Industriestadt zwischen dem Atlantik und Wladiwostok. In Berlin wurde Industriegeschichte geschrieben, und viele Bauten verkünden davon. Das hatten Sie, Herr Olalowo, auch gesagt, bevor sie zu Oppositionsgeplänkel umgeschwenkt sind.

[Zuruf von Thomas Birk (GRÜNE)]

Namhafte Architekten haben bedeutende Industriebauten in Berlin errichtet und Architekturgeschichte geschrieben. Auch die an der Funktionalität ausgerichtete Bauhausarchitektur hat ihre Spuren nicht nur in Berlin hinterlassen.

Diese Koalition, dieser Senat haben verstanden, wer die Arbeitsplätze schafft und wie man sie schafft. So steht auch dieser Antrag für ein weiteres kleines Rädchen, das sich drehen kann, damit neue wirtschaftliche Tätigkeitsfelder für neue Arbeitsplätze gefunden werden können. – Schönen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Oliver Friederici (CDU): Wieder eine Ruck-Rede!]

Danke schön! – Für die Fraktion Die Linke jetzt Herr Kollege Brauer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Beim ersten Augenblick, als ich dieses hervorragende Papier in der Hand hatte, dachte ich auch, oha, in der Koalition ist der Groschen gefallen. 20 Jahre nach der großen Plattmache suchen SPD und CDU die Trendwende. Nachdem die Wirtschaftssenatorin kürzlich in diesem Hause verkündet hat – Frau Yzer, das war toll! –, man müsse die Industriepotenziale in Berlin stärken, versuchen nun endlich auch die Wirtschaftspolitiker der Koalitionsfraktionen den Schulterschluss zu ihrer Senatorin und haben begriffen, dass die Wachstumspotenziale Berlins eben nicht nur in Jux und Tollerei, nicht nur in Spaß und Event liegen. Das entspräche tatsächlich einer Forderung der IHK vom gestrigen Tag, die hier zitiert wurde. Ich zitiere noch einmal eine Äußerung von Frau Bähr: