Protokoll der Sitzung vom 14.04.2016

[Heiterkeit – Lars Oberg (SPD): Wer weiß!]

aber in Berlin, sagen wir mal. Da muss doch wohl auch die Frage diskutiert werden, ob diese neu zu gründenden Schulen dann nicht auch Gemeinschaftsschulen sein können. Was sagen Sie dazu?

Diese Frage muss selbstverständlich diskutiert werden. Sie wissen aber auch, wo sie diskutiert wird. Diese Frage wird in den Bezirken diskutiert.

[Regina Kittler (LINKE): Na, aber auch hier!]

Man könnte jetzt darüber diskutieren, ob man das künftig nicht an anderer Stelle diskutiert und entscheidet, aber ich glaube, das würde zu weit führen.

[Zuruf von Steffen Zillich (LINKE)]

Ja, das muss natürlich erlaubt sein, aber das stellt uns vor eine große Herausforderung, weil wir wissen, wie schnell eine solche Schule zum Spielball politischer Interessen wird. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen – und ich habe noch keine Idee, wie das funktioniert –, dass solche Neugründungen nicht als Prestigeprojekte begriffen werden, die dann gleichzeitig – im negativen Sinne des Prestiges – bekämpft werden. Es wird uns nicht gelingen, Schulneugründungen auf Dauer im Konflikt zu fahren. Deshalb werden wir uns überlegen müssen, ob es dafür nicht Kriterien gibt, die wir ggf. hier festlegen. Es muss aber immer so gestaltet sein, dass es mit der Wirklichkeit vor Ort so korrespondiert, dass es dann auch umgesetzt wird, denn auch das zeigt ja wohl die Pilotphase: Gemeinschaftsschulen sind auch deshalb so erfolgreich, weil die, die sie machen, sie auch wirklich machen wollen. Das wird kein leichtes Unterfangen werden, aber ich stimme Ihnen zu, es ist fair und als Möglichkeit zu diskutieren, wie bei Schulneugründungen auch die Gründung neuer Gemeinschaftsschulen in Betracht kommt.

Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? Sie kommt vom Abgeordneten Zillich.

Sehr gerne; Zeit ist ja da.

Bitte sehr!

Sie haben nun ein Bekenntnis zur Vielfalt im Berliner Schulsystem abgegeben. Können Sie vielleicht ein paar Worte finden zur Beschlussfassung des Abgeordnetenhauses aus der letzten Wahlperiode, wonach die Berliner Gemeinschaftsschulen das Ziel der Berliner Schulentwicklung sind?

Vielen Dank, Herr Zillich!

Das Ziel, etwas zu haben, was dem Wunsch entspricht, von der ersten bis zur zehnten oder dreizehnten Klasse gemeinsam zu lernen, haben wir erfüllt.

[Zuruf von Steffen Zillich (LINKE)]

Das haben wir erfüllt, weil wir ein erfolgreiches Modell haben. Wir erleben in einigen Gemeinschaftsschulen, dass dort die ersten Klassen stark übernachgefragt sind; sie haben ja keinen Einzugsbereich. Richtig ist auch, dass wir aus diesem System lernen wollen, da die Gemeinschaftsschule – auch deshalb eine Pilotphase – Erkenntnisse erzeugt, die darüber hinausgehen.

Wenn Sie das Ziel so verstanden wissen wollen, dass wir irgendwann einmal nur noch Gemeinschaftsschulen haben, dann würde ich das anders interpretieren. Hinter dem gemeinsamen Ziel, mehr Gemeinschaftsschulen in der Stadt zu haben, können sich so ziemlich alle Fraktionen versammeln. Den Beschluss aus der letzten Legislaturperiode kann ich jedoch nicht so verstehen, dass damit das Ziel beschrieben wird, dass es ausschließlich Gemeinschaftsschulen gibt. Ich vermute, dass die meisten Anwesenden ihn auch nicht so interpretieren würden. – Danke schön!

[Beifall bei der SPD – Beifall von Hildegard Bentele (CDU)]

Vielen Dank, Herr Oberg! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Remlinger. – Bitte!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Oberg! So entspannt wie in letzter Zeit haben wir Sie ja über Jahre nicht erlebt.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Lars Oberg (SPD): Doch!]

Ich könnte mir vorstellen, dass es auch damit zu tun hat, dass wir für alle, die sich wirklich für Bildungspolitik interessieren, in sehr spannenden und aufbruchsfähigen Zeiten leben. Nach Jahrhunderten, in denen die Schulen völlig blind gefahren sind im Hinblick darauf, wie eigentlich am besten gelernt wird, nach Jahrhunderten, in denen man einfach selbstverständlich davon ausging, dass Schule aus einzelnen Lehrkräften besteht, die in einzelnen Unterrichtsstunden einzelne Fächer in einem einheitlichen Tempo für möglichst einheitliche Kinder unterrichten, hat man erst vor rund zwanzig Jahren angefangen, empirisch zu erforschen, was da eigentlich passiert,

[Wolfgang Brauer (LINKE): Aber Frau Remlinger! Dazu sind ganze Bibliotheken vollgeschrieben worden, seit Jahrhunderten!]

wie man eigentlich lernt. – Das habe ich nicht bestritten, dass seit Jahrhunderten Bibliotheken vollgeschrieben worden sind.

[Beifall bei den GRÜNEN]

Ich bin mir aber ziemlich sicher – und wir können das ausdiskutieren –, dass die empirische Wende in der Bildungswissenschaft nicht Jahrhunderte zurückliegt. Auch wenn Sie mir das nicht glauben, ich bin mir da sehr sicher. Ich weiß, dass wir auch deshalb so viele Diskussionen und so viel Stress in der Bildungslandschaft in den letzten zwei Jahrzehnten hatten, weil mit der zunehmenden Erkenntnis darüber, wie gelernt wird, mit den Erkenntnissen der Hirnforschung und der Befassung mit der Frage: Was bleibt eigentlich hängen? Wann können Kinder sich eigentlich etwas merken? Was können Sie mit dem anfangen, was sie in der Schule lernen? –, die Debatte darüber, wie unterrichtet wird und wie Schulen organisiert werden, noch einmal ganz neu befeuert wurde. Ich bin sehr froh über diese Entwicklung, denn ich glaube, dass die wissenschaftliche Fundierung der Frage, wie der Lernerfolg der Kinder am größten ist, das Potenzial hat, etwas, was hier immer als Glaubens- und Ideologiestreit oder als nicht wirklich mit der Bildungsfrage an sich, sondern mit gesellschaftspolitischen Fragen verknüpft diskutiert worden ist, neu zu fundieren und zu objektivieren, sodass sich da auch der Weg öffnet und wir aus der Sackgasse herauskommen, dass viele Menschen immer noch glauben, man müsse soziale Gerechtigkeit mit einem Mangel an Bildungserfolg erkaufen, und bestimmte Schichten müssten sich damit abfinden, es wäre schädlich für ihre Kinder, würde man alle zusammen unterrichten. Wir haben jetzt zunehmend – auch in Deutschland, auch in Berlin – empirische Befunde, sodass wir die Leute beruhigen und ihnen sagen können: Nein! Wir haben aus der Unterrichts- und Schulforschung, wir haben aus der empirischen Bildungswissenschaft gute Hinweise darüber, wie Unterricht besser funktioniert. – Das ist doch sensationell für Deutschland, wenn Unterricht es schafft, die sozialen Unterschiede aufzuheben.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Beifall von Martin Delius (PIRATEN)]

Das ist sensationell, und ich glaube, dass sich ganz viele Pädagoginnen und Pädagogen, die bisher anders unterrichtet haben, die sich bisher nicht vorstellen konnten, dass das funktionieren kann, für diese Befunde interessieren und darüber diskutieren.

Da unterschreibe ich voll und ganz das, was Herr Oberg gesagt hat: Der Weg dahin führt über eine organische Entwicklung, darüber, dass die pädagogischen Teams das auch wollen, dass sie verstehen, warum sie das tun und wie das geschehen kann, denn es ist eine immense Umstellung in der internen Organisation. Es ist eine immense Umstellung im Unterricht, und es ist eine immense Umstellung – weg von dem Bild, dass eine einzelne Lehrerin, ein einzelner Lehrer ein einzelnes Fach allein unterrichtet, hin zu einer Teamarbeit, auch in der gemeinsamen Unterrichtsvorbereitung, um eine Differenzierung zu schaffen. Das ist eine riesige Umwälzung, und so ist es auch nicht verwunderlich, dass viele Menschen davor Respekt hatten, dass viele dachten: Oh Gott! Was kommt da alles auf mich zu! – Ja, da kommt viel auf einen zu, aber es kann ein tolles Ergebnis haben. Lassen Sie uns deshalb den Weg weitergehen.

Die Anträge der Linksfraktion halte ich für ausgesprochen hilfreich, weil das für mich – wir hatten neulich ja mal einen Dissens – der richtige Weg ist zu sagen: Wir wollen es weiterhin wissenschaftlich begleiten. Wir wollen beweisen, dass es richtig ist, was wir tun. Wir gucken uns Stellschrauben an, die Blockaden darstellen. – Die Stellschraube Grundstufe und Grundstufenleitung und dass sie erhalten bleibt, wenn ich mich zusammenschließe, finde ich aus zwei Gründen wichtig: Es war bislang eine Fusionsblockade, oder sagen wir besser: ein negativer Faktor. Es passt aber auch dazu, dass wir die Grundstufe der Grundschule erhalten. Das müssen wir dann aus meiner Sicht auch gar nicht mehr so stark unterscheiden. Wir müssen auch die Grundschule nicht abschaffen. Wir müssen nicht jede Schule fusionieren.

Ich denke, es gibt auch vom Timing her großen Respekt für Ihre Anträge. Ich glaube, es wird in der Tat unsere Diskussion im Ausschuss befruchten, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir auch Frau Bentele stellvertretend für viele konservativere Menschen in Berlin auf dem Weg dabeihaben können, dass sie sich überzeugen lässt mitzugehen, wenn konsequent der Lernerfolg der Kinder im Vordergrund steht und nicht andere Debatten. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Regina Kittler (LINKE)]

Vielen Dank, Frau Remlinger! – Für die CDU-Fraktion hat jetzt das Wort Frau Abgeordnete Bentele. – Bitte!

(Stefanie Remlinger)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In Berlin sind im Rahmen eines Pilotvorhabens in den letzten Jahren Gemeinschaftsschulen gewachsen. Wenn ich richtig gezählt habe, sind in den letzten vier Jahren, also unter CDU-Regierungsbeteiligung, vier weitere hinzugekommen. Die CDU hat den Pilotversuch weder gestoppt noch behindert. Wir haben auf wissenschaftliche Begleitung geachtet und ihn in Ruhe weiterlaufen lassen. Sie sehen mich da also ganz gelassen.

Sie dagegen, Frau Kittler, können nur in Nullsummenspielen denken!

[Regina Kittler (LINKE): Ach was!]

Damit Ihr Lieblingsprojekt Gemeinschaftsschule als einzige Schulform überleben kann, müssen andere, insbesondere das Gymnasium, offen oder indirekt bekämpft werden.

[Regina Kittler (LINKE): Wann denn, bitte?]

Merken Sie eigentlich nicht, wie unsouverän das ist! Wir denken nicht in Nullsummenspielen,

[Regina Kittler (LINKE): Das sind doch Worthülsen!]

sondern wir sind der Auffassung, dass uns eine Schullandschaft mit einer Vielfalt von pädagogischen Konzepten, aus denen man frei wählen kann, insgesamt bereichert und uns dem Ziel näher bringt, alle Kinder bestmöglich zu fördern.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Lederer?

Nein, ich will zu Ende ausführen! – Wir glauben an den Wettbewerb verschiedener guter Ideen und unterstützen im Übrigen, ganz anders als Sie, schon immer aus Überzeugung freie Schulen, an denen vielfach Gemeinschaftsschulkonzepte umgesetzt werden. Sie sehen mich in dieser Frage also wirklich ganz gelassen.

Die Gemeinschaftsschule bietet ein pädagogisches Konzept, das von Gemeinschaftsschule zu Gemeinschaftsschule auch noch einmal ganz unterschiedlich aussieht, in einem großen Konzert an Konzepten an und gewinnt in Berlin ihre Existenzberechtigung daraus, dass es Eltern gibt, die dieses für ihre Kinder wählen, und dass es Lehrer gibt, die dieses Konzept umsetzen wollen.

In dieser Woche gab es keine Meldungen über chaotische Zustände in Gemeinschaftsschulklassen, sondern wir haben einen insgesamt positiven Bericht von einer Wissenschaftlergruppe vorliegen, bei dem wir – und das lasse

ich mir vor dem Hintergrund der in anderen Ländern gescheiterten Schulversuche mit Gemeinschaftsschulen schon gerne als Skepsis auslegen – allerdings monieren, dass die Studie abgeschlossen wurde, ohne dass der Lernstand am Ende der Klasse 10 ausgewertete wurde, in der bekannterweise die MSA-Prüfungen geschrieben werden, und dass man den Durchlauf bis zum Abitur erst gar nicht abgewartet hat. So viel an Informationen darf es für eine abschließende Bewertung einer neuen Unterschulform schon sein, finde ich. Die bewusst vorher abgebrochene wissenschaftliche Begleitung nährt auch im Zusammenhang mit allgemeinen Niveauabsenkungen im Vorfeld Skepsis, die man auch hätte ausräumen können.

Aber zurück zur Frage des Antrags: Wie entstehen Gemeinschaftsschulen in Berlin? – Aus unserer Sicht freiwillig und wie bisher auch in Zukunft mit der besseren Personalausstattung in den ersten zwei Jahren zur Konzeptentwicklung. Angesichts des vorliegenden Berichts, der aus Ihrer Sicht, Frau Kittler, und der von Frau Senatorin Scheeres den Erweis erbracht hat, dass das Konzept ausschließlich positive Wirkungen auf die Schülerleistungen hat, müsste es jetzt doch geradezu einen Schub an Interesse an den Berliner Schulen geben, das Gemeinschaftsschulkonzept umsetzen zu wollen.

Insofern: Vertrauen Sie doch der Überzeugungskraft des pädagogischen Konzepts, dem Rückenwind aus der Studie und dem organischen Wachstum, und schaffen Sie doch bitte um Himmels willen nicht eine extra Gruppe an privilegierten Grundschullehrern an Gemeinschaftsschulen, die weiterhin an der Grundstufe unterrichten sollen – wenn ich das richtig verstanden habe –, aber zwei Stunden Unterrichtserlass bekommen sollen. So eine unsolidarische Forderung hätte ich nicht von Ihnen erwartet, Frau Kittler; und kann mir das eigentlich auch nur erklären, dass Sie sich – genauso wie die Senatsverwaltung – ausgerechnet haben, dass eine solche Reduzierung der Unterrichtsverpflichtung für alle Grundschullehrer die Einstellung von 920 Lehrern bedeuten würde, was angesichts der aktuellen Lage, bei der wir mit Ach und Krach und Quereinsteigern und der Hinzurechnung von Referendaren immer nur gerade auf die absolut notwendigen Einstellungszahlen kommen, völlig unrealistisch ist. Abgesehen davon arbeiten schon jetzt Lehrer, die mehr als die Hälfte in Sek I und Sek II unterrichten, 26 Stunden. Ich würde also sagen: Einfach noch einmal auf Los, Frau Kittler, und mehr Gelassenheit!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank, Frau Bentele! – Das Wort zu einer Zwischenbemerkung hat Frau Abgeordnete Kittler. – Bitte!

Sehr geehrte Frau Bentele! Leider sind Sie auf meine direkte Ansprache von vorhin gar nicht wirklich eingegangen. Hier solche Worthülsen zu verkünden wie, ich wolle ein „Nullsummenspiel“ – Was meinen Sie damit? Das kann ich gar nicht nachvollziehen –