Protokoll der Sitzung vom 26.05.2016

bung, Abschiebung, Abschiebung. – Da hätten Sie den CDU-Senatoren einfach mal die Entlassungspapiere übergeben müssen, aber das haben Sie nicht gemacht.

[Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Sie haben das Flüchtlingsthema aber auch nicht, wie hier behauptet, zur Chefsache gemacht. Stattdessen haben Sie zu einer seltsamen Form des Outsourcings gegriffen. Sie haben McKinsey/Diwell beauftragt, einen Masterplan zu erarbeiten. Mir ist bis heute nicht klar, warum. Das Land Berlin hat eine Integrationssenatorin mit einer Verwaltung, die eigentlich Erfahrung mit der Erarbeitung von Integrationskonzepten hat. Unter Rot-Rot wurden dort zwei ressortübergreifende Integrationskonzepte erarbeitet, die eine vielfach größere Zielgruppe hatten als etwa 50 000 Flüchtlinge, um die es jetzt geht.

Senatorin Kolat war offensichtlich selbst überrascht und hat immer wieder erklärt, sie brauche McKinsey nicht. Allerdings ist uns auch von 2012 bis Januar 2016 keine Initiative aus dem Hause Kolat bekannt, die der verheerenden desintegrativen Erstaufnahmepolitik des Herrn Czaja, der Obstruktionspolitik des Innensenators oder diesem Jeder-für-sich-und alle-gegen-alle im Senat fachlich irgendetwas Konzeptionelles entgegengesetzt hätte.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Über zwei Jahre, nachdem Klaus Wowereit in einer Regierungserklärung angekündigt hat: Es werden mehr Flüchtlinge kommen; wir müssen Vorsorge treffen. –, gibt es jetzt ein Papier, das ein Masterplan sein soll. Vier Jahre nach den Lampedusa-Flüchtlingen auf dem Oranienplatz. Diesem Senat kann man beim Laufen die Schuhe besohlen!

[Oliver Friederici (CDU): Ha, ha, ha!]

Und auch typisch: Während die SPD noch von Willkommenskultur redet, freuen sich Czaja und Henkel und auch Herr Dregger via Presseerklärung über steigende Abschiebungs- und Rückkehrerzahlen und über mehr Geld für Sammelrückführungen. Und wie im Kapitel Sicherheit diskriminierende und stigmatisierende Fälle konstruiert werden, die in der Tat geeignet wären – um hier den Bundesinnenminister zu zitieren –, die Bevölkerung zu verunsichern, das ist nicht nur sicherheitspolitisch unseriös, es ist auch Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten. – Liebe Sozialdemokraten! Ich verstehe nicht, warum ihr so etwas mitmacht!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Notker Schweikhardt (GRÜNE)]

Über den Masterplan hat es angeblich einen umfassenden – und jetzt auch noch transparenten – Dialogprozess mit den Akteurinnen und Akteuren dieser Stadt gegeben. Wie kommt es dann, dass sowohl die Art und Weise des Prozesses als auch die Qualität des Papiers von vielen Initiativen und Wohlfahrtsverbänden kritisiert wird? – Ganz

(Burkard Dregger)

einfach: Da wurde in drei Monaten etwas zusammengeschrieben, was vier Jahre lang nicht seriös bearbeitet wurde. Die Länge von 84 Seiten kann nicht darüber wegtäuschen: Der Masterplan ist in weiten Teilen eine oft unkonkrete Auflistung von Bestehendem und Ankündigungen, ohne wirkliche Umsetzungsstrategien.

Trotz rückläufiger Flüchtlingszahlen, über die sich angesichts der Bilder von Idomeni nur schlimme Zyniker freuen können, bekommen Geflüchtete in Berlin immer noch nicht rechtzeitig ihre Leistungen. Viele Betreiber von Flüchtlingsunterkünften haben immer noch keine Verträge. Es gibt Ankündigungen, die Turnhallen freizuziehen, aber widersprüchliche Aussagen, bis wann. Gleichzeitig werden Hostels freigezogen, ohne dass ein nachhaltiges Umzugskonzept bekannt wäre. Deshalb werden nach wie vor mehr oder minder wahllos Notunterkünfte wie Hangars oder auch mal gar keine Unterkünfte zugewiesen. Wo es einen Plan bräuchte, da herrscht nach wie vor Chaos.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und den PIRATEN]

Lieber Raed Saleh! Wir waren zu rot-roten Zeiten eine kleine Weile gleichzeitig integrationspolitische Sprecher unserer Fraktionen. Wir wissen beide, dass gelingende Integration ganz wesentlich davon abhängt, wie Unterbringung, Beschulung, Qualifizierung und Zugang zum Arbeitsmarkt von Anfang an, aber auch eine elementare Willkommenskultur ganz praktisch organisiert werden. Aber guckt man sich zum Beispiel den wortreichen „Dance-Mix“ im Kapitel Unterbringung und Wohnraum genau an, dann stellt man fest: Die Praxis, weiter in erster Linie auf integrationsverhindernde riesige Not- und Massenunterkünfte zu setzen, wird fortgeschrieben. Das ist absurd!

Wenn der Senat schon so viel Geld in die Hand nimmt, um Containersiedlungen und MUFs mit Gemeinschaftsduschen zu errichten, warum arbeiten Sie nicht endlich an der Ertüchtigung von Bestandsimmobilien? Warum bauen Sie nicht gleich Wohnungen? Fragen Sie Architekten und Bauexperten: Das wäre nicht nur ökonomischer, es wäre auch anständig den Flüchtlingen gegenüber.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Sie selbst sagen, wie wichtig Arbeit für die Integration ist. Nur ist in Ihrem Papier auf 13 Seiten wenig Neues. Wie im ganzen Text: Copy and paste – schon bestehende Maßnahmen, eine Menge Wünsche, Sachen aneinander gereiht, ohne dass dabei eine wirklich auf die Problemlage abgestimmte neue Herangehensweise erkennbar wäre. Eine arbeitsmarktpolitische Strategie, die Flüchtlinge und Langzeiterwerbslose in gute Arbeit bringt, gibt es nicht, auch kein Beschäftigungsprogramm, das mit öffentlicher Auftragsvergabe kombiniert wird, stattdessen gibt es nur wieder Ein-Euro-Jobs, und die finden im Wesentlichen in

den Unterkünften statt, sind also alles andere als integrativ. Das ist bitter und ernüchternd.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Nicht alles – und das liegt am Copy-and-pasteVerfahren –, was im Masterplan steht, ist falsch. Aber das Grundproblem ist, dass sich dieser Senat und damit dieser Plan nicht entscheiden kann, was er will – offensiv Integration und Teilhabe fördern oder abschrecken und abschieben, ob er Flüchtlinge und Zuwanderung als Bereicherung und Chance begreift oder als Krise, Bedrohung und Belastung. Deshalb ist es eben kein Masterplan, der sich der Aufgabe stellt, etwas zu schaffen, und Wege formuliert, wie etwas zu schaffen ist, sondern es ist ein Papier einer Regierung, in der einfach nichts zusammenpasst.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD! Flüchtlinge willkommen zu heißen und aufzunehmen, ist eine zutiefst humanistische Haltung. Das vernünftig zu organisieren, ist kein Hexenwerk. Man muss allerdings auch in einer Regierung nicht nur am gleichen Strang ziehen, sondern auch in dieselbe Richtung.

[Franziska Becker (SPD): Frechheit!]

Ich bitte Sie: 50 000 Geflüchtete sind im vergangenen Jahr in Berlin registriert worden. Das sind weniger Menschen als Besucher beim Pokalfinale im Olympiastadion. Wer zulässt, dass aus einer solchen überschaubaren Herausforderung eine Überforderung oder gar eine Krise staatlichen Handelns wird, muss sich nicht über Wasser auf die Mühlen von Rechtspopulisten wundern.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Ein Blick nach Österreich, wo wir über den Ausgang der Präsidentschaftswahlen erst einmal erleichtert, aber keinesfalls beruhigt sein dürfen, zeigt: Rechtspopulisten bekämpft man nicht durch die Erfüllung ihrer menschenfeindlichen Forderungen nach Abschottung und Abschiebung, den kann man nur das Wasser abgraben, indem man für Bedingungen sorgt, die die Integration von Flüchtlingen und Langzeiterwerbslosen ermöglicht und fördert. Und bei allem Dank an die Ehrenamtlichen, die für den Berliner Senat bisher in Ersatzleistung gegangen sind: Das ist zuallererst die Aufgabe des Staates!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Dieser vorliegende Masterplan kommt vier, mindestens aber zwei Jahre zu spät, und er kann sich nicht entscheiden, wo er hinwill. Damit fällt er hinter die Regierungserklärung von Michael Müller vom November 2015 zurück. Eine humanitäre Flüchtlingspolitik braucht aber außer einer Haltung auch eine Richtung. – Es wird Zeit,

liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass Sie sich für eine Richtung entscheiden. – Danke!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für den Senat hat jetzt Frau Senatorin Kolat das Wort. – Bitte schön!

[Fabio Reinhardt (PIRATEN): Sie entscheiden jetzt die Richtung!]

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Ich möchte mit einer Begegnung mit einem syrischen Mädchen in einer Willkommensklasse beginnen. Ich wunderte mich, dass sie bereits sehr gut Deutsch sprechen kann, und als ich erfuhr, dass sie sich erst sehr kurze Zeit in Berlin aufhält, bin ich tatsächlich neugierig geworden. Ich habe sie gefragt, wie es kommt, dass sie in so kurzer Zeit so gut Deutsch sprechen kann. Ihre Antwort lautete: Weil ich deutsche Freundinnen habe.

Dies ist ein gutes Beispiel und auch ein Beweis dafür, dass Integration in der Gesellschaft dann am besten gelingt, wenn es soziale Kontakte und Freundschaften gibt. Integration ist dann gelungen, wenn Flüchtlinge zu unseren Nachbarn werden, wenn Flüchtlinge zu unseren Arbeitskollegen werden und wenn Flüchtlinge zu unseren Freunden werden.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN – Beifall von Florian Graf (CDU)]

Und Berlin hat die besten Voraussetzungen dafür. In Berlin gelingt Integration auch schon tagtäglich. Egal, wo die Menschen herkommen, sie haben Chancen, sich einzubringen und aufzusteigen.

In den letzten Monaten haben wir doch eines gemeinsam in unserer Stadt erfahren: Berlin hat sich von einer sehr menschlichen Seite gezeigt.

[Udo Wolf (LINKE): Aber nicht der Senat!]

Tausende von Berlinerinnen und Berlinern haben sich ehrenamtlich für die Flüchtlinge eingesetzt, und das hält noch an. Einige haben gesagt, dass diese Stimmung kippen wird und dieser Einsatz abnehmen wird. Wir können stolz darauf sein, dass sich auch heute noch Tausende von Berlinerinnen und Berlinern für Flüchtlinge einsetzen und Integration erst ermöglichen.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Wie Frau Vogel!]

Denn sie bilden Partnerschaften, sie unterstützen Kinder und Eltern, und vor allem begegnen sie diesen Flüchtlingen auf gleicher Augenhöhe. Ich möchte mich hier ganz herzlich bei allen Ehrenamtlichen im Namen des Senats und, ich denke, auch im Namen des Hohen Hauses für ihr Engagement bedanken. Denn sie machen Berlin zu einer Integrationsstadt, und das Klima der Offenheit schaffen diese vielen Ehrenamtlichen. Herzlichen Dank dafür!

[Beifall bei der SPD und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Aber das Beispiel mit dem syrischen Kind zeigt ja auch, dass Politik und Stadtgesellschaft nur gemeinsam diese große Integrationsaufgaben leisten können. Der Senat kann viele solche Masterpläne auf den Weg bringen, aber ohne dieses Engagement der Bürgerinnen und Bürger wird Integration nicht gelingen.

Das ist genau die Grundhaltung in diesem Masterplan. Der Senat hat gesagt: Wir wollen keinen Masterplan des Senats auf den Weg bringen, sondern wir wollen im Dialog mit den vielen Akteuren und Akteurinnen, mit den Ehrenamtlichen und mit der Stadtgesellschaft insgesamt diesen als Entwurf vorliegenden Masterplan diskutieren, damit sie ihre Anregungen und Erfahrungen, die sie tagtäglich mit Flüchtlingen in unserer Stadt machen, einbringen. – Ja, es hat diese intensive Dialogphase gegeben, Frau Pop. Schade, dass Sie auf der großen Dialogveranstaltung im Roten Rathaus nicht dabei waren!

[Ramona Pop (GRÜNE): Wir haben keine Einladung bekommen!]

Dort war auch der Regierende Bürgermeister, und es haben sich Hunderte von Berlinerinnen und Berlinern eingebracht. Und wissen Sie, was: Die Reaktion ist positiv. Die Stadtgesellschaft nimmt diesen Dialog an.

[Beifall bei der SPD und der CDU]

Ich bin froh, dass wir viele Vorschläge bekommen haben und unseren Masterplan überarbeiten konnten. Das gilt natürlich nicht für jeden einzelnen Detailpunkt. Das ist doch ganz klar. Es konnte nicht alles übernommen werden. In der Umsetzung werden wir die Ergebnisse aus diesen Gesprächen berücksichtigen.

Der Masterplan ist auch nicht in Stein gemeißelt. Wir gehen jetzt sofort in die Umsetzung, und er wird nach einigen Monaten evaluiert und weiterentwickelt. Da haben wir alle gemeinsam noch mal die Chance, den Masterplan zu würdigen.

Ja, Berlin ist nicht das erste Bundesland, das ein Konzept zum Thema Integration von Flüchtlingen auf den Weg gebracht hat.