Protokoll der Sitzung vom 08.09.2016

Auch in den vielen Bürgergesprächen, die ich in den letzten Wochen – wie Sie alle, sicherlich – geführt habe, ist mir von niemandem eine Zustimmung zu diesem Videoaufzeichnungen verweigert worden. Im Gegenteil: Im Regelfall herrscht Unverständnis bei den Bürgern, dass es keine rechtlichen Grundlagen gibt, um im öffentlichen Straßenland an Kriminalitätsschwerpunkten Videoaufzeichnungen anzufertigen. Deshalb bin ich froh, dass es diese Vorlage gibt, eine kluge Senatsvorlage zum Zwanzigsten Gesetz zur Änderung des ASOG.

Neben der hohen Zustimmung von Kunden der BVG, aber auch Bürgern in Berlin, ist die Videoüberwachung auch sinnvoll. Wir haben immer das methodologische Problem, dass gerade bei der präventiven Wirkung gefragt wird, was der genaue Effekt ist. Man kann nicht feststellen, was passiert wäre, wenn dort keine Kamera gehangen hätte. Niemand kann erheben, wie viele Täter abgeschreckt worden sind. Das liegt in der Natur der Sache. Was aber gleichwohl unumstritten ist, ist, dass das subjektive Sicherheitsgefühl steigt. Das hat einen Abschreckungseffekt, wirkt also auch präventiv, verhindert aber natürlich nicht alle Taten. Das hat aber auch niemand behauptet. Was aber auch die Kritiker von Videotechnik durchaus zugeben, ist, dass es zu einem hohen Fahndungsdruck führt. Die Bilder im Internet und in den Zeitungen beweisen das, sie führen dann regelmäßig zur Stellung von Tätern oder zu Hinweisen, die zur Ergreifung von Tätern führen. Es ist ein gutes Beweismittel für den weiteren Fortgang des Strafprozesses.

Die Videotechnik ist kein Allheilmittel, aber ein Baustein. Natürlich ist die wichtige Komplementärmaßnahme Personal, das ist überhaupt gar keine Frage. Aber mit Videotechnik füllen wir eine wichtige Lücke. Deshalb ist dieses Gesetz eine langjährige Forderung der CDUFraktion.

[Beifall bei der CDU]

Ganz entscheidend ist: Wir wollen eine allgemeine gesetzliche Grundlage für Videoaufzeichnungen, kein Spezialgesetz Alexanderplatz. Dort soll es einen Modellversuch geben – das steht explizit in diesem Gesetzesentwurf –, den man dann auswerten kann. Der Alexanderplatz bietet sich dafür als Vergleichsgruppe Vorher – Nachher ganz gut an. Aber natürlich darf es keine Erwartungen in Richtung eines empirisch eindeutig ableitbaren Ergebnisses geben. Das wird es nicht geben, weil es immer ein Maßnahmebündel sein wird. Video ist dabei ein Baustein. Interessant wäre beispielsweise die Erhebung der Erfahrungen von den Akteuren bei der Polizei, den Passanten, den Anliegern oder auch den Geschäftsleuten. Das wäre eine sinnvolle Auswertung, die man vornehmen könnte.

Wir wollen eine allgemeine gesetzliche Grundlage, weil wir das Gesetz nicht bei jeder weiteren Anwendung anpassen wollen. Deshalb brauchen wir ein Konzept für die Stadt. Es gibt verschiedene Orte, an denen wir das an

wenden können. Wir wollen eine Beschränkung auf die gefährlichen Orte, wobei nicht zwingend alle kriminalitätsbelasteten Orte dort einbezogen werden müssen. Ich darf hier den Regierenden Bürgermeister aus der Senatspressekonferenz zitieren, der dort gesagt hat: Wir haben bewusst formuliert, dass es diese Möglichkeit an besonders gefährlichen Orten geben soll. Wir wollen das nicht flächendeckend überall. – Soweit das Zitat, dem ich mich hundertprozentig anschließe. Er hat weiterhin gesagt: Zum Alexanderplatz gibt es zusätzlich mit Sicherheit drei bis vier weitere Orte in Berlin, wo das sinnvoll sein kann. – Soweit Michael Müller, der Regierende Bürgermeister.

Nun gibt es hier aber offensichtlich einen Dissens und zwar nicht in der Koalition oder dem Senat, sondern einen Dissens zwischen der SPD im Senat und der SPD im Abgeordnetenhaus. Denn hier gab es nur das Angebot einer streng auf den Alexanderplatz und grundsätzlich zeitlich beschränkten Alibiveranstaltung. Mein Eindruck war: Diese hätte man auch gleich möglichst schnell wieder einkassiert. Für diese reine SPD-Symbolpolitik stehen wir nicht zur Verfügung.

[Beifall bei der CDU]

Deshalb halten wir an dieser wichtigen Vorlage und ihrer Umsetzung im Sinne der Berliner und der Besucher mit einem Gesamtkonzept fest. Im Übrigen war diese Vorlage rechtzeitig da.

[Christopher Lauer (PIRATEN): Nein! Das ist falsch!]

Das wird jetzt auch gesagt werden: Man hätte es machen können, und es gab auch entsprechende Absprachen mit der Fraktionsspitze der SPD, aber dort hat man sich dann offensichtlich an dieses Wort nicht mehr gebunden gefühlt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Schreiber?

Ich komme zum Schluss. – Hingegen stehen Innensenator Henkel und die CDU weiter zu Ihrem Wort und ihrem klaren Bekenntnis: Video und insbesondere intelligente Videotechnik sind ein wichtiger Baustein für ein umfassendes und nachhaltiges Sicherheitskonzept. Wir wollen die Rechtsgrundlage für die ganze Stadt, kein Flickwerk oder eine Pseudolösung. Ein Placebogesetz der SPDFraktion, das die Videotechnik an in Berlin anerkannt gefährlichen Orten verbietet und auch ansonsten eine nur befristete Gültigkeit hat, entspricht weder dem Senatsbeschluss noch der Haltung unserer Fraktion. Deshalb kann ich feststellen: Mehr Schutz der Berliner durch Videoaufzeichnungen gibt es offenbar nur mit der CDU-Fraktion. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege Lux das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, die Berlinerinnen und Berliner werden sich durch mehr Videoaufzeichnungen nicht geschützt fühlen. Auch die Empirie zeigt, dass die Straftaten im öffentlichen Nahverkehr nicht zurückgegangen, Herr Kollege Juhnke, sondern gestiegen sind. Aufgrund der Videoüberwachung sieht man in erschreckendem Ausmaß, zu welcher Gewalt dort gegriffen wird. Die Videoüberwachung selber hat nicht dazu geführt, dass die Gewalt im öffentlichen Personennahverkehr eingedämmt wurde. Deswegen lehnen wir Grüne diese Videoüberwachung ab.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Udo Wolf (LINKE)]

Wir lehnen sie ab – ich konkretisiere – für den öffentlichen Raum. Natürlich werden wir keine Videokameras bei der BVG abschrauben.

[Heiko Melzer (CDU): Habt ihr aber auch dagegen gestimmt!]

Sie sind dort ein Baustein, aber die Ausdehnung auf den öffentlichen Raum ist – wie Sie zu Recht gesagt haben – weder ein Allheilmittel noch ist sie zum jetzigen Zeitpunkt geboten.

Um etwas zur Form zu sagen: Sie haben ein Modellprojekt am Alexanderplatz angekündigt. Sie hätten sogar eines haben können, dazu hätte die Zeit gereicht. Aber Sie wollten nicht. Deshalb kann man nur zu dem Schluss kommen, dass Sie sich das Thema „Mehr Videotechnik“ für den Wahlkampf aufgehoben haben,

[Christopher Lauer (PIRATEN): Die Plakate waren schon gedruckt!]

und das auf eine ziemlich künstliche Art und Weise. Das passt in ein Bild mit Burkaverbot und Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft. Aber ich stelle fest, dass die Person, die in Berlin für mehr Videotechnik wirbt, es nicht einmal für notwendig erachtet, dieser Debatte zu lauschen. Das zeigt, dass da nicht viel dahinter steckt.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Christopher Lauer (PIRATEN) und Udo Wolf (LINKE)]

Nur zur Klarstellung: Die Polizei hat bereits jetzt die Möglichkeit, Videoaufnahmen zu machen, zum Beispiel, wenn Straftaten im Versuchsstadium sind. Die Polizei hat jetzt schon die Möglichkeit, auf Videoaufzeichnungen zuzugreifen, die Private machen, wenn es einen dringenden Tatverdacht gibt. Die Polizei hat jetzt auch schon die

Möglichkeit, im Einzelfall zur Gefahrenabwehr Videoaufzeichnungen zu machen, und sie macht das auch. Das hat sich etabliert. Doch Ihr Konstrukt an gefährlichen Orten Videoaufzeichnung generell zuzulassen, das ermöglicht es in Berlin, überall Videoaufzeichnungen zu machen.

Dann schreiben Sie in dem Gesetzesentwurf sehr widersprüchlich: Die Videoaufzeichnung erfolgt offen, aber gleichzeitig sind Sie nicht bereit dazu, die jetzt bestehenden kriminalitätsbelasteten Orte transparent zu machen. Die Videoüberwachung aber wollen Sie transparent machen. Auch das ist ein logischer Gesetzeswiderspruch, der hier im Haus niemals Bestand hätte, weil Sie die kriminalitätsbelasteten Orte nicht öffentlich machen wollen, die Videoüberwachung hingegen schon. Das zeigt das schlechte Handwerk, mit dem die CDU-Fraktion an das Thema Sicherheit geht. Das zeigt das schlechte Handwerk an dem tatsächlichen Sicherheitsverlauf in dieser Stadt, dass nämlich Videoüberwachung überhaupt nicht das Problem der Berlinerinnen und Berliner ist. Vielmehr ist es für die Berlinerinnen und Berliner ein Problem, dass Sie die Polizei nicht in die Fläche gebracht haben, dass Sie in den Direktionen bei der Polizei vor Ort gekürzt haben. Dort gibt es keinen Polizisten mehr. Gehen Sie in die Außenbezirke! Sie werden dort länger auf Polizei warten. Und das, wovon Sie reden, nämlich mehr Polizeistellen auf dem Papier geschaffen zu haben, muss man erst einmal unterlegen und die jungen Leute dafür bekommen; sie werden kaum besser bezahlt. Hier hinterlässt der Innensenator ein schlecht bestelltes Haus, obwohl er sehr teuer war und sehr viel Geld bekommen hat. Das Geld fließt aber im Wesentlichen in Großveranstaltungen, in den Schutz von Staatsbesuchen und Fußballspielen, in symbolische Einsätze rund um die Rigaer Straße, in ineffektive Drogenrazziakontrollen, bei denen nicht viel gefunden wird, beispielsweise am Görlitzer Park, statt in eine schlaue und effektive Sicherheitspolitik, die darauf setzt, dass die Polizistinnen und Polizisten dort schnell eingesetzt werden, wo die Menschen sie brauchen. Für diese Politik stehen wir, Bündnis 90/Die Grünen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf von den Grünen: Jawohl!]

Noch schlimmer als dieser Symbolschlag um die Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen, die für Berlin nicht viel bringen wird und die Sie hätten haben können – aber den Weg haben Sie gar nicht eingeschlagen –, ist die Debatte über den Doppelpass und das Burkaverbot. Das zeigt, dass Kollege Lauer, den ich gerne zitieren möchte, recht hat mit einer Feststellung, die richtig ist, die aber auch wehtun muss, denn an sich stand die Union einmal dafür, in der Substanz hat sie dafür jedoch jede Berechtigung verloren – ich zitiere den Kollegen Lauer:

Das wohl größte Missverständnis in der jüngeren deutschen Geschichte ist, dass die CDU irgendeine Ahnung von Innenpolitik hat.

Das zeigt sich auch an diesem Videoüberwachungsgesetz, das hier zu Recht nicht mehr verabschiedet wird. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Zimmermann das Wort.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrter Herr Kollege Juhnke! Sie haben, wie zuvor auch schon der Senator, heute die Geschichte des Gesetzentwurfs erzählt, wie zum Beweis, dass Sie, mehr als alle anderen, für Sicherheit in dieser Stadt sorgen.

[Oliver Friederici (CDU): Ja!]

Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Das Thema Videoüberwachung haben Sie haben in einer beispiellosen Hektik hochgezogen, um Ihre Schlagzeilen zu kriegen. Was Sie aber gerade nicht haben, ist ein Sicherheitskonzept für kriminalitätsbelastete Orte, für Plätze wie den Alexanderplatz. Sie haben sich einen Wahlkampfslogan erarbeitet, nicht aber mehr Sicherheit geschaffen.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den PIRATEN – Zuruf von Dr. Robbin Juhnke (CDU)]

Darauf komme ich gleich noch zu sprechen, Herr Juhnke!

[Tim-Christopher Zeelen (CDU): Viel Spaß!]

Eine solche Konzeption verlangt eine gleichzeitige Festlegung auf ausreichende polizeiliche Präsenz vor Ort, um bei beobachteten Gefahren, meinetwegen auch durch videobeobachteten Gefahren, kurzfristig eingreifen zu können, andernfalls haben wir eine Scheinsicherheit. Wir haben vorgeschlagen, parallel zum Gesetzentwurf einen klaren Auftrag des Parlaments zu beschließen, den Sie kategorisch abgelehnt haben. Sie haben ihn sich noch nicht einmal angeguckt. Eine solche Konzeption verlangt weitergehende Maßnahmen, zum Beispiel für ein besseres Zusammenwirken von Landespolizei und Bundespolizei, zum Beispiel durch die Einrichtung einer gemeinsamen Wache am Alex, wie wir sie angeregt haben. Die Menschen würden sich eine solche Ansprechbarkeit vor Ort mit dem blauen Schild „Polizei“ sehr wünschen, zumindest wäre eine solche Möglichkeit wenigstens in Betracht zu ziehen. Sie wird von Ihnen jedoch kategorisch abgelehnt.

Zu einer nachhaltigen Sicherheitspolitik gehört selbstverständlich auch eine fundierte wissenschaftliche Basis, um

auf Aggression und Gewalt in der Gesellschaft adäquat reagieren zu können. Wo planvoll vorgehende Täter mit dem Entdeckungsrisiko kalkulieren, auch durch Video, kommen Sie zum Beispiel bei Affekttätern überhaupt nicht weiter. Wo, frage ich Sie, ist der Forschungsauftrag des Senats an die Wissenschaft in Berlin, die zunehmende Gewaltbereitschaft, ja Radikalisierung bestimmter Gruppen zu untersuchen und Vorschläge für einen adäquaten Umgang mit diesen Entwicklungen zu unterbreiten? Sie haben sich auf eine einzige Maßnahme geradezu versteift und alles andere schlicht vom Tisch gewischt. Sie warnen vor Experimenten, wir warnen vor eindimensionaler Sicherheitspolitik.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN, den GRÜNEN und den PIRATEN]

Eine flankierende und punktuelle Maßnahme kann nach unserer Überzeugung auch die Videoüberwachung sein. Herr Senator! Herr Juhnke! Sie hätten sie auch haben können, wenn Sie sie rechtzeitig in den Senat eingebracht hätten.

[Heiterkeit von Christopher Lauer (PIRATEN)]

Ja, es ist daran gescheitert, dass Sie zu spät aus dem Knick gekommen sind, und wer zu spät kommt, sollte nicht mit dem Finger auf andere zeigen.

[Andreas Otto (GRÜNE): Und nicht auf Videos!]

Im Frühjahr hatten wir im Innenausschuss, Sie erinnern sich, signalisiert, dass wir uns einen Modellversuch am Alex, den Sie ins Spiel gebracht hatten, durchaus vorstellen können. Dann Sie: Ja, aber nicht nur am Alex. – Daraufhin wir: Okay, dann machen wir eben eine präzise, abstrakte Rechtsgrundlage nicht nur für einen Ort, sondern für zwei oder drei vergleichbare Plätze. – Daraufhin Sie: Aber nicht als Modellversuch. – Das ist keine ernst zu nehmende Linie. Sie haben Ihren eigenen Vorschlag nicht mehr ernst genommen. Sie haben ihn modifiziert, und nicht nur das. Sie waren auch nicht bereit, eine hinreichende Klarheit in das Gesetz zu schreiben, wo überall Videoanlagen installiert werden dürfen und wo nicht. Nach Ihrem Vorschlag wäre den Berlinerinnen und Berlinern dunkel geblieben, wo sie aufgezeichnet werden. Eine unbeschränkte Befugnis zur Überwachung aller möglichen Plätze konnten und werden wir nicht mittragen.

[Beifall bei der SPD – Heiko Melzer (CDU): Und der Regierende Bürgermeister?]

Ja, der Regierende, darauf komme ich in meinen letzten 60 Sekunden. Sie behaupten immer, wir hätten den Regierenden Bürgermeister hier im Regen stehen lassen.