Protokoll der Sitzung vom 08.09.2016

[Beifall von Ülker Radziwill (SPD)]

egal ob als Sheriff oder Hilfssheriff. Integration muss man auch wollen. Das ist, glaube ich, auch die nächste große Aufgabe, die in den nächsten Jahren vor uns liegt, die Integration und das gute Zusammenleben in unserer Stadt zu organisieren. Man muss es wollen. Man muss es engagiert vorantreiben, dass die Menschen, die zu uns gekommen sind, auch zu Nachbarn und zu Mitbürgern werden.

Und noch mal, wieder ein Beispiel, wo Unterschiede deutlich werden, auch wieder zur AfD: Da gab es die Formulierung dieses AfD-Vertreters vor Tagen im Fernsehen, dass man doch mal sehen muss, wie man mit „diesen Menschen“ umgeht. Wer sind eigentlich „diese Menschen“? Ich finde schon solche Formulierungen verräterisch. Wer sind diese Menschen? Wenn man sich mal genau anguckt, wer diese Menschen sind, dann sind es u. a. über 12 000 Kinder in unseren Willkommensklassen. Es sind 13- und 14-Jährige, die allein hierhergekommen sind und auf der Flucht ihre Eltern oder Großeltern verloren haben. Und deswegen sage ich ganz klar, damit es da gar kein Missverständnis gibt, auch am 18. September, und jeder weiß, woran er bei mir ist an der Stelle: Ja, es ist eine Belastung, 100 000 Menschen in anderthalb Jahren aufzunehmen. Wir geben 500 Millionen Euro dafür pro Jahr aus. Und es schafft auch Konflikte und Diskussionen in den Nachbarschaften. Deswegen sehen wir, dass wir so schnell wie möglich die Turnhallen freikriegen, weil es da auch Unverständnis gibt. Stimmt, alles das gibt es, und Berufsqualifizierung, alles so etwas macht sich nicht von alleine, die Unterbringung in dezentralen Einrichtungen. Aber auch wenn es schwierig ist, sage ich ganz klar: Ich will weiterhin Menschen, die aus Not zu uns kommen, helfen. Und ich bin froh, dass es mich von einigen anderen unterscheidet, die da eine andere Position haben – um das ganz klar zu sagen.

(Regierender Bürgermeister Michael Müller)

[Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜNEN, der LINKEN und den PIRATEN]

Berlin ist auf einem guten Weg. Auch wenn Sie nicht die großen Themen und Zahlen des Wirtschaftswachstums oder der gebauten Wohnungen zugrunde legen wollen, es gibt viele andere Bereiche, wo wir deutlich gemacht haben, was uns wichtig ist. Wenn Sie den Bereich der Bildung nehmen, wo die eingesparten BAföG-Gelder selbstverständlich in der Bildung geblieben sind, um einen weiteren Schwerpunkt zu setzen. Das größte Investitionsprogramm der BVG der letzten Jahrzehnte wird gefahren, um einen guten, modernen und umweltgerechten ÖPNV anbieten zu können. Dass 1 000 Ausbildungsplätze mehr geschaffen werden konnten innerhalb weniger Monate, die studentischen Wohnungsbauprogramme, damit Studierende die Chance haben, bezahlbaren Wohnraum in unserer Stadt zu haben, die freie Szene, die in der Kultur unterstützt wird wie noch nie zuvor in der Kulturpolitik des Landes Berlin – alles das sind Themen, die eine Rolle gespielt haben und in den letzten fünf Jahren und – das sage ich auch selbstbewusst – insbesondere in den letzten anderthalb Jahren bewegt werden konnten. Aber vielleicht hätten wir tatsächlich auch an der einen oder anderen Stelle weiter sein können: mit mehr Engagement, das ich mir manchmal auch vom Koalitionspartner gewünscht hätte, mit klaren Signalen, die auch von der Hauptstadt hätten ausgehen können oder – wie ich finde – ausgehen müssen, wenn ich an das Thema der Gleichstellung der gleichgeschlechtlichen Partnerschaften denke.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und den PIRATEN]

Das ist ein Fehler gewesen, dass Berlin hier nicht in der Koalition die Kraft finden konnte, sich deutlich zustimmend im Bundesrat zu verhalten.

[Beifall bei der SPD]

Da hätte ich mir andere Signale gewünscht, bis hin zur Energiepolitik.

[Beifall von Daniel Buchholz (SPD)]

Es gibt Dinge, wo Unterschiede deutlich werden, auch zwischen den Koalitionspartnern, wo es grundsätzliche Differenzen gibt, wo klar ist, wir sind unterschiedliche Parteien, wir sind konkurrierende Parteien.

Es geht aber – neben den kommunalen Themen und den vielen Sachfragen, über die wir jetzt hier zwei Stunden lang gesprochen haben – auch um ein, zwei ganz große Fragen, auch bei der Wahlentscheidung am 18. September. Es geht darum: Wie wollen wir gut zusammenleben, weiter gut zusammenleben in unserer Stadt? Wie können wir auf Erfolgen aufbauen? In welcher Stadt wollen wir eigentlich leben?

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir uns daran orientieren, die Berliner Mischung zu erhalten. Sie hat sich bewährt, sie ist unsere Stärke, und sie schafft sozialen Frieden.

Berlin ist eine solidarische Stadt, weil wir in den letzten Jahrzehnten darauf geachtet haben, dass alle Bezirke liebens- und lebenswerte Kieze und Quartiere sind, dass 180 Nationen in unserer Stadt gut und friedlich zusammenleben, dass wir Integrationspolitik als aktive Aufgabe begreifen, durch Quartiersmanagement, durch Stadtteilmütter, durch die Unterstützung der Brennpunktschulen. Das ist Politik, auf diesem Weg weiterzuarbeiten. Das solidarische Berlin zu erhalten, das ist wichtig.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Aber Weltoffenheit und Toleranz müssen jeden Tag weiter von uns allen erkämpft werden. Und von Berlin aus – das wünsche ich mir sehr – muss ein Signal über die Stadt hinaus ausgehen. Allen, die ausgrenzen und abschotten wollen, müssen wir eine klare Absage erteilen. Wer Rechtspopulisten stärkt, schwächt Berlin.

[Beifall bei der SPD und der CDU – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den PIRATEN]

Das muss jedem bewusst sein. Das schwächt Berlin in seiner Entwicklung. Berlin ist keine Stadt für rechte Demagogen. Ich habe die Unterschiede angesprochen. Man kann genau hingucken, bei den kleinen wie auch bei den großen Themen. Mieten – eine andere Politik der AfD. Der Mindestlohn wird abgelehnt. Die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Inklusion an der Berliner Schule, die Integration werden abgelehnt, weil alle wieder weg sollen. Ja, wie viele Unterschiede braucht man denn noch, um zu erkennen, dass diese Partei nicht zu unserer Stadt passt?

[Allgemeiner Beifall]

Es geht darum, für die nächsten fünf Jahre Politik für die ganze Stadt zu machen und einen Kompromiss zwischen den Interessen und den unterschiedlichen Milieus in unserer Stadt zu suchen, um das soziale Berlin zu organisieren. Ich wünsche mir von einer künftigen Regierung für diese moderne und weltoffene Stadt, dass sie auf einem gemeinsamen Wertekanon arbeitet und beruht, auf Kompromissbereitschaft und auch auf dem Willen, Politik für alle zu machen und die Zukunft in einem Miteinander von direkter und parlamentarischer Demokratie zu gestalten. Beides hat seine Berechtigung. Die Bürgerinnen und Bürger wollen nicht mehr nur mitreden, sie wollen mit entscheiden.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Hört, hört! – Weitere Zurufe von links]

Ja, ich sage das immer aus voller Überzeugung, lieber Klaus Lederer! Und man kann auch dazulernen.

[Dr. Klaus Lederer (LINKE): Ja, eben!]

Ja, und deswegen sage ich es so! Vielleicht haben wir es tatsächlich auch beim Tempelhofer Volksentscheid nicht gut gemacht.

[Beifall bei den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

(Regierender Bürgermeister Michael Müller)

Vielleicht haben wir auch zu viel gewollt. Ich widerspreche Ihnen, dass die Randbebauung geplant war für Immobilien- und Miethaie – das haben Sie, glaube ich, gesagt –, sondern es war geplant mit DEGEWO und Stadt und Land.

[Zuruf von links]

Aber es bleibt bei einer selbstkritischen Betrachtung: Vielleicht haben wir es nicht gut gemacht und zu viel gewollt. Es ist nicht klug für die Politik, immer mit dem Fuß aufzustampfen und mit dem Kopf durch die Wand zu wollen, sondern es ist klug, die Bürgerinnen und Bürger in unserer Stadt in die Entscheidungsprozesse mit einzubeziehen.

[Allgemeiner Beifall]

Und – ich bin gespannt, ob Sie jetzt auch noch klatschen –

[Stefan Ziller (GRÜNE): Es kommt darauf an, was Sie sagen!]

es gibt einen zweiten Teil: Neben den legitimen Interessen, die über Bürgerinitiativen, Bürgerbegehren und Volksentscheide verfolgt werden, ist es die Aufgabe eines Parlaments und einer Regierung, auch einen Ausgleich zu suchen, einen Kompromiss zu suchen. Deswegen habe ich betont, wie wichtig mir das Miteinander von direkter und parlamentarischer Demokratie ist. Wir haben die Aufgabe, das soziale Berlin zu organisieren, jenseits von Einzelinteressen, und dafür werbe ich sehr.

[Beifall bei der SPD, der CDU, den GRÜNEN und den PIRATEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Abschließend: Als Regierender Bürgermeister möchte ich auch nach dem 18. September für ein starkes, verlässliches und erfolgreiches Berlin arbeiten. Ich möchte in einer Koalition arbeiten, die – genau wie ich es eben beschrieben habe – vertrauensvoll das gesamtstädtische Interesse verfolgt und sich darum kümmert, dass wir auf einem guten Kurs bleiben. Aber – das sage ich nicht als Wahlkämpfer, sondern als Regierender Bürgermeister in dieser Stadt – das Entscheidende ist, dass die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt den 18. September nutzen, um sich mit ihrer Meinung und ihrer Wahlentscheidung einzubringen. Es gibt ein großes demokratisches Parteienspektrum, in dem man sich bewegen und für das man sich entscheiden kann, der eine so, der andere so. Aber die Hauptsache ist, am 18. September wählen zu gehen, eine demokratische Partei zu wählen und Rechtspopulisten eine klare Absage zu erteilen. Dafür werbe ich, dafür kämpfe ich, damit Berlin auch in Zukunft auf einem guten Kurs bleibt. – Vielen Dank!

[Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall bei der CDU und den PIRATEN]

Vielen Dank, Herr Regierender Bürgermeister! – Einzelne Fraktionen haben noch Redezeit für eine zweite Rederunde übrig. Allerdings liegen mir bis jetzt keine weiteren Wortmeldungen vor. – Die gibt es auch jetzt nicht. – Damit hat die Aktuelle Stunde ihre Erledigung gefunden.

Wir kommen nun zur

lfd. Nr. 2:

Fragestunde

gemäß § 51 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Die Wortmeldungen beginnen wie immer in zwei Runden nach Stärke der Fraktionen mit je einer Fragestellung an den Senat. Das Verfahren ist Ihnen bekannt. Die erste Frage steht der Fraktion der SPD zu. Das Wort hat Frau Abgeordnete Radziwill. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat Folgendes: Ab diesem Schuljahr, seit dem 1. September, ist die Ausbildung für Erzieherinnen und Erzieher sowie für Altenpflegerinnen und Altenpfleger kostenfrei. Hat die Umsetzung der Schulgeldbefreiung in Berlin reibungslos funktioniert?

Vielen Dank! – Für den Senat antwortet Frau Senatorin Scheeres. – Bitte sehr!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Sehr geehrte Frau Radziwill! An den öffentlichen Berufsschulen war es immer schon so, dass diese für die Schülerinnen und Schüler kostenfrei waren, und an den freien beruflichen Schulen wurde Schulgeld erhoben. Uns war es wichtig, das Schulgeld abzuschaffen, weil wir gerade in den Berufen der Erzieherinnen und Erzieher und Altenpflegerinnen und Altenpfleger einen extremen Fachkräftebedarf haben. Sie wissen, dass wir in den letzten Jahren in den Erzieherfachschulen die Ausbildungskapazitäten verdoppelt haben, weil – wir haben es eben an verschiedenen Stellen schon gehört – wir die Qualität sukzessiv ausbauen und es uns wichtig ist, mit Erzieherinnen und Erziehern zu arbeiten.

Wir haben hier über 11 Millionen Euro in die Hand genommen, um das Schulgeld abzuschaffen. Hiervon profitieren über 7 000 Schülerinnen und Schüler. Es geht uns darum, Hürden abzubauen, um junge Menschen zu motivieren, diese Ausbildung anzutreten. Nach dem, was wir mitbekommen haben, wird die Ausbildung sehr gut an

(Regierender Bürgermeister Michael Müller)

genommen. Wir hatten auch sehr intensive Gespräche mit den Schulträgern. Die Schulgeldbefreiung ist zu diesem Schuljahr umgesetzt worden. Insgesamt gibt es 57 freie Schulträger, und mit 42 haben wir Vereinbarungen geschlossen. Die weiteren Vereinbarungen werden folgen, weil sie einen späteren Schulbeginn vor Ort haben. Also das ist gut gestartet und wird gut angenommen.

Vielen Dank, Frau Senatorin! – Haben Sie eine Nachfrage, Frau Radziwill? – Bitte!

Vielen Dank! – Ich freue mich über diesen Erfolg. Meine Fragen sind alle beantwortet.