Protokoll der Sitzung vom 18.05.2017

Tagesordnungspunkt 18 b ist ein anderes Thema. Hier heißt es: „Demokratie stärken II“. Das ist wunderbar, aber Sie greifen hier doch ziemlich stark in die Selbstbestimmung der Schule ein. Auch wenn die Rechnung von Frau Kittler falsch war, weil Sie, liebe Frau Kittler, nicht gelesen haben, was darin steht, dass die Schüler über vier Jahre darin unterrichtet werden sollen.

[Regina Kittler (LINKE): Ja, das ist über vier Jahre ausgerechnet. Soll ich Ihnen das vorrechnen?]

Ist das so? Dann glaube ich Ihnen einfach einmal, weil ich Sie so schätze, Frau Kittler.

[Beifall bei der FDP – Lachen von Torsten Schneider (SPD)]

Dann ist es ein Thema, das sicherlich nicht zu bewältigen ist, aber aus unserer Sicht viel zu sehr in die Selbstbestimmung der Schule eingreift. Wir sind der Meinung, Schulen sollen selbst Unterricht auch mitgestalten können. Es ist nicht an der Politik vorzuschreiben und zu sagen: Du musst im Lauf von vier Jahren mindestens

(Regina Kittler)

einmal im Abgeordnetenhaus, mindestens einmal in der Bezirksverordnetenversammlung oder im Deutschen Bundestag gewesen sein. Das ist jetzt auch nicht immer eine hocherotische Veranstaltung, die Schüler unbedingt für Politik begeistert. Es gibt sicherlich auch andere Ansätze, wie man Schüler für Politik begeistern kann. Ein Thema fällt mir sofort ein. Es gibt die Jungen Liberalen. Dort kann man sich als Schüler sehr für Politik begeistern. Es gibt Online-Aufnahmeanträge, die man ausfüllen kann, und, zack, kann man Politik machen.

[Beifall bei der FDP]

Das geht ganz einfach. Schauen Sie doch einfach einmal nach, liebe Schülerinnen und Schüler aus Berlin. Das könnt ihr gern machen.

Wir werden Tagesordnungspunkt 18 a mit unserer Änderung sehr positiv begleiten. Tagesordnungspunkt 18 b sehen wir kritisch, da er zu sehr in die eigenständige Schule eingreift. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der FDP]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Tomiak das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Demokratie stärken“ ist der Titel des Antrags, den wir heute besprechen. Politische Bildung und Teilhabe, jungen Menschen Zugang zu Demokratie zu geben, zeigen, dass es in unserer Gesellschaft darum geht, dass man mitmacht, sich einbringt, für seine Ideale wirbt und gemeinsam die besten Lösungen findet. All das sind wichtige Bausteine einer funktionierenden Demokratie, einer starken Demokratie.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Richtig!]

Aber: Demokratie ist kompliziert und anstrengend. Denn Demokratie muss viel leisten. Demokratie muss die Pluralität der Gesellschaft widerspiegeln, sie muss die Mehrheiten in der Gesellschaft ausloten, aber darf dabei die Minderheiten nicht vergessen. Demokratie ist ein gesellschaftlicher Prozess, ist ein Streben nach den besten Ideen und Lösungen und ist ein Prozess, der immer auch aus Kompromissen besteht. Dieses Verständnis fehlt aber oft, auch in diesem Antrag.

Beispielsweise lässt der Antrag der CDU offen, ob für die neue Stunde Politikunterricht eine Stunde Geschichte gestrichen werden soll oder ob eine komplett neue Stunde zum Wochenkontingent hinzukommt. Frau Bentele hat uns gerade aufgeklärt. Die Schülerinnen und Schüler sollen also eine neue Stunde mehr bekommen.

Ich war vor zwei Jahren selbst noch im Landesschülerausschuss aktiv, als ich noch Schülerin war. Damals haben wir diese Debatte auch sehr kontrovers geführt, denn wir haben ein Demokratiedefizit in den Schulen. Das weiß der Landesschülerinnenausschuss selbst am besten, denn viele Schülerinnen und Schüler erreicht dieser nicht nachhaltig. Das Problem ist also ein strukturelles.

Diese Problematik klammert der Antrag der CDU komplett aus, und das ist schlicht unehrlich, aber auch ein gutes Beispiel dafür, wie die Defizite in unserer demokratischen Kultur aussehen. In einer ehrlichen und starken Demokratie muss man Widersprüche aushalten können.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Das bedeutet auch, sich einzugestehen, dass es auf die meisten Fragen keine einfachen Antworten gibt, sondern man komplexe Probleme nicht so einfach auflösen kann.

[Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Diese Ehrlichkeit fehlt, zum einen, weil einfache Phrasen besser klingen und sich schneller im Kopf festsetzen, aber auch, weil es Arbeit macht, komplexe Widersprüche aufzulösen. Aber diese Ehrlichkeit ist nötig, denn von Phrasen und vermeintlich einfachen Antworten gehen die Probleme nicht weg.

[Beifall bei den GRÜNEN – Frank-Christian Hansel (AfD): Beim Klimawandel vor allem!]

Dabei ist es egal, ob man sagt: Grenzen zu, Flüchtlingsproblematik gelöst, oder: eine Stunde Politikunterricht, Demokratiedefizit der Gesellschaft gelöst.

[Stefan Franz Kerker (AfD): Schauen Sie sich einmal Mazedonien an! Dort hat es funktioniert!]

Beides ist plump und falsch und trägt dazu bei, dass sich Menschen von der Politik betrogen fühlen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Wir müssen anfangen, dazu zu stehen, dass Probleme komplex und auch ihre Lösungen oft kompliziert sind. Daher ist es in einer Zeit, in der Positionen als unvereinbare Gegensätze inszeniert werden, in der Politik als graue Eminenz, die über allem schwebt, verstanden wird, in der Parteien und Establishment gängige Schimpfworte sind – auch in diesem Haus –, einfach zynisch, einen Antrag zur Stärkung der Demokratie zu stellen, der in seiner Form nur eines bewirkt, die Untergrabung von ehrlichen Diskursen.

Teile unserer Gesellschaft haben ein Problem mit ihrem Demokratieverständnis. Auch Parteien in diesem Haus haben das.

[Gunnar Lindemann (AfD): Mit den Problemen habt ihr angefangen!]

(Paul Fresdorf)

Daher ist die Intention der Anträge der CDU, die Demokratie zu stärken, zu begrüßen. Es ist doch aber mehr als fraglich, ob eine Unterrichtsstunde pro Woche theoretischer Politikunterricht und je ein Besuch im Bundestag und einer hier im Abgeordnetenhaus ausreichend sind, um die gesamte Komplexität – ich möchte keine Zwischenfragen – unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens zu begreifen. Ich glaube nicht, dass das der Fall ist. Ich halte es gleichzeitig aber auch für dringend notwendig, Schritte zu unternehmen, um die Demokratie zu stärken.

Wie ich eingangs erläutert habe, geht es bei Demokratie darum, unsere Gesellschaft gemeinschaftlich zu gestalten. Und weil es darum geht, Probleme gemeinsam zu lösen, möchten wir als Koalition auch die Frage nach der Verbesserung der politischen Bildung in der Schule gemeinsam mit den Schulen diskutieren und die betreffenden Personen und Gremien mit einbeziehen und dabei ehrlich sein und zugeben, dass es bei dem Problem, wie bei vielen anderen auch, keine Patentlösung gibt.

Ich möchte, mit Ihrer Erlaubnis, aus dem Koalitionsvertrag Seite 15 zitieren:

Mit dem Landesschüler*innenausschuss und weiteren Vertretungen von Schüler*innen, Pädagogen*innen und Eltern wird ein konstruktiver Dialog geführt, wie die politische Bildung, auch über die Einführung eines Faches Politik, verstärkt werden kann.

Diesen Prozess beginnen wir am Montag mit einem ersten thematischen Auftakttreffen der Koalition mit dem Landesschülerinnen- und -schülerausschuss.

[Beifall bei den GRÜNEN]

An dieser Stelle möchte ich dem Landesschülerinnen- und -schülerausschuss auch noch einmal danken, dass sie beim Thema nicht locker gelassen haben, und kann nur sagen: Ich freue mich auf Montag.

Letztendlich bleibt zu sagen, dass Demokratie ein Selbstverständnis ist, das nur durch eine demokratische Kultur funktionieren kann. Dazu gehört es auch, hierarchische Strukturen abzubauen und stattdessen demokratische einzuführen, auch in der Schule. Deshalb möchten wir, dass politische Bildung, Demokratieerziehung und demokratische Schülerinnen- und Schülermitbestimmung Teil jeder Schulkultur und jedes Schulalltags wird. Eine Demokratie ist nur stark, wenn sie gelebt wird. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Vielen Dank! – Ich darf zunächst mit Blick auf die Pressetribüne noch einmal darauf hinweisen, dass das Foto

grafieren auf die Tische und Unterlagen der Abgeordneten nicht zulässig ist. – Dann hat der Kollege Freymark für eine Zwischenbemerkung das Wort. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kollegin Kittler! Kollegin Tomiak! Sie haben mich, ehrlich gesagt, etwas verstört, auch meine gesamte Fraktion. Denn so, wie Sie argumentiert haben, ist es unschlüssig, nicht nachvollziehbar. Wir haben den Eindruck, Sie haben die Anträge gar nicht gelesen und haben sich aus den Fingern gesaugt: „Oh, da hat die falsche Partei einen klugen Antrag eingebracht. Jetzt sind wir einmal dagegen.“ So funktionieren aber Politik und Demokratie nicht. Das haben Sie gerade praktisch gezeigt.

[Beifall bei der CDU und der AfD – Zuruf von Marcel Luthe (FDP)]

Ich werbe seit Jahren dafür – das sollten wir alle gemeinsam tun –, natürlich über Politik und Demokratie zu streiten. Ich habe einen Wahlkreis – Hohenschönhausen –, den ich damals angetreten habe, in dem es nicht einmal 42 Prozent Wahlbeteiligung gegeben hat. Mittlerweile ist sie etwas angestiegen, weil wir uns in den Schulen mit den Schülern auseinandersetzen, weil wir sie hier in das Hohe Haus einladen. Vielleicht wissen Sie es nicht, aber es sind nur 16 000 Menschen pro Jahr, die das Berliner Abgeordnetenhaus besuchen.

[Canan Bayram (GRÜNE): Super, super!]

Wir haben jetzt nicht den professionellsten Besucherdienst, weil er gar nicht auf Festanstellung basiert, aber unsere Aufgabe muss es doch sein, junge Menschen an Politik heranzuführen, nicht nur Schülerwahlen durchzuführen, sondern uns aus der grauen Masse der Anonymität herauszuziehen und zu sagen: „Liebe Freunde, hier werden 27 Milliarden Euro verteilt. Hier werden Gesetze gemacht. Hier werden Senatoren und Bürgermeister überprüft. Das ist der Ort, an dem ihr eure Meinung sagen könnt.“ Ich verstehe nicht, wie Sie darüber diskutieren können, ob es richtig ist, diesen Ort zu besuchen, ob 120 Schüler am Tag zu viel wären, um sie hier professionell zu betreuen. Das verstehe ich nicht.

[Beifall bei der CDU und der AfD]

Und ich wünsche mir – das ist wirklich ein Appell –: Bitte gehen Sie in sich! Sie reden immer von Demokratie. Sie reden von Meinungsfreiheit. Sie wollen unbedingt, dass jeder Ihnen zuhört und Ihnen glaubt. Und dann wundern Sie sich, dass zu vielen Veranstaltungen sieben Leute kommen, von denen vier mit Ihnen verwandt sind! Also, machen Sie sich doch nichts vor!

[Beifall bei der AfD – Vereinzelter Beifall bei der CDU]