Insgesamt – auch was den gerade von Ihnen angesprochenen Punkt angeht, Herr Schlüsselburg – erinnert das ganze Thema an viele Vertuschungen und angebliche Unklarheiten, die wir an vielen, vielen anderen Stellen in Skandalen in den letzten Jahren in diesem Land erlebt haben. Ich erinnere nur einmal an das VW-Diesel-Thema. Auch da wollten die Vorstände nichts davon gewusst haben. Ja, dann müssen sie sich aber vorhalten lassen, und genauso die zuständigen Senatoren hier, die beide im Raum sind, dass sie dafür hätten sorgen müssen, dass das Berichtswesen so funktioniert, dass man genau das frühzeitig klärt und prüfen kann, ob möglicherweise irgendeine Unterlage nicht richtig ist. Denn wie gesagt, wenn Herr Jost das feststellen konnte, hätte man das auch vorher merken können.
Letztlich hat diese große, überraschende Nachricht, die gestern um 16.30 Uhr der versammelten Weltpresse verkündet wurde, schlichtweg keinerlei Novitätscharakter. Ich habe vorhin aufgeführt, wo wir diese Fragen an so vielen Stellen bereits gestellt haben, ohne dass sie beantwortet wurden.
In unserem Antrag auf Einrichtung eines Untersuchungsausschusses haben wir deutlich gemacht, dass es nicht nur diese eine Frage gibt, sondern dass wir allein zu diesem Komplex 85 weitere Fragen haben. Wie ich Herrn Taş vorhin verstanden habe, haben Sie auch noch einige weitere Fragen, die man jetzt noch erweitern muss um die Frage, warum die Aufklärung im Falle Amri so schleppend läuft, warum offensichtlich kein Interesse der gewählten Abgeordneten – jedenfalls der Mehrheit in diesem Hause – daran besteht, diese Fragen aufzuklären.
Was soll denn daran stören? Man kann Akten wunderbar kopieren, dann haben sie beide. – Frau Bayram! Ich freue mich immer wieder über Ihre Zwischenbemerkungen, insbesondere deshalb, weil ich mir sicher bin, dass Sie diesem Haus auch in die nächsten Jahre noch erhalten bleiben werden. Darauf freue ich mich besonders. – Vielen Dank!
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Trotz der Debatten ist mir heute deutlich geworden: Wir sitzen alle in einem Boot. Nach dem Terroranschlag vom 19. Dezember 2016 am Breitscheidplatz mit 12 Toten und 67 Schwerverletzen, dem folgenschwersten islamistischen Attentat in Deutschland, sind wir alle zusammengerückt – als politische Kräfte, aber auch die Berliner Bevölkerung, die besonnen und mit Augenmaß reagiert hat. In allen Beiträgen habe ich festgestellt, dass wir uns, bei allem Streit in der Sache – wie geht man heran, wie klärt man auf, welche Konsequenzen will man ziehen? –, gegenseitig unterstellen, uns um Sicherheit in dieser Stadt zu kümmern, dafür nach den besten Lösungen zu suchen und in den politischen Streit zu gehen. Wenn man dadurch auch mal seine Rolle der Opposition oder der ehemaligen Opposition überzieht, dient das trotzdem dem Zweck, sich um die besten Ideen für mehr Sicherheit zu bemühen. Ich möchte mich ausdrücklich bei allen Vorrednern für diesen Beitrag bedanken.
Wenn Sie das nicht so sehen und darüber noch mal nachdenken müssen, dann ist das zugestanden. Ich habe das aber deutlich gespürt,
und ich denke, wir müssen das noch einmal betonen, denn: Was vor uns steht, ist ein Akt, den wir zugesagt haben – schonungslos aufzuklären –, der nicht leicht wird, der mit vielen Menschen zu tun haben wird, die große Verdienste haben, die aber in entscheidenden Situationen einen Fehler gemacht haben. Denen ist zu sagen: Für diesen Fehler oder gar für diese Straftat der Vertuschung wird es Konsequenzen geben, obwohl du sonst im Übrigen gut ermittelt hast, obwohl du gut gearbeitet hast, obwohl du islamistischen Terrorismus bekämpfen wolltest und vielleicht deswegen, so der Vorhalt heute, nicht ganz so genau hingeguckt hast bei schweren
Drogendelikten. So einem Menschen müssen wir sagen: Das war es jetzt! –, denn das geht nicht. Man kann im Eifer des Gefechts einen Fehler machen. Das dann aber zu vertuschen, die Aufklärung zu verhindern, die Wahrheit nicht ans Tageslicht zu führen und dabei möglicherweise auch mit krimineller Energie vorgegangen zu sein, das ist ein Punkt, den wir niemandem gestatten können, und es ist auch wichtig, dass wir den Punkt gemeinsam aufklären.
Eine zügig stattfindende Sitzung des Innenausschusses ist wichtig, denn wir müssen die konkreten Umstände aufklären. Im Raum steht, dass ein zwölfseitiger Vermerk auf vier Seiten gekürzt worden ist. Da ist klar, dass man wissen will, was da genau drinstand, welche Erkenntnisse es auf den übrigen acht Seiten noch gegeben hat, aus welchem Zeitraum die Erkenntnisse stammen, die mutmaßlich am 1. November zusammengeführt wurden. Da muss man natürlich noch tiefer reingehen und sich das genau anschauen.
Herr Kollege Lux! Ich finde es auch immer gut, wenn der Innenausschuss tagt. Haben Sie aber nicht auch den Eindruck, dass wir langsam auch einmal belastbarere Informationen und Aussagen brauchen als die, die wir bisher im Innenausschuss bekommen haben?
[Antje Kapek (GRÜNE): Belastbarere als gestern geht ja wohl nicht! – Marcel Luthe (FDP): Die waren belastend, nicht belastbar!]
Kollege Luthe! Sie haben eine Reihe von Fragen gestellt, teils gute, teils wirklich sehr weitgehende. Meine Fraktion hat auch Fragen gestellt; alle hier haben Fragen gestellt und warten natürlich noch auf abschließende Antworten. Ich finde aber, wir sollten uns da auch nicht überhöhen. Wir müssen die Umstände, die bekannt geworden sind, bewerten.
Um aber noch mal auf Ihren Beitrag einzugehen, der jetzige und auch der Innensenator davor hätten sich alle POLIKS-Vorgänge zu der Angelegenheit vorlegen lassen sollen: Das geht einfach an der Sache vorbei.
Wenn Sie wissen, wie eine polizeiliche Datenbank aufgebaut ist und welche Daten und Informationen dort gespeichert sind, wenn Sie wissen, wie man darauf zugreifen kann, welche Massen an Daten und Informationen dort enthalten sind, dann kann ich es schon nachvollziehen, dass ein Sonderbeauftragter genau darauf abzielt und genau dort einen Treffer landet, auch anscheinend gegen den Senator. Aber das ist sportlich, das gehört dazu. Wir haben doch gesagt, der Sonderbeauftragte soll Missstände herausfinden, die vorher nicht herausgefunden worden sind. Da liegt es in der Natur der Sache, dass man sich den Sonderbeauftragten erst einmal anhört. Der hatte gestern einen Erfolg. Zerreden Sie das doch nicht, sondern unterstützen Sie mit uns gemeinsam die Arbeit des guten Sonderbeauftragten Bruno Jost und auch des Innensenators Geisel, der in der Sache überhaupt nichts zu verbergen hat!
Man darf auch dazusagen: Herr Jost ist nicht allein an das polizeiliche Datensystem gegangen und hat geguckt, welche Einträge es dort gibt. Er ist vielmehr durch Befragungen weitergekommen und hat das in Kooperation mit der Polizei aufgeklärt. Es ist nicht in Ordnung, so zu tun und zu sagen – das haben aber auch wenige gemacht –: Die Polizei! Die haben das alle vertuscht! – Im Gegenteil! Der Polizeipräsident, der Stab, hat natürlich auf Nachfrage von Jost kooperativ und kritisch weitergeprüft, selbst geguckt, was er in seinen Datenbeständen hat. Nur deshalb ist es zutage getreten. Man sollte nicht und man kann nicht von einer Verschwörung reden, sondern momentan ist naheliegend, dass es einem Ermittler ziemlich peinlich gewesen ist, dass er einen schweren Fehler gemacht hat und der Fluch der bösen Tat dazu geführt hat, dass er im wahrsten Sinne des Wortes seinen Kopf verloren und eine falsche Datei angelegt hat. Das kann man nicht, darf man nicht, sollte man auf keinen Fall tolerieren.
Das betrifft auch die zentrale Frage nach den Konsequenzen, die wir jetzt schon ziehen können. Ich glaube, meine Vorredner von SPD und Linke haben es schlicht vergessen: In den Koalitionsgesprächen haben wir lange darüber diskutiert, wie wir die Fehlerkultur der Berliner Polizei verbessern. Wir waren gemeinsam der Ansicht, dass moderne Instrumente, unabhängige Beauftragte – wie auch ein unabhängiger Sonderermittler in diesem Fall – dazu beitragen können, dass die Polizei eine bessere Fehlerkultur bekommt, wie auch die Verwaltung insgesamt. Deswegen haben wir uns darauf geeinigt, dass wir in dieser Wahlperiode einen Landesbeauftragten für Bürger- und Polizeiangelegenheiten einführen wollen, der genau in solchen Fällen – wir können auch noch weitere Fälle und Skandale benennen – dafür sorgen soll, dass man sich anvertraut, wenn man einen Fehler macht. Wir machen doch alle Fehler. Wenn der Fehler aber vertuscht wird, wenn er geheim gehalten wird, und das bei den schlimmsten Vorfällen wie hier, dann haben wir ge
meinsam ein Problem. Dann erodiert das Vertrauen in den Rechtsstaat. Eine Person, die das Vertrauen wiederherstellen kann, ist ein unabhängiger Landesbeauftragter für Bürger- und Polizeiangelegenheiten, der dauerhaft arbeitet. Ich hoffe sehr, dass die rot-rot-grüne Koalition heute noch entschlossener ist, dieses wichtige Projekt umzusetzen.
Kritik, Fehlerkultur, der Umgang damit – das alles kann Sicherheit steigern und ist besser, als nur auf sich zu vertrauen, besser, als nur Scheuklappen aufzuhaben. Deswegen hat der Innensenator völlig zu Recht angemahnt: Man muss eine Person als Ganze in den Blick nehmen; die Al-Capone-Methode greift viel zu kurz. Man muss sich vielmehr den Problemen stellen, dass es sehr komplexe, sehr schwer vorauszusehende potenzielle Attentäter gibt, dass die sogenannte abstrakte Terrorgefahr weiterhin groß ist. Wir müssen uns auch darauf einstellen, dass die Sicherheitsbehörden in Zukunft weiterhin mögliche Attentäter – das Schicksal verhüte es! – auf dem Schirm haben, dass sie dran sind, bestimmte Erkenntnisse haben, diese aber trotzdem zuschlagen. Das ist der Preis unserer weltoffenen demokratischen Gesellschaft, wie wir sie lieben. Absolute Sicherheit wird es in dieser nie geben, in Diktaturen allerdings auch nicht, im Gegenteil. Deswegen bin ich froh, dass wir als rot-rotgrüne Koalition – und ich meine, dass die Redner von CDU, FDP und AfD das auch gesagt haben – eine Priorität im Bereich des Vollzugs legen. Das habe ich bei dem Kollegen der AfD herausgehört, Stichwort: Tunesien, Rückführungsabkommen. Natürlich ist das ein Problem. Und natürlich ist es eines, wo man momentan keine weitere gesetzliche Grundlage braucht, sondern man muss vollziehen. Die Aliasse des Anis Amri, gesetzlich alles verboten, man hätte auch definitiv den Datenabgleich machen müssen. Man hätte ihn in anderen Bundesländern mehrmals abschieben können. Ich will jetzt keinen Fingerzeig eröffnen, aber natürlich wurden viele Fehler gemacht, und die lagen im Vollzug, weil nicht entschieden worden ist, weil vielleicht die Strukturen nicht stark genug waren, weil vielleicht die Spezialeinsatzkräfte und mobilen Einsatzkräfte durchaus mehr Bedarf haben. Diese Fragen aufzuklären, was noch kommt, was damals eigentlich passiert ist und warum der Amri nicht weiter beobachtet wurde, lag wahrscheinlich kaum an Rechtsgrundlagen, aber kann durchaus strukturelle Probleme offenbaren. Auf die stellen wir uns ein, und die diskutieren wir dann auch gemeinsam.
Bis dahin würde ich mir wünschen, dass wir bei der Sache bleiben, etwa bei den riesigen Problemen, die wir rund um den Digitalfunk haben, aber auch bei der Schießstandfrage – der Senator hat es schon angesprochen –, all das erfordert eine Strategie der schlauen Investitionen in mehr Sicherheitsinfrastruktur.
Auch beim Opferschutz ist nicht alles richtig gelaufen bei der Nachbetrachtung der Opfer vom Breitscheidplatz. All das erfordert einen gemeinsamen politischen Willen, und den möchte ich gerne gemeinsam mit Ihnen herstellen.
Das erfordert aber auch, dass man sich nicht in einen Wettkampf begibt: Wer hat hier noch mal die schönste Maßnahme, das härteste Gesetz? – Da bin ich sehr besorgt, dass wir beim angehenden Bundestagswahlkampf immer wieder jemanden haben, der sagt, wir hätten noch dieses und jenes und noch mehr Überwachungsgesetze einführen müssen, die können alle hier und da was bringen, und dass wir das gemeinsame Ziel, nämlich die Sanierung der Sicherheitsbehörden, die unter dem harten Sparkurs lange gelitten haben, aber in Zeiten wie heute umso wichtiger sind, aus dem Auge verlieren, weil es um politische Konkurrenz geht.
Deswegen möchte ich mit meinem ersten Satz schließen: Wir sitzen hier alle in einem Boot. Lassen Sie uns diese Verantwortung gemeinsam wahrnehmen! Wenn ein Untersuchungsausschuss notwendig sein sollte – und natürlich kann ein Untersuchungsausschuss in bestimmten Fällen mehr machen als ein Sonderbeauftragter –, dann werden wir zum gegebenen Zeitpunkt darüber entscheiden. Wir haben das bewusst offengehalten,
aber möchten heute sagen, Herr Kollege Luthe, das wissen Sie auch, dass der jetzt erst mal loslegt und arbeitet. Das schafft enorme unmittelbare Vorteile. Den Rest – Untersuchungsausschuss mit guten Fragen, und es sind nicht nur Ihre, wirklich – werden wir zu einem späteren Zeitpunkt sehen. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit! Vielen Dank!
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Lux! Ich möchte nur zunächst einen Irrtum klarstellen, dem Sie anscheinend unterlegen sind: Ich habe nicht gesagt, dass ich erwarte, dass sich der jeweils amtierende Senator sämtliche POLIKS-Vorgänge zu allen Personen in dieser Stadt zieht. Ich habe gesagt, ich erwarte, dass sich der verantwortliche Senator und/oder sein Staatssekretär nach dem 19. Dezember, also in den vergangenen 150 Tagen die Akten zu dem Fall Amri und zu der Person Amri auch mal selbst anguckt. Ich denke, das
ist in Anbetracht des jedenfalls – je nachdem, wie man zählen und rechnen will – schlimmsten oder zweitschlimmsten Terroranschlags der letzten 40 Jahre auf deutschem Boden sicherlich nicht zu viel verlangt und nicht zu viel erwartet.
Auf der anderen Seite kann ich den Unterschied zwischen Ihrer Rede und Ihrem Handeln nicht ganz nachvollziehen. Sie erkennen an, dass sehr viele Fragen auch nach 150 Tagen noch komplett offen sind, noch nicht mal der Versuch einer Antwort unternommen wurde, sondern jeweils auf andere Zuständigkeiten verwiesen wird. Sie sind ein sehr engagierter Innenpolitiker. Gerade deshalb kann ich nicht verstehen, warum Sie nicht genauso wie ich darauf drängen, dass wir als die zuständigen Fachpolitiker, und zwar in den dafür geeigneten Instrumenten, und das ist ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss, die Arbeit dieses Sonderermittlers, die Selbstreinigungskraft der Senatsverwaltung für Inneres, entsprechend dem uns vom Wähler erteilten Auftrag flankieren und unserer Kontrollfunktion nachkommen. – Vielen Dank!