Protokoll der Sitzung vom 11.01.2018

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die brennenden israelischen Flaggen vor dem Brandenburger Tor, als der US-amerikanische Präsident Jerusalem zur Hauptstadt Israels erklärte, haben vielen in unserem Land deutlich gemacht, welche antisemitischen Auswüchse unterdessen in Deutschland nahezu wieder gesellschaftsfähig sind. Das Verbrennen von Flaggen, von staatlichen Hoheitszeichen, ist ein Missbrauch des Rechts auf freie Meinungsäußerung, denn hierdurch wird nicht ein politischer Diskurs über Staaten, deren politische Ausrichtung oder Ähnliches geführt, sondern schlicht das Existenzrecht von Staaten und deren Staatsbürgern infrage gestellt. Möglicherweise ist dies ein Aspekt, den Menschen, die in einem sicheren und anerkannten Land leben, dessen Existenz noch niemals oder jedenfalls seit Jahrzehnten nicht in Abrede gestellt worden ist, schlechter nachvollziehen können. Dies kann jedoch nicht

dazu führen, dass auf deutschen Straßen unter dem Deckmantel der Demonstrationsfreiheit zum Beispiel israelische Flaggen oder Davidsterne, aber auch andere staatliche Hoheitszeichen zerstört oder verbrannt werden können.

[Beifall bei der CDU]

Zum Verbrennen von Gegenständen und den Folgen dazu hat Heinrich Heine hellsichtig seinerzeit alles gesagt, was es zu sagen gibt.

In den vergangenen Wochen ist auch deutlich geworden, dass die derzeitige Rechtslage ein Vorgehen gegen diese Demonstrationen genau wie gegen die Demonstranten quasi kaum möglich macht – dies hat auch Innensenator Geisel leidvoll erfahren müssen –, denn das Versammlungsrecht ermöglicht in fast nicht einschränkbarem Rahmen Demonstrationen und Meinungsäußerungen. Das steht einer gefestigten Demokratie wie unserer auch gut zu Gesicht. Unsere Demokratie kann viel aushalten, ohne dass sie in ihren Festen erschüttert wird, aber es gibt eben auch Grenzen, für deren Überschreitung es keine Rechtfertigung mehr gibt.

Der Kollege von der Linken hat in der „Welt“ von heute gesagt, er würde lieber das Versammlungsrecht einschränken, als einen neuen Tatbestand im Strafrecht zu finden.

[Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Das habe ich so nicht gesagt!]

Das sehe ich tatsächlich ganz anders.

[Zuruf von Anja Kofbinger (GRÜNE)]

Das mag vielleicht auch an der Historie und dem liberalen Versammlungsrecht liegen. Aber unabhängig von den aktuellen Ereignissen stellt sich auch die Frage, warum mit § 90a des Strafgesetzbuches die Verunglimpfung des deutschen Staates und seiner Symbole unter Strafe gestellt ist, dies jedoch für sämtliche anderen anerkannten Staaten, seien es Mitlieder der EU oder auch nicht, nicht gilt.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schrader?

Bitte, Herr Schrader!

(Henner Schmidt)

Ich wollte Sie nur ganz kollegial fragen, ob Sie vielleicht den Kollegen Schlüsselburg, den Sie indirekt aus der „Welt“ zitiert haben, insofern falsch verstanden haben, dass er nur gesagt hat, auf Grundlage des geltenden Versammlungsgesetzes könne man mit solchen Situationen anders umgehen, ohne das Versammlungsgesetz zu verschärfen oder einzuschränken, so wie Sie es gesagt haben.

Da er gleich selber das Wort hat, kann er das gleich gerne noch mal so erklären, wie er es tatsächlich gemeint hat. – Mit anderen Worten: Man kann nach heutiger Gesetzeslage straffrei die israelische oder französische Flagge verbrennen, nicht aber direkt daneben die deutsche Flagge. Warum der Bundesgesetzgeber an dieser Stelle mit zweierlei Maß misst, ist weder der Gesetzesbegründung zu entnehmen, noch ist es aus heutiger Sicht nachvollziehbar.

Gerade Berlin mit seiner herausgehobenen Rolle im Dritten Reich steht es gut an, eine solche Initiative auf Bundesebene anzustoßen.

[Beifall bei der CDU]

Weder die Meinungsfreiheit noch die Demonstrationsfreiheit werden hiervon in irgendeiner Weise beeinträchtigt, da sämtliche verbalen Meinungsäußerungen, das Plakatieren von Aussagen, das Hochhalten von Transparenten, so sie nicht ohnehin bereits unter Strafe gestellt sind, weiterhin zulässig sind. Worin – und das ist aus meiner Sicht das wesentliche Argument – also das Recht auf das Verbrennen einer ausländischen Flagge begründet liegen könnte und, mit anderen Worten, welche schützenswerten Rechte der Änderung des StGBs entgegenstehen könnten, ist nicht nachvollziehbar und ist auch in der derzeitigen Diskussion, soweit ich es gesehen habe, noch nicht erklärt worden.

Auch der Zentralrat der Juden in Deutschland hat sich am gestrigen Tag mit großer Erleichterung zu unserer heutigen Initiative geäußert. Der Umstand, dass sich Juden in Deutschland und auch in Berlin nicht mehr sicher fühlen, sollte uns allen zu denken geben. Ich fordere sämtliche Fraktionen in diesem Haus daher auf, sich dem Antrag anzuschließen, gemeinsam mit uns eine fraktionsübergreifende Bundesratsinitiative auf den Weg zu bringen und damit Vorreiter im Kampf gegen den Antisemitismus zu werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die Fraktion der SPD hat jetzt der Abgeordnete Herr Kohlmeier das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Wir alle sind uns wohl einig: Es gibt keine Rechtfertigung, israelische Flaggen zu verbrennen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Wir haben hier natürlich auch eine besondere historische Verantwortung. Deshalb darf und kann der Rechtsstaat es nicht dulden, dass Flaggen vor dem Brandenburger Tor verbrannt werden. Ich sage auch ganz persönlich: Ich möchte nicht, dass diese Bilder um die Welt gehen. Das ist nicht mein Berlin. Insofern müssen wir überlegen, wie wir das zukünftig verhindern können.

[Allgemeiner Beifall]

Aber natürlich ist die Sache schwieriger, und zwar rechtlich schwieriger, als die CDU oder der CDU-Antrag glauben machen möchten.

[Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Ganz genau!]

Zum einen braucht man, wenn man eine Bundesratsinitiative anstrengen möchte, eine Mehrheit. Insoweit ist es eigentlich ein übliches und auch geübtes Verfahren, dass man sich, wenn man in so einem Punkt eine Bundesratsinitiative starten möchte, vorab sowohl hier im Haus als auch mit den anderen Bundesländern abstimmt. Es macht wenig Sinn, auch für das Anliegen, wenn das Land Berlin solch eine Bundesratsinitiative starten sollte und wir keine Mehrheit mit den anderen Ländern erreichen, aus welchen Gründen auch immer.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD und den GRÜNEN]

Und ich sage eine zweite Sache: Auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel hat gesagt, dass sie mit allen Mitteln des Rechtsstaates gegen die Flaggenverbrennung vorgehen möchte. Da sage ich ganz deutlich, obwohl wir nicht im Deutschen Bundestag sind: Dann soll sie es doch machen, dann soll sie doch damit anfangen! Sie hat im Bundestag doch die Möglichkeiten, das Strafgesetzbuch entsprechend zu ändern, wenn sie es denn möchte.

[Holger Krestel (FDP): Aber nicht mit Heiko Maas als Justizminister! – Antje Kapek (GRÜNE): Wer ist denn ausgestiegen? – Holger Krestel (FDP): War ja nichts zu machen!]

Seien Sie doch mal ruhig, Herr Krestel!

[Holger Krestel (FDP): Bin ja ruhig! Hab mich noch nie ruhiger gefühlt!]

Insofern glaube ich, dass das Land Berlin hier nicht der erste Ansprechpartner ist.

Kommen wir zu dem Rechtlichen! Das Rechtliche ist tatsächlich auch nicht ganz so trivial. Ich habe da teilweise auch eine andere Auffassung als die Kollegin Seibeld. § 90 StGB – das ist zutreffend – schützt natürlich

deutsche Hoheitszeichen. Juristen überlegen auch, ob man § 104 StGB dahingehend schützt, dass man den Schutzbereich von § 104 StGB erweitert. Herr Krestel! Bleiben Sie doch mal ein bisschen locker, wenn ich hier vorne rede! Hören Sie mir doch zu!

[Beifall von Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

Oder Sie gehen einfach rüber zu dem Kollegen und reden mit dem zusammen oder gehen nach draußen. Hier zwischenzuquatschen ist nicht die feine Art. – Danke schön!

[Holger Krestel (FDP): Wunderbar! Diese Hauptschulleh- rerrolle steht Ihnen gut! – Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Gymnasiallehrer!]

Vielleicht hilft es ja ein bisschen.

[Zuruf von Holger Krestel (FDP)]

Ich frage mich, ob Sie ernsthaft diskutieren wollen oder hier den ganzen Tag bloß sitzen, um ein bisschen Spaß zu haben und Spaß zu machen. Dann ist das aber der falsche Ort, Herr Kollege Krestel!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Und es ist auch das falsche Thema – so wie Sie sich hier gerade benehmen.

[Holger Krestel (FDP): In der Tat!]

Man kann natürlich überlegen, ob bei § 104 StGB das Verbrennen und Verunglimpfen ausländischer Staatsflaggen unter Strafe gestellt wird und man hier eine Angleichung an § 90 StGB macht. Aber man darf dabei auch nicht vergessen, dass eine es eine Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu § 90 StGB gibt, und die gilt es zu beachten.

[Beifall von Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

Und natürlich sagt auch das Bundesverfassungsgericht, dass Artikel 5, der Akt der Meinungsäußerung, auch weiterhin zulässig sein muss.

Das Flaggenverbrennen oder Flaggenverbrennen im Rahmen einer Demonstration ist zunächst keine Meinungsäußerung – so ist meine Rechtsauffassung. Es gibt aber auch Juristen, die der Auffassung sind, dass das Flaggenverbrennen auch durchaus eine Meinungsäußerung sein kann, wenn es um einen Anlass geht, der hier möglicherweise ein anderer ist.