Protokoll der Sitzung vom 11.01.2018

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.1:

Priorität der AfD-Fraktion

Tagesordnungspunkt 23

Gutachten zur Höhe der Pensionsverpflichtungen nach Standards staatlicher Doppik jährlich erstellen

Antrag der AfD-Fraktion Drucksache 18/0743

In der Beratung beginnt die AfD-Fraktion und hier die Abgeordnete Dr. Brinker. – Bitte sehr!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Alternative für Deutschland hat den Doppelhaushalt 2018/2019 abgelehnt, weil dieser aus unserer Sicht nicht nachhaltig ist. Warum? – Um die Nachhaltigkeit des Berliner Haushalts zu bestimmen oder eine Generationenbilanz erstellen zu können, ist es notwendig, die Pensionsverpflichtungen des Landes Berlin zu kennen. Was heißt das? – Pensionsverpflichtungen sind Versprechen, die das Land Berlin eingegangen ist, um seinen Beamten zukünftig Pensionen zahlen zu können. Bei den landeseigenen Beteiligungsunternehmen wie BVG, BSR, Wohnungsbaugesellschaften usw. ist das relativ einfach. Diese müssen nämlich ihre Pensionsverpflichtungen bilanziell ausweisen und – wie jedes andere Unternehmen auch – erfolgswirksame Rückstellungen dafür bilden. Die Rechnungslegung der öffentlich-rechtlichen Haushalte, wie z. B. der Kernhaushalt des Landes Berlin, muss das nicht. Der Staat hat sich im Zuge der kameralistischen Wirtschaftsrechnung davon befreit, Auskunft über die tatsächliche Vermögens-, Finanz- und Ertragslage zu geben. Entsprechend antwortete der Senat auf eine aktuelle Anfrage der AfD – Zitat –:

Konkrete Aussagen zur Höhe der theoretischen Pensionsrückstellungen sind derzeit nicht möglich.

Renten- und Finanzexperten warnen seit vielen Jahren vor exorbitanten Pensionslasten, die auf Bund und Länder

(Senator Andreas Geisel)

zurollen, so auch Professor Raffelhüschen, der sagt, dass die alten Bundesländer bald in Pensionslasten ertrinken werden. Das Thema ist also seit Jahren bekannt, doch der rot-rot-grüne Senat sah offensichtlich nicht die Notwendigkeit, bei den Beratungen des Doppelhaushalts mit offenen Karten zu spielen. Der Senat gibt allerdings aktuell in einem Artikel der „Berliner Morgenpost“ zu, dass eine alte, über zehn Jahre zurückliegende überschlägige Berechnung von Rückstellungsverpflichtungen vorliegt, die von mindestens 40 Milliarden Euro ausgehe. „Mindestens“, da natürlich die Anzahl der Versorgungsempfänger stetig steigt, wie wir alle wissen. Eine Pensionierungswelle steht vor der Tür. Noch vor 20 Jahren gab es knapp 38 000 Versorgungsempfänger, vor zehn Jahren 47 000, und heute sind es bereits 59 000. Die Pensionslasten steigen sukzessive an. Parallel dazu werden voraussichtlich auch die Zinsen wieder ansteigen – ein Teufelskreis.

Der Senat stimmt der AfD in unserer Anfrage dahin gehend zu, dass zur Berechnung der tatsächlichen Lasten ein versicherungsmathematisches Gutachten zu erstellen ist. Laut Senat ist die Beauftragung eines solchen Gutachtens auch geplant. Das erscheint uns allerdings zu vage, denn der Senat betont ebenfalls, dass das Land rechtlich dazu nicht verpflichtet sei.

Mit unserem vorliegenden Antrag soll das künftige Prozedere spezifiziert und verbindlich ausgestaltet werden. Die AfD fordert deshalb: Der Senat möge jährlich zum 31. Dezember ein Gutachten zur Höhe der Pensionsverpflichtungen nach Standards staatlicher Doppik erstellen und dieses in die Vermögensrechnung integrieren.

Berlin steht vor gewaltigen Herausforderungen. Um das vom Senat ausgerufene und von uns grundsätzlich unterstützte Jahrzehnt der Investitionen bewerkstelligen zu können, ist es zwingend notwendig zu wissen, welchen Zahlungsverpflichtungen das Land Berlin insgesamt aus der Vergangenheit gegenübersteht. Die strukturellen Ausgaben werden enorm steigen, die Spielräume für notwendige Investitionen werden jedoch immer geringer. Überschlägig liegen wir jetzt schon bei ca. 100 Milliarden Euro, nämlich 50 Milliarden Euro offizielle Schulden plus mindestens 40 Milliarden Euro Pensionslasten. Da sind dauerhafte Flüchtlingskosten, die Beschaffung neuer S-Bahnzüge, die ewigen Mehrausgaben beim BER usw. noch nicht eingerechnet. Die Nachhaltigkeitslücke des Landes Berlin ist bislang ein Schuldbrief mit sieben Siegeln.

Berlin sollte die aktuell vorhandenen finanziellen Spielräume mit Bedacht einsetzen. Beim Doppelhaushalt 2018/2019 ist das leider fürs Erste misslungen. Die Verteilung des 2 Milliarden Euro-Überschusses des Jahres 2017 und die Bestückung des neuen SIWANAExtrahaushalts werden zu einem Lackmustest für die Haushaltsehrlichkeit des rot-rot-grünen Senats. Deshalb

appellieren wir mit Nachdruck: Eine Haushaltsrechnung ohne Berücksichtigung der Pensionsverpflichtungen ist hochgradig unverantwortlich. Es wird Zeit, dass der Senat handelt und die Steuerzahler und zukünftige Generationen nicht im Unklaren lässt, welche enormen Lasten auf ihre Schultern abgewälzt werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der AfD]

Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Becker nun das Wort.

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mir scheint, Frau Kollegin Brinker, als wollten Sie mit Ihrer Initiative Unbehagen suggerieren, gar Ängste schüren und das Land Berlin vorführen, als sei es nicht in der Lage, die exakte Höhe der tatsächlichen Verpflichtungen für die Pensionen seiner Beamtinnen und Beamten zu benennen, und als gäbe es sich mit Schätzungen zufrieden. Das halte ich für eine unfaire Unterstellung, für Quatsch, und vor allem entbehrt es jeglicher Fakten.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Zur Richtigstellung des Sachverhalts: Erstens müssten Sie es besser wissen, Frau Kollegin Brinker, denn wir haben darüber im Hauptausschuss am 9. November 2017 gesprochen. Sie können im Protokoll nachlesen, dass die Finanzverwaltung längst mit dem Thema befasst ist und versicherungsmathematische Brechungen mithilfe einer neuen Software vornimmt, um die Höhe aktuell bestehender und künftig entstehender Pensionsverpflichtungen näher zu bestimmen. Im Hauptausschuss erfuhren wir auch, dass dieses Jahr mit ersten Zahlen zu rechnen ist und dass aktuell noch nicht gesagt werden kann, in welchem Turnus die Daten erhoben und aktualisiert werden können, da weitere Faktoren erheblich sind.

Zweitens – auch das können Sie in den Protokollen des Hauptausschusses nachlesen – besteht keine rechtliche Notwendigkeit, die bestehenden und künftig entstehenden Pensionsverpflichtungen in der Vermögensverrechnung nachzuweisen. Für den landesunmittelbaren Betrieb gilt das nicht. Eine exakte Bestimmung wäre nur dann zwingend vorgeschrieben, wenn die Rechnungslegung nach Handelsgesetzbuch zu erfolgen hätte, wonach alle Rückstellungen zu bilanzieren sind, die aufgrund von Direktzusagen für Pensionsanwartschaften und laufende Pensionen gebildet werden müssen. Das ist nicht der Fall. – Nein, keine Zwischenfrage, auch keine spätere!

Hierzu halte ich fest, dass Berlin sein kamerales Haushalts- und Rechnungswesen um eine Kosten- und Leistungsrechnung ergänzt hat. Das Ziel bei der Einführung der sog. erweiterten Kameralistik war es, Informations

(Dr. Kristin Brinker)

defizite der reinen Kameralistik zu kompensieren, ohne jedoch das Rechnungswesen komplett umgestalten zu müssen. Diese Erweiterung zur Kameralistik einschließlich eines erweiterten Vermögensnachweises weist nicht nur ein hohes Maß an Transparenz auf, sondern liefert der Verwaltung ausreichende Zusatzinformationen, um Steuerungsentscheidungen fundiert treffen zu können.

Vor dem Hintergrund des finanziellen und personellen Mehraufwands sowie der Erfahrungen anderer Länder wäre eine Umstellung des Rechnungswesens auf die Doppik aufgrund des geringen Mehrwertes an Informationen nicht zu rechtfertigen.

[Lachen von Dr. Kristin Brinker (AfD)]

Klar ist: Pensionsverpflichtungen bestehen grundsätzlich und sind völlig unabhängig von der Art des Rechnungswesens. Lediglich die Rechnungsstile unterscheiden sich in der Pflicht, Pensionsverpflichtungen nachzuweisen. Die Standards staatlicher Doppik, die Sie fordern, sind entsprechend für Beamtinnen und Beamte und andere nach Bundes- oder Landesrecht versorgungsberechtigte Personen, Rückstellungen für Pensionen, Beihilfen und ähnliche Verpflichtungen zu bilden. Das kamerale Rechnungswesen sieht eine derartige Verpflichtung zum Ausweis dieser zwar dem Grunde, aber hinsichtlich des Auszahlungszeitpunkts und der Höhe nach noch nicht bestimmten Lasten nicht vor.

Drittens: Im Übrigen kann die Einbeziehung der Pensionsverpflichtungen in die Vermögensverrechnung logischerweise erst dann erfolgen, wenn eine genaue versicherungsmathematische Berechnung vorgenommen wurde. Ob die Güte des Ergebnisses dann signifikant anders aussähe, steht auf einem anderen Blatt.

Ihren Antrag halte ich für entbehrlich, da es weder rechtlich noch sachlich drängt. Ich würde das aber dennoch gerne einmal im Hauptausschuss diskutieren

[Karsten Woldeit (AfD): Aha!]

und klarstellen und bitte daher um die Überweisung dahin. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat nun der Kollege Goiny das Wort.

[Torsten Schneider (SPD): Jetzt gibt es ein doppisches internes Darlehen!]

Hier hat jemand eine Brille vergessen!

[Holger Krestel (FDP): Das ist die rosarote Brille der Vorrednerin! – Heiterkeit bei der CDU – Heiterkeit und Beifall bei der AfD]

Die liegt hier wahrscheinlich immer.

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst darf man vielleicht einmal, wenn wir so einen Antrag auf dem Tisch haben – Pensionsverpflichtungen, Pensionslasten –, darauf hinweisen, dass es um die Bediensteten des Landes Berlin geht, um die Beamtinnen und Beamten. An dieser Stelle darf man sich zum neuen Jahr vielleicht auch erst einmal für die Arbeit bedanken, die diese Damen und Herren für uns im Land Berlin leisten.

[Allgemeiner Beifall]

Wir haben Angestellte und Beamte im Land Berlin. Bei den Angestellten haben wir die renten- und sozialversicherungsrechtlichen Leistungen monatlich gleich mit dem Gehalt zu bezahlen, bei den Beamten ist es so, dass uns dieser Teil dann, wenn diese in den Ruhestand treten, als Zahlungsverpflichtung bleibt. Nun kann man gucken, was am Ende des Tages mehr oder weniger ist, es ist aber jedenfalls nicht so, dass wir diesen Teil der Pensionsverpflichtungen politisch nicht betrachten würden. Es gibt eine regelmäßige Berichterstattung hier im Parlament. Natürlich ist das auch in der Finanzplanung etwas, was uns seit Jahr und Tag – nicht erst seit diesem Senat, das muss man fairerweise sagen – begleitet.

Mir ist nicht ganz klar, was die tatsächliche Schlussfolgerung Ihres Antrags sein soll. Ich weiß, Sie kommen immer wieder mit der Idee der Doppik. Dazu kann ich Ihnen sagen: Die CDU-Fraktion wird dieser Idee nicht nähertreten. Wir halten das nicht für einen wirklich hilfreichen, zielführenden und uns irgendwie besser dastehen lassenden Weg der Haushaltsführung. Sie haben darüber hinaus so viel über die Gefahren für den Haushalt gesprochen. Ihr Antrag bewirkt aber gar nichts; da passiert ja dann gar nichts.

[Dr. Kristin Brinker (AfD) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Es geht im Kern darum, dass wir in Berlin – erstens – den öffentlichen Dienst so bezahlen, dass er konkurrenzfähig ist, dass wir – zweitens – Nachwuchs für den öffentlichen Dienst gewinnen – ich möchte jetzt keine Zwischenfrage zulassen, sondern erst einmal im Zusammenhang ausführen! –, und dass wir die Infrastruktur dieser Stadt erneuern und die Schulden im Land Berlin abbauen. Dazu haben wir als CDU-Fraktion seit Jahr und Tag eine klare Linie. Wir sind der Auffassung, dass man die Beamtinnen und Beamten im Land Berlin bis zum Ende der Wahlperiode nach Bundesniveau besolden sollte, wir haben eine Reihe von Vorschlägen zur Qualitätsoffensive im öffentlichen Dienst gemacht, und wir halten es – und das ist der entscheidende Punkt, um auch künftige finanzielle Ri

(Franziska Becker)

siken abfedern zu können – für ganz entscheidend, dass wir weiterhin nennenswerte Beiträge leisten, um den Schuldenstand des Landes Berlin zu reduzieren.

Wenn wir jetzt von der Finanzverwaltung einen Haushaltsüberschuss von 2,1 Milliarden Euro attestiert bekommen, dann ist das bemerkenswert und beeindruckend. Die spannende politische Frage ist aber, wie das Land Berlin, wie der Senat damit umgehen wird. Die Diskussion werden wir noch führen. Im Zusammenhang mit Haushaltsvorsorge, mit Schuldenabbau und den Schwerpunktsetzungen im Bereich Investitionen und Personal wird man auch die Frage diskutieren müssen, wie wir Haushaltsrisiken in diesen Bereichen in Zukunft abbilden. Das ist tatsächlich eine Diskussion, bei der man auf die Fragestellung Antworten geben muss. Ihr Antrag leistet dazu leider gar keinen Beitrag, und deswegen lehnen wir ihn ab. – Vielen Dank!

[Beifall bei der CDU – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Beifall von Anja Schillhaneck (GRÜNE)]

Für die Linksfraktion hat jetzt der Kollege Zillich das Wort.

[Torsten Schneider (SPD): Jetzt mach doch mal ein doppisches internes Darlehen!]