Protokoll der Sitzung vom 22.02.2018

[Marcel Luthe (FDP): Nicht zwingend!]

Lieber Herr Lux! Ich teile ausdrücklich Ihre Auffassung, dass das Recht auf Versammlungsfreiheit ein hohes Gut ist. Und da spreche ich ausdrücklich im Namen nicht nur meiner Fraktion, sondern meiner gesamten Partei das Recht auf eine friedliche Gegendemonstration bei Kundgebungen, unseren Demonstrationen zu. Das ist so. Was ich aber nicht dulde, das ist der Versuch von Blockaden. Ich könnte jetzt § 21 des Versammlungsgesetzes zitieren, dann stellen auch Sie fest – Sie sind Strafrechtler, Herr Kollege –, dass das, was vom Kollegen Taş und von der Kollegin Schmidberger gemacht wurde, und übrigens auch von den Kollegen ihrer Partei aus dem Bundestag, dementsprechend dieses Versammlungsrecht nicht deckt.

[Beifall bei der AfD]

Herr Kollege! Ich darf Sie fragen, ob Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Kohlmeier zulassen.

Auch sehr gern!

Danke schön, Herr Kollege! – Wie bewerten Sie denn, wenn Sie Blockaden ablehnen, den Versuch von Blockaden, der erfolgt ist, und zwar von Personen, die Ihnen politisch sehr nahe stehen, als Menschen, die geflüchtet sind, in ein Flüchtlingsheim gebracht wurden, wo Busse blockiert wurden und wo diese Menschen blockiert wurden, die überhaupt im Heim ein Dach über dem Kopf haben sollten? Wie bewerten Sie das denn?

Ich müsste jetzt direkt eine Gegenfrage stellen: Waren das AfD-Funktionäre, Abgeordnete? War das ein Bereich aus meinem politischen Spektrum?

[Lachen bei den GRÜNEN]

Wie bewerten Sie gewalttätige Aufrufe von verschiedenen anderen Bereichen? – Herr Kohlmeier! Ich finde das amüsant. Sie versuchen es ja immer wieder, mich mit einer Zwischenfrage aus dem Konzept zu bringen. Es gelingt Ihnen schlicht und ergreifend nicht.

[Beifall bei der AfD]

Aber ich freue mich immer wieder für die Redezeitausweitung, die Sie mir dadurch gönnen. Und auch in Ihre Richtung: Sie erinnern sich noch an meine Worte, als ich sagte: Wir sagen den Menschen, wer für was steht, wer für welche Politik steht. Das mögen Sie nicht, das hat es nämlich im Vorfeld nicht gegeben. Das gibt es erst, seit die AfD im Bundestag ist. Das gibt es erst, seit die AfD in Landtagen ist. Das gibt es erst, seit wir hier ordentliche Oppositionspolitik machen.

[Beifall bei der AfD]

Sie können mir auch weiterhin persönlich irgendwelche Schlägertrupps auf den Hals hetzen. Sie können auch weiterhin rhetorisch und moralisch irgendwelche Extremisten unterstützen. Wir halten Ihnen nach wie vor den Spiegel vor. Meine Kollegen und ich werden es auch weiterhin genau so machen. Und die Ergebnisse sehen Sie, liebe Kollegen von der SPD: Ihre Umfragewerte sind im freien Fall. Sie liegen jetzt einen halben Prozentpunkt hinter der AfD. Und ich schließe mit den Worten eines von Ihnen hoch geschätzten Genossen: Und das ist auch gut so!

[Beifall bei der AfD]

Ich möchte einen Hinweis an die Pressetribüne geben: Das Filmen oder Fotografieren von Unterlagen auf den Tischen der Abgeordneten ist nicht gestattet. Ich bitte, das zu berücksichtigen. – Nun gebe ich Herrn Senator Geisel das Wort. – Bitte schön, Herr Senator!

(Karsten Woldeit)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordnete! Versammlungen stehen unter dem besonderen Schutz des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes und Artikel 26 der Verfassung von Berlin. Kundgebungen und Aufzüge sind Mittel im politischen Meinungskampf, der wiederum ein wesentliches Element in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist.

Was ist nun am Wochenende passiert? Am 17. Februar versammelten sich nach Schätzung der Polizei etwa 850 Personen, darunter ein Drittel Frauen, und haben demonstriert. Dazu gab es vier angemeldete Gegenversammlungen. Im Verlauf der Demonstration gab es drei erfolglose Blockadeversuche von 21 bis 200 Personen. Die Blockadeversuche sind durch die Polizei geräumt worden.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Davon haben wir nichts gemerkt!]

Die Maßnahmen wurden auf Video dokumentiert. Bei den zwei Sitzblockaden auf der Friedrichstraße wurden Identitätsfeststellungen durchgeführt. In der Spitze waren 1 120 Polizistinnen und Polizisten auf der Straße. Gegen 16 Uhr befand sich dann eine Gruppe von etwa 1 000 Personen des Gegenprotestes auf der geplanten weiteren Wegstrecke Friedrichstraße nördlich der Kochstraße, etwa in Höhe des Checkpoint Charlie, und blockierte damit die Aufzugstrecke. Diese Personen befanden sich außerhalb der polizeilichen Absperrung. In einem solchen Fall ist die Polizei verpflichtet, gegen die störende Versammlung vorzugehen, das resultiert aus der Schutzpflicht für die Ausgangsversammlung, wobei jedoch immer auch die tatsächlichen Einsatzmöglichkeiten sowie die tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen sind. Hier war es so, dass es auch mit hohem Kräfteeinsatz nicht möglich war, die gesamte Wegstrecke freizuhalten. Daher wurde nördlich des U-Bahnhofs Kochstraße eine Absperrlinie auf der Friedrichstraße errichtet, die ein Eindringen von Personen des Gegenprotestes aus Richtung Norden verhinderte. An dieser Absperrung sammelten sich dann die Personen des Gegenprotestes.

Beim Aufeinandertreffen von Versammlungen und Gegenversammlungen besteht eine erhöhte Gefahr von Ausschreitungen

[Karsten Woldeit (AfD): Das ist das Problem!]

und damit auch eine erhöhte Gefahr für Versammlungsteilnehmende, Polizeibeamte oder Unbeteiligte. Im Einzelfall ist daher zu prüfen, ob Sicherheitsbedenken der gleichzeitigen Durchführung von Versammlungen oder einem Vorgehen gegen die Gegenversammlung entgegenstehen. In solchen Fällen ist es vorrangig Aufgabe der der Polizei, die gegnerischen Versammlungen zu trennen und die Wege der Versammlungen zu lenken.

Der Einsatzleiter der Polizei entschied sich bei dieser Demonstration aus Gründen der Verhältnismäßigkeit, die Blockade von ca. 1 000 Personen nicht weiter mit Zwangsmaßnahmen zu räumen. Zuvor war gesetzeskonform versucht worden, eine Räumung durchzuführen. Es hat sich jedoch gezeigt, dass das unverhältnismäßig lange gedauert hätte und unverhältnismäßig unmittelbaren Zwang erfordert hätte. Deshalb hat der Einsatzleiter der Polizei diese Blockade nicht weiter aufgelöst.

Gegenüber der Versammlungsleiterin der Ausgangsversammlung wurden vor Ort keine beschränkenden Verfügungen erlassen. Insbesondere ist die Polizei auch nicht diejenige gewesen, die die Versammlung aufgelöst hat. Vielmehr entschied sich die Versammlungsleiterin nach Rücksprache mit der Polizei selbst, die Versammlung zu beenden.

Das Durchführen einer daraufhin angemeldeten Spontankundgebung am ursprünglichen Endplatz, dem Bundeskanzleramt, wurde von der Polizei gewährleistet. Ein Großteil der verbliebenen ca. 400 Teilnehmenden wurde durch die Polizei begleitet und konnte sich geschlossen zum Ort der Spontankundgebung bewegen.

Im Ergebnis haben wir heute 114 Strafanzeigen zu verzeichnen. 63 Freiheitsbeschränkungen und Freiheitsentziehungen sind durchgeführt worden. Verschiedene Identitätsfeststellungen wurden vorgenommen.

[Zuruf von Karsten Woldeit (AfD)]

Aus beiden Spektren, Herr Woldeit!

[Karsten Woldeit (AfD): Wie ist das Verhältnis?]

Zur Bewertung: Die Versammlungsfreiheit ist ein hohes Gut. Die Berliner Polizei ist erfahren und geübt, das hohe Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zu gewährleisten. Dazu bedarf es eines hohen Kräfteansatzes der Polizei, um Versammlungen zu ermöglichen und zu schützen. Die Berliner Polizei ist erfahren, weil wir etwa 5 000 Demonstrationen pro Jahr allein hier in Berlin haben.

Soweit Beeinträchtigungen von einer Gegendemonstration ausgehen, stehen grundsätzlich einander gleichgewichtige Grundrechtspositionen gegenüber, zwischen denen ein Ausgleich anzustreben ist. Die umsichtige Entscheidung des Einsatzleiters ist Ausdruck des rechtsstaatlichen Handelns der Polizei.

Ich habe auch noch eine politische Bewertung: Jeder hat das Recht, seine Meinung zu äußern, bedeutet auch, dass man diese Meinung dann aushalten muss, wenn sie einem nicht gefällt oder nicht ins eigene Weltbild passt. Das Recht auf Versammlungsfreiheit umfasst insbesondere auch das Recht auf abweichende Meinungen und somit auch die Durchführung von Gegenprotesten.

[Zuruf von der AfD: Absolut!]

Hier wurde der Eindruck erweckt, dass am Wochenende friedliche, unbescholtene Demokraten unterwegs waren. Wenn wir auf die Versammlungsteilnehmenden schauen, das ist hier schon geschildert worden, handelt es sich um das Umfeld der AfD, aber nach unseren Erkenntnissen gab es auch Teilnehmende aus verschiedenen anderen Gruppierungen, darunter bekannte Rechtsextremisten des Bürgerbündnisses Havelland und des Bündnisses „Wir für Deutschland“, Teilnehmer aus der Identitären Bewegung aus ganz Deutschland, Teilnehmer aus dem Netzwerk freier Kräfte und der NPD. Einige Reichsbürger waren auch unterwegs.

[Zuruf von der CDU: Pfui!]

Da sage ich Ihnen als politische Bewertung: Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere Demokratie unter dem Deckmantel der politischen Meinungsfreiheit von diesen Kräften angegriffen und mürbe polemisiert wird.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Gerade diese Frage steht hier vor uns in Berlin, in einer Stadt, in der Menschen aus über 140 Ländern dieser Welt leben, in einer bunten, weltoffenen und toleranten Stadt. Fremdenfeindliche Beleidigungen, Bedrohungen und Übergriffe auf Andersdenkende, Andersaussehende, Andersglaubende gehören zum Repertoire von Menschen, die für unsere freiheitlichen Werte nichts übrig haben. Hier werden ganz klar Grenzen überschritten, die wir als demokratische Gesellschaft nicht überschreiten lassen dürfen. Unsere freie Gesellschaft kann einiges aushalten, aber sie darf nicht alles hinnehmen.

Herr Senator! Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Luthe zu?

Nein, möchte ich nicht!

[Marcel Luthe (FDP): Schade!]

Friedliche Gegenproteste waren nach meiner Auffassung zum Schutz der Demokratie berechtigt und notwendig. Die Regeln des Zusammenlebens durchzusetzen, ist Aufgabe einer handlungsfähigen Polizei. Der Ruf nach Repression ist leicht. Er kommt gerne früh, ohne dass die rechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Und er kommt gerne von denen, die zuvor selber die politische Auseinandersetzung aufgeheizt und die Grenzen des politischen Anstands überschritten haben.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Zuruf von Marc Vallendar (AfD)]

Herr Senator! Lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Krestel zu?

Nein, möchte ich nicht!

[Zuruf von Harald Laatsch (AfD)]

Dem stehen wir mit der selbstbewussten Gelassenheit der Demokraten gegenüber. Ich nehme die Berliner Polizistinnen und Polizisten gegenüber den unberechtigten Vorwürfen der AfD in Schutz.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Zuruf von der AfD]

Zum Thema der heutigen Aktuellen Stunde antworte ich: Das Demonstrationsrecht ist in Berlin selbstverständlich nicht gefährdet. Die Polizei traf und trifft alle Maßnahmen, um die Versammlungsfreiheit aller zu garantieren. Um auch dort keinen Zweifel zu lassen: Gewalttätigkeiten sind zu verurteilen, egal von welcher Seite. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Kurt Wansner (CDU): Herr Innensenator! Das war nicht Ihre Sternstunde!]