Sobald Sie aber darüber hinaus eine Blankovollmacht für die künftige Aufnahme von Menschen aus nicht näher definierten Krisenregionen wollen, können wir nicht mehr mitgehen. Hier fehlt uns schlicht das Vertrauen, dass Sie auch tatsächlich in Zukunft immer eine sachgerechte Auswahl von wirklich schutzbedürftigen Gruppen treffen werden.
Deshalb unser Änderungsantrag, der es erlauben würde, weiterhin von Fall zu Fall parlamentarische Kontrolle auszuüben!
Auch hinsichtlich der Aufnahme von Jesiden bleiben Fragen offen, so insbesondere, warum Sie erst im Herbst 2018 ein Programm auflegen, das sich doch schon in den Jahren ab 2015 aufdrängte, als die Lage der Jesiden infolge des Vordringens des IS noch viel schlimmer war, als sie es heute ist. Aber damals waren Sie ja vollständig davon absorbiert, bis an den Rand des Zusammenbruchs und teilweise darüber hinaus – ich erinnere an die LAGeSo-Krise hier in Berlin – Menschen aufzunehmen, die schon längst in Sicherheit waren, als sie Deutschland erreichten.
Darüber haben Sie die tatsächlich Schutzbedürftigen offensichtlich jahrelang aus den Augen verloren.
Interessant ist auch das Kriterium der besonderen Schutzbedürftigkeit, anhand dessen Sie die Aufzunehmenden auswählen wollen, denn dieses Kriterium spielt für Sie ja ansonsten überhaupt keine Rolle. Wenn jemand Asylbewerber in Berlin ist, ist es völlig einerlei, ob er schutzbedürftig ist oder nicht und ob seinem Asylbegehren stattgegeben wird oder nicht, denn bleiben darf – jedenfalls, wenn es nach Ihnen geht – sowieso praktisch jeder. Insoweit sind Sie in dieser Hinsicht völlig unglaubwürdig.
Im August 2018 machte der Fall einer Jesidin Schlagzeilen, die in Baden-Württemberg ausgerechnet auf ihren früheren IS-Peiniger und Sklavenhalter traf. Der war inzwischen als Asylbewerber nach Deutschland gekommen. Die Jesidin floh daraufhin zurück in den Nordirak, weil sie sich in Deutschland nicht mehr sicher fühlte.
Ein Sklavenhalter des IS, der hier auf wundersame Weise zum „Geflüchteten“ mutiert und sein Opfer ein zweites Mal in die Flucht zwingt – in diesem abstrusen Fall bündelt sich wie unter einem Brennglas die ganze Absurdität Ihrer Asylpolitik.
Ich kann nur an Sie appellieren, alles zu tun, um den Jesidinnen, die demnächst nach Berlin kommen, ein solches Schicksal zu ersparen. Derzeit ist das leider keineswegs garantiert, denn in Ermangelung eines wirksamen Grenzschutzes wie auch adäquater Identitätskontrollen ist es so unwahrscheinlich nicht, dass auch in Berlin ISKämpfer frei und unbehelligt herumlaufen.
Es wurden auch schon die anderen Aufnahmeprogramme angesprochen. Es gibt die Programme weiterer Bundesländer, und es gibt insbesondere auch das ResettlementProgramm des Bundes mit 10 200 Plätzen und einer Laufzeit bis 2019.
Wir würden es begrüßen, wenn künftig eine verstärkte Koordination zwischen Bund und Ländern bei der Erarbeitung solcher Programme erfolgt, zumal die von einem Bundesprogramm profitierenden Menschen ja letztlich auch auf die Bundesländer verteilt werden müssen. Ich kann, ehrlich gesagt, keinen plausiblen Grund erkennen, weshalb es nicht möglich war, bereits im Rahmen der 10 200 Plätze des Bundes ein größeres Kontingent für Jesidinnen aus dem Irak vorzuhalten.
Freiwillige Aufnahme gezielt ausgewählter besonderer Schutzbedürftiger – das ist übrigens auch ein Element des von uns befürworteten australischen Modells, allerdings hat dieses Modell noch ein zweites Element, nämlich eine
konsequente Grenzsicherung, die illegale Grenzübertritte zum Zwecke des Asylbegehrens grundsätzlich verhindert.
Dieses Element bleiben Sie aber schuldig, weshalb Sie den zweiten Schritt gewissermaßen vor dem ersten tun.
Lassen Sie mich zum Fazit kommen: Die Aufnahme der Jesiden ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, den wir gerne mitgehen können. Ihre grundlegend falsch angelegte Asylpolitik der vergangenen Jahre können Sie damit jedoch nicht kaschieren. – Vielen Dank!
[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) – Frank-Christian Hansel (AfD): Bravo!]
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was bin ich froh, dass es nicht die AfD ist, die definiert, was besonders schutzbedürftig ist,
[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Frank-Christian Hansel (AfD): Wir definieren hier gar nichts!]
Berlin ist ein sicherer Hafen. Das hat der Regierende Bürgermeister gestern zusammen mit seinen Amtskollegen von Bremen und Hamburg festgestellt
und noch mal mitgeteilt. Und das ist gut so. Berlin – solidarische Stadt, Bettina Jarasch hat es gesagt. Dazu gehört eben auch, dass Berlin bereit ist, weitere besonders schutzbedürftige Menschen aus humanitären Gründen aufzunehmen.
Sie wissen, wir haben auch schon ein Landesprogramm, und das ist ein weiteres, das sich explizit auf besonders schutzbedürftige Menschen bezieht. Dazu zählen vor allem Jesidinnen und Jesiden, aber es sind auch andere Minderheiten denkbar, die im Moment in einer ausgesprochen prekären Lage sind, Aramäerinnen, Chaldäer, Assyrer, Christinnen und Christen. Insofern können wir uns da nicht beschränken, sondern müssen die Augen offenhalten und gucken: Wo ist Hilfe notwendig, und wo ist Unterstützung zwingend?
Gewalt, Vertreibung, Morden und Vergewaltigung durch die Terrorgruppen des IS und anderer sind ja nicht vorbei. Die waren auch nicht nur 2015. Tausende wurden und werden immer noch ermordet, Frauen geschändet und vergewaltigt. Die Traumata, die Verletzungen bleiben über die Tat hinaus, auch dann, wenn vor allem Frauen ihren Peinigern entkommen konnten.
Deswegen ist es so wichtig, dass sie einen Ausweg aus dieser Lage haben, in der sie gerade sind. Viele von ihnen sind in irgendwelchen Lagern in der Türkei oder in den EU-Hotspots, wo die EU sie unter unmöglichen Bedingungen leben lässt, oder aber in den Nordirak geflohen, wo sie auch Drangsalierungen und Repression ausgesetzt sind. Das trifft wiederum vor allem Frauen, die schwer traumatisiert sind und dringend psychologische, medizinische und soziale Unterstützung brauchen.
Bettina Jarasch hat es angedeutet: Viele jesidische Frauen, die vergewaltigt worden sind und schwanger wurden, kommen in eine unmögliche Lage, denn ihre eigene Community erkennt diese Kinder nicht als jesidische Kinder an, denn nach deren Denkweise und Glauben sind Jesiden nur Menschen, die jesidische Mütter und Väter haben. Gleichzeitig ist da eine Regionalregierung im Nordirak, die sagt: Sie müssen die Kinder aber abgeben, denn das sind ja keine Jesiden, sondern Muslime – was für die Frauen eine entsetzliche Situation ist, denn sie könnten eigentlich alles nur falsch machen. Deswegen bleibt ihnen oftmals nur die Flucht, wenn sie ihre Kinder behalten wollen. Deswegen ist es so wichtig, dass wir immer wieder auch diese Wege öffnen und es ermöglichen.
Mit dem Aufnahmeprogramm müssen wir Schutzräume verschaffen für die betroffenen Menschen, damit sie zur Ruhe kommen,
und sich Zukunftsperspektiven erarbeiten können. Deswegen ist es auch wichtig – und das ist ein weiterer Teil dieses Antrags –, dass sie hier in Berlin dezentral untergebracht werden, dass sie sich in Wohnungen befinden, wo sie Wohngruppen bilden können, wo sie sich gegenseitig auch stützen können, weil sie in einer außerordentlichen Situation sind, wo sie schnell Zugang zu professioneller Hilfe psychologischer Natur, medizinischer Natur und natürlich auch sozialer Natur finden können, damit sie auch schnell den Weg in die Gesellschaft finden.
Das ist eine große Herausforderung. Das müssen wir gemeinsam stemmen, gerne mit Brandenburg zusammen, vor allen Dingen mit den Organisationen, die schon im Herkunftsland arbeiten, gerne mit Schleswig-Holstein zusammen, gerne auch unter Rückgriff auf die Erfahrungen von Baden-Württemberg. Natürlich sind wir dafür, dass sich alle Bundesländer an solchen Programmen beteiligen. Auf die Bundesregierung hoffe ich in dem Zusammenhang nicht so sehr. Aber in den Bundesländern, da haben wir Kerne der Humanität, ob das jetzt Schleswig-Holstein ist, ob das Berlin ist, ob das Brandenburg ist, ob das Hamburg ist oder andere. Von da muss das Signal kommen: Solidarische Städte, solidarische Länder, das ist das, was wir jetzt brauchen.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, zur Notwendigkeit einer solchen Maßnahme haben die Vorredner schon viel gesagt. Ich denke, die steht hier im Haus tatsächlich fraktionsübergreifend außer Zweifel.
Das Problem zeigt sich nur einmal mehr, dass gut gemeint und gut gemacht nicht unbedingt identisch sind. Wenn wir uns anschauen, dass wir im Jahr 2017 aus Asylbewerbersammelunterkünften 10 597 Hinweise darüber bekommen haben, dass entweder konkret extremistische Taten geplant werden oder Täter aus den Herkunftsländern wiedererkannt wurden, und die Bundesregierung sich noch nicht einmal in der Lage sieht zu sagen, wie vielen dieser Hinweise mit welchem Ergebnis nachgegangen wurde, dann können wir von einem sicheren Umfeld in Deutschland leider an vielen Stellen nicht sprechen.
[Beifall bei der FDP und der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) und Kay Nerstheimer (fraktionslos)]
Daher unterstützen wir die grundlegende Intention dieses Antrags, aber nicht den Weg, immer mehr Sammelunterkünfte einzurichten, dies dann teils zu höchst fragwürdigen Bedingungen. Ich erinnere an die Vermietung von 44 m2 für 6 000 Euro monatlich zur Unterbringung von sieben Geflüchteten. Das sind Dinge, die Ihr Senat praktiziert. Das sind Dinge, die wir nicht wollen.