Protokoll der Sitzung vom 18.10.2018

Aber Sie sollten jetzt auch nicht so tun, als würde das das Problem lösen. Wenn die Euro 5-Diesel, die manipuliert waren, alle nachgerüstet werden, haben wir immer noch Grenzwertüberschreitungen an den Hotspots. Deshalb macht es keinen Sinn, immer nur auf die Automobilindustrie zu schielen. Es ist eben auch eine Frage des politischen Handelns von Bundesregierung und Senat, etwas dagegen zu tun.

[Beifall bei der FDP – Antje Kapek (GRÜNE): Es ist eine Frage von Recht und Grenzwerten!]

Wo man auch wirklich aufpassen muss, sind die Forderungen, die jetzt gegenüber der Industrie erhoben werden. Sowohl im Antrag der Koalition als auch in dem, den wir im Ausschuss hatten „Pakt gegen Fahrverbote“ von der CDU – –

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Schlüsselburg?

Ja, gerne!

Herr Schlüsselburg, Sie haben das Wort!

Vielen Dank, Herr Kollege Schmidt! – Inwieweit hängt Ihre Zurückhaltung im Zusammenhang mit der Automobilindustrie damit zusammen, dass in den vergangenen

(Henner Schmidt)

acht Jahren von den 17 Millionen Euro Parteispenden 80 Prozent an die Union und an die FDP geflossen sind?

Ich finde, das ist relativ lächerlich, einen solchen Zusammenhang herzustellen.

[Zurufe von der LINKEN und den GRÜNEN]

Wir haben auch überhaupt keine Zurückhaltung gegenüber der Automobilindustrie. Auch auf der Bundesebene hat unser Partei- und Fraktionsvorsitzender von Anfang an klar gefordert, dass die Automobilindustrie Fahrzeuge zurücknehmen oder umrüsten muss. Wir hatten als Erste einen klaren Kurs zur Automobilindustrie, als sich die CDU und die SPD noch davor gedrückt haben, mit der Automobilindustrie zu reden.

[Beifall bei der FDP]

Das, was Sie wollen, geht eben noch viel weiter. Da habe ich eben diese beiden Anträge genannt, auch den der CDU. Es kann natürlich nicht gefordert werden, dass Fahrzeuge, die seit 10 oder 20 Jahren auf der Straße sind, nachgerüstet werden. Das ist so, als hätte ich, wenn ich als Haushalt Glühbirnen verboten bekomme, einen Anspruch darauf, kostenlos vom Hersteller auf LED umgerüstet zu werden.

[Beifall von Paul Fresdorf (FDP)]

Wer seinen Golf von 1976 fährt, hat eben keinen Anspruch auf Nachrüstung, und das muss man hier auch noch einmal ganz klarmachen.

Solche willkürlichen, weitreichenden, rückwirkenden Eingriffe passen nicht zu einer Marktwirtschaft. Sie passen nicht zu einem Rechtsstaat. Wer einfach nur in die Kassen der Industrie greifen will, weil dort gerade Geld drin ist, der zeigt, wes Geistes Kind er ist. Der hat eben keinen Sinn für Marktwirtschaft. Der versteht nicht, was ein Rechtsstaat ist.

[Beifall bei der FDP – Harald Moritz (GRÜNE): Aber die Verbraucher sollen es zahlen!]

Es ist auch völlig richtig, dass die Bundesregierung kritisiert wird. Die Regierung hat mit der Autoindustrie gekungelt. Sie hat nicht die nötigen Maßnahmen des Verbraucherschutzes umgesetzt. Sie hatte keinen Mumm, da etwas umzusetzen. Und das ist eben die Bundesregierung aus CDU und SPD, was Herr Buchholz fast vergessen hätte, die das Problem auf die lange Bank geschoben und versucht hat, die Sache auszusitzen – wie so viele andere Probleme auch. Das kennen wir ja.

Wir sind aber hier im Abgeordnetenhaus und müssen deshalb darüber reden, was der Berliner Senat tut. Der Senat und die rot-rot-grüne Koalition dürfen eben nicht nur lamentieren und auf die Autoindustrie und die Bundesregierung verweisen und sich dahinter verstecken. Sie

sollten nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Sie müssen jetzt gefälligst selbst etwas tun. Das Problem ist dem Senat seit vielen Jahren bekannt, sowohl diesem Senat als auch dem Vorgängersenat. Das, was Sie gesagt haben, Herr Wolf, dass man schon vor Jahren etwas hätte einleiten müssen, trifft nicht nur die Bundesregierung. Es trifft natürlich genauso den Berliner Senat, der auch viel zu spät gehandelt hat, um dort Maßnahmen zu ergreifen.

[Beifall bei der FDP]

Wir müssen darüber reden, was der Berliner Senat selbst tun kann, weil wir eben auch die 117 weiteren Streckenabschnitte haben, die zu prüfen sind und die von Fahrverboten bedroht sind. Auch da geht es darum, Fahrverbote möglichst zu verhindern.

Wir Freien Demokraten haben dazu einiges an Ideen vorgelegt: eine schnellere Umrüstung von Bussen, ein Umrüstungsprogamm für Taxen, das wirklich auch mal greift und nicht ins Leere geht wie der Versuch des Senats, eine moderne Verkehrslenkung, digitale Verkehrsführung, großräumige Umleitungen, stadtdurchlüftende Maßnahmen, Begrünungen. Und auch die grünen Wellen aus dem Antrag der CDU sind natürlich ein Teil einer optimierten Verkehrslenkung. Es ist völlig richtig, die hier zu fordern.

[Beifall bei der FDP]

Wenn Sie sagen, Herr Wolf, der Senat hätte das alles schon gemacht das mit der Verkehrslenkung und Verkehrsführung – – Ich weiß nicht, ob Sie den Zustand der Verkehrslenkung Berlin kennen. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, dass sie noch nicht mal überall Daten erhebt, wie der Verkehr wirklich fließt. Wie wollen Sie denn behaupten, Sie machen dort eine digitale Verkehrslenkung, wenn Sie weder die Institutionen haben noch die Daten erheben? Das ist doch vorgespielt. Sie haben da eine Riesenaufgabe, die Sie noch machen müssen. Sie können nicht so tun, als wäre das alles schon gelaufen.

[Beifall bei der FDP]

In unserem gemeinsamen Antrag von CDU und FDP weisen wir auf noch etwas hin: Der Senat hat ein Maßnahmenpaket verkündet, aber er setzt sein eigenes Maßnahmenpaket nicht konsequent um. Wo sind denn die Ansätze gegen verkehrsbehinderndes Parken in der zweiten Reihe und gegen Stop-and-go-Verkehr? Wo sind denn neue Ansätze, um die Pleite des Taxiumrüstungsprogramms zu beheben? Aus Sicht der Freien Demokraten frage ich auch: Wo sind denn die innovativen Ideen – mit der Verkehrslenkung Berlin mehr digitale Steuerung zu machen, Gas- und Wasserstoffautos zu fördern, eben nicht nur Elektromobilität, Ridesharing zu erleichtern, ÖPNV attraktiv zu machen? Warum kommen denn keine Initiativen des Senats für moderne, innovative Mobilität, die den Menschen hilft, die Umwelt schont und die Luft sauber hält? Der Senat liefert hier nicht. Er konzentriert sich immer nur auf Verbote und restriktive Maßnahmen.

(Sebastian Schlüsselburg)

[Beifall bei der FDP – Beifall von Burkard Dregger (CDU)]

Teile der Koalitionsfraktionen wollen noch gerne viel restriktiver sein. Die wollen eine Ausweitung der Fahrverbote auf die gesamte Umweltzone und die Einbeziehung von Euro-6-Dieseln. Das ist beides maßlos und unverhältnismäßig. Die Ausweitung auf die Umweltzone oder gar die ganze Stadt ist übertrieben, da wir – wie eben geschildert – gar kein flächendeckendes Problem haben. Und die Ausweitung von Fahrverboten auf Euro6-Fahrzeuge ist maßlos, weil man Menschen, die vor einem Monat – Euro 6c gilt seit September 2018 – ihr Auto gekauft haben, das neue Auto gleich wieder stilllegen will. Viele dieser Menschen haben ihre Euro-4- und Euro-5-Diesel gerade erst umgetauscht. Soll denn diese Investition jetzt völlig umsonst gewesen sein?

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Noch schlimmer ist: Im Antrag der Koalitionsfraktionen wird gefordert, als Sanktion auch Fahrzeuge stillzulegen. Meinen Sie das wirklich ernst? Sie wollen dem Handwerker drohen, seinen Transporter stillzulegen, um die Autoindustrie zu bestrafen. Da bedrohen Sie die Existenz von Handwerksbetrieben. Wie kommen Sie auf so eine verstiegene Forderung? – Und da bitte ich auch die CDU, noch mal ihr Abstimmungsverhalten zu überdenken. Finden Sie das richtig? Sie haben diesem Antrag im Ausschuss zugestimmt. Ich halte das für absolut maßlos und unzumutbar für die Betriebe in unserer Stadt.

[Beifall bei der FDP]

Wir brauchen stattdessen innovative Ansätze, um sinnlose Fahrverbote zu verhindern. Der Senat ist in der Pflicht. Er kann sich dieser Pflicht nicht entziehen. Deshalb möchte ich jetzt von den Koalitionsfraktionen auch konkrete Vorschläge hören, wie sie selbst umweltfreundliche Mobilität, individuelle Mobilität sichern wollen. Dazu haben wir heute fast nichts gehört. Wir haben nur Beschimpfungen der Automobilindustrie und der Bundesregierung gehört. Das ist schade. Wir Freien Demokraten bleiben weiter am Ball und werden weitere Ideen entwickeln und einbringen, denn jedes Fahrverbot ist eines zu viel. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Nun gebe ich Frau Senatorin Günther das Wort. – Bitte schön, Frau Senatorin!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Abgeordnete! Am vergangenen Dienstag hat das Berliner Verwaltungsgericht ein wegweisendes Urteil für unsere Stadt gefällt.

Es hat entschieden, dass die Grenzwerte für Stickoxide in Berlin bis zum Juni 2019 einzuhalten sind. Hierfür ist nun der Senat verpflichtet, bis zum 31. März 2019 einen neuen Luftreinhalteplan aufzustellen, der spätestens bis zum Juni dann umzusetzen ist. Es sind Maßnahmen zu verabschieden, so sagt das Gericht, die überall dazu führen und eben nicht nur an einigen Straßen, dass die Stickoxidbelastung unter 40 Mikrogramm fällt, um die gesundheitliche Unversehrtheit der Bewohnerinnen zu schützen. Und in diesem Maßnahmenpaket sollen auch streckenbezogene Fahrverbote mindestens an acht Straßen, die besonders belastet sind, enthalten sein. Es geht um 3,5 Kilometer. Weitere 15 Kilometer sollen geprüft werden.

Aber das Gericht hat auch ausdrücklich die durch den Senat schon ergriffenen Maßnahmen gewürdigt. Unsere Strategie war es eben von Anfang an, durch sehr viele Aktivitäten, die jeweils zu kleinen Emissionsminderungen führen, die Luftbelastungen zu reduzieren und damit die Kilometeranzahl zu vermindern, an denen die Grenzwerte überschritten sind. Noch im Jahr 2015 – das zeigen uns Modellrechnungen – waren 60 Straßenkilometer mit Grenzwertüberschreitungen nachgewiesen. Das Gericht geht wie wir davon aus, dass es im Jahr 2020 nur noch 5 bis 15 Kilometer sein werden. Und das ist der Erfolg unserer Senatspolitik.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Es ist der Erfolg einer Politik, wobei Sie, liebe Opposition, jede einzelne Maßnahme immer gegeißelt haben. Und sich heute hinzustellen und zu sagen, Sie hätten alles immer gefordert, das entspricht wirklich nicht der Wahrheit.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Was haben wir denn seit Beginn dieser Legislaturperiode gemacht? Wir haben den landeseigenen Fuhrpark mit modernster Technik und Filtern ausgerüstet. Wir haben angefangen, die BVG-Busse sofort mit dieser Technik auszurüsten. Und im Jahr 2018 – Herr Scholtysek, vielleicht hören Sie zu, dann wissen Sie es danach – wird es abgeschlossen sein, dann fahren die BVG-Busse auf neuestem Niveau, und das ist genau das, was wir wollen.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der Linken]

Im nächsten Schritt – das wissen Sie alle – werden wir Elektrobusse anschaffen. Damit werden wir sehr schnell weiter nicht nur die NOx-Emissionen, sondern auch die CO2-Emissionen reduzieren.

[Georg Pazderski (AfD): Sie machen sich nur was vor!]

Und der Modellversuch zur Verstetigung des Verkehrs wird auch mit Annahme des Gerichts ein Erfolg sein. Das heißt, wir werden auch hier die NOx-Emissionen weiter vermindern können. Mit all diesen Maßnahmen hat es der Senat verhindert, wozu andere Städte nämlich gerichtlich

(Henner Schmidt)

verpflichtet worden sind: nämlich die Einführung von großflächig zonenbezogenen Fahrverboten für Dieselfahrzeuge bis Euro 5.

Ich habe immer gesagt, dass Fahrverbote die letzte Option sein sollen. Nach Auffassung des Gerichts ist es nun so, dass es Zeit ist, von dieser letzten Option Gebrauch zu machen. Denn ohne streckenbezogene Fahrverbote werden wir die Luftreinhaltevorgaben nicht schnell genug einhalten können. Und – das wurde heute noch nicht erwähnt – solche Fahrverbote werden von 70 Prozent der Berlinerinnen und Berliner unterstützt, weil auch ihnen die Gesundheit ein großes Anliegen ist.