Protokoll der Sitzung vom 21.03.2019

Aber um zum Antrag zurückzukommen: Die AfD schreibt in ihrer Antragsbegründung – ich darf zitieren –:

Politisches Engagement rechtfertigt nicht das Fernbleiben vom Unterricht

[Gunnar Lindemann (AfD): Richtig!]

Das ist nicht nur falsch, das Gegenteil ist der Fall. Schon jetzt sieht das Berliner Schulgesetz vor, Schülerinnen und Schüler beispielsweise für Schülervertretungsarbeit freizustellen sind.

[Stefan Franz Kerker (AfD): Was hat denn Schülervertretung mit Demonstration zu tun?]

Schülerinnen und Schüler haben nämlich nicht nur Pflichten, sie haben auch Rechte. Die AfD wünscht sich außerdem eine regelmäßige Teilnahme am Unterricht. Ich würde sagen, jede Woche von Montag bis Donnerstag ist sehr regelmäßig.

[Heiterkeit und Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf von Gunnar Lindemann (AfD)]

(Paul Fresdorf)

Ja, ist gut jetzt! – Als Nächstes zitiert die AfD einen Beschluss der Kultusministerkonferenz von 1973, ernsthaft, das ist fast 50 Jahre her, die ostdeutschen Bundesländer waren noch lange nicht Teil der KMK, und viele Eltern der heutigen Schülerinnen und Schüler waren noch nicht geboren. Weiter argumentiert die AfD, auch im Rahmen des Unterrichts bestünde die Möglichkeit, sich mit aktuellen politischen Themen auseinanderzusetzen. Da hat sie völlig recht. Gut, dass wir mittlerweile Unterricht nicht mehr nur mit verstaubten Büchern denken, sondern gerade auch wollen, dass Lernen außerhalb der Schule stattfinden kann, wenn es sich anbietet. Ich kann dazu nur sagen: Liebe Klassen! Liebe Politikkurse! Auf zur nächsten Demo! Guckt euch unsere Demokratie in Action an!

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Gunnar Lindemann (AfD): Demo für Atomkraft!]

Für mich und meine Fraktion ist klar, dass dieser Antrag in die völlig falsche Richtung geht und abzulehnen ist. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags an den Ausschuss für Bildung, Jugend und Familie empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 4:

Gesetz zur Änderung des Kirchensteuergesetzes

Dringliche Beschlussempfehlung des Hauptausschusses vom 13. März 2019 Drucksache 18/1746

zur Vorlage – zur Beschlussfassung – Drucksache 18/1637

Zweite Lesung

Der Dringlichkeit haben Sie eingangs bereits zugestimmt. Ich eröffne die zweite Lesung der Gesetzesvorlage. Ich rufe auf die Überschrift, die Einleitung sowie die Artikel 1 und 2 des Gesetzentwurfs und schlage vor, die Beratung der Einzelbestimmungen miteinander zu verbinden. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Eine Beratung ist nicht vorgesehen. Der Hauptausschuss empfiehlt einstimmig – bei Enthaltung der AfD-Fraktion – die Annahme der Gesetzesvorlage. Wer der Gesetzesvorlage Drucksache 18/1637 zustimmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen, die CDU und die FDP. Gegenstimmen? – Keine! Enthaltungen? – Bei der AfD-Fraktion! Damit ist dieses Gesetz beschlossen.

Tagesordnungspunkt 5 war die Priorität der Fraktion Die Linke unter Nummer 3.4. Der Tagesordnungspunkt 6 war die Priorität der Fraktion der SPD unter Nummer 3.2.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 7:

Wahl von einer Person zum Mitglied des Gnadenausschusses

Wahl Drucksache 18/1716

In der Plenarsitzung am 12. Januar 2017 haben wir die Mitglieder des Gnadenausschusses gewählt. Auf Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wurde Frau Yosma Karagöz zum ordentlichen Mitglied gewählt. Frau Karagöz hat die Mitgliedschaft im Gnadenausschuss niedergelegt. Für die Nachfolge schlägt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Frau Rechtsanwältin Dr. Annette Linkhorst vor. Ich verweise dazu auf die Tischvorlage auf rosa Papier zu diesem Tagesordnungspunkt. Wer Frau Dr. Linkhorst zum ordentlichen Mitglied des Gnadenausschusses zu wählen wünscht, den bitte ich um sein Handzeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen, CDU und FDP. Gegenstimmen? – Keine! Enthaltungen? – Bei der AfD-Fraktion! Damit ist Frau Dr. Linkhorst zum ordentlichen Mitglied des Gnadenausschusses gewählt. – Herzlichen Glückwunsch von dieser Stelle aus!

Ich rufe auf

lfd. Nr. 8:

Volle Kontrolle für Bürger*innen – Einführung eines Onlinedatenchecks für Berlin

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Kommunikationstechnologie und Datenschutz vom 18. Februar 2019 Drucksache 18/1673

zum Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/1477

In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Herr Kollege Ziller! Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Daten, so sagt ein inzwischen weitverbreiteter Marketingspruch, sind das Gold des 21. Jahrhunderts. Dieser Spruch führt bei vielen von uns aber leider zu einer falschen Vorstellung, was Daten sind und wie wir mit unseren Daten umgehen sollen. Für mich sind meine Daten beispielsweise kein Goldbarren, sondern maximal goldene Brotkrumen. Ich kann meine Daten nirgendwo in Bargeld eintauschen oder meine Lebensmittel bezahlen, essen kann ich sie auch nicht. Aber überall rieseln sie mir aus der Hosentasche, und gleichzeitig verwende ich meine Daten täglich als Gegenleistung, um damit zumeist

(June Tomiak)

kostenfrei Dienstleistungen in einer digitalisierten Welt in Anspruch zu nehmen oder in vielen Fällen nehmen zu können. Erst die Zusammenführung von vielen Datensätzen aus unterschiedlichen Quellen zu umfangreichen Personenprofilen von Menschen macht aus meinen goldenen Brotkrumen einen Goldbarren. Der kann verkauft oder getauscht werden. Er repräsentiert einen erkennbaren Wert. Daten sind das zentrale Handelsmittel der Digitalwirtschaft geworden.

Nicht erst seit der umfassenden Digitalisierung ist es ein Charaktermerkmal von persönlichen Daten, dass ich sie über viele Anbieter, Dienste und Institutionen verteilt habe. Als Bürgerin oder Bürger habe ich kaum eine Übersicht, wo meine Daten gespeichert sind und wie sie verarbeitet werden. Die bestehenden Datenschutz-, Datenrechts- und Informationsfreiheitsregelungen helfen hier nur bedingt weiter. Natürlich könnte ich bei allen Anbietern oder Behörden, die mir einfallen, Anträge auf Auskunft entsprechend der Datenschutz-Grundverordnung stellen, aber so richtig praktikabel ist das nicht. Große Technologiekonzerne haben inzwischen Lösungen wie zum Beispiel Google, die in Ihrem Konto dann Zusammenfassungen aller im Google-Konto gespeicherten Daten anzeigen. Aber diese sind oft unzureichend und funktionieren in der Praxis nicht ganz transparent, aber die Idee stimmt.

Hier kommt der Berliner Datencheck ins Spiel. Er soll die Berliner Verwaltung verpflichten, die über mich als Bürger gespeicherten Daten, die in den künftigen E-Akten der digitalen Verwaltung erhoben und verarbeitet werden, in meinem Servicekonto darzustellen. Wir wollen damit die Möglichkeit schaffen, einfach und verlässlich zu prüfen, welche Daten die Berliner Behörden über mich gespeichert haben. Ich habe dann auch die Chance zu prüfen, ob die Daten noch korrekt sind oder aktualisiert werden sollten. Der Kerngedanke dieses automatisierten Auskunftsanspruchs ist dank der Vorteile digitaler Verwaltungsverfahren möglich und spart den Aufwand langwieriger Antragsverfahren für mich, aber auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Berliner Verwaltung. Das Land Berlin schafft mit dem Datencheck eine Grundlage für mehr Transparenz auf Augenhöhe zwischen Staat und Bürgerinnen und Bürgern, serviceorientiert und verantwortungsbewusst.

Kern des Konzeptes des Berliner Datenchecks ist eine dezentrale Herangehensweise, denn klar ist: Der Datencheck ist ein individueller Service für mehr Bürgerinnen- und Bürgerrechte, aber kein zentraler Datenabruf für alle Behörden. Die behördliche Verwendung der Daten muss sich selbstverständlich weiterhin an den gegebenen Grundsätzen von Datenschutz und Datensparsamkeit orientieren. Notwendig, um den Datencheck zu realisieren, ist ein technischer Weg, der die dezentralen Daten und Funktionen im Servicekonto zusammenführt. Die einzige Person, die hierauf Zugriff hat, bin – für meinen

Fall – ich oder für die Bürgerinnen und Bürger sie selbst. Die technische Herausforderung bei der Umsetzung ist nicht trivial und muss in der weiteren Debatte mitgedacht werden. Wir wollen den Weg aber gehen, und die öffentliche Verwaltung soll damit ein Beispiel geben, das andere voranbringt.

Der Kollege der CDU-Fraktion hat im Ausschuss gesagt, wir wären mit dem Antrag der Zeit ein bisschen voraus, wir sollten uns lieber um andere Dinge kümmern. Ich bin überzeugt, dass heute genau der richtige Zeitpunkt ist, die Daten für einen solchen Datencheck zu stellen. Wir digitalisieren alle Verwaltungsprozesse, wir entwickeln die digitale Akte, und wir entwickeln auch unser Servicekonto in Berlin weiter. Dieser Antrag gibt dem Senat auf, von Beginn an mitzudenken, wohin es gehen soll, denn irgendwann muss die digitale Zukunft in Berlin auch mal beginnen. Dafür bitte ich um Ihre Zustimmung. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Stettner das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Ziller! Sie haben es mir vorweggenommen; damit wollte ich eigentlich anfangen. Herr Kohlmeier fragte mich vollkommen entgeistert, warum wir dagegen gestimmt haben, also muss ich das hier ein bisschen umschichten. – In der Sache verfolgen Sie natürlich ein vollkommen richtiges Anliegen. Wir haben das im Bundesdatenschutzgesetz geregelt, wir haben das in der DSGVO geregelt, wir haben das Berliner Anpassungsgesetz mitgetragen, weil wir der festen Überzeugung sind, dass Daten ein Persönlichkeitsrecht darstellen, und natürlich sollte jeder Zugriff auf seine Daten haben.

Sie haben vollkommen recht: Im Ausschuss habe ich gesagt, Sie seien der Zeit voraus, was generell ja etwas Schönes ist. Hier müssen wir aber ein bisschen zurückgehen und gucken, wo wir stehen. Das E-GovernmentGesetz wurde ja quasi von uns als Vater des Gesetzes mit der SPD zusammen entworfen. Seitdem gibt es hier eine neue Koalition, die drei Jahre Zeit gehabt hat, das abzuarbeiten. Wenn wir uns angucken, wo wir heute stehen – und die Kollegen des Fachausschusses wissen das sehr genau – und das vergleichen mit dem, was Sie hier beantragen, stellen wir fest, dass es ein Ankündigungsantrag ist, der in keiner Art und Weise umgesetzt werden kann. Es ist ein Veräppeln desjenigen, der dann glaubt, er könne auf seine Daten zugreifen.

[Vereinzelter Beifall bei der CDU – Beifall von Bernd Schlömer (FDP)]

(Stefan Ziller)

Wenn wir die technischen Möglichkeiten nicht haben und auch absehbar nicht haben werden, also auch in den nächsten zwei, drei Jahren nicht, dann ist es schlichtweg ein Schaufensterantrag zu sagen: Liebe Leute! Wir machen ein tolles Gesetz, damit ihr euch abends hinsetzen und – was richtig wäre – eure Daten über die verschiedenen Ebenen im Berliner Verwaltungsapparat abfragen könnt. – Das ist momentan in keiner Art und Weise möglich. Wir haben 2016 das E-Government-Gesetz beschlossen. Wir haben eine Evaluierung nach vier Jahren beschlossen; die kommt im nächsten Jahr. In den letzten drei Jahren haben wir den Stand erreicht, dass wir bis dato noch nicht die Fristen eingehalten haben, die im EGovernment-Gesetz enthalten sind. Wir haben die Bezirke noch nicht angedockt; die Daten sind aber zwischen Bezirken und Senatsverwaltungen verteilt. So gesehen ist diese Möglichkeit technisch schlichtweg nicht gegeben.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ziller?

Bitte schön!

Glauben Sie nicht, dass es auch uns Politikern und Politikerinnen gut tut, nicht nur an das Heute zu denken, sondern manchmal auch an die Zeit nach der Legislaturperiode? Ist es nicht auch ein gutes Zeichen, wenn wir nicht nur kurzfristig denken?