Protokoll der Sitzung vom 21.03.2019

Erste Lesung

in Verbindung mit

lfd. Nr. 28:

Qualitätspaket Schulessen

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/1732

Ich eröffne die erste Lesung des Gesetzesantrages der Koalitionsfraktionen für ein Gesetz zum Mittagessen an Schulen. In der gemeinsamen Beratung der beiden Tagesordnungspunkte beginnt die Fraktion der SPD. – Frau Dr. Lasić, Sie haben das Wort, bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen heute nicht erstmalig eine Debatte rund um das Thema Gebührenfreiheit im Bildungswesen, und diese wird heute, so wie immer, mit denselben Argumenten angegriffen. Der Vorwurf wird kommen, man hätte, was auch immer, anderes mit dem Geld finanzieren sollen – alles, nur nicht die Gebührenfreiheit. Ich möchte an dieser Stelle um Besonnenheit in der Debatte bitten.

Berlin kann sich bezüglich der Qualität beim Mittagessen im Bundesvergleich jetzt schon sehen lassen. Wir bleiben nicht stehen, sondern entwickeln die Standards weiter und sorgen für einen höheren Anteil an Bioessen und für einen Ausbau von kreativen Angeboten, wie unser Antrag belegt. Der Ausbau der Kapazitäten, der von den Verbänden angemahnt wird, ist ein wichtiger Punkt. Aber auch hier gilt es, die Prognosen besonnen zu betrachten und eine entsprechende Planung vorzunehmen. Für uns steht fest: Wer A sagt, muss auch B sagen. Wir werden dort, wo es notwendig ist, für einen Ausbau der Mensakapazitäten sorgen und bekennen uns in diesem begleitenden Antrag auch klar dazu.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Aber alle Argumente gegen die Gebührenfreiheit heute und woanders gehen am Kernanliegen vorbei und unterliegen einem Irrtum, indem sie die Gebührenfreiheit allein als Instrument der Bildungspolitik betrachten. Gebührenfreiheit ist ganz eindeutig ein Instrument der Bildungspolitik – das ist unstrittig. Der Glaube, dass Bildung von der Kita bis zum Ende der Ausbildung kostenfrei sein müsse, eint die jetzige Koalition. Wir sind uns sicher: Die Durchlässigkeit der Bildungswege und die Steigerung der Bildungschancen sind auch eine Frage der Kostenfreiheit.

Aber Gebührenfreiheit ist noch viel mehr, und das wird in der öffentlichen Debatte manchmal schlicht vergessen. Also erinnere ich hier an den Elefanten im Raum und daran, dass wir nicht in irgendeiner Stadt leben, sondern in Berlin, das in einem eklatanten Maße von steigenden Mietkosten bedroht ist. Ich will versuchen zu erinnern,

(Marianne Burkert-Eulitz)

was das für eine Berliner Durchschnittsfamilie heißt: Diese lebt von, sagen wir mal, 35 000 Euro im Jahr. Dieselbe Durchschnittsfamilie lebt, wie die meisten, in einer Mietwohnung, und die Wahrscheinlichkeit ist ziemlich hoch, dass diese Mietwohnung in den letzten Jahren deutlich teurer geworden ist und die Familie locker bis zu 1 000 Euro für ihre Wohnung ausgibt. Die gesteigerte Miete frisst sämtliche kleinen Spielräume auf, die sich die Familie bisher gönnen konnte. Puffer, die vom Nettoeinkommen übrig bleiben, werden kleiner. Die Familie muss sich auf einmal zwischen Urlaub und Auto entscheiden, Kino wird zum Luxus, Lego sowieso.

Und was machen wir dagegen? – Selbstverständlich ist das Kernstück der Arbeit die Mietenpolitik selbst, und ich glaube R2G hat bewiesen, dass wir es im Kampf gegen die Mietsteigerungen ernst meinen.

[Zurufe von Ronald Gläser (AfD) und Heiko Melzer (CDU)]

Die ganz aktuelle Debatte um den Mietendeckel zeigt, dass wir jeden Stein umdrehen und alle miteinander es ernst meinen mit dem Leitspruch: Wir entlasten Berlin!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Aber let’s face it: Die Mietsteigerungen können wir nur verlangsamen, nicht stoppen. Also gilt es, andere Maßnahmen zu ergreifen, die für mehr Netto im Geldbeutel sorgen. Sicherlich ist Arbeitsmarktpolitik der zweite Block, mit dem man für mehr Netto sorgt. Eine Reihe von Erfolgen haben wir im Kampf um bessere Löhne bereits erreicht: Der Landesmindestlohn und gerade erreichte Erfolge in der TV-L werden vielen Berlinerinnen und Berlinern mehr Geld bescheren und damit Luft zum Durchschnaufen geben.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD – Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

Wir debattieren auch über die Zulage von 150 Euro für Landesangestellte. All diese Schwerpunkte zusammen zeigen, dass wir es auch hier mit dem Leitspruch ernst meinen: Wir entlasten Berlin!

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Aber auch die Arbeitsmarktpolitik allein wird das Problem nicht lösen, sondern ist nur ein Bestandteil des Puzzles. Und so komme ich zum letzten Puzzlestück: dem Bildungsbereich. Wir bleiben dafür bei unserer Familie mit 35 000 Euro brutto. Die Familie hat zwei Kinder, beide im Schulalter. Eine ähnliche Rechnung kann man auch für die Kita anstellen; dort haben wir auch für die Gebührenfreiheit gesorgt. Wir bleiben jetzt aber beim Schulbeispiel: Schule ist natürlich kostenfrei. Bis vor Kurzem fielen dennoch eine Reihe von Kosten an: Bei unserer Beispielfamilie sprechen wir von mehr als 2 000 Euro für Hort und Mittagessen, 200 Euro für Bücher, 500 Euro für das Schülerticket – insgesamt also bis zu

3 000 Euro, die jährlich für die Schule ausgegeben werden.

Das sind Nettoausgaben. Man muss sich das auf der Zunge zergehen lassen: 10 Prozent des Bruttoeinkommens muss die Berliner Durchschnittsfamilie als Netto einplanen, um die Kinder durch die Grundschule zu bekommen! In Zeiten, in denen die Mieten schneller steigen als das Einkommen und wir als Land gleichzeitig das Glück haben, dass wir stabile Einnahmen haben, ist es unsere Pflicht, Berliner Familien zu entlasten.

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Und wir machen es: Wir haben die Hortgebühren in den ersten zwei Jahren abgeschafft. Wir haben die Lernmittelfreiheit eingeführt. Wir haben das Schülerticket kostenlos gemacht, und wir wollen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf das Mittagessen für alle Schülerinnen und Schüler an Grundschulen kostenlos machen. In keinem anderen Bereich wird es so deutlich wie in diesem: Wir entlasten Berlin!

[Beifall bei der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die Fraktion der CDU spricht jetzt Frau Bentele. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was Sie heute mit Ihrem Gesetz über das Schulmittagessen und mit Ihrem Antrag vorgelegt haben, gefällt mir besonders gut – besonders gut, weil sich daran beispielhaft darstellen lässt, wie Politik mit CDU und wie Politik ohne CDU aussieht –

[Beifall und Zuruf von Regina Kittler (LINKE)]

und welch grandiosen Zickzackkurs die SPD hinlegt: 2013 haben wir in der Groko ein Gesetz zur Qualitätsverbesserung des Schulmittagessens auf den Weg gebracht, das schrittweise bis 2014 umgesetzt wurde. Anlass war damals eine Verunreinigung mit Noroviren.

Wir haben in diesem Gesetzesprozess Studien zur Errechnung eines neuen Festpreises unter Achtung der DGE-Standards in Auftrag gegeben. Caterer, Eltern und Schüler waren einbezogen. Daraufhin wurden dann die Essensausschüsse an den Schulen entwickelt, also mehr Mitsprache bei der Auswahl der Caterer. Wir haben berlinweit ein einheitliches Ausschreibungsverfahren sowie die Zweckbindung der Mittel festgelegt, damit die Qualitätsverbesserung auch wirklich auf den Tellern der Schüler ankommt. Und es wurde eine Kontrollstelle zur Überprüfung der Qualität der Schulmittagessen installiert.

(Dr. Maja Lasić)

Wir haben uns zigmal getroffen, immer wieder auch, um uns über die entstehenden Kosten zu informieren. Denn allen war klar: Qualitätssteigerungen werden Geld kosten. Damals waren wir uns mit der SPD auch völlig einig, dass die Mehrkosten für das bessere Essen nicht nur allein der Senat, sondern auch die Eltern würden tragen müssen. Kein Mensch hat übrigens damals von Kostenfreiheit gesprochen.

Und jetzt halten Sie sich fest! Wir haben damals seitens des Senats für die Qualitätsverbesserung nicht nur einen größeren zweistelligen Millionenbetrag zugeschossen – wir haben auch den Elternbeitrag von 23 auf 37 Prozent erhöht. Das war eine Steigerung um glatte 60 Prozent. Gleichzeitig haben wir aber auch den Deckel vom Härtefallfonds genommen.

Und jetzt halten Sie sich noch einmal fest! Im Fortschrittsbericht für den Hauptausschuss ein Jahr später stand, dass die Eltern ihre Kinder etwa nicht deswegen vom Essen abgemeldet haben, sondern dass sogar 6 Prozent mehr Essen ausgegeben und auch BuT stärker in Anspruch genommen wurde.

Halten wir also einfach einmal fest: Wir haben es damals vor fünf Jahren in einer akuten Situation geschafft, ein völlig neues, umfassendes System zur Qualitätsverbesserung des Schulmittagessens aufzusetzen, das wissenschaftlich begründet war, das durchgerechnet war und in das die betroffenen Caterer, Schüler, Lehrer und Bezirke rechtzeitig eingebunden waren. Und was erleben wir jetzt? – Wir erleben, dass zum Stimmenkauf – ja, meine Damen und Herren von Rot-Rot-Grün, nichts anderes ist das: warmes Mittagessen gegen Stimme; Bildungspolitik ist das nicht! –

[Beifall bei der CDU und der AfD – Zurufe von Dr. Maja Lasić (SPD) und – Regina Kittler (LINKE)]

Ende letzten Jahres in einer Hauruckaktion im Nachtragshaushalt plakativ groß getönt: kostenloses, leckeres Mittagessen von Rot-Rot-Grün!

Aber was steckt dahinter? – Dahinter stecken Ankündigungen und offenbar Blankoschecks des Finanzsenators. Bis Juli 2020 läuft in punkto Qualitätsverbesserung nämlich überhaupt nichts, weil solange die Catererverträge laufen. Es gibt also bis 2020 weiterhin das SPD-CDUMittagessen, aber in schlechterer Qualität, weil der Festpreis in den letzten fünf Jahren – Frau Burkert-Eulitz hat es angefragt – im Hinblick auf Inflation, Entwicklung des Mindestlohns und Preissteigerungen beim Wareneinsatz nicht angepasst wurde – das Ganze aber ab Sommer umsonst, weil die SPD mit R2G ihre soziale Seite entdeckt hat und wir nun einen Finanzsenator haben, der aus dem letzten Haushalt Blankoschecks ausstellt.

Sie reichen hier ein Gesetz ein und wissen nicht, was die ganze Unternehmung am Schluss kosten wird, weil es

keinen neuen Festpreis gibt, der Ihre aktuelle Forderung der Stärkung des Bioanteils von 15 auf 50 Prozent aufnimmt und später noch zusätzliche, die im Rahmen einer neuen Ernährungsstrategie irgendwann noch dazukommen werden! Sie wissen auch nicht, wie viele Schüler durch die Kostenfreiheit dazukommen werden. Die Schätzungen schwanken zwischen 40 Prozent und 60 Prozent. Sie wissen auch nicht, in welchen Räumlichkeiten die zusätzlichen Mittagessen zu- oder aufbereitet werden sollen, wo die Schüler die zusätzlichen Mittagessen zu sich nehmen sollen und welche Zeitfenster hierfür vorgehalten werden müssen.

Der ganze Prozess ist also einerseits ein durchsichtiges Manöver und andererseits ein stümperhaftes Chaos, und zwar so stümperhaft, dass sogar die GEW dagegen aufmuckt. Insgesamt ist es also wieder einmal ein strahlendes Beispiel des „guten Regierens“, mit dem uns RotRot-Grün beglücken will.

[Lachen von Paul Fresdorf (FDP)]

Wir bleiben bei unserer Auffassung: Es ist Eltern zuzumuten, für das Essen ihrer Kinder zu bezahlen. Eltern in Not oder in schwieriger sozialer Lage müssen natürlich unterstützt werden. Weder Kindern noch Eltern werden der Wert und die Kosten eines qualitativen Essens bei Kostenfreiheit in Zukunft noch bewusst sein.

[Beifall bei der CDU und der AfD]

Ist es das, verehrte Grüne, wirklich das, was ihr wollt? Eltern werden sich bei der Catererauswahl und bei der Kontrolle zurückziehen, denn einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Wenn es Ihnen darum geht, Familien zu entlasten, dann bauen Sie endlich günstige Wohnungen für sie und nicht nur Ein- oder Zweizimmerwohnungen, sondern auch Vier- und Fünfzimmerwohnungen. Aber nehmen Sie doch bitte das Geld aus dem Bildungshaushalt bitte wirklich für die Bildungspolitik. Bezahlen Sie die Referendare besser, vergüten Sie die Praktika der Lehramtsstudenten. Stellen Sie mehr Sonderpädagogen für Inklusionsschüler ein.

[Beifall bei der CDU und der FDP – Beifall von Stefan Franz Kerker (AfD)]

Kurz: Investieren Sie in das pädagogische Personal und damit in die Bildung unserer Kinder und verteilen Sie nicht derart unüberlegt Wahlgeschenke.

[Beifall bei der CDU– Beifall von Stefan Franz Kerker (AfD)]

Für die Fraktion Die Linke spricht jetzt Frau Abgeordnete Kittler. – Bitte schön!