Protokoll der Sitzung vom 12.01.2017

Für die SPD-Fraktion jetzt der Kollege Dörstelmann!

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Die Tat des U-Bahntreters aus dem vergangenen Herbst hat uns alle fassungslos gemacht Das ist ganz klar. Dazu bekenne ich mich auch an dieser Stelle. In ihrer Skrupellosigkeit, in ihrer sinnlosen Brutalität und vor allem mit ihrer Heimtücke ist sie nichts anderes als verachtenswert gewesen. Ich glaube, dabei sind wir uns hier aber alle einig.

[Allgemeiner Beifall]

An dieser Stelle erinnert sie auch daran, dass wir jenseits der Diskussion über die Abwehr von Terrorismus, die dringend zu führen ist, über die Abwehr von Extremismus, die dringend zu führen ist, auch einer Diskussion hinsichtlich der inneren Sicherheit in Bezug auf Alltagskriminalität – im vorsichtigen Sinne dieses Wortes – bedürfen.

Die Tat war so ruchlos. Sie bildet jetzt den Hintergrund für den vorgelegten Antrag. Ich will eines vorausschicken: Es ist ganz klar, dass es sich bei der Tat um eine erhebliche Straftat gehandelt hat. Das wird niemand bestreiten. Mit Sicherheit besteht die Gefahr einer tödlichen

(Dr. Gottfried Curio)

Verletzung bei einem solchen Sturz genauso, wie andere Verletzungen möglich sind. Natürlich muss man davon ausgehen, dass hier auch wegen eines Tötungsdelikts in Versuch ermittelt werden könnte.

Sie legen nun einen Antrag vor, der auf eine Bundesratsinitiative zielt, mit der Sie ein Bundesgesetz, die StPO, ändern wollen. § 131 Abs. 3 Satz 1 soll dahin gehend geändert werden, dass keine Auswahlmöglichkeit für die Strafverfolgungsbehörden mehr besteht, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. An dieser Stelle will ich eines sagen: Es gibt gute Gründe, dass in einer Strafprozessordnung den Ermittlerinnen und Ermittlern der Strafverfolgungsbehörden insgesamt bestimmte Ermessensspielräume zugebilligt werden, weil sie zwischen verschiedenen situationsangepassten Ermittlungsmaßnahmen auswählen müssen. Das ist der entscheidende Punkt. Es ist nicht die Frage, ob Sie gern die Strafverfolgungsbehörden in Ihrem Sinn anlässlich eines Falles, den Sie jetzt herangezogen haben, binden wollen.

Hier geht es bei dem von Ihnen gewählten Fall, den Sie als Beispiel auch für Ihre Begründung durchgängig herangezogen haben, um einen Einzeltäter. Ich möchte Sie auf eines aufmerksam machen: Das ist nicht unbedingt der Regelfall. Mit den Regelungen, die Sie jetzt anstreben, mit den Modifizierungen, mit der Einschränkung der Optionen der Strafverfolgungs- und Ermittlungsbehörden, erfassen Sie andere Fälle möglicherweise nicht mehr. Das macht es gefährlich.

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN]

Die Gefahr besteht darin, um das auch kurz zu erläutern, dass von Maßnahmen, wie Sie sie jetzt zwingend und bindend fordern, Warnfunktionen ausgehen können, und zwar nicht nur für den einzelnen Täter – das ist Ihr Beispiel. Offensichtlich haben Sie sich komplett auf dieses Beispiel in der Analyse verengt –, sondern auch für weitere mögliche Täter. Sie unterschätzen die mögliche Komplexität von Ermittlungssachverhalten enorm, wenn Sie denken, dass man auf einen zusteuern könnte, und dann seien die Probleme gelöst. Sie warnen damit möglicherweise, das ist gerade im Bereich der organisierten Kriminalität ein großes Problem, auch weitere Täter, die bis dahin noch nicht ahnen, verfolgt zu werden. Deshalb bedarf es dringend einer Erörterung Ihres Antrags im Ausschuss, der so auf keinen Fall durchgehen kann. – Vielen Dank!

[Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der LINKEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion der Kollege Rissmann!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der hier vorliegende Antrag beschäftigt sich mit der Öffentlichkeitsfahndung. Grundsätzlich gilt, dass gerade die letzten Wochen und Tage in Berlin gezeigt haben, dass die Öffentlichkeitsfahndung ein sehr wirkungsvolles Instrument sein kann, um Straftätern habhaft zu werden und schwere und schwerste Straftaten aufklären zu können. Auf die spektakulären, abscheulichen Taten ist bereits hingewiesen worden. Es gibt keinen vernünftigen Grund, gegen die Öffentlichkeitsfahndung zu sein.

Es ist zu fragen, ob die in §§ 131 ff. Strafprozessordnung geregelte Ermächtigungsgrundlage ausreichend ist oder ob – darauf ist vielleicht noch einmal hinzuweisen – der Bundesgesetzgeber zum Handeln aufzufordern wäre, den Anwendungsbereich zu erweitern oder weitere Sachverhalte zu regeln. Das kann ich zunächst ad hoc nicht erkennen, was nicht heißt, dass ich mich einer vernünftigen Debatte im Rechtsausschuss dort verschließen wollen würde. Ich darf aber durchaus Bezug nehmen auf das, was der Kollege Dörstelmann gerade beschrieben hat, indem er die Normen im Einzelnen dargestellt hat. Es ist jedenfalls nicht richtig – das wollen die Antragsteller offenbar –, dass von dem Grundsatz abgewichen werden soll, dass eine richterliche Anordnung in der Regel erforderlich ist, um diese Ermittlungsmaßnahme auszulösen. Dies zu ändern wäre aus meiner Sicht ein systematischer Bruch, da die Strafprozessordnung richtigerweise grundsätzlich den Richtervorbehalt vorsieht. Von diesen rechtsstaatlichen Standards sollte man auch in diesen schweren Zeiten nicht abweichen.

[Beifall bei der CDU, der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Womit wir uns im Rechtsausschuss sicher beschäftigen müssen werden, ist der Eindruck, dass zwischen der Straftat und der Durchführung der Öffentlichkeitsfahndung oft ein nicht erklärbarer, erklärbar langer oder nicht vertretbar langer Zeitraum liegt. Dies liegt durchaus in unserer Zuständigkeit, und wir werden zu prüfen haben, ob die Arbeitsabläufe zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten so optimiert sind, dass im Falle des Vorliegens der Voraussetzungen schnell die Öffentlichkeitsfahndung durchgeführt werden kann. Alles andere ist gegenüber den Opfern der Straftat nicht zu erklären. Und ein zu langer Zeitraum erschwert sicher auch den Erfolg der Ermittlungsmaßnahme.

Schließlich will ich noch anmerken, dass die neue Lage in unserem Land es sicher erfordert, die Effektivität und den Erfolg von Strafverfolgungsmaßnahmen kritisch zu prüfen. Es wird Veränderungen und es wird Verschärfungen geben müssen. Nicht sinnvoll ist es meines Erachtens indes, nur ein Strafverfolgungsinstrument herauszugreifen und isoliert zu betrachten, so wie Sie es tun. Die StPO bietet einen umfangreichen Katalog an Ermittlungsmaßnahmen, die freilich in einem engen systematischen und

(Florian Dörstelmann)

in einem durchdachten Zusammenhang stehen. Aus meiner Sicht ist daher eine ganzheitliche Betrachtung geboten und nicht das Herausgreifen nur einzelner Regelungsbereiche, die zugegebenermaßen noch nicht einmal in unserem Zuständigkeitsbereich liegen. – Danke!

[Beifall bei der CDU und der SPD – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN]

Danke schön! – Für die Fraktion Die Linke jetzt der Kollege Schlüsselburg.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Herr Dr. Curio! Dieser Antrag und leider auch Ihre Rede machen zwei Dinge deutlich: Entweder Sie haben keine Ahnung von unseren Grundrechten – das alleine wäre für eine Oppositionsfraktion schon peinlich genug –, oder die Grundrechte und insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind Ihnen schlichtweg egal. Das wäre ein Skandal, weil Sie dann nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stünden. So oder so – dieser Antrag ist Ausdruck eines Oppositionsversagens der AfD. Absolut indiskutabel!

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und den Grünen]

Aber werfen wir mal einen genaueren Blick auf den Antrag! Sie wollen, dass Berlin eine Bundesratsinitiative startet, um die StPO im Punkt Öffentlichkeitsfahndung zu verschärfen. So eine Öffentlichkeitsfahndung ist ein massiver Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen. Sie alle wissen, dass es fast unmöglich ist, Inhalte aus dem Internet zu entfernen, die dort einmal gepostet wurden. Stellen Sie sich vor, nach Ihnen wird öffentlich, zum Beispiel über Facebook und in den Zeitungen, gefahndet! Dann stellt sich heraus, dass Sie zu Unrecht beschuldigt wurden. Eine einfache Google-Suche wird noch Jahre später einem neuen Arbeitgeber entsprechende Treffer zeigen, und vielleicht landet Ihre Bewerbung allein deswegen im Papierkorb.

Genau deswegen stellt die Strafprozessordnung rechtsstaatliche Anforderungen an die Öffentlichkeitsfahndung. Zunächst einmal ist es eine Ermessensnorm. Die Behörden können von ihr Gebrauch machen, müssen es aber nicht. Sie darf ferner nur durchgeführt werden – das wurde gesagt –, wenn ihr ein Richter zugestimmt hat.

Viel wichtiger aber ist, dass die Öffentlichkeitsfahndung eine Art Ultima Ratio ist. Sie soll, gerade weil sie ein massiver Grundrechtseingriff ist, grundsätzlich nur durchgeführt werden, wenn andere Ermittlungsverfahren erfolglos waren oder aller Voraussicht nach erfolglos sein werden.

Und, meine Damen und Herren von der AfD, genau das ist die Wahrung des verfassungsmäßigen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Sie treten diesen Grundsatz mit diesem Vorschlag mit Füßen. Sie wollen das Ermessen streichen. Sie wollen die Öffentlichkeitsfahndung zur Regel machen. Sie wollen den Richtervorbehalt aufweichen und zuvor keine milderen Ermittlungsmittel gelten lassen. Sie beweisen damit erneut, dass Ihnen Grund- und Freiheitsrechte – mit Verlaub – am Arsch vorbeigehen. Sie wollen unseren Rechtsstaat schleifen. Ich sagen Ihnen: Das ist mit Rot-Rot-Grün und mit dieser freiheitsliebenden Stadt Berlin nicht zu machen. Wir werden diesen Antrag dahin schicken, wo er hingehört: in den Papierkorb für verfassungswidrige Anträge.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD – Zurufe von Carsten Ubbelohde (AfD) und Holger Krestel (FDP)]

Für eine Sache ist dieser Antrag dennoch gut: Die AfD tut ja immer so, als stünde sie an der Seite der Polizei und der Strafverfolgungsbehörden. Mit diesem Antrag reißen Sie sich diese Maske aber selbst herunter. Sie trauen den Ermittlungsbehörden, also denen, die am nächsten an den Fahndungsfällen dran sind, nichts zu. Sie sprechen den Beamten ab, selbst einzuschätzen, wann eine Öffentlichkeitsfahndung eingeleitet werden soll oder nicht. Anders ist es nicht zu erklären, warum aus einer Ermessensnorm nach Ihrem Willen eine Mussvorschrift werden soll.

[Zuruf von Frank-Christian Hansel (AfD)]

Anders als Sie haben wir größeres Vertrauen in die Ermittlungsbehörden, aber danke für diese hilfreiche Klarstellung! Jeder Polizist, jeder Richter und jeder Staatsanwalt weiß jetzt, wie gering die AfD deren Arbeit schätzt.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Insoweit: Vielen Dank und viel Spaß! Lernen Sie mal, wie das mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit so ist. Das wird Ihnen guttun. Sie haben ja ein, zwei Juristen in der Fraktion.

[Karsten Woldeit (AfD): Das gerade von Ihnen]

Für die FDP-Fraktion Herr Kollege Krestel, bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Öffentlichkeitsfahndung ist ein wichtiges Mittel zur Einbeziehung weiter Teile der Bevölkerung zur Ermittlung einer Täterpersönlichkeit. Nicht erst der Fall des sogenannten Berliner U-Bahntreters hat gezeigt, dass man mit diesem Instrument – nachdem man übrigens viele Wochen mit der Stange im Nebel gefischt hat – schnell und nachhaltig Ermittlungserfolge erzielen kann. Im Übrigen jedoch sind

(Sven Rissmann)

wir als Freie Demokraten Gegner sinnloser Bilder- und Datensammeleien. Wenn aber Bilder bzw. Filmsequenzen und damit Ermittlungsansätze vorliegen, dann müssen diese auch konsequent und zeitnah genutzt werden.

Genau da steckt aber auch der Teufel im Detail. Schnelle Ermittlungsansätze sind das eine, rechtssichere Arbeit ist das andere. Wenn genaue und den gesamten Handlungsablauf zeigende Aufnahmen vorliegen, wie das bei dem Berliner U-Bahntreter der Fall war, muss eben schnellstens öffentlich gefahndet werden. Es muss aber auch möglichst verhindert werden, dass – wie nicht in Berlin, aber anderswo schon geschehen – Unschuldige plötzlich von einem Mob die Straße hinuntergejagt werden, weil sie einer Person auf einem veröffentlichten Bild zu sehr ähneln, ohne die Person zu sein. Hier ist die verantwortliche Einzelfallentscheidung gefragt.

[Beifall von Dr. Wolfgang Albers (LINKE)]

Damit meine ich aber nicht Strafverfolger oder Richter, die sich einen schlanken Fuß machen und sagen: Wir lassen das einfach mal ein paar Wochen liegen, damit wir auf der sicheren Seite sind. – Es geht hier um die Minimierung von Risiken, falsche Entscheidungen zu fällen. Minimieren heißt aber nicht, sie auszuschließen; es muss dabei jedoch sorgfältig und rechtsstaatlich gehandelt werden.

Die strafrechtliche Verfolgung ist an dieser Stelle sicherlich noch optimierungsfähig. Wir sind in einer ergebnisoffenen Debatte im Ausschuss dafür bereit. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP]

Danke schön, Herr Kollege! – Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen jetzt der Kollege Lux!

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Öffentlichkeitsfahndung ist in der Tat ein wichtiges Instrument in der Strafprozessordnung. Ich finde, es wird sehr ausgewogen und gut eingesetzt von den Strafermittlern. Ich finde aber auch, dass der Antrag der AfDFraktion, lieber Kollege Schlüsselburg, bei einer intensiven Lektüre nicht den Untergang des Rechtsstaats bedeutet. Darin ist lediglich enthalten, dass regelhaft und zeitnah eine Öffentlichkeitsfahndung einzuleiten ist. Das schießt wohl an den meisten Stellen über das Ziel hinaus. Ich selber wünsche mir auch schnelle Ermittlungen, die aber sicher sind, und die aber am Ende der Polizei nicht mehr Arbeit machen, vor allem in den Fällen, in denen man sich nicht sicher ist, ob es der richtige Tatverdächtige auf den Bildern ist. – Soweit, wenn man den Antrag der AfD liest, der in sich schlüssig ist.

Ich finde aber die Art und Weise, wie er hier vorgetragen worden ist – darauf ist zu Recht von meinen Vorrednern eingegangen worden – unverschämt. Sie haben hier gesagt, Sie stellten infrage, weshalb die Öffentlichkeitsfahndung im Fall des U-Bahn-Treters erst nach sechs Wochen eingeleitet worden sei, just in dem Moment als der Presse die Bilder zugespielt worden seien. Sie haben damit nahegelegt, dass die Polizei in diesem Fall nicht richtig ermittelt hat und haben damit indirekt den Vorwurf der Strafvereitelung im Amt erhoben. Ich bitte Sie, dies gegenüber den mit den Ermittlungen betrauten Personen klarzustellen, dass Sie bestimmten Personen eine Straftat vorgeworfen haben, Herr Kollege!

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN – Beifall von Frank Zimmermann (SPD) – Zuruf von Ronald Gläser (AfD)]

Haben Sie hier den Ermittlungspersonen der Berliner Polizei eine Strafhandlung vorgeworfen oder nicht? Haben Sie das oder nicht?

[Dr. Gottfried Curio (AfD): Ich habe Fragen gestellt!]

Antworten Sie auf die Frage!