Protokoll der Sitzung vom 04.04.2019

indem Sie ihnen indirekt attestiert haben, sie würden hier letzten Endes unter Traumata oder sonst was leiden.

[Heiko Melzer (CDU): Das stimmt nicht!]

Nehmen Sie bitte zur Kenntnis: Seit vielen Jahren, Jahrzehnten gibt es Menschen in dieser Stadt, und zwar Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte, die sich für dieses Thema engagieren, die viel daran gesetzt haben, die defizitäre öffentliche Debatte weiter zu bringen, die ganz viele Vorschläge gemacht haben, im Kleinen wie im

(Dr. Robbin Juhnke)

Großen. Ich finde, es ist Zeit, danke zu sagen dafür, dass es diese Menschen gab und gibt und dass wir es als Politik endlich verstanden haben, ihre Forderungen aufzugreifen und endlich zu einer adäquaten Aufarbeitung und Erinnerung der deutschen Kolonialvergangenheit zu kommen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Herr Dr. Juhnke, Sie haben das Wort – bitte!

Vielen Dank, Herr Wesener, dafür, dass Sie eigentlich in hervorragender Weise Ihren Antrag eben vollständig negiert haben, denn Sie haben ja dargelegt, dass offensichtlich die Fragen, die dort in dem Antrag gestellt werden und die sich der Gesellschaft stellen, hier überhaupt nicht an den richtigen Adressaten gerichtet sind. Berlin ist dafür nicht zuständig, schlicht und ergreifend.

[Regina Kittler (LINKE): Ach! – Weiter Zurufe von der LINKEN und den GRÜNEN]

Wenn Sie davon sprechen, dass es eine Dekolonialisierungs- oder eine Debatte über postkoloniale Fragen gibt, die von der Bundesregierung angestrebt wird oder von den sie tragenden Parteien, dann ist es auch dort an der richtigen Stelle. Die Bundesregierung und die Bundesrepublik Deutschland sind der Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs. Das ist das Gebilde, das koloniale Aktivitäten entfaltet hat, zum einen.

[Zuruf von Sabine Bangert (GRÜNE)]

Zum Zweiten: die Frage der Kultusministerkonferenz. Auch hier ist die Zuständigkeit korrekt adressiert, denn die Länder sind diejenigen, die im Regelfall die Träger der Museen sind,

[Sabine Bangert (GRÜNE): Genau das ist es!]

in denen sich solche Objekte befinden, die in die Frage der Restitution kommen.

[Sebastian Walter (GRÜNE): Das Land Berlin ist kein Land, oder was?]

Von daher ist es dort auch an der richtigen Stelle. Deswegen ist auch Restitution ein völlig wichtiges Thema. Sie verbrämen das aber mit einem riesengroßen Wohlfühlantrag, indem Sie sich – ich wiederhole mich – moralisch überhöhen wollen. Das ist das, was Sie damit vorhaben.

[Regina Kittler (LINKE): Wenn Sie sich bei dem Thema wohlfühlen, dann ist das interessant!]

Das ist die Symbolpolitik, die ich Ihnen in diesem Hause vorwerfen kann, weil Sie dafür gar nicht zuständig sind.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Stefan Förster (FDP)]

Mir Rassismus oder irgendwelche Ausgrenzungen – erst einmal sollten Sie sich die Rede durchlesen, wenn Sie denn im Protokoll steht –, mir so etwas vorzuwerfen, ist vollkommen unredlich. Ich habe nur davor gewarnt, die Einstellung einiger Aktivisten automatisch für stilbildend für sämtliche Menschen mit dunkler Hautfarbe in dieser Stadt zu verwechseln, denn da, glaube ich, säße man einem falschen Pferd auf. Da kann ich Sie nur warnen, damit Sie dort keine Fehler machen und sich von den Leuten, die sich von denen nicht vertreten fühlen, den Ärger zuziehen

[Sebastian Walter (GRÜNE): Da müssen Sie sich keine Sorgen machen!]

für Ihre alberne Politik, jede kleine Äußerung gleich zu einem Thema zu erhöhen und das für bare Münze zu nehmen. Da seien Sie mal ganz vorsichtig! Solche Unterstellungen mir gegenüber verbitte ich mir höflich.

[Beifall bei der CDU – Beifall von Stefan Förster (FDP) und Holger Krestel (FDP) – Sebastian Walter (GRÜNE): Welche Unterstellung denn?]

Für die Fraktion der SPD erhält jetzt das Wort der Herr Abgeordnete Jahnke – bitte schön!

[Frank-Christian Hansel (AfD): Sie sind ja sehr gefordert heute, Herr Jahnke! Sehr interessant!]

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass Deutschland einmal Kolonien in Afrika und auch in Asien und Ozeanien besaß, ist aus dem nationalen Gedächtnis weitgehend verdrängt. In den ehemaligen Kolonien hingegen ist Deutschlands koloniale Vergangenheit noch spürbar. Sie hat sich in die Geschichte der kolonialisierten Länder und in die Biografien der Menschen eingeschrieben. Wie sehr dies auch heute noch der Fall ist, zeigt das unrühmliche Beispiel des Völkermordes an den Herero und Nama, die es gewagt hatten, gegen die Kolonialherren zu rebellieren und dafür vollständig vernichtet werden sollten. Von den 1904 auf 80 000 geschätzten Herero lebten 1911 nur noch 20 000. Von den Nama hat die deutsche Kriegführung ca. 10 000 Menschen das Leben gekostet.

Seit 2015 verhandeln die Regierungen Deutschlands und Namibias über die Anerkennung dieses Verbrechens. Dennoch reichten die Herero und Nama 2017 bei einem New Yorker Gericht Klage gegen die Bundesrepublik ein. Sie klagten, weil nicht sie selbst als Gesprächs- und Verhandlungspartner wahrgenommen wurden, sondern die Verhandlungen nur auf Regierungsebene stattfinden. Sie wollen nicht, dass die Regierung für sie spricht, sie

(Daniel Wesener)

wollen für sich selbst sprechen. Dies zeigt, wie präsent und lebendig die Erinnerung an dieses Verbrechen für die Nachfahren heute noch ist.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Für sich selbst sprechen können und wollen – wie die Herero und Nama – die meisten Menschen. Eine Erinnerungskultur an die koloniale Vergangenheit in Deutschland wäre also nicht vollständig ohne die Stimmen und Beiträge der ehemals Kolonialisierten. Doch gibt es diese Erinnerungskultur in Deutschland noch nicht. Auch 100 Jahre nach dem Ende des Kolonialismus findet sich hierzulande kaum eine Spur des Erinnerns. Es fehlt sowohl eine umfassende wissenschaftliche als auch die kulturelle Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit, die nötig wäre, damit sie einen angemessenen Platz im kollektiven Gedächtnis Deutschlands erhält. Dabei darf nicht vergessen werden, dass es sich nicht allein um deutsche Geschichte handelt, sondern vielmehr um eine mit den ehemaligen Kolonien geteilte, mit anderen Worten: Eine angemessene Erinnerungskultur zur deutschen Kolonialzeit, die zur Versöhnung beiträgt, sollte auch gemeinsam mit den damals kolonialisierten Kulturen entstehen. – So viel, Herr Juhnke, übrigens zu Ihrem unsinnigen Vorwurf, wir würden alle dunkelhäutigen Menschen in einen Topf werfen.

Berlin steht bei der angemessenen und gemeinsamen Erinnerung des deutschen und europäischen Kolonialismus besonders in der Pflicht. Die Kongokonferenz von 1884/85, zu der Reichskanzler Bismarck eingeladen hatte, um mit Vertretern zahlreicher europäischer Länder über die fast vollständige Aufteilung Afrikas zu verhandeln, wurde hier schon erwähnt. Die Rolle Berlins als Hauptstadt des Kaiserreichs und Planungszentrums des deutschen Kolonialismus ist deshalb in einem gesamtstädtischen Aufarbeitungs- und Erinnerungskonzept besonders zu berücksichtigen. Dabei soll die koloniale Dimension des öffentlichen Raums stadtweit erfasst, erforscht und vermittelt werden – so viel Herr Juhnke zu Ihrem anderen unsinnigen Vorwurf, wir würden aus der Nicht-Zuständigkeit heraus handeln, sondern das sind Fragen, die die Stadt Berlin direkt betreffen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Die angemessene Erinnerung muss diskriminierungsfrei sein. Kolonialverbrechen müssen beim Namen genannt werden, Verantwortung übernommen, historische Schuld übernommen sowie die Opfer und der lokale antikoloniale Widerstand gewürdigt werden. Die Erinnerung soll im Stadtraum Berlins sichtbar und erfahrbar sein, Namen von Straßen und Plätzen, die sich auf die koloniale Vergangenheit beziehen, sollen auf Zusatzschildern kritisch kontextualisiert werden, Herabwürdigungen von Bevölkerungsgruppen, etwa durch Heroisierung von Personen, Orten oder militärischen Ereignissen sollen beendet werden und Straßenumbenennungen vor Ort diskutiert wer

den, zum Beispiel auf Infostelen. Politische Bildung durch eine angemessene Aufarbeitung und Vermittlung von Geschichte ist für eine Demokratie unverzichtbar. Die koloniale Vergangenheit Deutschlands gehört deshalb sowohl in den Schulunterricht wie auch in die außerschulische Bildung. Projekte von zivilgesellschaftlichen Bildungsträgern zum globalen Lernen aus der Kolonialgeschichte sollen besonders gefördert werden, und dies – zum dritten unsinnigen Vorwurf von Herrn Juhnke – ist keine Symbolpolitik.

Kolonialismus war für die Kolonialisierten durchaus gleichbedeutend mit Massakern wie Trutz von Trotha in seinem Werk „Koloniale Herrschaft“ feststellt:

Das Massaker ist nicht pathologisch, das Massaker ist der Normalfall der Eroberung.

Real wie bei den Herero und Nama, oder als Drohung. Es ist damit ein Teil der gemeinsamen Geschichte, die noch umfassend aufzuarbeiten ist. Und hierzu soll unser Antrag ein erster Schritt sein. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Für die Fraktion der AfD hat jetzt das Wort der Abgeordnete Trefzer. – Bitte!

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Antrag der Koalitionsfraktionen zum kolonialen Erbe lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Verantwortungsan- maßung. Die Koalition will die Rolle Berlins in der Kolonialzeit aufarbeiten. Sie will die historische Schuld Berlins an Kolonialverbrechen anerkennen. Sie will Verantwortung für Berlin übernehmen. Dabei verkennen Sie eines, liebe Kollegen der Koalition: Es war nicht die Stadt Berlin, es war das Deutsche Kaiserreich und allenfalls noch das Land Preußen, die die deutsche Kolonialpolitik initiierten und verantworteten. Die Akteure handelten nicht als Vertreter Berlins, sondern als Vertreter des Gesamtstaates. Herr Juhnke hat dankenswerterweise bereits darauf hingewiesen.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Wenn Sie trotzdem die deutsche Kolonialgeschichte und auch die Berliner Afrikakonferenz von 1884/85 wie in einem Brennglas auf die Stadt Berlin fokussieren, verwechseln Sie nicht nur die Verantwortungsebenen, Sie betreiben gezielt historische Falschmünzerei. Sie konstruieren einen Zusammenhang zwischen der Kolonialgeschichte Deutschlands und der Stadt Berlin, den es so nicht gab. Warum tun Sie das? – Die Absicht dahinter ist

(Frank Jahnke)

nicht schwer zu erkennen, wenn man Ihre übrige Politik in Rechnung stellt. Ihnen geht es in Wahrheit gar nicht um die Geschichte der Staaten und Menschen auf dem Gebiet der ehemaligen deutschen Kolonien, Ihnen geht es darum, ein bestimmtes Narrativ nach innen durchzusetzen.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos)]

Ihnen ist nämlich das revolutionäre Subjekt in Deutschland abhandengekommen, deshalb projizieren Sie Ihr dichotomisches Weltbild von Gut und Böse, von Unterdrückung und Auflehnung einfach nach Afrika und in die Dritte Welt. Dort vermuten Sie heute die Geschundenen und Beladenen, von denen das neue Heil zu erwarten ist. Damit reduzieren Sie die durchaus komplexe Geschichte der Beziehungen der europäischen Staaten zu ihren ehemaligen Kolonien auf eine Geschichte von Gut und Böse.

Aber diese monokausale Zurichtung wird den historischen Gegebenheiten, den Wechselwirkungen und Querverbindungen der Geschichte, der vielfachen Verwobenheit von Schuld und Unterdrückung mit Aufbruch und Fortschritt nicht gerecht. Und vor allem, und das ist unser entscheidender Vorwurf, Sie arbeiten mit den gleichen eurozentrischen Stereotypen und Ressentiments, die Sie Ihrerseits der Kolonialpolitik attestieren. So werden Berliner mit afrikanischer Herkunft in eine Opferrolle gedrängt, mit der die meisten bis auf eine kleine Minderheit, die von Ihnen geschickt instrumentalisiert wird, überhaupt nichts anfangen können. Wieder und wieder beschwören Sie in Ihrem Antrag die schwarzen Communitys, die migrantisch-diasporischen Gruppen mit dekolonialer Ausrichtung, wie Sie sagen, von denen jetzt die historische Wahrheit und die vermeintliche Entsühnung ausgehen sollen. Damit inszenieren Sie die gleiche Exotisierung und Viktimisierung schwarzer Menschen, die Sie in Ihrem Antrag dem Kolonialismus vorwerfen.

[Beifall bei der AfD und Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos), Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Statt ein differenziertes Geschichtsbild zu entwickeln, schwelgen Sie in Stereotypen. In Wahrheit machen Sie damit das Geschäft der afrikanischen Diktatoren und scheindemokratischen Kleptokraten, wenn Sie die Kolonialgeschichte zum Ausgangspunkt der deutschen und europäischen Beziehungen zu Afrika machen.

Wenn Sie Afrika ernst nehmen wollen, dann hören Sie endlich auf mit diesem Nanny-Verhalten gegenüber den Afrikanern! Die Menschen in Afrika haben die Nase voll von der falschen Ausrede, der Kolonialismus sei an allem schuld. Leider trägt auch dieser Antrag dazu bei, dass afrikanische Regierungen immer noch den Kolonialismus als Entschuldigung für ihr eigenes Versagen anführen können.