Es ist beschämend, dass die Bundesregierung bis heute keine moralisch wie juristisch eindeutige Haltung gegenüber dem ersten Völkermord des 20. Jahrhunderts, begangen durch Deutsche und im deutschen Namen, an den Herero und Nama im heutigen Namibia gefunden hat. Es ist inakzeptabel, wenn dieser Teil unserer Geschichte genauso wie der blutige Maji-Maji-Aufstand bis heute keinen wirklichen Eingang in Schulunterricht und Allgemeinbildung gefunden haben, während zur gleichen Zeit die Kolonialverbrecher von damals als Namenspaten von Straßen und Plätzen in unserem Land geehrt werden. Und es ist skandalös, dass sich zwischen 80 und 90 Prozent des kulturellen Erbes der afrikanischen Völker in den Sammlungen europäischer Museen und zu einem bedeutenden Teil auch in Berlin befinden, gemeinsam mit Tausenden von Schädeln und Gebeinen derer Vorfahren, wir aber in den meisten Fällen noch nicht einmal Auskunft geben können oder wollen, was wir da so alles in unseren Depots horten. Es gibt aber auch gute Nachrichten. Es ist Bewegung in die öffentliche und politische Debatte über die notwendige Aufarbeitung und eine adäquate Erinnerung der deutschen Kolonialvergangenheit gekommen. Das zeigt ausgerechnet die anhaltende Diskussion über das Humboldt-Forum. Wenn dieses latent hybride Prestigeprojekt einer neuen globalgeschichtlichen Meistererzählung hinter der Fassade des rekonstruierten Hohenzollernschlosses überhaupt einen Sinn hat, dann den, Stein des Anstoßes für die längst überfällige Auseinandersetzung mit der eigenen kolonialen Vergangenheit zu sein.
Ein weiteres Beispiel ist der vom französischen Präsidenten Macron beauftragte Bericht von Bénédicte Savoy und Felwine Sarr zur Rückgabe kolonialer Beutekunst an ihre Herkunftsgesellschaften. Aber auch die ersten Eckpunkte für den deutschen Umgang mit Restitutionen, die vor drei Wochen von der ersten Kulturministerinnenkonferenz der
Länder gemeinsam mit den beiden zuständigen Staatsministerinnen beschlossen wurden, würde ich beispielhaft für den Fortschritt in der politisch-öffentlichen Debatte nennen.
Herr Wesener! Ich möchte Sie bei der Gelegenheit fragen: Warum stellen Sie das denn so einseitig dar und erwähnen z. B. nicht das Buch über den Hunderte von Jahren anhaltenden arabischen Sklavenhandel in Afrika? Das Buch heißt „Le génocide voilé“ von Tidiane N'Diaye, und das können Sie leicht finden. Warum erwähnen die Grünen so etwas immer nicht?
Sondern einseitig, quasi antieuropäisch gegenüber englischen, französischen und deutschen historischen Staaten immer Schuld draufladen! Das passt irgendwie nicht.
Also die Frage habe ich auch nicht vernommen. Wenn sie denn lautet, ob ich dieses Buch kenne: Nein, ich kenne es nicht. – Ich glaube allerdings, Herr Buchholz, dass Sie in die Kategorie fallen, die ich vorhin erwähnt habe, nämlich in die Kategorie derjenigen, die posthum dem Kolonialismus eine zivilisatorische Wirkung zuschreiben und ernsthaft der Meinung sind, dass diese Verbrechen ein progressiver Beitrag der Kolonialmächte zur Entwicklung von anderen Ländern und Kontinenten sind. Darauf deutet Ihre Frage zumindest hin.
Und wenn Sie über den Sklavenhandel sprechen, gibt es ein interessantes Indiz: Der Sklavenhandel, der eine lange Geschichte hat, wurde beispielsweise auch hier im alten Kurfürstentum Brandenburg vom damaligen Großen Kurfürsten getätigt. Was ich damit sagen will: Es gibt sicherlich immer die Herkunftsländer und -kontinente für den Sklavenhandel inklusive der Involviertheit der entsprechenden Menschen vor Ort. Es gibt aber vor allem auch diejenigen, die diese Sklaven verschifft haben, die sie transportiert haben in andere Länder und andere
Wir, die rot-rot-grüne Koalition, wollen bei dieser Debatte in Berlin vorangehen. Für das Wie haben wir mit diesem Antrag einen Vorschlag unterbreitet. Wir wollen ein ressortübergreifendes Aufarbeitungs- und Erinnerungskonzept für die ganze Stadt, wobei die Betonung nicht umsonst auf „ressortübergreifend“ liegt, denn für eine echte Dekolonisierung braucht es mehr als ein wenig Provenienzforschung und die Rückgabe von ein paar Exponaten. Eine echte Aufarbeitung umfasst alle relevanten Bereiche von der Kultur-, Bildungs- und Wissenschaftspolitik bis zu einem neuen Umgang mit dem öffentlichen Raum einschließlich der Schaffung einer zentralen Gedenkstätte für die Opfer des deutschen Kolonialismus als Lern- und Erinnerungsort. Und genau diese Erwartung, nämlich gemeinsam ein Konzept zu entwickeln, haben wir gegenüber dem Senat.
Elementar ist für uns dabei der Dialog mit der organisierten Zivilgesellschaft und den Nachkommen der ehemals Kolonisierten. Wir dürfen gerade in der postkolonialen Debatte nie wieder den Fehler begehen, nur unter uns und über die anderen zu reden, denn am Ende ist und bleibt es unsere gemeinsam geteilte Geschichte, und es ist unsere gemeinsame Gegenwart und Zukunft – nicht zuletzt mit Blick auf die Folge- und Langzeitwirkung des kolonialen Zeitalters, die uns leider noch heute in Gestalt von Stereotypen, Diskriminierung und Rassismus begegnen. Es gibt viel zu tun, wenn wir das in den letzten 100 Jahren Versäumte auf- und die überfällige Debatte nachholen wollen. Ein postkoloniales Berlin ist möglich. Lassen Sie uns jetzt unseren Beitrag zu dieser Arbeit leisten! Ich freue mich deshalb über die heutige Debatte und auf die weiteren Beratungen über unseren Antrag. – Vielen Dank!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der vorliegende Antrag und die Rede von meinem Vorredner haben es exemplarisch gezeigt: Wir werden heute ein Beispiel erleben für die Paradedisziplin, die einzig verbliebene Paradedisziplin der Koalition, nämlich Symbolpolitik.
Wenn man zu richtiger Politik nicht mehr fähig ist, dann greift man danach. Wenn ein Urlaubstag her soll, weil das Volk Brot und Spiele braucht, dann wird der Frauentag eingeführt. Wenn man zum Wohnungsbau nicht fähig ist, dann wird über Enteignungsfantasien gesprochen, und es werden jahrelange Prozesse angestrengt, damit man sich dort auch richtig in Szene setzen kann. Und nun wird hier offenbar das Thema der sogenannten Dekolonisierung vorgebracht, und es werden angebliche gesamtstädtische Defizite in der Würdigung des Themas behauptet. Es wird ein Sammelsurium an Initiativen vorgelegt, ein bisschen Antidiskriminierung, ein bisschen Kultur-, ein bisschen Klientelpolitik, ein bisschen Außenpolitik und ganz viel moralische Wohlfühlinszenierung.
Nein, gestatte ich nicht. – Es kann einem ohnehin mulmig werden, wenn von denjenigen, die angetreten sind, die DDR-Unrechtsgeschichte neu zu schreiben, historische Aufarbeitung beauftragt wird.
Das halte ich schon für schwierig, aber ohnehin verhebt sich hier die Koalition, denn die Außenpolitik ist nicht Aufgabe des Hauses und auch nicht des Senats, und die Gesamtwürdigung der kolonialen Vergangenheit des Deutschen Reiches steht auch nicht in der Zuständigkeit des Landes Berlin.
Nein, danke! – Man maßt sich aber in dieser Koalition offenbar ohnehin eine historische Rolle an, die weit über Berlin hinausstrahlen soll, was allerdings außerhalb des Berliner S-Bahn-Rings niemand mehr ernst nimmt.
Aber das nur am Rande. Man möchte sich mit diesem Antrag offensichtlich auch bei einigen Aktivisten in der Szene andienen. Dabei ist es dann auch eingepreist, dass man diese Aktivisten mit allen Menschen mit dunkler Hautfarbe gleichsetzt. Ich würde mich jedenfalls dagegen wehren, wenn ich als dunkelhäutiger Berliner von RotRot-Grün auf eine Person mit postkolonialem Trauma reduziert werden würde.
Die Lebenswelt von dunkelhäutigen Menschen ist in Berlin bestimmt vielschichtiger, pragmatischer und zukunftsgewandter, als es die rot-grüne Scheinwelt suggeriert. Aber ohnehin ist ja die eigene Weltsicht für die Menscheningenieure von links der Nabel der Unfehlbarkeit.
Zur Vollständigkeit gehört allerdings auch, dass es im Antrag einige richtige Punkte gibt, und ich nenne ausdrücklich die Provenienzforschung und die Städtepartnerschaften. Die sind aber wahrlich keine Neuigkeiten. Provenienzforschung beschäftigt die Stadt spätestens seit der voreiligen Rückgabe des Ernst-Ludwig-Kirchner-Bildes „Berliner Straßenszene“. Das war im Jahr 2006, also vor mehr als zehn Jahren, und die Provenienzforschung ist wichtig, aber genauso auch das Bewerten der Fakten. Auf meine Frage im Kulturausschuss, wie viele Rückgabeforderungen aktuell bei Museen in Berliner Verantwortung vorliegen in Bezug auf Kunstgegenstände, die in irgendeiner Weise im kolonialen Kontext erworben wurden, war die Antwort des Senators: Es gibt keine. – So viel auch zur Einordnung der aktuellen Dringlichkeit!
Hier sei mir auch ein kleiner Verweis auf die von der Kultusministerkonferenz verabschiedete Gemeinsame
Kulturgüter aus kolonialen Kontexten zu identifizieren, deren Aneignung in rechtlich und/oder ethisch heute nicht mehr vertretbarer Weise erfolgte, und deren Rückführung zu ermöglichen, entspricht einer ethisch-moralischen Verpflichtung und ist eine wichtige politische Aufgabe unserer Zeit.
Ja, so weit, so gut und auch völlig ausreichend erklärt! Warum dann einige Bundesländer, die zurzeit an einer linken Landesregierung leiden, eine Protokollerklärung verfassen mussten, wird deren Geheimnis bleiben, es sei denn, man möchte dieses eben dargelegte Prinzip aushöhlen und eine Art vorauseilende Beweislastumkehr einführen. Dazu kann ich nur sagen: Restitution ist ein sensibler Vorgang, denn es sind ja nicht nur juristische, sondern auch ethische und moralische Kriterien zu prüfen und zur Anwendung zu bringen. Aber – und das ist entscheidend und wichtig – es gilt auch, den Anspruch zu prüfen. Deshalb ist jeder Fall individuell zu betrachten und eine Würdigung der gesamten Umstände vorzunehmen.
Die Gemeinsame Erklärung der Kultusministerkonferenz ist dafür eine gute und ausreichende Grundlage. Aber auch hier will sich Rot-Rot-Grün durch diese Protokollerklärung moralisch besser präsentieren und selbst erhöhen, und ich denke, das wird wohl auch das Ergebnis des vorliegenden Antrages sein. Vor den Erkenntnissen, die im Auftrage des Senats das Licht der Welt erblicken werden, darf uns heute schon berechtigt grausen. – Vielen Dank!
Es gibt eine Zwischenbemerkung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Herr Wesener, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Herr Juhnke! Ich habe mich aus zwei Gründen gemeldet. Da wäre zum Ersten der Vorwurf der Symbol- und Klientelpolitik. Nun wissen wir, dass Sie uns so etwas gern unterstellen, aber ich möchte Sie fragen, ob es in Ihren Augen eigentlich auch Symbol- und Klientelpolitik war, als Ihre Koalition auf Bundesebene erstmals das Thema Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit in einem bundesdeutschen Koalitionsvertrag verankert hat. – Ich finde das sehr gut und will sie dafür ausdrücklich loben.
Symbol- und Klientelpolitik: Herr Juhnke! Ist es Symbol- und Klientelpolitik, wenn die deutschen Kulturminister und Kulturministerinnen – und zwar allesamt, da sind auch einige aus Ihrer Partei dabei – gemeinsame Eckpunkte beschließen, worin sie dieses Thema, Restitution, ausgiebig behandeln? Und Herr Juhnke, ich weiß, Sie und Ihre Fraktion hadern ein wenig mit Ihrer Landesvorsitzenden, aber ist es wirklich Symbol- und Klientelpolitik, wenn Frau Grütters von Anfang an dieses Thema vorangetrieben hat? – Auch ich teile die Kritik, dass nicht alles so schnell vorankommt, wie es von ihr öffentlich gefordert oder vorgeschlagen wird. Gleichwohl, ich und viele andere nehmen ihr persönlich ab, dass sie ein wirkliches Interesse daran hat. Also deswegen: Bitte, wenn Symbol- und Klientelpolitik, dann ist es bestimmt keine grüne, Herr Juhnke, sondern zeigt, dass wir hier sehr viel weiter in der öffentlichen Debatte sind, als Sie das wahrhaben wollen.
Dann erlauben Sie mir noch ganz kurz etwas zu einem zweiten Punkt zu sagen, denn den finde ich unerträglich, und das ist die Art und Weise, wie Sie Menschen mit Migrationsgeschichte hier beschimpft haben,