Protokoll der Sitzung vom 04.04.2019

Diese Gurkentruppe, die 2014 eingezogen ist, hat sich dreimal aufgespalten, hatte fünf verschiedene Farbenlehren und macht nichts. Das ist doch kein Qualitätsbeweis. Es ist genau das Gegenteil, was Sie nach Europa geschickt haben.

[Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN, der CDU und den GRÜNEN – Zuruf von Hanno Bachmann (AfD) – Weitere Zurufe von der AfD]

Sie erzählen den Leuten ständig, die, die nach Europa gehen, tun nichts und stopfen sich die Taschen voll – ja, das ist Ihr Modell, Sie leben dieses Modell, aber schließen Sie nicht immer von sich auf andere, das will ich ganz klar hier sagen.

[Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN, den GRÜNEN und der CDU]

Und dann darf man an dieser Stelle auch gerne noch mal daran erinnern, dass Europa eben nicht schwarz oder weiß ist, nicht oben oder unten, sondern eben auch lange Schritte auf dem Weg vor sich und noch zu gehen hat, wie man eben das Europa der Bürger auch schafft, und dass es letzten Endes auch die Aufgabe der Wählerinnen und Wähler in Deutschland ist, dafür die Weichen zu stellen. Und jeder kann sich ja mit Programmen beschäftigen, kann auch sagen, was ihn oder sie stört, und kann die entsprechenden Schlussfolgerungen für die Wahl ziehen. Wir werben ja heute hier gerade gemeinsam für eine möglichst hohe Wahlbeteiligung, wir werben ja nicht dafür, dass man A oder B wählt, wir werben dafür, dass man überhaupt zur Wahl geht. Gerade das Europaparlament bietet ja nun wirklich die Chance, auch deshalb sehr basisdemokratisch mitbestimmen zu können, weil es keine Fünf-Prozent-Hürde gibt. Das mag an manchen Stellen schmerzhaft sein, etwa wenn man den NPDVorsitzenden Udo Voigt dort ertragen muss. Aber an anderer Stelle, es ist ja auch von der Kollegin Gebel schon gesagt worden, Julia Reda hat ja eine sehr qualifizierte und tolle Arbeit bei der Urheberrechtsnovelle geleistet. Da hat sich wiederum gelohnt, dass sie ohne Prozenthürde, ohne Sperrklausel da hineingekommen ist.

[Zuruf von Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

Also, des einen Freud, des anderen Leid; aber gerade die Möglichkeit, auch kleine Parteien hineinwählen zu können, zeigt ja, dass man in Europa auch entsprechend pluralistisch entscheiden kann, und es kann niemand mehr behaupten, er könne sich nicht durch eine Partei vertreten fühlen, es gibt genug zur Auswahl an der Stelle, um auch das ganz klar zu sagen.

[Beifall bei der FDP und den GRÜNEN]

Und in der Tat, ich will das gar nicht überhöhen und sagen, wird es eine Schicksalswahl oder nicht – aber wir müssen einfach auch mal zur Kenntnis nehmen, dass Europa am Scheideweg steht. Es wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten darum gehen, wie sich Europa weiterentwickeln will.

Wir haben heute Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik diskutiert; da wäre es dringend notwendig, dass Europa da mit einer Stimme spricht. Gerade angesichts der Gefahren auf der Welt können wir es uns nicht leisten, dass 27 Länder dann ihre eigenen außen- und sicherheitspolitischen Interessen vertreten, das geht nur gemeinsam

und nur gebündelt, und zwar sowohl im weltweiten Konzert als auch bei humanitären Einsätzen. Also, gerade da hat Europa noch viel vor sich, und wir müssen in den nächsten Jahren auch einfach zu vernünftigen Maßnahmen kommen, um zu vermitteln: Europa hat einen Mehrwert! Nicht nur im Alltag, sondern auch, zum Beispiel, in der Außen- und Sicherheitspolitik, in der Wirtschaftspolitik und in anderen Bereichen.

Dann sollte man an der Stelle auch nicht vergessen – und das Beispiel Brexit ist ja schon angeklungen, aber es gibt noch ganz viele weitere Beispiele –, dass man hinterher die Weichen nicht wieder umstellen kann. Und zu sagen, ich hatte an dem Tag keine Zeit, es war so schönes Wetter oder was auch immer, zieht nicht, weil ich ja Möglichkeiten von Briefwahl und Ähnlichem in Anspruch nehmen kann. Vor allem kann ich dann im Nachhinein nicht jammern, wäre ich doch mal hingegangen und hätte anders entschieden. All das greift im Nachhinein nicht mehr, deswegen muss man auch gerade der jungen Generation sagen: Die Europawahl ist keinesfalls unwichtiger als die Bundestagwahl oder Abgeordnetenhauswahl. Was die Zukunftsperspektiven und auch den Umfang dessen betrifft, was in Europa entschieden wird, ist sie eigentlich sogar noch wichtiger – und deswegen auch das flammende Plädoyer, zur Wahl zu gehen.

[Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Und schließlich, das sei an letzter Stelle auch noch erwähnt: das Europäische Parlament ist demokratisch legitimiert, und das unterscheidet es eben gerade von der Volkskammer – deswegen war dieser Vergleich von der AfD so absurd.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Die Volkskammer hat ja nun aber auch null und überhaupt nichts mit dem Europaparlament zu tun. Volkskammer ist das, was Sie auf Ihren Parteitagen veranstalten, das ist Ihr Politikverständnis; aber ich sage es noch einmal: Schließen Sie nicht ständig von sich auf andere. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Die AfD-Fraktion hat erneut eine Zwischenintervention angekündigt. – Herr Dr. Bronson, Sie haben das Wort!

[Steffen Zillich (LINKE): Jetzt aber zu den Spendern! – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Und zum Wahlprogramm!]

Herr Förster! Vielen Dank noch mal für Ihre Ausführungen. Ich möchte Sie doch ganz einfach ermutigen: Wenn

(Stefan Förster)

Sie tatsächlich für die Wahl zum EU-Parlament und nicht zum Europaparlament sprechen, bitte benutzen Sie doch eine korrekte Terminologie. Wenn Sie doch bitte schön für diese Wahl Werbung machen wollen, dann nutzen Sie doch bitte Ihre eigenen finanziellen Möglichkeiten. Die Naumann-Stiftung ist mehr als großzügig ausgestattet. Sie haben Zuwendungen von der Parteienfinanzierung, Sie haben Spenden, warum machen Sie das denn nicht?

[Bernd Schlömer (FDP): Gehen Sie doch in den Bundestag!]

Es geht hier doch darum, die Spenden, die Gelder des Steuerzahlers anzuzapfen, und dagegen verwahren wir uns.

[Beifall bei der AfD]

Sie müssen doch den Antrag auch einmal richtig lesen, etwas anderes diskutieren wir hier doch gar nicht.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Wo kommen die Gelder dann her?]

Setzen Sie sich dafür ein, dass die FDP eigene Mittel freimacht, damit Sie die Bürger dazu ermutigen können, nicht nur zur Wahl zu gehen, sondern auch das Kreuzchen an der richtigen Stelle zu machen. – Schönen Dank!

[Beifall bei der AfD – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Wo hatten Sie Ihre eigenen Mittel denn her? – Zuruf von Steffen Zillich (LINKE)]

Herr Förster – Sie haben das Wort, bitte schön!

[Zuruf von Gunnar Lindemann (AfD) – Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Sie kriegen keine Spenden, Herr Lindemann, das ist rausgeworfenes Geld!]

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Also, mich wundert es auch. Es gibt ja für die Wahlkampffinanzierung ganz klare Regeln, und die Parteien stellen ein eigenes Budget auf, und das ist überall nicht gleich hoch, aber gleich von der Systematik her – und deswegen verstehe ich Ihr Problem an der Stelle auch nicht. Wenn die AfD denn etwas gegen Europa hat, das EU-Parlament abschaffen will und kein Interesse daran hat, Europawahlkampf zu machen, dann stellen Sie ihn ein und bleiben zu Hause – uns fehlen Sie nicht. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU, der LINKEN und den GRÜNEN]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. – Zu dem Antrag wurde die sofortige Abstimmung beantragt. Wer dem Antrag auf Drucksache 18/1786 zustimmen möchte, den

bitte ich jetzt um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, die SPD, die CDU, die FDP. Wer stimmt gegen diesen Antrag? – Das ist die AfD-Fraktion und alle drei fraktionslosen Abgeordneten. Damit ist der Antrag angenommen.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.4:

Priorität der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen

Tagesordnungspunkt 42

Berlin übernimmt Verantwortung für seine koloniale Vergangenheit

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/1788

In der Beratung beginnt die Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen. – Herr Abgeordneter Wesener, Sie haben das Wort!

Vielen Dank Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Vor 135 Jahren begann im Reichskanzlerpalais in der Wilhelmstraße – also, wenn man so will, hier gleich um die Ecke – die sogenannte Berliner Konferenz, besser bekannt als Kongo-Konferenz. Formal ging es bei diesem diplomatischen Stelldichein der Kolonialmächte um die politische und wirtschaftliche Verfügungsgewalt über den Kongo. Faktisch markierte die Konferenz den Startschuss für eine sukzessive Aufteilung nahezu des gesamten afrikanischen Kontinents unter der Herrschaft der Europäer.

Berlin als deutsche Hauptstadt kam bei diesem Ereignis nicht nur die Rolle des Gastgebers zu. Das junge Kaiserreich inszenierte sich als ehrlicher Makler zwischen den Interessen der Kolonialmächte. In Wahrheit war Deutschland selber Teil des imperialistischen Wettlaufs um Afrika. Schon 30 Jahre später, 1914, wurde von Berlin aus das weltweit drittgrößte koloniale Herrschaftsgebiet verwaltet.

Umso rätselhafter erscheint es, dass Deutschlands koloniale Vergangenheit über viele Jahrzehnte hinweg so gut wie gar keine Rolle im kollektiven Gedächtnis, in der Erinnerungskultur bzw. im Bildungskanon hierzulande gespielt hat. Kritikerinnen sprechen nicht umsonst von einer kolonialen Amnesie der Deutschen. Die Gründe für diese Amnesie sind vielfältig, wobei einige Denkfiguren, denen man in diesem Zusammenhang begegnet, bereits Teil des Problems sind. Dazu zählt zum Beispiel die irrige Annahme, Deutschland sei als verspätete Nation gar keine richtige Kolonialmacht gewesen. Geradezu perfide ist ein Argumentationsmuster, das unfreiwillig die Wirkungsmacht des deutschen Kolonialismus bis in die Gegenwart dokumentiert, und zwar in der geschichts

(Dr. Hugh Bronson)

klitternden Version des guten deutschen Kolonialisten, der anderen Kontinenten Zivilisation und technologischen Fortschritt gebracht hat. Koloniale Eroberung und Unterwerfung als quasi-humanitärer Akt, garniert mit deutschen Pionierleistungen im Eisenbahnbau – dergleichen Unsinn entspringt demselben rassistisch-kolonialen Denken, das man ex post zu rechtfertigen versucht.

Dass ausgerechnet der Afrika-Beauftragte der deutschen Bundesregierung in das gleiche reaktionäre Horn bläst, ist an Peinlichkeit natürlich kaum zu überbieten.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Genau 100 Jahre nach dem formalen Ende der deutschen Kolonialherrschaft ist und bleibt unser Umgang mit diesem düsteren Kapitel unserer Geschichte in weiten Teilen beschämend, inakzeptabel und skandalös.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]