Protokoll der Sitzung vom 09.05.2019

Ich finde es höchstbedauerlich, dass wir uns bei dem Thema organisierte Kriminalität gerade unter einer Priorität mit einer solchen kleinen Petitesse befassen müssen. Natürlich ist es richtig und völlig unschädlich, Sie haben es ja auch sehr schön in der Begründung des Antrages ausgerechnet, dass es nichts kostet, ein solches System einzurichten, jedenfalls kaum etwas. Die andere Frage ist allerdings die, ob es überhaupt etwas bringt. Selbst mit Erkenntnissen, die wir an dieser Stelle sammeln könnten, müsste man ja zunächst mal im Rahmen von polizeilichen Ermittlungen etwas anfangen können. Man müsste vor allem in der Lage sein, wirtschaftliche Erkenntnisse zu bewerten.

Kollege Schrader! Sie haben gerade den Exkurs ins Jahr 2010 gemacht, den nehme ich gerne auf. Schauen wir uns mal die Zahl der Wirtschaftsreferenten bei der Staatsanwaltschaft Berlin an! Im Jahr 2010 hatten wir noch sage und schreibe 14,5 Wirtschaftsreferenten in Vollzeitstellen. 2016 waren es nur noch 8,99 in Verantwortung des Justizsenators Heilmann. Es kommt aber noch besser, im

(Niklas Schrader)

Jahr 2017 waren es dann noch 8,3. Wir haben also in der Tat auch jetzt bereits beim wachsenden Problem der organisierten Kriminalität, bei Ihrem angeblichen Kampf gegen eine solche viel zu wenig Personal, gerade auch im Bereich der Staatsanwaltschaft, aber auch der Polizeibehörden, um komplexere wirtschaftliche Sachverhalte überhaupt zu bewerten. Und insofern ist dieser Antrag letztlich völlig ins Leere laufend.

[Kurt Wansner (CDU): Oh!]

Das große Lob der präventiven Vermögensabschöpfung, das hier gerade wieder gehalten wurde, das bei dem Kollegen Woldeit sogar so weit ging, von einer Forderung einer generellen Beweislastumkehr zu sprechen, halte ich unter Aspekten der Rechtsstaatlichkeit für absolut fatal.

[Kurt Wansner (CDU): Herrn Luthe werden wir nicht mehr loben!]

Die Idee, im Kampf gegen organisierte Kriminalität hergebrachte Rechtsstaatgrundsätze mal eben über Bord zu werfen – auch das hat Kollege Schrader im Übrigen richtig angesprochen –, kann nicht der Weg sein. Wir selbst müssen stets und immer die rechtsstaatlichen Grundsätze wahren.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Niklas Schrader (LINKE)]

Dazu gehört zunächst einmal, dass wir mit soliden Lageerkenntnissen arbeiten. Ob Sie aus einem anonymen Hinweisgebersystem tatsächlich solide Lageerkenntnisse ableiten können, wage ich sehr zu bezweifeln. Sie sammeln eine ganze Menge Informationen. Das ist im Übrigen auch das Problem, worüber wir beispielsweise im Amri-Untersuchungsausschuss hinreichend diskutiert

haben. Wir haben viele Informationen aus zu vielen Bereichen. Das Problem ist: Das Personal fehlt, um diese Informationen tatsächlich auszuwerten und qualifiziert zu ermitteln. Das fehlt nach wie vor, und zu diesem Personalbedarf steht in diesem Antrag beispielsweise nichts, dabei ist das eine wichtige Voraussetzung, die wir benötigen.

[Beifall bei der FDP]

Es macht also aus meiner Sicht überhaupt keinen Sinn, mit einem solchen Versuch einmal mehr den Heuhaufen, in dem wir die berühmte Nadel suchen, weiter zu vergrößern. Was wir vielmehr brauchen, sind gezielte Maßnahmen, mit denen wir die relevanten Informationen herausfiltern können, um im Kampf gegen organisierte Kriminalität tatsächlich Ermittlungserfolge zu haben. Der Ermittlungserfolg gegen eine führende Persönlichkeit der organisierten Kriminalität liegt nicht darin, dass er fünf Parktickets bekommt oder dass festgestellt wird, dass er eine unversteuerte Zigarettenschachtel bei sich hatte, sondern darin, dass wir die finanzielle Grundlage der organisierten Kriminalität in dieser Stadt beseitigen. Die liegt vor allem in dem von diesem Senat nach wie vor, entgegen Ihrer Beteuerung, offen tolerierten Drogenhandel an vielen Stellen in der Stadt.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Tim-Christopher Zeelen (CDU), Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

An dieser Stelle, Herr Senator Geisel, noch einmal: Sie werden meines Erachtens nichts, aber auch gar nichts erreichen, wenn Sie nicht die finanzielle Grundlage angreifen. Die liegt nicht darin, hinterher, dann, wenn der Schaden bereits entstanden ist, zu versuchen, kleinere Teile dessen, was gewaschen werden soll, abzuschöpfen. Vielmehr müssen wir die organisierte Kriminalität an der Wurzel greifen und dort entsprechend beenden. Das kann nur funktionieren, wenn wir tatsächlich in diesen Bereichen gezielt ermitteln. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos) – Tom Schreiber (SPD): Wo ist denn die Wurzel?]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort Herr Abgeordneter Lux. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vielen Dank, dass wir hier die Gelegenheit haben, über das wichtige Thema der organisierten Kriminalität und vor allem der Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu reden, denn, wie alle Vorredner schon gesagt haben, da sind wir uns in der Tat einig: Die organisierte Kriminalität ist schädlich für das Sicherheitsempfinden, für die Volkswirtschaft, für Recht und Gesetz in diesem Land. Natürlich machen sich die Leute zu Recht Gedanken, wie es ist, wenn die Erfolge gegen die organisierte Kriminalität ausbleiben, wenn der Staat so wirkt, als würde er nicht genug tun. Wie ist es dann mit den Alternativstrukturen? Können diese noch ausreichend bekämpft werden?

Aber, und das ist auch in den letzten Jahren klar geworden: Dieser Senat, die Berliner Polizei und die Berliner Staatsanwaltschaft leisten ganz schön ordentlich was gegen die organisierte Kriminalität. Es gibt deutlich mehr Kontrollen. Jede Woche werden Sie sehen, dass in Neukölln und anderen Bezirken Shisha-Bars, Gastronomie, Juweliere und andere, die der Geldwäsche verdächtig werden, stärker kontrolliert werden. Dieser Senat geht neue, mutige Wege. Er geht bei der Geldwäsche den Weg, mehr Vermögen abzuschöpfen. Immobilien, das haben alle mitbekommen, wurden im letzten Jahr bundesweit von einer organisierten kriminellen Struktur abgezogen.

[Zuruf von Antje Kapek (GRÜNE)]

(Marcel Luthe)

Wir gehen zudem den neuen Weg, Mieteinnahmen aus der organisierten Kriminalität abzuschöpfen. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein sehr guter Weg.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Luthe?

Herr Luthe, Sie haben das Wort!

Vielen Dank, Herr Kollege! Da auch Sie gerade der Vermögensabschöpfung noch einmal das Wort reden: Können Sie mir sagen, was für das Land Berlin passiert, wenn sich die Vorwürfe strafrechtlich nicht erhärten lassen? Ist es dann nicht so, dass wir nicht nur alles zurückzahlen müssen, sondern auch noch erheblichen Schadenersatz werden leisten müssen, weil wir die Ermittlungsergebnisse nicht abgewartet haben?

Nein! Das wird man sehen, Herr Kollege Luthe, und dazu rate ich auch. Wenn wir sagen, wir gehen neue Wege zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität – und wir sagen das –, dann begibt man sich immer in ein gewisses rechtliches Risiko. Das werden wir bei der Beschlagnahme von Immobilien sehen, das werden wir auch bei der Beschlagnahme von sonstigen Vermögensgegenständen sehen.

Sie haben aber doch vorhin selbst gesagt, man müsse an die Wurzel des Problems. Was ist denn die Wurzel?

[Zuruf von Marcel Luthe (FDP)]

Die Wurzel ist der Profit, den organisierte Strukturen zulasten der Gesellschaft, der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler, zulasten der rechtschaffenen Bürgerinnen und Bürger machen. Der Profit, das Geld. Was passiert mit dem Geld? – Organisierte Kriminalität zeichnet sich dadurch aus, dass sie extrem arbeitsteilig, extrem gut koordiniert rausgeht, dass irgendwelche kleinen Handlanger meinetwegen Drogengeschäfte oder Prostitutionsgeschäfte verrichten, das erwirtschaftete Geld aber im Hintergrund bei den Strippenziehern landet. Nun ist es nicht besonders schwer, in unserer freiheitlichen wirtschaftlichen Weltordnung die Gelder wie in einem Matroschkasystem zu verschieben usw. und am Ende bei

einem Nutznießer X zu haben, den man erst einmal ermitteln muss. Wir haben diese Nutznießer ermittelt. Wir haben die Immobilienbesitzer ermittelt. Wir haben die Hausverwalter ermittelt, die Leute ermittelt, die möglicherweise die Mieteinnahmen aus den kriminellen Geschäften bekommen. Deswegen machen wir es, wie es Kollege Schreiber schon zu Recht gesagt hat, wie in Rom, wie es dort seit Jahrzehnten gut läuft, wo gegen die Mafia vorgegangen wird, indem wir auch hier die Mieteinnahmen beschlagnahmen. Die rechtlichen Grundlagen dafür gibt es. Ob das im Einzelfall rechtmäßig war, werden die Gerichte entscheiden. Ich finde aber, dass das ein guter Schritt ist, denn Kriminalität darf sich nicht lohnen. Wir müssen die Profite von organisierter Kriminalität einziehen, ohne Wenn und Aber.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Wir stärken ja nicht nur die Vermögensabschöpfung, wir stärken auch die Informationsschnittstellen. Wir setzen alle an einen Tisch: die Finanzermittler, die Leute aus dem LABO, im Einzelfall auch die Leute aus der Ausländerbehörde, auch die Leute aus dem Jugendamt, auch die Leute von den Schulen, auch die Leute von der Staatsanwaltschaft, die als Strafermittlungsbehörde natürlich federführend sein muss, die Polizei, die Leute, die sich vor Ort auskennen, und gucken, wie wir organisierte kriminelle Strukturen besser durchleuchten können. Da hat dieser Senat Initiativen ergriffen, die es vorher nicht gab. Es ist auch dieser Senat, der die Ermittlungstechnik stärken wird.

[Zuruf von Heiko Melzer (CDU)]

Nun kommen wir zum Antrag der CDU-Fraktion. Für die großen Worte, die Herr Dregger gewählt hat, ist das doch ein relativ kleines Karo, denn, und da verrate ich Ihnen kein Geheimnis: Sie dürfen schon jetzt eine anonyme Anzeige bei der Staatsanwaltschaft und der Polizei stellen. Ich darf anonym, also ohne Angabe meines Klarnamens, der Staatsanwaltschaft meinetwegen einen Hinweis geben, dass bestimmte OK-suspekte Gruppen etwas planen oder dass Gelder von da nach da verschoben worden sind. Das darf ich heute schon tun, Herr Dregger. Es wäre für einen Innenpolitiker wie Sie doch sinnvoll, wenn Sie dafür werben würden, damit die Anzeigebereitschaft stark ist, damit Zeugen bereit sind, auch gegen Clans oder mächtige Leute der Unterwelt auszusagen.

[Zuruf von Cornelia Seibeld (CDU)]

Dafür braucht man nicht in erster Linie ein neues anonymes Hinweisgebersystem, sondern dazu braucht man den Mut und die Haltung des Staates, dass wir Zeugen konsequent schützen. Dazu brauchen wir Mittel wie zum Beispiel die audiovisuelle Zeugenvernehmung oder auch mehr Ermittlungsrichter, denn eins ist klar: Frisch nach einer Tat sagen Zeugen und Geschädigte mehr aus. – Ein anonymer Hinweis muss zudem erst einmal überprüft werden, Herr Kollege Dregger. Auch dafür brauchen wir bestimmte Mechanismen, um erst einmal zu gucken und

abklopfen: Ist das plausibel, oder ist das nur eine Behauptung?

[Zuruf von Burkard Dregger (CDU)]

Zu all diesen Fragen sagen Sie überhaupt nichts. Sie sagen: Wir haben ein anonymes Hinweisgebersystem wie bei der Korruptionsbekämpfung –, und dabei verkennen Sie, dass es bei der Korruptionsbekämpfung keinen Geschädigten im eigentlichen Sinn gibt – bei der OK gibt es den –, die Systeme also gar nicht unbedingt vergleichbar sind. Stattdessen schimpfen Sie irgendwie auf den Senat, von wegen Polizeigesetz, was mit der organisierten Kriminalität überhaupt nichts zu tun hat.

Sie haben uns ein ganz kleines Karo präsentiert, aber wir werden auch über dieses offen reden. So ein Hinweisgebersystem schadet nicht unbedingt, es kann aber sein, dass es die klare Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft verwässern wird. Wir werden gucken, ob es diesen Bedarf tatsächlich gibt und das sorgfältig prüfen. Insofern bedanke ich mich bei Ihnen für Ihren Antrag und die angeregte Debatte. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Antrags federführend an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung und mitberatend an den Ausschuss für Kommunikationstechnologie und Datenschutz sowie an den Ausschuss für Verfassungs- und Rechtsangelegenheiten, Geschäftsordnung, Verbraucherschutz, Antidiskriminierung empfohlen. – Widerspruch höre ich nicht. Dann verfahren wir so.

Ich rufe auf

lfd. Nr. 3.2:

Priorität der Fraktion Die Linke

Tagesordnungspunkt 34

a) Kindertagespflege fördern und ausbauen: Mehr

Plätze schaffen und Rahmenbedingungen verbessern

Antrag der Fraktion der SPD, der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen Drucksache 18/1816