Protokoll der Sitzung vom 23.05.2019

In der Beratung beginnt die AfD-Fraktion und hier der Abgeordnete Dr. Neuendorf. – Bitte sehr!

[Unruhe]

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Grundlage unseres Antrags ist die Sorge um die Servicequalität an Bibliotheken durch die Übertragung des Medienerwerbs an privatwirtschaftliche Unternehmen. Stellen Sie sich vor, Sie interessieren sich für ein neues Buch. Ob Sie sich zu einem Kauf entschließen oder die günstigen Möglichkeiten einer Bibliothek nutzen, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab.

Herr Abgeordneter! Darf ich Sie einen Moment unterbrechen. – Vielleicht können diejenigen, die meinen, sich unterhalten zu müssen, nach draußen gehen oder wenigstens so leise sein, dass es den Redner nicht stört.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Und die Zuhörer!]

Vielen Dank!

Danke! – Dabei ist eine wichtige Frage: Will ich das Buch besitzen oder nur einmal lesen? Das klingt zwar ziemlich simpel, erklärt aber schon die Unterschiede bei der Auswahl von Büchern. Geht es darum, etwas zu kaufen oder es nur zu teilen? Es ist ein Unterschied, ob ein Fachlektor der Bibliothek oder eine Großbuchhandlung die Bestellung mit dem eigentlich gleichen Ziel macht. Verkaufszahlen sind nur eingeschränkt ein Kriterium für einen sehr differenzierten Medienaufbau. Der Vorstand der Zentral- und Landesbibliothek hatte zunächst die EKZ Bibliotheksservice GmbH und dann im Jahr 2017 den Großbuchhändler Hugendubel damit beauftragt, den Großteil der Medien zu beschaffen. Dies war ein Baustein

auf dem Weg, Personal einzusparen oder auf andere Aufgaben zu fokussieren.

Über Jahrzehnte hatte sich die Zusammenarbeit der Berliner Bibliothekare mit Fachbuchhandlungen vor Ort bewährt. Bislang waren für die Auswahl der Medien hausinterne Fachlektoren zuständig. Im Unterschied zu den Angestellten einer Großbuchhandlung sind die Fachlektoren mit den speziellen Wünschen der Besucher vertraut. Wenn man den Bibliothekaren diese Brückenfunktion nimmt, dann verlieren sie mit der Zeit den Überblick über das Medienangebot und damit ihre Expertise.

[Beifall bei der AfD]

Ohne Frage müssen sich Bibliothekare den rasanten Veränderungen der Medienlandschaft stellen. Dabei sehen wir die Digitalisierung als ein wesentliches Element an, um Arbeitsprozesse effizienter zu gestalten. Die Vernetzung zwischen Standorten, die Sondierung des Medienangebots, die Digitalisierung von Kulturgütern usw. – all dies führt zu einem gewünschten Wandel des Berufsbildes.

Andererseits hält unsere Fraktion die Privatisierung des Medienerwerbs generell für falsch. Damit wird diese wichtige Kernkompetenz stark reduziert. Dies betrifft nicht nur die ZLB, sondern es geht um die Qualität aller öffentlichen Bibliotheken Berlins.

[Beifall bei der AfD]

Experten und Bürger haben in öffentlichen Briefen und Diskussionsforen wiederholt ihre Ablehnung einer Privatisierung der Medienbeschaffung bekundet.

Die Digitalisierung musste so ganz nebenbei eingerichtet und etabliert werden, und zwar auf den Schultern des bestehenden Personals. Bezüglich der Medienkompetenz sind die Anforderungen an das Bibliothekspersonal enorm gestiegen. Bibliothekare sind Lotsen durch analoge und digitale Welten. Wenn das Berufsbild zunehmend anspruchsvoller wird, muss man dem auch personell und finanziell Rechnung tragen. Das fordern wir.

Ein wichtiger weiterer Punkt ist das Aussortieren von Büchern. Bibliotheksbestände dürfen nicht anhand von simplen Ausleihdaten reduziert werden. Die Kompetenz des Bibliothekspersonals ist hierbei enorm wichtig. Wir dürfen das Fenster in unsere Vergangenheit nicht zumauern. Gerade der ZLB kommt die Aufgabe zu, einen Schatz zu bewahren und an folgende Generationen weiterzugeben.

[Beifall bei der AfD]

Der vorliegende Antrag trägt sowohl den Mahnungen der Experten als auch den Forderungen der Bürgerinitiativen Rechnung. Öffentliche Bibliotheken sind die wichtigsten Kultureinrichtungen unserer Stadt. Sie sind ein wesentliches Element der Bildung, und das ist in Berlin wichtiger denn je. – Danke!

(Vizepräsidentin Cornelia Seibeld)

[Beifall bei der AfD]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Jahnke das Wort.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die ZLB wurde zur Bibliothek des Jahres 2019 gekürt. Diese Nachricht erreichte uns just heute. Den mit 20 000 Euro dotierten nationalen Bibliothekspreis erhält sie unter anderem aufgrund ihrer verstärkten Ausrichtung auf digitale Angebote. Mit dem Projekt Digitale Welten wurde der digitale Bestand ausgebaut. Zugleich bietet sie als Landesbibliothek zahlreiche retrodigitalisierte Quellen zur Berliner Stadt- und Regionalgeschichte. Alle nominierten Bibliotheken wurden nach folgenden Kriterien bewertet: Qualität der bibliothekarischen Arbeit, kreativer Einsatz von digitalen Möglichkeiten, Zukunftsorientierung, nachhaltige Wirkung, attraktive Serviceleistungen, medienwirksame Öffentlichkeitsarbeit, internationales Engagement und lokale, regionale und internationale Vernetzung.

Das alles konnte erreicht werden durch Veränderungen in den Geschäftsprozessen, zu denen auch der Aspekt gehört, der nun der AfD so viel Sorge einflößt, dass sie dessen Zurücknahme beantragt. Es geht um das Bestandsmanagement der ZLB, genauer um die Inanspruchnahme des Dienstleisters Hugendubel Fachinformationen – HFI. Warum? – Die AfD-Fraktion fürchtet um die Expertise der Fachlektoren. Diese Expertise verortet sie im vermeintlich drohenden Verlust des Überblicks über den Buchmarkt. Diese Expertise trauen Sie dem Hugendubel Fachinformationsdienst nicht zu, weil es sich dabei um einen gewinnorientierten Großhändler handelt. Daraus wiederum wird gefolgert, dass die Inanspruchnahme dieses Dienstleisters durch die ZLB zu einer Pauschalisierung und Verflachung des Angebots führe.

Nun ist die AfD bekanntlich eine Partei mit Expertise in Sachen Verbreitung von Desinformationen. Sie nutzen dafür digitale Medien,

[Ronald Gläser (AfD): Das sind Fake-News!]

die privatwirtschaftlich betrieben werden und dabei äußerst gewinnorientiert sind. Wie man die Nutzerinnen und Nutzer von Anbietern wie Facebook, YouTube oder Twitter in Echokammern und Filter Bubbles mit den immer gleichen redundanten Desinformationen versorgen kann, das demonstriert die AfD beinahe täglich.

[Ronald Gläser (AfD): Ihre Blase heißt ZDF!]

Die Medienwelt verändert sich in einem dramatischen Tempo, und unsere Gesellschaft verändert sich in ihrer Zusammensetzung sowie in den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Bürgerinnen und Bürger. Für die sind die öf

fentlichen Bibliotheken da. Der ursprünglichste Kern öffentlicher Bibliotheksarbeit ist das Teilen von Wissen, von Bildung, von Kultur und der entsprechenden Medien und Technologie.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Das stellt für die öffentlichen Bibliotheken eine wahre Herausforderung dar. Für diese Aufgaben ist allerdings mehr nötig als nur der Überblick über den Buchmarkt, in dem die AfD-Fraktion die alleinige Expertise der Fachlektoren erblickt. Die bibliothekarische Expertise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ZLB ist keineswegs vermindert durch die Einbeziehung eines externen Dienstleisters. Das zeigte übrigens auch die Neuausschreibung, nachdem man mit der Leistung des ersten Anbieters nicht zufrieden war und daher nun mit Hugendubel Fachinformation zusammenarbeitet. Diese ist nicht zu verwechseln mit den buntbestückten Läden des Großbuchhändlers, wo man etwa den Band „Europas schönste Küsten“ für 14,95 Euro erwerben kann, sondern es ist ein Fachdienst, mit dem die ZLB hier zusammenarbeitet.

Dieser wird natürlich planmäßig zum Ende der Vertragslaufzeit nächstes Jahr überprüft, und zwar durch eine unabhängige Evaluation, ob dieser Dienstleister den Vorgaben und Bedürfnissen der ZLB entsprochen hat oder nicht. – Ich danke für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Dr. Juhnke das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor ich inhaltlich zu dem Thema Stellung nehme, wollte ich nur mal auf den pikanten Umstand hinweisen, dass wir heute einen Antrag von der AfD vorliegen haben, der inhaltlich genau das Gleiche sagt, was die Linkspartei in ihr Wahlprogramm für die Wahlen 2016 geschrieben hatte. Das ist schon mal ein origineller Umstand, und das weitere Originelle ist – heute ist ja der Tag des Grundgesetzes –, dass die für einen demokratischen Diskurs ausreichenden Parteien, also Grüne, SPD, CDU und FDP,

[Lachen bei der AfD]

dem sogar zustimmen könnten. Das heißt also, es ist kein völlig abwegiges Ansinnen, obwohl es von den politischen Rändern jeweils artikuliert wurde. Ja, meine

Damen und Herren, Sie müssten sogar dem Ansinnen der AfD zustimmen, wenn es stimmen würde, was dort in diesem Antrag steht, dass nämlich die Qualität der Bibliotheken Berlins durch diese neuartige Form der Beschaffung der Bücher tatsächlich gefährdet ist. Diese Sorge hat auch uns von der CDU-Fraktion umgetrieben.

[Georg Pazderski (AfD): Sie treibt noch etwas um?]

Wir haben daraufhin Nachfragen gestellt. Wir haben auch zu dem Thema eine Besprechung gemäß § 21 Abs. 3 GO Abgeordnetenhaus im Ausschuss durchgeführt, und haben verschiedene Gespräche geführt. In dieser Besprechung und den Gesprächen konnten diese Sorgen, die artikuliert wurden und die Herr Neuendorf sehr sachlich vorgetragen hat, widerlegt werden. Das heißt also, wir werden diesem Antrag nicht zustimmen können, weil wir zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr erkennen können, dass das, was die Linkspartei noch 2016 auch in ihrem Wahlprogramm geschrieben hat, der Realität entspricht.

Im Übrigen ist es auch eine Irreführung, wenn Sie davon schreiben, dass es sich um eine Privatisierung handelt. Schon jetzt werden die Bücher privat beschafft, bei privaten Verlagen, bei privaten Buchhändlern. Das wird sich in der Zukunft auch nicht ändern. Es ist lediglich eine andere Organisationsform, wie das in der Zukunft geschehen soll, und ich sehe aus jetziger Beobachtung nicht, dass sich dadurch in der Frage der Qualität irgendetwas verändert. Wir werden das natürlich genau beobachten müssen, und ich habe auch großes Vertrauen darin, dass die Bibliotheken die Hinweise, die von den Besuchern und dem Publikum kommen, dann auch ernst nehmen. Denn das ist letztendlich der wichtigste Qualitätsindikator und Qualitätsmessstab, den wir in dieser Frage haben, nämlich die Rückmeldung seitens der Besucher, und das werden wir uns ganz genau anschauen. Wie gesagt, ich habe auch die Erwartung und das Vertrauen in die Leitung der Bibliotheken, dass sie das dann auch ernst nehmen wird. Ansonsten habe ich ausgeführt, warum wir diesem Antrag heute keine Zustimmung geben können. – Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der CDU]

Vielen Dank! – Für die Linksfraktion hat die Abgeordnete Kittler das Wort.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Auch mit diesem Antrag schmeißt sich die AfD mal wieder hinter den fahrenden Zug. Im Mai 2017 hatte der Stiftungsrat der ZLB ein neues Modell für die Beschaffung von Medien und eine damit verbundene Ausschreibung beschlossen. Letztere erfolgte auch 2017, und erfolgreich war dann Hugendubel Fachinformation. Herr Jahnke hat darauf schon hingewiesen. Der Stiftungsrat ist

ein bibliotheksfachkundiges Gremium, dem 2017 bei dieser Beschlussfassung neben dem Staatssekretär und dem Abteilungsleiter der Senatskulturverwaltung die Bibliotheksleiterin aus Spandau und der Bibliotheksleiter aus Mitte, sechs Kulturbehörden und wissenschaftliche Bibliotheksvertreter bzw. -vertreterinnen aus Hamburg, Sachsen-Anhalt, Berlin und Sachsen und auch zwei Personalräte der Beschäftigten angehörten. Also, ich denke mal, das sind schon alles bibliotheksfachkundige Menschen.

Hugendubel Fachinformation stellt nun die Medienlieferung regalfertig zusammen, beschäftigt dafür bis auf die medientechnischen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ausschließlich Buchhändler und Buchhändlerinnen, Fachangestellte für Medien und Informationsdienste sowie studierte Bibliothekarinnen und Bibliothekare und hat dafür auch eine Niederlassung in Berlin. Wohl auch alles fachkundige Menschen! Für die Qualität in der Auswahl bürgt die Schwarmintelligenz einer bundesweiten Lektoratskooperation, bestehend aus 400 Lektorinnen und Lektoren und Rezensenten und Rezensentinnen und begründet von deutschen Kommunen. Die jetzige Art des Bestandsmanagements wird bereits in allen großen Bibliotheken bundesweit und in allen Bezirksbibliotheken Berlins praktiziert. Die Medien werden auf Grundlage von Bedarfsanalysen und Profilbestimmungen, die von Lektorinnen und Lektoren, Bibliothekarinnen und Bibliothekaren der ZLB vorgenommen werden, bei Hugendubel gekauft. Die Verträge beinhalten eine Stornoklausel, das heißt, sollten gelieferte Medien nicht nachgefragt werden, wird der Kaufpreis erstattet, und die ZLB kann damit neue Erwerbungen tätigen. Das ist bei meiner Nachfrage im vorigen Monat noch nicht ein einziges Mal der Fall gewesen.

Die Verantwortung für das Management des Bestandes liegt nach wie vor bei den Lektorinnen und Lektoren und der ZLB. Die Erwerbungsprofile müssen von den Lektorinnen und Lektoren erstellt und gepflegt werden. Auf der Grundlage der Profile werden verschiedene Lieferformen realisiert. Teile der Erwerbungen kommen als Paket – das ist diese Standing-Order-Geschichte –, weil ein Großteil der Medien sowieso erworben werden muss, um die Nachfrage zu befriedigen. Andere werden im Dialog zwischen ZLB und Lieferant ermittelt. Nachsteuern ist Teil des lernenden Systems. Die Bezirke und auch die ZLB berichten, dass das gerade mit Hugendubel sehr gut läuft. Der Vertrag gilt zunächst für drei Jahre mit der zweimaligen Verlängerungsoption für je ein Jahr. Er wird evaluiert, bei Bedarf wird nachgesteuert, und dann wird entschieden, wie es weitergeht. Also viel mehr kann man, glaube ich, nicht tun, und da halten wir uns an den Koalitionsvertrag, Herr Juhnke, und an den Beschluss der Stiftung.

Nun zum Vorwurf der Privatisierung des Medienerwerbs: Falls es der AfD entgangen sein sollte: Es gibt keinen

(Dr. Robbin Juhnke)

staatlichen Buchhandel mehr. Der ging mit der DDR unter, und das war vor 30 Jahren. Also irgendwie haben Sie die letzten 30 Jahre wohl verpennt.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN der SPD und den GRÜNEN]