Protokoll der Sitzung vom 15.08.2019

Um die Einwohnerzahl Berlins und damit die Bundeszuschüsse zu erhöhen, werden jetzt sogar die Studenten per Gesetz in die Pflicht genommen: Sie müssen sich mit dem Hauptwohnsitz in Berlin anmelden – wenn nicht, droht ein Bußgeld, wohlgemerkt: für Studenten. Im Bereich Verkehr sind 10 Milliarden Euro Verpflichtungsermächtigung für den ÖPNV vorgesehen. Für den Tiefbau – also Straßen und Brücken – stehen lediglich 67 Millionen Euro jährlich zu Buche. Was ist das für ein Missverhältnis?

Bis heute hat der Senat keine Generationenbilanz nach dem Vorbild von Prof. Raffelhüschen von der Stiftung Marktwirtschaft erstellt. Er errechnete 2015, dass uns die ungesteuerte Zuwanderung der letzten Jahre rund 3 Billionen Euro kosten wird. Allein in Berlin sind bereits Milliardenkosten angefallen, Geld, das an anderer Stelle fehlt.

Derweil hofft der Senat, dass der Bund weiterhin viele Kosten übernimmt. Ob Rot-Rot-Grün da nicht die Spielräume des Bundeshaushalts überschätzt? Auch da wird getrickst und geschoben, wie wir es von unseren Kollegen im Bundestag wissen. Und wehe, wenn die Euro- und Bankenhaftungen zum Tragen kommen! Banken und Versicherungen wird mit dem Negativzins ein wichtiger Teil ihres originären Geschäftsmodells entzogen und dazu führen, dass diese am Markt nicht bestehen können. Ein Ruin solcher Institute kann eine Welle weiterer Probleme auslösen, die wir uns heute nicht vorzustellen wagen.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Fassen wir zusammen: Obwohl die Daten, auf denen der Haushaltsentwurf basiert, sich auf ein konjunkturelles Hoch beziehen, zeichnen sich im Planwerk rote Zahlen, also dunkle Wolken, am Horizont ab. Die Gründe sind explodierende Personal- und Investitionskosten, stockende Digitalisierung, fehlende Effizienzverbesserungen.

Auf der anderen Seite sehen wir kostenlose Kitas, kostenloses Schulessen, kostenlose Schülertickets, verbilligte Sozialtickets, Enteignungsfantasien, nichttaugliche EBusse, Autofeindlichkeit, Stasi-Genossenschaften und grüne Baustadträte, für die das Geld anscheinend aus der Steckdose und nicht vom Steuerzahler kommt. – Wer soll es sonst bezahlen?

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos)]

Liebe rot-rot-grüne Politiker! Lieber Senat! Öffnen Sie sich vernünftigen Alternativen! Berlin darf nicht wieder in den Finanznotstand verfallen. Aus den Fehlern der Geschichte sollten endlich die richtigen Lehren gezogen werden. – Vielen Dank!

[Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) und Kay Nerstheimer (fraktionslos) – Zuruf von der AfD: Bravo!]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt das Wort der Abgeordnete Wesener! – Die Herren bitte ich, die Nebengespräche nach draußen zu verlegen und sein zu lassen! – Herr Wesener, Sie haben das Wort, bitte!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! So viel Zeit muss sein: Ich bedanke mich bei dem Finanzsenator, dem Senat sowie den unzähligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Berliner Verwaltungen für den Entwurf für ein Berliner Haushaltsgesetz 2020/21, in den zweifelsohne jede Menge

Arbeit und, wie ich denke, auch viele kluge Gedanken eingeflossen sind.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Meine Fraktion und ich freuen uns auf die parlamentarischen Haushaltsberatungen. Womöglich gelingt es uns ja, gemeinsam den vorliegenden Entwurf noch besser zu machen. Denn gut und gelungen ist diese Vorlage in vielerlei Hinsicht bereits, auch weil der Senat damit konsequent das fortsetzt, was diese Koalition 2016 begonnen hat.

Die erneuten stattlichen Haushaltsaufwüchse bei den Einnahmen und Ausgaben zeigen, dass Berlin das wirtschaftliche und finanzielle Tal der Tränen längst hinter sich gelassen hat. Wirtschaft, Beschäftigung, Steuereinnahmen – Kollege Heinemann hat es erwähnt – dürften auch 2019 mit Zuwächsen oberhalb des Bundesdurchschnitts abschließen. Es ist gelungen, die öffentliche Investitionsquote signifikant zu steigern. Bei den reinen Bauaufgaben inklusive SIWA- und SIWANA-Mitteln dürften dieses Jahr wohl erstmals mehr als eine halbe Milliarde Euro abfließen. Der dringend notwendige Personalaufbau in Berlins Verwaltungen, Behörden und Ämtern kommt Stück für Stück, Neueinstellung für Neueinstellung voran.

Auch wenn sich diese Investitionsoffensive in manchen Bereichen mit Sicherheit noch zu langsam vollzieht, zeigt sie doch vielerorts bereits heute Wirkung und damit die Richtung an, in die sich Berlin insgesamt entwickeln muss. Auch der neue Doppelhaushalt ist ein Investitionshaushalt: Die Koalition investiert in Berlin und seine Menschen, in die Modernisierung und den Aufbau der städtischen Infrastruktur, in eine bessere personelle und materielle Ausstattung der öffentlichen Verwaltung, in Zukunftsthemen wie Klimaschutz und Digitalisierung.

Konkret bedeutet das eine Aufstockung der Gelder für neuen, bezahlbaren Wohnraum, für kurzfristige Schulbaumaßnahmen sowie den Um- und Ausbau der Berliner Verkehrsinfrastruktur. Es gibt deutlich mehr Stellen für die Hauptverwaltungen, ihren nachgelagerten Behörden und die Bezirke sowie eine bessere Entlohnung der Menschen, die in dieser Stadt gute Arbeit im öffentlichen Auftrag verrichten. Was über viele Jahre versäumt wurde, wird nun endlich nachgeholt.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass es keine Glaskugel braucht, um zu wissen, dass unsere finanzpolitischen Spielräume künftig eher kleiner als größer werden. Vor diesem Hintergrund muss uns bewusst sein, dass die aktuelle Ausgabenlinie mit ihrer durchschnittlichen jährlichen Steigerung der Personal- und Sachausgaben in Höhe von 6 Prozent langfristig kaum tragen wird. Gleichzeitig müssen wir feststellen, dass immer noch viel zu viele Haushaltsmittel regelmäßig liegen bleiben bzw. nicht zeitgerecht abfließen. Die Berliner Jahresüberschüsse – 2018 waren es bekanntlich 2,1 Milliarden Euro –

(Dr. Kristin Brinker)

sind nur sehr bedingt ein Grund zur Freude, wenn man bedenkt, dass es sich lediglich zu einem Teil um echte Mehreinnahmen handelt.

Wir Grünen werden den vorliegenden Haushaltsplanentwurf in den parlamentarischen Beratungen deshalb auch kritisch unter die Lupe nehmen. Es kann mittel- und langfristig nicht in unserem finanzpolitischen Interesse liegen, die Deckung künftiger Jahreshaushalte über Nachträge und Überschüsse zu steuern.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Torsten Schneider (SPD)]

Danke sehr! – Wir wollen, dass das Geld endlich dort ankommt, wo es gebraucht wird, anstatt Ausgaben aufzublähen, die lediglich auf dem Papier stehen.

[Beifall von Torsten Schneider (SPD)]

Danke, Herr Kollege Schneider! – Es braucht auch nicht überall und vorrangig mehr Geld aus der Gießkanne oder für immer neue Projekte, sondern eine Verstetigung und auskömmliche Finanzierung bestehender Strukturen.

Gutes, nachhaltiges Investieren heißt zudem, dass zusätzliche Mittel mit einem effektiven Change-Management Hand in der Hand gehen: bei der Digitalisierung und Geschäftsprozessoptimierung in den Verwaltungen, beim Personalmanagement, bei Laufbahnrecht und Einstellungsmodalitäten oder bei der Bewirtschaftung der öffentlichen Immobilien und in der Berliner Bodenpolitik.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch kurz auf das Haushaltsbegleitgesetz eingehen: Das enthält neben vielen sinnvollen Maßnahmen wie etwa der Errichtung des Schulbaufinanzierungsfonds oder der Ausweitung des Kreditrahmens des ITDZ einen Punkt, über den wir im parlamentarischen Raum noch einmal genauer diskutieren sollten, und das ist die Öffnung des SILB-Kreislaufs für Haushaltsmittel. Eine Ausweitung der Bauherreneigenschaft der BIM ist zweifelsohne richtig, auch unter Zuhilfenahme von Haushaltsmitteln. Aber angesichts der zwischenzeitlich beachtlichen Höhe des Anlagevermögens, das hier bewirtschaftet wird, muss das mit mehr Transparenz und parlamentarischer Kontrolle einhergehen.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Genau anschauen werden wir Grünen uns auch, was dieser Haushalt für den urbanen Klimaschutz leistet und wo noch saubere Luft nach oben ist. Der Gleichklang aus Investieren und Konsolidieren ist gut. In Zeiten des Klimanotstands muss daraus ein Dreiklang werden. Diese Stadt muss sich auch ökologisieren, wenn sie die Klimaanpassung bewältigen und lebenswert bleiben will. Die Wahrheit ist: Urbaner Klimaschutz kostet Geld, insbesondere dann, wenn er mit dem Umbau der urbanen Infrastruktur und kommunalen Grundversorgung verbunden ist. Aber evident ist auch: Die volkswirtschaftlichen Kosten eines ungehemmten Klimawandels sind deutlich hö

her; die Extremwetterlagen der letzten Monate machen das deutlich.

Mit dem aktuellen Doppelhaushalt, dem vorliegenden Haushaltsplanentwurf und dem neuen Nahverkehrsplan haben wir finanzpolitisch die Weichen für eine Berliner Verkehrs- und Energiewende bereits gestellt. Gleiches muss uns bei der Gebäudeenergie gelingen, wenn Berlin klimaschädliche CO2-Emissionen einsparen und seine Klimaziele einhalten will.

Es ist kein Geheimnis, dass uns Grüne mit dem Berliner Stadtgrün nicht nur der Name verbindet, sondern uns ist eine bessere Parkreinigung genauso wichtig wie eine fachgerechte Grünpflege oder der Erhalt des Berliner Baumbestands.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD und der LINKEN]

Wir Grüne werden deshalb in den anstehenden parlamentarischen Haushaltsberatungen sehr genau hinschauen, ob die Berliner Stadtnatur auskömmlich finanziert ist. Wir brauchen sie heute mehr denn je.

Ich komme zur Schuldenbremse: Keine Frage, der nächste Doppelhaushalt ist wichtig, aber die Umsetzung der grundgesetzlichen Schuldenbremse in Landesrecht ist noch wichtiger, wenn nicht gar die wichtigste, weil langfristig wirkungsmächtigste finanzpolitische Entscheidung dieser Legislaturperiode.

Als einer der letzten Redner in der Debatte muss ich richtig Gesagtes nicht wiederholen und darf mich stärker auf die Argumente der anderen konzentrieren. Im Fall der Opposition sind sie leider nicht besonders neu oder originell –

[Zurufe von Dr. Kristin Brinker (AfD) und Sibylle Meister (FDP)]

im Gegenteil, Frau Brinker! Manches wirkt merkwürdig aus der Zeit gefallen, als gäbe es nicht seit Längerem Kritikerinnen und Kritiker der Schuldenbremse, die des Staatssozialismus völlig unverdächtig sind. Heute sind es auch wirtschaftsnahe, konservative Ökonomen, die zu Recht fragen, ob eine harte Schuldenbremse –

[Sibylle Meister (FDP): Aber es ist ja keine harte!]

gerade in der aktuellen Niedrigzinsphase – volkswirtschaftlich wirklich sinnvoll ist oder ob sie nicht sogar das Ziel der Generationengerechtigkeit konterkariert. Es gibt nicht wenige Bundesländer, die damals, bei der Implementierung der Schuldenbremse in ihre Landesverfassung oder Landesgesetzgebung, besonders schnell und kategorisch sein wollten, und in denen man heute feststellt, dass man sich dabei unnötige Fesseln angelegt und Probleme beschert hat. Gut, dass sich Berlin entgegen mancher Forderung an diesem Wettbewerb um die mit der heißesten Nadel gestrickte und radikalste Schuldenbremse von allen nicht beteiligt hat!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Niemand kann heute ernsthaft bestreiten – Kollege Zillich hat es ausgeführt –, dass eine starre, restriktive Schuldenbremse schnell Gefahr läuft, faktisch zu einer Investitionsbremse zu werden. Wer diese Gefahr begrenzen will, muss sämtliche Spielräume, die uns das Grundgesetz an dieser Stelle lässt, im Sinne einer nachhaltigen Investitions- und vorausschauenden Finanzpolitik nutzen, und genau das tut diese Koalition mit diesem Gesetzentwurf.

Ich bin froh, dass Rot-Rot-Grün die wichtigsten Stellschrauben bewegt hat, um notwendige Spielräume zu erhalten, soweit es die Schuldenbremse im Grundgesetz zulässt. Wir haben uns zum Beispiel auf ein Konjunkturbereinigungsverfahren verständigt, mit dem eine echte antizyklische Konjunkturpolitik weiterhin möglich bleibt. Wer das – wie die Opposition – als grün-linke Schuldenmanie diffamiert, hat die Funktionsweise von Konjunkturzyklen einfach nicht verstanden. Vielleicht hilft ein Blick auf die Bundesebene – oder einfach nur auf die Homepage des Bundesministeriums der Finanzen. Das Produktionslückenverfahren, das wir in Berlin aufgreifen, leuchtet vielleicht nicht der Berliner Opposition ein, aber jedem privaten Haushalt und Unternehmen. Seit wann ist es falsch, in guten Zeiten Geld beiseite zu legen, Frau Brinker? Seit wann ist es in schlechten Zeiten betriebswirtschaftlich sinnvoll, einen Betrieb vollends kaputt zu sparen? Und welches Unternehmen verzichtet freiwillig auf eine Kreditfinanzierung, wenn sich diese kostengünstiger investieren lässt? – Nicht die Verfechter einer elastischen Schuldenbremsenregelung sind in dieser Debatte ideologisch unterwegs, sondern der Fetischklub der schwarzen Nullen.

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN]

Aber der vorliegende Gesetzentwurf wird nicht nur als zu lax kritisiert, sondern auch umgekehrt. Erlauben Sie mir deswegen einige Worte zu dem Vorwurf, wir würden die finanzpolitischen Spielräume Berlins durch die Einbeziehung der Extrahaushalte unnötig beschneiden! – Entscheidend ist aus unserer Sicht nicht die abstrakte Frage, ob Extrahaushalte unter die Schuldenbremse fallen sollen, sondern welche Landesunternehmen konkret davon erfasst sind. In der Koalition sind wir uns einig, dass es auch zukünftig starke, kreditfähige Landesunternehmen braucht. Deren Zweck ist es nicht zu sparen, sondern im Sinne einer guten, modernen Grundversorgung zu wirtschaften. Es liegt in unserer Entscheidungskompetenz und Verantwortung, dass die Berliner Unternehmen auch in Zukunft – wo immer sinnvoll und notwendig – zur Finanzierung essenzieller Aufgaben und Zukunftsinvestitionen zur Verfügung stehen. Bei der Schulbauoffensive setzen wir nicht umsonst auf die öffentliche Partnerschaft mit der HOWOGE. Auch der vorliegende Gesetzentwurf enthält nicht zufällig die Absicht, eine Berliner Grundstücksbesitzgesellschaft zu gründen, die ganz gewiss kein Extrahaushalt sein wird.

Ich finde die grundsätzliche Kritik an der grundgesetzlichen Schuldenbremse nachvollziehbar und legitim, aber diese Kritik muss sich dann auch an die Urheber des Problems – an den Bund und die Europäische Kommission – wenden, nicht aber an diejenigen Ländern, die noch das Beste daraus zu machen versuchen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr. Brinker?

Ja, ich bin gerade auf der Zielgeraden, Frau Dr. Brinker! Es sind noch drei Sätze, aber wenn Sie mir dadurch mehr Zeit verschaffen – bitte, gerne!

Dann bitte, Frau Brinker – Sie haben das Wort!

Das finde ich aber sehr nett, Herr Wesener! – Eine Frage zur Schuldenbremse: Sie haben sicher unseren Antrag gelesen und vielleicht auch meiner Rede zugehört – ich habe von einer modifizierten Schuldenbremse gesprochen, nicht von einer starren. – Haben Sie das Problem so erkannt? – Denn ich möchte den Vorwurf, dass wir von einer starren Schuldenbremse ausgehen, zurückweisen. Eine starre Schuldenbremse ist es nicht, wenn sie in der Landesverfassung verankert ist. – Ist Ihnen das bekannt?

[Zuruf von links: Frage!]