Die Rahmenbedingungen haben sich in den letzten 20 Jahren verändert, u. a. auch gesetzliche Rahmenbedingungen. Wir haben Arbeitslosengeld, ALG II, wir haben die SGB-II-Gesetze, die das ja ausdrücken, haben Veränderungen in der Sozialhilfe und in der Grundsicherung. Da gibt es ganz viele Schnittstellen. Das musste endlich mal berücksichtigt werden, und darauf musste aufgebaut werden.
Viele der Vorrednerrinnen und Vorredner haben es schon gesagt: Die Struktur der obdachlosen und wohnungslosen Menschen hat sich verändert. Es ist nicht mehr allein der
deutsche Mann zwischen 35 und 50, sondern sie ist weiblicher und internationaler geworden, und wir haben Pflegefälle. Das wurde alles schon dargestellt. Darauf ist aber die Wohnungslosenhilfe nicht ausreichend eingestellt. Das ist der Paradigmenwechsel. Nicht die Menschen müssen sich auf die Hilfe einstellen, sondern die Hilfe muss sich auf die Menschen einstellen und diesen Menschen konkrete Hilfe und Auswege bieten.
Lieber Herr Penn, Sie waren ja auch dabei. Wenn man jetzt sagt: Sie hatten überhaupt keine Ideen für die Leitlinien und haben die anderen mal arbeiten lassen –, dann kann man das so sehen und muss man vielleicht auch so sagen als Opposition. Nur ehrlich gesagt: Die ganzen Jahre ist es eben auch gescheitert, weil nicht gemeinsam gearbeitet wurde. Das ist das neue an den Leitlinien. Wir haben als Senat einen Entwurf vorgelegt. Den haben wir begründet. Haben ihn zur Diskussion gestellt. Wir haben ihn mit allen Akteurinnen und Akteuren dieser Stadt besprochen. Die Bezirke waren dabei, und zwar unabhängig von der Parteizugehörigkeit. Ihre Kolleginnen und Kollegen Bezirksstadträtinnen und Bezirksstadträte waren dabei, Sie waren dabei, viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Haus waren dabei. Die unterschiedlichen Hauptverwaltung waren dabei, die Polizei, die BVG, die Wohlfahrtsverbände, alle Akteurinnen und Akteure und die Betroffenen selbst. Wir haben in den Arbeitsgruppen unseren Entwurf diskutiert, und es gab in den Arbeitsgruppen ein Ringen um die richtigen Antworten, und es gab in den Arbeitsgruppen lange Debatten. Das ist das Besondere. Es gab zum ersten Mal die Bereitschaft zu sagen: Wir wollen ein gemeinsames Gesamtkonzept für diese Stadt haben, um Wohnungslosigkeit zu begegnen, um Obdachlosigkeit zu verhindern und Hilfe und Unterstützung auszubauen.
Nur, weil wir das geschafft haben, haben wir überhaupt diese Leitlinien. Auch ich will mich an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bei all denjenigen bedanken, die um die Antworten gerungen haben und die über so lange Zeit daran mitgearbeitet haben. Das ist das Erfolgsmodell. Gemeinsam sind wir stark!
Die Leitlinien formulieren erst einmal Ziele. Das sind unsere gemeinsamen Ziele, die aufzeigen: Da wollen wir hin. – Hätten wir nur diese Ziele, wie es in der Vergangenheit war, wäre es ein Papier von zeitloser Schönheit, und genau das wollten wir nicht. Wir wollten mit konkreten Maßnahmen diese Leitlinien unterlegt haben. Das ist uns gelungen.
Jetzt kann man sagen: Da passiert jetzt wieder nichts. – Nein, wir haben jetzt auch gesagt: Alle sechs Monate werden die Bezirksstadträtinnen und Bezirksstadträte über die Umsetzung informiert, und wir werden, sofern der Haushaltsgesetzgeber den Geldern zustimmt, einmal im Jahr eine Strategiekonferenz haben, und zwar wieder mit allen Akteurinnen und Akteuren. Da wird die Umsetzung überprüft und diskutiert. Wir gehen neue Wege. Wenn sich etwas verändert – denn diese Welt verändert sich immer –, können wir auch gemeinsam gegensteuern. Ich hoffe, dass Sie, meine Damen und Herren, weiterhin daran mitarbeiten.
Ich will an dieser Stelle noch einmal sagen: Ich hätte mich gefreut, wenn Sie sich mit den Leitlinien auseinandergesetzt hätten. Das machen Sie aber nicht, und das ärgert mich. Mich ärgert das total.
Mich ärgert, dass Sie über Jahre hier herumkrähen, aber offensichtlich nicht einmal in der Lage und willens sind, diese Leitlinien zu lesen. Das ist ein echtes Problem.
Frau Senatorin! Vielen Dank, dass Sie eine Zwischenfrage zulassen. Sie haben jetzt zwei- oder dreimal in Ihrer Rede erwähnt, wir hätten uns nicht mit den Leitlinien auseinandergesetzt. Ich habe gerade noch einmal meinen Redezettel herausgeholt und will Ihre Erinnerung noch einmal auffrischen und Sie fragen:
Erhöhung der Anzahl von Trägerwohnungen: Wie wird mit für die Träger zunehmend kritischen Gewerbemietverträgen umgegangen?
Also es gibt eine Reihe von Punkten, mit denen wir uns tatsächlich intensiver befasst haben, und dazu hätte ich gerne einige Antworten.
Einige Antworten? – Na ja, ich würde Ihnen vorschlagen, dass Sie vielleicht mal mit Ihrer Bundestagsfraktion reden.
Denn bei der Frage nach den Gewerbemieten ist natürlich auch der Punkt, was denn alles zu Gewerbemieten gehört. Wir hätten ein Problem weniger, wenn das nicht zu Gewerbemieten führen würde.
Natürlich werden wir uns mit diesem Problem weiter auseinandersetzen. Wir haben übrigens auch schon in der AV Wohnen, die Sie sicherlich auch gelesen haben, erste Verbesserungen herbeigeführt.
Jetzt komme ich noch mal zurück zu der Unterbringung. Wir haben jetzt in dieser Stadt schon 36 000 Menschen und ca. 20 000 Haushalte in Unterkünften und auch im geschützten Marktsegment untergebracht. An dieser Stelle möchte ich noch mal sagen: Auch in den Flüchtlingsunterkünften leben über 50 Prozent wohnungslose Menschen mit Fluchthintergrund. Ich sage das immer wieder, weil diese ständige Forderung kommt, dort müssten Obdachlose hinein. Diese Menschen sind in der Verantwortung der Bezirke, sie bekommen Arbeitslosengeld, sie bekommen Sozialhilfegrundsicherung, und viele gehen arbeiten. Wenn wir diese Menschen auf die Straße setzen, dann landen sie eben auch auf der Straße, weil es keine Alternative gibt. Also hier sind schon ganz viele Wohnungslose untergebracht, und wir verhindern damit Obdachlosigkeit.
Deshalb – auch viele von Ihnen haben es gesagt – ist die gesamtstädtische Steuerung ebenso wichtig wie das Fachstellenkonzept. Mit dem Fachstellenkonzept werden wir verhindern, dass immer mehr Menschen wohnungslos werden, und mit der gesamtstädtischen Steuerung werden wir dahin kommen, dass wir Menschen erstens entsprechend ihrer Bedarfe und Bedürfnisse unterbringen können. Und wir werden zweitens dahin kommen, dass wir denjenigen, die sich eine goldene Nase mit dem Elend der Menschen verdienen – – dass wir diesen Sumpf auch trockenlegen werden. Dafür brauchen wir die gesamtstädtische Steuerung.
Trotzdem werden wir immer wieder an den Punkt kommen – und wir sind ständig an dem Punkt, Sie sehen die
Menschen auf den Straßen –, dass wir sie nicht mit einer kurzen, deutlichen Ansprache – Möchten Sie Hilfe? Gehen Sie doch bitte zu dem Bezirk, zu der sozialen Wohnhilfe, dort wird Ihnen geholfen! – erreichen. Wir erreichen sie nicht.
Da gibt es unendlich viele Probleme, es gibt Suchtprobleme, es gibt psychische Probleme, und es gibt auch Sprachprobleme. Deshalb haben wir – und auch das wurde schon gesagt – an ganz vielen Stellen noch mal aufgestockt und Unterstützung und Beratung ausgebaut. Wir haben die Kältehilfe erweitert, wir machen das auch bei den Kältebahnhöfen. Wir haben die Straßensozialarbeit erweitert. Das Problem ist: Wie kommen wir an diese Menschen heran, und wie können wir sie in die existierenden Hilfsstrukturen überführen? – Das ist keine einfache Aufgabe, auch wenn sie immer wieder ausgeblendet wird.
Wir haben auch noch mal mit dem Hygienebus, mit den Karuna-Bussen Verbesserungen herbeigeführt und so auch Punkte, an denen wir an die Menschen herankommen und sie ansprechen können. Aber das wird immer dauern. Und nein, ich finde nicht, dass wir in erster Linie obdachlose Menschen bei der BVG unterbringen sollten.
Das hat übrigens auch nie jemand gesagt, und es war auch niemals das Konzept der Kältebahnhöfe. Die Kältebahnhöfe sind etwas ganz Besonderes. Sie verhindern das Erfrieren von Menschen auf der Straße, die aus den unterschiedlichsten Gründen weder die Kältehilfe noch das existierende Hilfssystem nutzen, und deshalb brauchen wir weiterhin die Kältebahnhöfe, weil wir zumindest als R2G und als Senat keine Menschen auf der Straße erfrieren lassen wollen.
Aber wir werden auch Unterstützungen, die weiter den Versuch unternehmen, dass die Menschen in die Kältehilfeeinrichtungen gehen, weiterentwickeln, und ich finde nach wie vor, dass wir Safe Places brauchen. Wir brauchen Schutzräume für obdachlose Menschen, die erst mal nicht untergebracht werden und erst mal nicht untergebracht werden wollen, damit sie sich dort für einen begrenzten Zeitraum zurückziehen können, damit sie dort hygienische Bedingungen und eine Infrastruktur vorfinden, damit wir sie dort beraten können und sehen können und damit wir ihr Vertrauen gewinnen und ihnen behilflich sein können. Deshalb Safe Places – also nicht, weil ich es toll finde, Menschen in Zelten oder in Tiny Houses, was wir ja präferieren, leben zu lassen, sondern weil wir an diese Menschen herankommen müssen! Sie sollten aufhören, das immer wieder auszublenden.
Ich will an dieser Stelle noch einmal sagen, Herr Penn – auch mein Büroleiter sagt es immer zu mir: Mutiges Weiterlesen führt zum Erfolg –: Die medizinische Versorgung der obdachlosen Menschen in dieser Stadt war und ist ein sehr großes Problem, und ich bin sehr dankbar, dass die Gesundheitssenatorin Kalayci da jetzt ganz viele Sachen angegangen ist. Dazu gehört z. B. auch, die Plätze in den Krankenwohnungen zu erhöhen. Sie hatten vorhin gesagt, das würde nicht passieren. Es gibt die Arbeit der Clearingstelle, was schon eine Verbesserung ist, und es wird daran gearbeitet, dass es ein Entlassungsmanagement in den Krankenhäusern gibt. Ich kann aber auch an dieser Stelle sagen, dass ganz viele Obdachlose gar nicht stationär aufgenommen werden, sondern in der Ambulanz sind. Da gibt es für niemand ein Entlassungsmanagement. Das ist aber für Obdachlose ein Problem, denn die Wunden werden zusammengenäht, und dann landen sie auf der Straße. Dafür brauchen wir Lösungen, und dafür werden gerade Lösungen gesucht – so, wie wir jetzt an ganz vielen Stellen gucken, was wir Neues über das hinaus machen können, was wir angefangen haben.
Wir haben jetzt Haushaltsberatungen, wir hatten sie nicht vor einem Jahr. Jetzt geht es darum, diese Leitlinien umzusetzen. Wir sind ganz viele Sachen angegangen, einiges habe ich schon genannt, Housing First wurde auch schon genannt. Sie kennen das alles.
Jetzt komme ich zu meinem letzten Punkt: die „Nacht der Solidarität“. Ich für meinen Teil freue mich, dass wir es im Januar machen. Warum? Weil die Voraussetzung war, dass wir mit den Hochschulen zusammenarbeiten, und ich freue mich sehr, dass die Hochschulen dazu bereit sind und mit den Studierenden diese „Nacht der Solidarität“ unterstützen wollen. Dass es jetzt der Januar ist, hat auch etwas mit den Abläufen in den Hochschulen zu tun. Dann wird Berlin die erste Stadt sein – Herr Mohr, falls Sie das nicht wissen –, die eine solche Zählung macht. Insofern weiß überhaupt kein Mensch, wie viele Menschen in diesem Land auf der Straße leben. Das sind alles Schätzungen. Wir werden mit einer Zählung beginnen.
Diese „Nacht der Solidarität“ soll deutlich machen, dass die Menschen auf der Straße – nein, ich lasse keine Zwischenfragen mehr zu, ich komme zum Schluss – ein Teil dieser Stadt sind, dass sie Berlinerinnen und Berliner sind, und das wollen wir ihnen zeigen. Wir wollen ihnen deutlich machen, dass sie dazugehören, dass sie willkommen sind und dass wir solidarisch mit ihnen umgehen und Unterstützung für sie schaffen werden. Die Voraussetzung dafür ist, dass wir wissen, für wen wir überhaupt im Einzelnen Unterstützung brauchen und was notwendig ist.
So viel zur „Nacht der Solidarität“. Die Leitlinien liegen vor, mit der Umsetzung wird jetzt begonnen. Ich hoffe, dass Sie sich auch daran beteiligen und dass Sie weiterhin