Protokoll der Sitzung vom 14.11.2019

staatlichen Ressourcenverbräuche notwendig. All dies leistet der Senat nicht, nicht der jetzige und auch nicht der vorherige.

Wenn Herr Schneider von der SPD sagt, er könne die liberalkonservative Opposition von AfD, FDP und Teilen der CDU nicht verstehen, weil er kein Unternehmen kenne, das nicht dauerhaft mit Schulden arbeite, ist ihm Folgendes entgegenzuhalten:

[Torsten Schneider (SPD): Ja!]

Würde Berlin das Ergebnis seiner staatlichen Leistungserbringung ressourcenorientiert ähnlich einem Unternehmen bilanziert ausweisen, Stichwort – Achtung! –: Doppik, und die Nachhaltigkeitsbilanz, also die tatsächliche Vermögens-, Finanz- und Ertragslage transparent machen, würde Berlin wahrscheinlich ein negatives Eigenkapital oder ein negatives Nettovermögen von geschätzt mindestens 50 Milliarden Euro ausweisen.

[Torsten Schneider (SPD): Das ist aber totaler Quatsch!]

Herr Kollege Schneider! Kennen Sie ein Unternehmen, dass bei 30 Milliarden Euro Umsatz, also in der Höhe des aktuellen Haushalts des Landes Berlin, und 50 Milliarden Euro Verlusten in der Bilanz noch Kredit von einer Bank bekommen würde?

[Beifall bei der AfD]

Ich bin gespannt, ob Sie eines benennen können. Das würde nicht einmal die sonst recht großzügige EUKommission bei der Flughafengesellschaft genehmigen.

[Torsten Schneider (SPD): Fake-News! – Steffen Zillich (LINKE): Das hat mit der Schulden- bremse nichts zu tun, weil die ja nicht auf die Altschulden guckt! – Zurufe von Ronald Gläser (AfD) und Karsten Woldeit (AfD)]

Nein, nein, Herr Zillich! – Mit den Signalen, die Sie als R2G aktuell senden, nehmen Sie Kurs in Richtung einer vorsätzlichen Zerstörung des europäischen Stabilitätspaktes. Der Senat will sich gegen den Geist des europäischen Stabilitätspaktes unter Federführung der sozialistischen Staatslenker von den Linken nun einen Blankoscheck zu unbegrenzter Neuverschuldung über die Extrahaushalte ausstellen. Genau das beinhaltet nämlich der Antrag von Rot-Rot-Grün.

Was heißt das genau? Lassen Sie mich das an einem Beispiel erläutern, nämlich der völlig abstrusen Enteignungsdebatte. Der jetzt vom Senat beschlossene Mietendeckel schafft die Grundlage für die Umsetzung der Initiative „Deutsche Wohnen enteignen!“. Wir kennen alle die Zahlen. Nach deren Vorstellungen sollen rund 200 000 Wohnungen mit einem aktuellen Marktwert von 30 Milliarden Euro für eine sogenannte Entschädigung in Höhe von 18 Milliarden Euro enteignet werden. Das ginge nun mit der rot-rot-grünen Schuldenbremse ganz

leicht. Finanzsenator Kollatz kann nämlich einen Extrahaushalt mit dem Namen „Sondervermögen VEB Wohnungsenteignung“ auflegen. Dieser nimmt unter seiner Vermittlung 18 Milliarden Euro Kredit bei der landeseigenen IBB auf. Die IBB geht zur EZB, holt sich gegen Hinterlegung des Kredits als Sicherheit das Geld aus der Notenpresse von Frau Lagarde. Damit schließt sich der Kreis. Ein Modell, das Schule machen kann: Sozialismus durch die Hintertür.

[Heiterkeit bei der AfD – Zuruf von Torsten Schneider (SPD)]

Liebe Kollegen von der SPD! Lassen Sie sich von der SED-Nachfolgepartei und den Ex-Kadern vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund bei den Grünen nicht missbrauchen.

[Beifall bei der AfD]

Worüber man diskutieren könnte, wäre, die Schuldendeckelung bei einer klar definierten Schuldentragfähigkeitsgrenze anzusetzen, so wie wir das bereits in unserem Antrag zur Schuldenbremse angedacht haben. Wer über der Tragfähigkeitsgrenze liegt, ist angehalten, Schulden abzubauen. Wer darunter liegt, kann die Spielräume im Rahmen des parlamentarischen Königsrechtes für nachhaltige Investitionen nutzen.

Die Gefahr klassischer Schattenhaushalte ohne ausreichende parlamentarische Kontrolle ist immens. Wir erleben bereits heute, wie stark unser parlamentarisches Kontrollrecht in Bezug auf die landeseigenen Betriebe ausgehebelt wird und wir in vielerlei Vorgänge keine Einsicht bekommen. Wie stellen Sie sich das in Zukunft vor? Wie ich bereits im Hauptausschuss gesagt habe, öffnet der jetzige Gesetzestext alle Schleusen für eine Verschuldung, die letztlich unsere Kinder und Kindeskinder ausbaden müssen. Ist das Ihr Verständnis von Generationengerechtigkeit? Wer in Zeiten niedriger Zinsen nicht auf ein ausgewogenes Verhältnis von Staatsverschuldung und BIP achtet, bereitet heute den Boden für eine zukünftige Staatsschuldenkrise.

Noch mal: Wir brauchen einen Schuldendeckel statt eines Mietendeckels. Und all denjenigen, die behaupten, dass wir mehr investieren müssen, sei gesagt: Na klar, wir müssen mehr investieren, aber dann geben Sie doch erst einmal die 3 Milliarden Euro aus, die bereits jetzt im SIWANA liegen und darauf warten, investiert zu werden! Die Gesetzesvorlage zur Schuldenbremse ist eher eine Aufforderung zu mehr Schulden, ist nicht justiziabel und öffnet sämtliche Schleusen für zukünftige Schattenhaushalte. In dieser Form ist sie leider weder wegweisend noch nachhaltig, noch schafft sie Transparenz, und deshalb lehnen wir diesen Gesetzentwurf ab. – Vielen Dank!

[Beifall bei der AfD –

Das war der

Bund der Steuerzahler, der jetzt geredet hat! –

(Dr. Kristin Brinker)

Es war die Vernunft,

die gesprochen hat!]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Herr Kollege Wesener das Wort. – Bitte schön!

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich möchte mit einem Zitat aus der letzten Ausgabe der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ beginnen. Dort zieht der Autor Gerald Braunberger am Ende seines Artikels unter der Überschrift „Schulden sind nicht immer schlimm“ das Resümee:

Regelgebundenes Handeln kann in der Wirtschaftspolitik sehr nützlich, ja sogar notwendig sein. Aber die Definition guter Regeln ist häufig alles andere als einfach. Zudem zeigen gesunder Menschenverstand und die Erfahrung, dass die Steuerung eines so komplexen Gebildes wie einer modernen Volkswirtschaft auf der Basis simpler, starr zu interpretierender Regeln zumindest auf die Dauer nicht funktioniert. Gute Finanz- und Geldpolitik benötigt einen ökonomisch gut fundierten Rahmen, in dem sie sich bewegt. Aber sie bleibt immer auch Politik, die in Ungewissheit über die Zukunft handelt.

Ich finde, diese Sätze bringen das Dilemma der Schuldenbremse ziemlich gut auf den Punkt, auch mit Blick auf unsere Debatte über die landesrechtliche Umsetzung der grundgesetzlichen Schuldenbremse. Den Rahmen hat in diesem Fall, ob es einem gefällt oder nicht, der Bundesgesetzgeber definiert. Die zentrale Frage für das Land Berlin und uns als Abgeordnetenhaus ist deshalb, ob und wie wir diesen Rahmen ausschöpfen, wohl wissend, dass auch wir dabei nur politische Wetten auf die Zukunft abschließen können.

Genau hier scheiden sich die Geister in diesem Haus, und zwar entlang der Linie zwischen Koalition und Opposition. Wir wollen als rot-rot-grüne Koalition sämtliche Möglichkeiten, die uns das Grundgesetz lässt, nutzen, um auch zukünftig Finanzpolitik als Konjunkturpolitik zu machen. Wir wollen ein Höchstmaß an Flexibilität bei der konkreten Ausgestaltung der Schuldenbremse, damit sie eben nicht zu einer Investitionsbremse wird. Und wir haben genau das mit dem vorliegenden Gesetzentwurf, soweit es uns als Landesgesetzgeber eben möglich ist, festgeschrieben – durch eine Regelung unterhalb der Verfassungsschwelle, eine Konjunkturkomponente, die sich an dem Bundesverfahren orientiert, und durch die Ausklammerung der sogenannten Extrahaushalte.

Lassen Sie mich hier vor allem auf Letztere eingehen, weil uns in dieser Sache heute auch ein Änderungsantrag der FDP vorliegt. Der ist in meinen Augen verwunderlich für eine Partei, die sich im besten Sinne des Wortes als wirtschaftsliberal versteht, denn die FDP will damit dem Land Berlin und seinen Unternehmen ausgerechnet das untersagen, was als Grundpfeiler eines jeden kapitalistischen Wirtschaftssystems gelten darf, die Möglichkeit, Kredite zur Finanzierung großer Investitionen aufzunehmen, selbst dann, wenn eine Kreditfinanzierung für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler am Ende kostengünstiger wird. Das müssen Sie uns gleich mal erklären, Frau Meister.

[Sibylle Meister (FDP): Ja! – Weitere Zurufe von der FDP]

Und noch etwas ist am FDP-Antrag erklärungsbedürftig: Wenn Sie, Frau Meister, schon der Meinung sind, dass die Schuldenbremse restriktiver ausfallen muss, als es die ökonomische Vernunft eigentlich erlaubt, warum möchten Sie dann ausgerechnet den Passus wieder streichen, mit dem die Koalition das Schuldenbremsenschlupfloch Public-Private-Partnership schließen will, ein Instrument, das, wie wir längst wissen, ohnehin meistens ein schlechter Deal für die öffentliche Hand war. Es ist ein offenkundiger Widerspruch, wenn die FDP für eine enge Schuldenbremse trommelt, nur nicht dann, wenn es womöglich zulasten der Geschäftsmodelle privater Unternehmen geht.

[Torsten Schneider (SPD): Das ist bezeichnend!]

Mit echtem Wirtschaftsliberalismus und einer sozialen Marktwirtschaft hat so eine Argumentation nun wirklich gar nichts mehr gemein, Frau Meister.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN – Marcel Luthe (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Herr Wesener! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Luthe zulassen.

Vielleicht später, Herr Präsident!

[Marcel Luthe (FDP): Okay, dann später!]

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Debatte um die Schuldenbremse wird auch nach Beschlussfassung des vorliegenden rot-rot-grünen Gesetzentwurfs weitergehen, und das ist auch dringend nötig, denn was die Berliner Opposition immer noch nicht verstanden hat, ist in weiten Teilen der Finanz- und Wirtschaftswissenschaft, aber auch der verantwortlichen Politik längst Common Sense, nämlich dass die Erfahrung der letzten Jahre, die aktuelle Konjunktur- und Zinsentwicklung, die öffentlichen In

vestitionsquoten und -erfordernisse, aber auch die Risiken in der Entwicklung der Weltwirtschaft eine Reform der Schuldenbremse ratsam erscheinen lassen. Kritik kommt unter anderem von den Wirtschaftsweisen, die die jetzige Regelung für zu starr halten und auf eine Lockerung im Sinne der Goldenen Regel drängen. In allen demokratischen Parteien und ihren Fraktionen im Bundestag wird inzwischen offen über den Sinn und Unsinn der schwarzen Null diskutiert. In Baden-Württemberg konnten sich die Landtagsfraktionen von Grünen, CDU – Herr Goiny! –, SPD und FDP gerade vorgestern auf eine Änderung der Landesverfassung verständigen, um Ausnahmen von der Schuldenbremse in Zeiten wirtschaftlicher Notlage zu ermöglichen.

[Zuruf von der LINKEN: Hört, hört! – Zuruf von Christian Goiny (CDU)]

Und Wissenschaftler des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung haben erst jüngst darauf aufmerksam gemacht, dass Deutschland und die EU für eine mögliche Eskalation des Handelskrieges durch die Trump-Administration schlecht gerüstet sind und eine anhaltende Rezession riskieren – wegen ihrer rigiden Geldpolitik und der finanzpolitischen Fesseln, die man sich in Gestalt von Fiskalpakt und Schuldenbremse selbst auferlegt hat. Manche Debatte und späte Erkenntnis wirkt schon ein wenig paradox, denn letztlich führen wir eine Debatte darüber, mittels welcher Ausnahmen und Hilfskonstruktion wir doch noch all jene Konjunkturmaßnahmen und Investitionen ermöglichen könnten, die durch das Inkrafttreten der Schuldenbremse überhaupt erst erschwert werden. Aber es ist auch ein Fortschritt, wenn endlich verstanden wird, dass Generationengerechtigkeit, Herr Goiny, sehr viel mehr ist, als politisch motivierte Schuldenexzesse zu unterbinden. Gerechtigkeit bedeutet eben auch, nachfolgenden Generationen eine moderne öffentliche Kommunikationsinfrastruktur, gute Gesundheits-, Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen und – last but not least – eine intakte Umwelt zu hinterlassen. Das bedeutet angesichts der Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung für ein hochindustrialisiertes Land wie die Bundesrepublik eben auch, dass wir bestimmte Zukunftsinvestitionen schon heute tätigen müssen. Anderenfalls ergeht es uns wie der deutschen Automobilindustrie. – Warum ausgerechnet die German-Mut-Partei FDP das nicht begreifen kann oder will, bleibt Ihr Geheimnis, Frau Meister.

Mein Fazit: Die Berliner Schuldenbremse, die wir heute beschließen wollen, ist vielleicht kein perfektes Gesetz, aber unter den geltenden Rahmenbedingungen das bestmögliche. Wir vermeiden den Fehler, den andere gemacht haben, indem wir bei der Ausgestaltung der Schuldenbremse auf größtmögliche Flexibilität statt auf starre Regeln setzen, gerade weil niemand von uns die ökonomische Zukunft kennt. Wir bekennen uns damit zu einer aktiven Finanz- und Konjunkturpolitik und in diesem Zusammenhang auch zu unserer ureigenen Verantwor

tung als Landesparlament und Haushaltsgesetzgeberinnen und Haushaltsgesetzgeber. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Ich hätte eine Bitte, das gilt nicht nur für Sie, Herr Wesener: Wenn Sie sagen, Sie lassen eine Frage später zu, dann müssen Sie uns ein Signal geben, ab wann Sie eine Zwischenfrage zulassen, weil der Kollege Luthe Panik ausströmt mit dauernden Meldungen.

[Marcel Luthe (FDP): Was ströme ich aus, bitte?]

Wir haben außerdem die Zwischenfrage angezeigt. Jetzt sind wir durch.

Darf ich jetzt noch?

Nein, jetzt sind wir durch. – Wenn jemand keine Zwischenfrage zulässt, kann man das ja sagen. Wenn Sie aber sagen: „Ich lasse sie später zu, ich möchte den Gedanken noch fortführen“, dann müssen Sie uns ein Signal geben, wann der Gedanke fortgeführt worden ist.

[Christian Goiny (CDU): Um 19 Uhr!]