Protokoll der Sitzung vom 28.11.2019

Darüber sollten wir viel mehr miteinander reden.

Es muss doch genau den Bürgerrechtsgrünen richtig weh tun, was da gerade passiert. Diese Maulkorbpolitik, die Sie in dieser Stadt machen, wenn Wohnungsbaugesellschaften sich äußern, wenn Vorstände von Wohnungsbaugesellschaften auf Missstände hinweisen, darauf hinweisen, dass dieser Mietendeckel keine Wirkung erzielen wird,

[Udo Wolf (LINKE): Wir reden pausenlos mit denen!]

dann werden Sie aktiv und weisen diese Vorwürfe nicht nur zurück, Sie verteilen regelrecht jeden Tag in dieser Stadt einen Maulkorb.

[Udo Wolf (LINKE): Quatsch! Unsinn!]

So geht es nicht, Herr Wolf. So geht es nicht!

[Beifall bei der FDP – Udo Wolf (LINKE): Wir reden mehr mit denen als Sie!]

Deshalb sage ich Ihnen: Lassen Sie uns lieber darüber reden, in welcher Stadt wir eigentlich leben möchten. Ich möchte in einer Stadt leben, in der es keinen Unterschied macht, ob man Neu- oder Urberliner ist, sondern ich möchte in einer Stadt leben, in der es wieder Freude macht zu sagen: Ich bin ein Berliner! –, ohne dass es Skepsis auslöst.

[Zurufe von Dr. Wolfgang Albers (LINKE) und von Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

Ich möchte vor allen Dingen auch in einer Stadt leben, in einem Berlin leben, in dem man sich wieder gemeinsam an einen Tisch setzt, miteinander redet und die großen Herausforderungen miteinander diskutiert, über Lösungen spricht, die dringend notwendig sind für diese Stadt, so wie es in Deutschland gute und gelebte Tradition ist. Ich möchte in einer Stadt leben, in der Menschen nicht pauschal unter Generalverdacht gestellt werden, weil es einige wenige schwarze Schafe in den Berufsgruppen gibt. Das ist nicht mein Verständnis, das ist nicht das Verständnis der Freien Demokraten eines zivilisierten Miteinanders. Ihres sollte es auch nicht sein.

[Beifall bei der FDP]

Ich möchte, dass wir in einem Berlin leben, in dem Leistung wieder wertgeschätzt wird und in dem der Malermeister oder Dachdecker kein schlechtes Gewissen haben muss, weil er in dieser Stadt unterwegs ist, seinen Aufgaben nachkommt

[Zuruf von Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

und für Wohnungsbaugesellschaften und Wohnungsunternehmen arbeitet. Das möchte ich nicht. Ich möchte, dass der seinen Job sicher in dieser Stadt machen kann und nicht den Anfeindungen ausgesetzt ist, die Sie heraufbeschworen haben.

[Beifall bei der FDP – Udo Wolf (LINKE): Was hat der Malermeister damit zu tun?]

Ja, ich möchte auch in einer Stadt leben, wo der Amtseid seinen Trägern auch etwas bedeutet

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Beifall von Kurt Wansner (CDU)]

und nicht die Einladung zum Klassenkampf ist. Schaffen wir dafür endlich wirkungsvolle Grundlagen, die das ermöglichen. Schaffen wir in dieser Stadt endlich bezahlbaren Wohnraum für die Mieterinnen und Mieter mit einer mietsenkenden Neubauoffensive.

[Sebastian Schlüsselburg (LINKE): Dann fangen Sie mal in Steglitz-Zehlendorf an!]

Sorgen wir dafür, dass in dieser Stadt wieder die Kultur des Miteinanders und damit auch eine Baukultur einziehen, damit die Mieterinnen und Mieter tatsächlich eine Auswahl haben.

[Zuruf von Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

Und sorgen wir auch dafür, dass am Ende des Tages tatsächlich etwas übrig bleibt in der Geldbörse –

Herr Kollege! Sie müssen zum Ende kommen!

der Mieterinnen und Mieter und nicht nur leere Versprechen, so wie es Ihre Mietenlüge hier am heutigen Tag ist, sondern tatsächlich Spielräume bleiben für das Alter und nicht das Geld für Ihre Inkompetenz verwendet werden muss. – Herzlichen Dank!

[Beifall bei der FDP und der CDU – Udo Wolf (LINKE): Da müssen Sie aber einen großen Popanz aufbauen!]

Zu diesem Tagesordnungspunkt hat der fraktionslose Abgeordnete Wild gemäß § 64 Abs. 2 der Geschäftsordnung einen Redebeitrag angemeldet. Die Redezeit beträgt bis zu drei Minuten. – Herr Abgeordneter, Sie haben das Wort.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Das Sahnehäubchen!]

(Sebastian Czaja)

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf.

sagte einst Erich Honecker. Wie verhält es sich mit dem Mietendeckel des rot-mauerrot-grünen Senats? – Wir müssen feststellen: Erstens: Die Koalition hat durch Vorschriften zu Wärmedämmung, Solardächern und Barrierefreiheit das Bauen so teuer wie noch nie zuvor gemacht, zweitens keinen nennenswerten Neubau auf den Weg gebracht und drittens alles Menschenmögliche dafür getan, dass Zuwanderer mit juristisch fragwürdiger Bleibeperspektive kontinuierlich in reguläre Wohnungen übersiedeln. Nachdem Sie also alle Voraussetzungen für steigende Mieten geschaffen haben, wollen Sie diese plötzlich per Dekret wieder senken. Glauben Sie ernsthaft, dass das funktioniert? Mittlerweile befristen manche Vermieter ihre Mietverträge auf weniger als zwei Jahre, um der Mietpreisbremse zu entgehen. Was bringt also Ihre Mietpreisbremse? – Gar nichts!

Die Entwicklung der Immobilienpreise ist schon angesichts der unsere Volkswirtschaft sklerotisierenden Zinspolitik kein Wunder. Um der schleichenden Enteignung und dem zombiefizierten Aktienmarkt zu umgehen, legen viele Wohlhabende ihr Vermögen in Betongold an. So wird der Immobilienmarkt weiter aufgeheizt und die Verzweiflung am Wohnungsmarkt nimmt von Stunde zu Stunde zu.

Frau Lompscher! Haben Sie es schon bemerkt? – Es mangelt an Wohnraum. Dieser vermehrt sich nicht durch eine Mietpreisbremse. – Sie müssen jetzt am Telefon spielen. Das ist wichtiger! –

[Katina Schubert (LINKE): Bei dem Redebeitrag: ja!]

Im Gegenteil: Sie bringt Investitionen ins Stocken und Wohnungen drohen unbewohnbar zu werden, so wie am Ende der DDR. – Sie können sich ja daran erinnern. – Es muss gebaut werden! Ich erkläre Ihnen gern, wie das in großem Maßstab bewerkstelligt werden könnte. Der Bau von 200 000 neuen Wohnungen in Berlin wird durch die Ausgabe einer Imbu-Anleihe, einer Immobilienbundesanleihe, finanziert. Diese Anleihe wird entweder vom Bund mit einem Volumen von 200 Milliarden Euro oder direkt vom Land Berlin mit einem entsprechend geringeren Volumen ausgegeben. Investoren werden sich um diese Anleihe reißen.

[Zuruf von Torsten Schneider (SPD)]

Während ein wirtschaftlich orientierter Bauinvestor einen Mietzins verlangen würde, der die Kosten der ausgegebenen Anleihe um ein Vielfaches deckt, kann sich das Land Berlin bei den neu gebauten Wohnungen mit weit weniger begnügen. Das hätte niedrigere Mieten zur Folge. Durch das erhöhte Wohnungsangebot bremsen sich

schließlich die Mieten der übrigen Wohnungen von selbst. – Herr Finanzsenator Kollatz! Frau Bausenatorin Lompscher! So geht bauen, wenn man denn will. – Danke!

[Vereinzelter Beifall bei der AfD – Beifall von Kay Nerstheimer (fraktionslos)]

Für den Senat spricht der Regierende Bürgermeister. – Bitte schön, Herr Regierender Bürgermeister! – Keine Zwischenfragen!

[Zuruf von der CDU: Mit mir wird es keine Herabsetzung von Mieten geben!]

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dass das heute eine kontroverse Debatte wird und die Meinungen aufeinanderprallen, war zu erwarten, und doch bin ich an einer Stelle erstaunt. Ich habe damit gerechnet, dass es bei allen Unterschieden, die in der Debatte deutlich werden, doch eine Gemeinsamkeit gibt, die alle ganz selbstverständlich betonen: dass das Thema Mieten und Wohnen die herausragend soziale Frage unserer Zeit ist. Nicht einmal das ist von der Opposition eindeutig formuliert worden.

[Beifall bei der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Das ist bedauerlich, denn es stimmt nicht – Herr Gräff –, dass es auf einmal eine Mietendeckeldebatte gibt und die Koalition jetzt durch ein Volksbegehren aufwacht und etwas unternimmt, sondern Sie wissen ganz genau, dass wir seit vielen Jahren die Entwicklung in unserer Stadt beobachten und dass es seit 2012/13 ganz konkrete Veränderungsschritte gibt, Mietenbündnisse, Bauprogramme der Gesellschaften werden hochgefahren – keine einzige bundesgesetzliche Möglichkeit, die wir in Berlin nicht anwenden. Das alles wissen Sie. Sie wissen, dass ich 2018 schon ein Mietmoratorium vorgeschlagen und mich auch in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU/CSU auf Bundesebene bemüht habe, noch deutlich mehr an Mieterschutzrechten durchzusetzen. Das war damals nicht möglich, aber es hat auf Bundesebene tatsächlich bei einigen Vertretern Ihrer Partei ein Umdenken gegeben. Ich möchte daran erinnern, dass wir jetzt im Bundesrat einen Antrag aus Bayern beraten, der schlichtweg von Berlin abgeschrieben ist, in dem die bayrische Landesregierung sagt, sie möchte gegen Mietwucher vorgehen.

[Zuruf von der SPD: Hört, hört!]

Auf einmal gibt es ein Umdenken, spät aber immerhin. Leider haben wir heute nicht einmal das bei Ihnen gehört, lieber Herr Gräff, liebe Opposition!

[Beifall bei der SPD und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Zuruf von Christian Gräff (CDU)]

Herr Czaja hat zumindest die richtige Frage gestellt, um die es heute eigentlich geht – leider hat er darauf keine Antworten gegeben. Es geht auch um konkrete Instrumente, zu denen ich noch etwas sage, aber es geht um eine viel größere, grundsätzliche Frage, die heute deutlich wird: In welcher Stadt wollen wir leben? Ich erweitere das: In welcher Gesellschaft wollen wir leben?

[Sebastian Czaja (FDP) und Sibylle Meister (FDP): Ja!]

Es geht auch um eine zutiefst sozialpolitische Frage: Was erwarten wir von der sozialen Marktwirtschaft? – Wir müssen uns damit auseinandersetzen, was das eigentlich heißt und welche Rechte und Pflichten es auf beiden Seiten dieser sozialen Marktwirtschaft gibt. Ist es wirklich so, dass sich unser Sozialstaat den Markterfordernissen anpassen muss, oder müsste es nicht eigentlich anders sein: dass wir sozialpolitische Grundlagen und Richtlinien formulieren, denen sich der Markt anpassen muss?

[Beifall bei der SPD und der LINKEN]