Protokoll der Sitzung vom 20.02.2020

[Anhaltende Unruhe]

Aber ich bin sowieso fertig. Denn Ihre Partei, Herr Schrader, will kein Aussteigerprogramm für Linksextremisten,

[Zuruf von Joschka Langenbrinck (SPD)]

Ihre Partei will keinen Kampf gegen Linksextremisten, denn Ihre Partei ist nicht Teil der Lösung, sondern nach wie vor Teil des Problems.

[Beifall bei der AfD – Beifall von Jessica Bießmann (fraktionslos) und Andreas Wild (fraktionslos)]

Herr Abgeordneter Schrader! Sie haben die Möglichkeit der Erwiderung – bitte schön!

Nur zwei Sätze: Am Tag nach dem rechten Terror von Hanau finde ich so einen Auftritt

[Iris Spranger (SPD): Beschämend!]

unerträglich.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Zweitens: Auf so einen Kübel Müll und Lügen, der hier von so einem Höcke-Schoßhund ausgekippt wird, muss man nicht antworten; das spricht für sich. – Danke!

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Unruhe – Anne Helm (LINKE): Ihr habt euch genug erklärt! – Gunnar Lindemann (AfD): Typisch Mauermörder! – Zuruf von der AfD: Unparlamentarisch! – Zuruf von Stefan Ziller (GRÜNE)]

(Thorsten Weiß)

Herr Luthe, Sie haben das Wort – bitte!

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin! – Meine sehr verehrten Damen und Herren! Eine Plenarsitzung wie diese, eine solche Debatte zeigt meines Erachtens sehr deutlich, warum ein Drittel der Menschen in dieser Stadt nicht mehr wählt. Wir sind – mit dieser Form der Auseinandersetzung – offensichtlich nicht gewillt, uns mit Sachfragen zu beschäftigen, und das frustriert einen jeden, der tatsächlich daran interessiert ist, dass es in dieser Stadt vorangeht.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Beifall von Andreas Wild (fraktionslos) und Jessica Bießmann (fraktionslos)]

Wenn man in dieser Stadt und im Übrigen auch im ganzen Land politisch gestalten will, schließt man sich üblicherweise einer Partei an. Die Frage, warum man sich der einen oder der anderen Partei anschließt, ergibt sich meist aus den Grundsätzen dieser Partei, die man in den Satzungen nachlesen kann. In der Satzung der Freien Demokraten ist – als einziger Parteien diesem Haus und im Deutschen Bundestag – Folgendes zu lesen: Wir sind der Zusammenschluss derer,

die totalitäre und diktatorische Bestrebungen jeder Art ablehnen

und diesen entschlossen entgegentreten.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Kurt Wansner (CDU)]

Um zu bewerten, was das heißt, ist es erforderlich, zu verstehen, was totalitär bedeutet. Die, so denke ich, nach wie vor allgemeingültigste Definition stammt von Eric Hobsbawm – übrigens einem jüdischen Marxisten –

[Zuruf von Niklas Schrader (LINKE)]

von der Stanford Universität und sieht sieben Kriterien vor – erstens: den Alleinvertretungsanspruch, den Glauben, die alleinige Wahrheit in seiner Ideologie inne zu haben. – Die abgeschlossene Weltanschauung, die Überzeugung, dass es nicht um Fakten geht, sondern um den Glauben, was in irgendeiner Frage richtig ist; Fakten stören da nur – auch das ist totalitär. – Der Absolutismus, der Personenkult, der um die eine oder andere Person in dem einen oder anderen Lager betrieben wird – auch das ist ein Merkmal einer totalitären Ideologie. – Ein wichtiger Punkt ist die Feindbildrhetorik, Gut und Böse, Schwarz und Weiß, die Tatsache, die Behauptung, dass es keine Mitte, sondern nur zweierlei Extreme gebe – die einen, die auf der richtigen und die anderen, die auf der falschen Seite stehen. Das ist totalitär und zutiefst antidemokratisch. – Der Wunsch, eine eigene Sprache zu prägen und allgemeingültige Begriffe auszuhöhlen und im politolinguistischen Sinne neu zu besetzen. Auch im

Übrigen Worte wie „gerecht“ an so ziemlich alles dranzuhängen und „ungerecht“ an das andere, was der politische Gegner macht. Auch die suggestive Sprache ist Teil einer totalitären Ideologie.

Totalitäre Regime bzw. Gruppierungen sind dagegen gerichtet, Demokratie und Freiheit aufrechtzuerhalten. Sie wollen sie bekämpfen, im Übrigen nicht aus sich heraus, nicht aus einer freien Erklärung heraus, sondern weil es dem guten Zweck dienen soll, welchen man auch immer gerade sieht. – Zuletzt greifen alle totalitären Gruppen zum Mittel der Gewalt, um ihre jeweilige Ideologie, die ich gerade beschrieben habe, durchzusetzen.

Erst wenn alle sieben Faktoren zusammenkommen, haben wir es mit einer totalitären Bestrebung zu tun, und diese totalitären Bestrebungen, egal, woher sie kommen, bekämpfen wir Freien Demokraten mit aller Entschlossenheit.

[Beifall bei der FDP]

Um den Antrag zu bewerten, ist es erforderlich, uns mit der Frage zu beschäftigen, ob es in dieser Stadt politischen Linksextremismus gibt, der diese Kriterien erfüllt. Nach meiner Überzeugung ist das der Fall. Schauen Sie sich beispielsweise die dramatische Zahl von Brandstiftungen in der Stadt an, von der, wir haben es hier vor einigen Wochen diskutiert, ein überwiegender Teil im vergangenen Jahr politisch links motiviert war, von der es auch politisch rechts motivierte Taten bzw. genauso auch islamistisch motivierte Straftaten gibt; letztlich also Angriffe von allen Rändern. Das ist der große Unterschied zur Mitte dieses Hauses. Von allen Rändern werden totalitäre Angriffe auf unsere Demokratie unternommen. Dem müssen wir uns entgegenstellen.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der AfD – Beifall von Roman Simon (CDU)]

Insofern ist es grundsätzlich richtig, sich mit jeder Form von Extremismus zu beschäftigen und darauf eine Antwort zu haben.

Ob die Antwort, die Sie vorschlagen, inhaltlich richtig ist,

[Zuruf von Steffen Zillich (LINKE)]

erscheint mir wenig nachvollziehbar, weil es, wie es richtigerweise schon gesagt wurde, sehr verkürzt ist und versucht wird, Probleme eins zu eins zu übernehmen, die aber nicht identisch sind.

Zu guter Letzt noch einmal, auch im Zuge dieser Debatte: Gehen wir etwa 50 Jahre zurück:

Der legitime Platz des Liberalen ist zwischen allen Stühlen. Es darf ihn nicht kümmern, wenn er

von rechts oder links angegriffen wird. Wer stark genug ist, den Vorwürfen beider Seiten entgegenzutreten und dabei weiter den Kurs einer Mitte zu wahren, der kann

der Zukunft getrost entgegensehen. – In diesem Sinne tun wir genau das als Freie Demokraten in Berlin. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP – Beifall von Christian Buchholz (AfD)]

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort Frau Abgeordnete Tomiak. – Bitte schön!

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Gäste! Wir beschäftigen uns heute mit einem Antrag der AfD, in dem ein Aussteigerprogramm für Linksextremisten gefordert wird. Dass wir wenige Stunden, nachdem Menschen durch einen Mann mit eindeutig rechtsextremen Ansichten ermordet wurden, über diesen Antrag sprechen, ist eine Verhöhnung von Opfern rechtsextremer Gewalt und Morde.

[Zuruf von der AfD: Unfassbar!]

Die AfD wirft Nebelkerzen in Richtung Linksextremismus, um zu suggerieren, dass die Phänomene zwei Seiten einer Medaille sind. Dass wir diesen Antrag heute behandeln, beschämt mich. Unser Mitgefühl und unsere Trauer sind bei den Opfern und ihren Hinterbliebenen. Unsere Wut über das Versagen unserer Gesellschaft und Behörden, Menschen vor rechtsextremen Taten zu schützen, muss sich in Handlungen unsererseits übersetzen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Wir dürfen nicht akzeptieren, dass die Angst, die Rechtsextremisten in Wort und Tat verbreiten, möglich und ungestraft bleibt. Dafür werden wir weiter kämpfen.

Jetzt müssen wir aber erst noch über diese Nebelkerzen der AfD sprechen. Einige werden sich erinnern, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz seit 2011 eine Aussteigerhotline für Linksextremisten betreibt. In der Presse wurde darüber berichtet, wie viele interessierte Bürgerinnen und Bürger dort angerufen haben. Mit Linksextremismus hatten sie allerdings nichts zu tun. Es hat sich gezeigt, dass es auf dieses Aussteigerangebot kaum Resonanz gab. Das Programm in NRW, auf das sich die AfD bezieht, steht auch breit in der Kritik – nicht nur, aber eben auch, weil die Ergebnisse im Bund so dünn und nichtig sind.

Inhaltlich-konzeptionell hat die AfD für ein Berliner Programm im Grunde keine Ideen. Es soll ein Programm geben; dort arbeiten dann alle zusammen, und dann werden die Linksextremisten zurück in die Gesellschaft geholt. Zu keinem Zeitpunkt wird sich die Arbeit gemacht, auf die strukturellen Gegebenheiten der Szenen einzugehen oder auch nur zu versuchen, irgendeine Art von Ana

lyse zu liefern, so verkehrt sie auch wäre. Es wird einzig und allein das Hufeisen geschwungen, dass es uns nur so um die Ohren fliegt. In der Begründung wird eine Kapitulation des Rechtsstaates postuliert. Was für ein Unfug!

Was für eine Relation hier aufgemacht wird, ist schon erstaunlich. Selbst wenn man alle Zahlen, die wir aus NRW und vom Bund kennen, euphorisch abfeiern würde, kommt nichts dabei herum. NRW selbst spricht im besten Falle von maximal 30 Personen, die sich im Programm befinden würden. Die klassische deutsche linke Szene, die die AfD ja treffen will, macht mutmaßlich maximal einen Bruchteil dieser so oder so schon kleinen Zahl aus.

Also selbst, wenn man die Idee eines solchen Programms gut findet, muss man sich fragen lassen, ob das wirklich eine sinnvolle Idee ist, wenn das die Ergebnisse sind. Ihr hochtrabend beschriebenes Staatsversagen soll mit einer Maßnahme bekämpft werden, die von den einen massiv in der Kritik steht, und selbst von den Verteidigern der Idee muss peinlich berührt eingestanden werden, dass quasi keine Ergebnisse geliefert werden können. Aber gut, dass wir auch über diesen Schaufensterantrag gesprochen haben!

Sie gaukeln sich und uns hier ordentlich etwas vor. Plakativ mag Ihre Idee auf den ersten Blick nach etwas klingen – nach was genau, scheint Ihnen selbst weder wichtig zu sein noch grundsätzlich eine Rolle zu spielen. Wenn man sich aber tatsächlich mit Ihren Vorschlägen beschäftigt, bleibt nichts als heiße Luft – heiße, gefährliche Luft, über die Sie und Ihre Wutbürger sich in Rage brüllen können, aber es langweilt mich, mit welcher plumpen und bewussten Effekthascherei Sie hier schon wieder Ihr Hufeisentheater aufführen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]