Protokoll der Sitzung vom 04.06.2020

Nicht nur sinkende Ausbildungsplatzzahlen sind ein Problem für die Berlinerinnen und Berliner, auch umgekehrt ist das der Fall, denn gleichzeitig haben wir in Berlin zurzeit noch 7 359 offene Lehrstellen. Ich kann also nur alle jungen – oder auch älteren – Leute auffordern, sich zu bewerben – es gibt noch freie Stellen – und dies wirklich in Betracht zu ziehen. Leider sehen zu wenig junge Leute eine berufliche Ausbildung für sich als Chance.

Damit kommen wir zum eigentlichen Problem.

[Sebastian Czaja (FDP): Wo ist eigentlich die Wirtschaftssenatorin?]

Gerade jetzt muss die Berufsorientierung besser funktionieren. Leider ist es ausgerechnet jetzt so, dass die Ansprechpartnerinnen und -partner in den Jugendberufsagenturen nicht vor Ort sind. Das kann nicht sein, da muss Abhilfe geschaffen werden; wir brauchen eine funktionierende Berufsorientierung.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Stephan Standfuß (CDU) und Franz Kerker (AfD)]

Klar ist auch: Nicht alle Probleme sind auf die Coronapandemie zurückzuführen. Gerade bei der Digitalisierung der Berufsschulen hat der Senat in den vergangenen Jahren gelinde gesagt zu wenig getan, zu wenig Fortschritte gemacht. Übrigens: In der neuesten IHK-Umfrage, was die Unternehmen sich wünschen, ist an Platz eins zurzeit der Wunsch nach besseren digitalen Angeboten für die Auszubildenden in Berufsschulen. Leider erkennen wir: Die OSZ sind vielfach weder mit WLAN noch mit Breitbandanschlüssen ausgestattet. Der Senat muss endlich aus seinem netzpolitischen Tiefschlaf aufwachen, so geht das nun wirklich nicht weiter.

[Beifall bei der FDP]

Kurzum: Ich erwarte von Ihnen, vom Senat, dass Sie im Dialog mit den Betrieben alle Möglichkeiten besprechen, alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um das Ausbildungsangebot zu sichern. Leider mussten wir im Ausschuss für Arbeit und Soziales, aber auch im Bildungsausschuss letzte Woche erfahren, dass Ihnen noch nicht einmal die Zahlen, die aktuelle Lage zu den Auswirkungen auf die Ausbildung in Berlin vorliegen. Sie vertagen nicht nur wichtige Fragen, die sich zum Ausbildungsbeginn im August stellen, Sie gefährden auch die Zukunftschancen einer ganzen Generation. Das können wir nicht zulassen.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Dirk Stettner (CDU)]

Vielen Dank! – Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Buchner das Wort.

(Dr. Maren Jasper-Winter)

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Selbstverständlich treibt die wirtschaftliche Situation und die Situation auf dem Ausbildungsmarkt auch die Fachpolitikerinnen und -politiker der Koalition um und ganz sicher auch die zuständigen Fachsenatorinnen.

[Sebastian Czaja (FDP): Wieso sind die denn dann nicht anwesend, die Fachsenatorinnen?]

Die Fachsenatorin für Bildung sehe ich dort.

[Sebastian Czaja (FDP): Ja, aber wo sind denn die anderen, von denen Sie sprechen?]

Der erste Appell geht tatsächlich an die Unternehmen selbst, und auch das ist übrigens eine gemeinsame Verantwortung: Die Menschen, die in den nächsten Monaten und Jahren nicht ausgebildet werden, führen zum Fachkräftemangel von morgen. Die Unternehmen sind dazu aufgefordert, wann immer sie die Möglichkeit haben, an ihren Ausbildungskapazitäten, an ihren Ausbildungsplätzen, festzuhalten.

[Sebastian Czaja (FDP): Das wäre was für die Wirtschaftssenatorin!]

Ich will auch zurückweisen, dass wir uns nicht um statistische Erhebungen kümmern würden. Meine Wahrnehmung ist: Ganz viele Unternehmen wissen zum heutigen Zeitpunkt noch nicht, ob sie es schaffen, an ihren Ausbildungskapazitäten, an ihren Ausbildungsplätzen, festzuhalten, weil sie im Moment nicht einschätzen können, ob sich die Situation in ihren Branchen bis September verändert. Von daher sollten wir uns nicht gegenseitig Vorwürfe machen, sondern tatsächlich gemeinsam daran arbeiten, einen Großteil der Ausbildungsplätze in dieser Stadt zu erhalten.

Ich will einen Punkt zu den Jugendberufsagenturen sagen: Da gibt es Konzepte, die auch wieder zu öffnen und auch wieder Präsenzberatung anbieten zu können. Es gab und gibt durchgängig die ganze Zeit die Möglichkeit, sich bei den Jugendberufsagenturen für telefonische Beratung und Videoberatung zu melden, aber es ist ganz sicher so, dass es auch schöner ist, hingehen zu können. Daran arbeiten wir.

Ich will auch ausdrücklich sagen, auch nach Gesprächen, die wir in Oberstufenzentren und auf parlamentarischer Ebene geführt haben, dass der spätere Beginn des Ausbildungsjahres durchaus eine Option sein kann, wenn es keine besseren, keine anderen Lösungen gibt. Es gibt auch Ausbildungsgänge, wo das Ausbildungsjahr sowieso im Frühjahr beginnt. Wenn es schulorganisatorisch und organisatorisch machbar ist und wir damit Ausbildungsplätze in dieser Stadt erhalten und schaffen können, dann ist das durchaus eine Option.

[Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Ülker Radziwill (SPD)]

Ich will auch etwas zum Thema digitales Lernen sagen. Das betrifft ja sowohl den allgemeinbildenden Teil als auch den Bereich der Oberstufenzentren und Berufsschulen. Natürlich ist die jetzige Situation im Moment auch ein Treiber, die am Ende dazu führt, dass sich das ein oder andere beschleunigen muss, ähnlich wie vielleicht beim Thema Homeoffice, wo viele Betriebe vermutlich noch Jahre gebraucht hätten, um auf einen Stand zu kommen, den sie nun in wenigen Monaten erreicht haben.

Es ist ganz sicher so, dass wir es noch nicht geschafft haben, jede Berufsschule in dieser Stadt ans Breitband anzuschließen, aber es ist ganz sicher so, dass wir die Anstrengungen verstärken werden, noch schneller zu werden. Wir haben sehr deutlich gemacht, dass wir den Breitbandanschluss für alle Oberstufenzentren in dieser Wahlperiode schaffen wollen.

Es geht auch um Endgeräte – das muss man auch mal sagen. Ich habe am Freitag mit einem Berufsschulleiter gesprochen, der gesagt hat, dass selbst bei den älteren Schülerinnen und Schülern an Oberstufenzentren etwa 10 bis 15 Prozent keine perfekten Endgeräte haben, sondern im Zweifel nur mit dem Handy arbeiten. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir von den Endgeräten, die wir jetzt anschaffen – von den Tablets –, auch welche für diese betroffenen Schülerinnen und Schüler an die Oberstufenzentren abgeben. Da kann es im Zweifel auch mal notwendig sein, Handys mit Datenkarten auszugeben, weil es einzelne Familien und einzelne Schülerinnen und Schüler von Oberstufenzentren gibt, die im Moment nicht die Möglichkeit haben, auf ein WLAN zurückzugreifen.

Es ist auch gesagt worden: Ja, da gilt es auch ein kraftvolles bundespolitisches Signal zu setzen. – Denn in vielen Punkten ist tatsächlich der Bund zuständig, zuständig natürlich vor allem dafür, die Stimmung in der Wirtschaft aufzuhellen und alles dafür zu tun, dass die wirtschaftliche Stimmung so wird, dass sich die Betriebe, die kleinen, aber auch die größeren, mit einer noch größeren Verantwortung für Ausbildung, trauen auszubilden, und zwar auch ab September.

Ich glaube in der Tat, dass die Bundesregierung gestern auch gezeigt hat, dass sie willens und entschlossen ist, die wirtschaftlichen Folgen dieser Pandemie insoweit zu lindern, dass die wirtschaftliche Stimmung schnell wieder besser wird und dass insofern auch die begründete Hoffnung besteht, dass die Wirtschaft ihrer Verantwortung in diesem Land nachkommt und die Fachkräfte von morgen produziert, auch mit Ausbildung ab diesem September oder spätestens ab Anfang kommenden Jahres. – Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion hat der Kollege Stettner das Wort!

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Tatsächlich könnte man die Frage stellen, ob Frau Breitenbach und Frau Pop kein Interesse an der Ausbildung in Berlin haben –

[Paul Fresdorf (FDP): Das scheint so!]

und warum sie nicht hier bei uns sind. Frau Scheeres ist da, aber ich verzichte jetzt darauf, Frau Pop und Frau Breitenbach formal zu zitieren.

[Daniel Wesener (GRÜNE): Frau Pop ist entschuldigt!]

Sie haben recht, vielen Dank! Bleibt eine übrig, aber das lassen wir jetzt trotzdem sein; das zeigt das Interesse.

Zwei, drei Kommentare möchte ich ganz gerne zu Herrn Buchner machen.

[Sven Kohlmeier (SPD): Von Ihrer Fraktion besteht wohl auch kein Interesse, oder? Ist kaum einer da!]

Das scheint mir ein Problem im Haus insgesamt zu sein, nicht nur bei uns. Mir ging es um die exekutiv Verantwortlichen. Ich glaube, das ist schon ein gewisser Unterschied, denn wer in der Exekutive fachlich verantwortlich ist, der sollte bei diesem Thema hier sein. – Ich gehe weiter vor: Zwei, drei Hinweise zu Herr Buchner: Ich habe vier Auszubildende, und ich weiß sehr wohl, ob die im September einen Ausbildungsplatz haben werden oder nicht. Ich glaube, drei Monate in die Zukunft können die meisten Ausbilder sehr wohl vorausschauen.

[Unruhe]

Vielleicht gebe ich den beiden Herren ein bisschen die Zeit, sich auszutauschen. – Ich glaube, man kann sehr wohl drei Monate in die Zukunft schauen, bei den allermeisten Ausbildungsbetrieben sollte das möglich sein. So gesehen macht dort eine Erhebung durchaus Sinn.

Die Endgeräte für die Oberstufenzentren: Herr Buchner, wie Sie das gesagt haben, gilt das leider nur wieder für sozial Schwache, wie das nebenbei – eine kleine Replik zu der Diskussion gerade eben – auch bei den Sommerschulen sehr wohl der Fall ist. Es steht nämlich aktuell so auf der Senatsverwaltungsseite, was die Anspruchsberechtigung ist. Das gilt also sowohl für die digitalen Endgeräte, als auch für die Sommerschulen.

Ansonsten zum Antrag: Meine sehr geschätzten Kollegen Christian Gräff und Jürn Jakob Schultze-Berndt haben da gestern eine sehr gute Pressemitteilung herausgegeben, dass mehr als 18 000 Berliner im Mai leider ihre Arbeit verloren haben, dass sich dieser Senat viel mehr mit unserer Wirtschaft abstimmen muss, um die Rahmenbedingungen für einen Erhalt von Arbeitsplätzen zu schaffen,

dass Kurzarbeit nicht zu Arbeitslosigkeit werden darf, dass Schulabgänger nicht auf die Straße geschickt werden dürfen und Überbrückungsangebote geschaffen werden müssen, bis die Ausbildungsbetriebe ihre Arbeit wieder aufnehmen.

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Buchner?

Selbstverständlich.

Vielen Dank, Herr Kollege! Ich springe noch einmal ganz kurz zurück, das ist auch nichts Böses: Ist Ihnen bekannt, dass die beiden Kammern, die Handwerkskammer und die Industrie- und Handelskammer, Statistiken über die Ausbildungsangebote und -kapazitäten ab September erstellen, aber selbst auch signalisieren, dass sie ständig daran weiterarbeiten, weil viele Betriebe eben noch nicht sagen können, ob sie – wie Sie und hoffentlich positiv für Ihre Auszubildenden – im September ausbilden können oder nicht?

[Ülker Radziwill (SPD): Und die zuständige Senatorin ist auch da!]

Wir begrüßen die zuständige Senatorin Frau Breitenbach! Sehr erfreulich, dass Sie da sind! – Ja, das ist mir bekannt, ich bin nur darauf eingegangen, dass Sie glauben, keine Planungssicherheit über drei Monate haben zu können und wollte Ihnen aus eigener Erfahrung mitteilen, wie das in der Praxis aussieht. Die IHK fordert auch zu Recht einen schnelleren Anspruch von Kurzarbeitergeld für Azubis – das geht in Richtung Bund –, eine befristete Unterstützung zur Fortzahlung der Ausbildungsvergütung und auch einen flexibleren Ausbildungsstart.

Es gibt Beispiele aus anderen Bundesländern. In Hessen zum Beispiel bieten die IHKs den Lehrkräften OnlineFortbildungen an, und der Bund ist auch nicht untätig. Die Bundesregierung – das war gerade eben auch Thema bei Herrn Buchner – tut mit zusätzlichen Maßnahmen gerade etwas für das digitale Lernen der Auszubildenden, die Berufsschulen können im Rahmen des Digitalpakts bereitgestellte Mittel für Endgeräte abrufen. Das ist etwas, was der Bund tut. Die Berufsbildenden Schulen stellen auch vielfältige digitale Plattformen zur Verfügung, die als Lehr- und Lerninfrastrukturergänzung genutzt werden können.

So gesehen sind sowohl der Bund, als auch die IHKs unterwegs und tun etwas, und der DIHK-Präsident Eric

Schweitzer weist auch darauf hin, dass wir mit virtuellem Speeddating, also Onlinebewerbungen, arbeiten sollten, die Kammern ihre Lehrstellenbörsen ausbauen und wir uns intensiv dafür einsetzen sollten, dass Auszubildende, trotz dieser schweren Rahmenbedingungen, ihre Abschlussprüfung ablegen können.

Wir sind also für eine starke Kooperation zwischen Kammer und Land, und das ist die Richtung, die dieser Antrag auch vertritt. Da fordert die FDP den Senat auf, dort in engerem Kontakt mit den Ausbildern und der Wirtschaft zu agieren. Wir halten das für richtig, wir glauben, wenn der Bund sein Übriges tut, die IHKs etwas tun, dass jetzt eine enge Zusammenarbeit zwischen Senat und Ausbildungsbetrieben erforderlich ist und nicht gewartet werden, sondern gehandelt werden soll, damit wir den Auszubildenden auch die Möglichkeit geben, einen Ausbildungsplatz zu erhalten oder ihre Prüfungen abzulegen.

Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Nachfrage der Kollegin Jasper-Winter?