Protokoll der Sitzung vom 03.09.2020

[Georg Pazderski (AfD): Das waren die Kommunisten! Ausgerechnet die Kommunisten, die für Millionen von Toten verantwortlich sind! – Ui! von der AfD]

Es wurden Schilder herumgetragen mit Politikern und Politikerinnen, Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, Journalisten und Journalistinnen, die in Sträflingskleidung gekleidet waren. Das wurde von einem AfDBundestagsabgeordneten entworfen und gedruckt. Damit dürfte die Frage beantwortet sein, wie Sie zur Freiheit von Presse und Wissenschaft stehen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Georg Pazderski (AfD): Kommunistin!]

Frau Kollegin! Ich darf Sie fragen, ob Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Luthe zulassen.

Nein, herzlichen Dank! – Wir beraten derzeit über das Versammlungsfreiheitsgesetz, weil das Versammlungsrecht für uns eines der elementarsten Grundrechte ist.

[Zuruf von Carsten Ubbelohde (AfD) – Weitere Zurufe von der AfD]

Wir haben jährlich Tausende Demos in unserer Stadt, und das ist auch gut so. Als Hauptstadt mit einer bewegten politischen Geschichte werden wir auch künftig Austragungsort der gesellschaftlichen Debatten sein. Wir werden alles daran setzen, dass alle Einschränkungen, sobald es eben möglich ist, aufgehoben werden.

[Marc Vallendar (AfD): Ja dann, ab sofort, würde ich mal sagen!]

Da können Verbote dauerhaft natürlich auch kein Instrument sein, um solche Szenen wie an diesem Wochenende zu verhindern. Auch ein Festungsgraben um den Bundestag kann ein solches Instrument nicht sein.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von Georg Pazderski (AfD)]

Wir haben doch gesehen, dass wir ein gesellschaftliches Problem haben, dem wir uns als gesamte Gesellschaft stellen müssen. Diese Aufgabe können wir auch nicht allein auf den Innensenator abwälzen.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Und Herr Lenz sagte im letzten Verfassungsschutzausschuss, dass die Gegendemonstranten genauso schlimm seien, weil sie ja auch zur Unruhe beitragen würden. Also da muss ich mal fragen: Wann ist denn ihre Ruhe gestört? Wenn Grundgesetzfeindlichkeit, wenn Antisemitismus

anschlussfähig werden oder wenn Menschen sich dem lautstark entgegenstellen?

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Frank-Christian Hansel (AfD): G20, Hambacher Forst!]

Was muss eigentlich noch passieren, Herr Dregger, damit Sie Ihren heutigen Worten Taten folgen lassen und sich anschließen und gemeinsam mit Kirchen, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbänden und uns unsere pluralistische demokratische Gesellschaft auch auf der Straße verteidigen?

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Georg Pazderski (AfD): Was wollen Sie denn? Sie wollen doch den Systemwechsel, Die Linke, oder?]

Es ist mir schon klar, wer hier rumkrakeelt.

[Georg Pazderski (AfD): Systemwechsel? Ein Prozent der Reichen erschießen?]

Es ist schon klar, wo der Grenzstrich hier zu ziehen ist. Es ist schon klar, gegen wen die demokratische, pluralistische Gesellschaft verteidigt werden muss.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Zuruf von der AfD: Mauermörder!]

Und was ist denn Kern einer solchen demokratischen Debatte? – Ja, die Grundrechte sind im Frühjahr empfindlich eingeschränkt worden. Aber es ist Wesen eines demokratischen Rechtsstaats, ständig Grundrechte gegeneinander abwägen zu müssen. Eine Gesellschaft besteht nun mal aus Menschen mit unterschiedlichen Interessen, und da entstehen auch Konflikte, und die muss man möglichst reibungsarm auflösen. Und solche Entscheidungen darf man sich nicht leicht machen. Ich weiß, dass auch der Berliner Senat sich diese Entscheidungen alles andere als leicht gemacht hat. Diese Abwägungen, die müssen wir auch in der Gesellschaft debattieren. Wir sind schließlich auf eine breite Unterstützung und Bereitschaft, diese Instrumente mitzutragen, angewiesen, damit die Maßnahmen auch funktionieren können.

Und deshalb, meine Damen und Herren, finde ich, dass es auch langsam Zeit ist, dass das Regieren per Verordnungen mal ein Ende hat.

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Die Gesetzgebung gehört ins Parlament, und dazu müssen wir endlich auch wieder zurückfinden können.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Aber seien wir mal ehrlich: Für welche Grundrechtsabwägung wurden denn da am Samstag gestritten? Da haben wir einerseits diejenigen, die sich ohne einen sogenannten Maulkorb überall bewegen wollen, und ande

rerseits diejenigen, deren Gesundheit und Leben davon abhängt, dass sie sich eben nicht mit diesem neuartigen Virus infizieren, von dem wir noch gar nicht wissen, was es dauerhaft auslöst und gegen das wir noch nicht impfen können. Und ich würde sagen: Die Unannehmlichkeit, in Geschäften, dem ÖPNV und auf Versammlungen Mund und Nase zu bedecken und etwas Abstand zu halten, wiegt den Schutz von Leben tatsächlich auf. Das ist Solidarität, darauf fußt unsere Gesellschaft.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Wir müssen dafür sorgen, dass diejenigen, die zur Risikogruppe gehören, sich eben nicht monatelang sozial isolieren müssen. Das vorderste Ziel der Berliner Politik muss sein, solidarisch zusammenzustehen, denn zum Bedürfnis nach Sicherheit gehört auch die Verlässlichkeit, in der Krise nicht allein gelassen zu werden,

[Vereinzelter Beifall bei der LINKEN und den Grünen]

die Zuversicht, dass wir um das kulturelle Leben und um jeden Arbeitsplatz in dieser Stadt kämpfen werden. Unsere Antwort auf diese Krise ist Solidarität und Zusammenhalt, und das bedeutet eben auch, sich den Hetzern vehement entgegenzustellen. – Vielen Dank!

[Starker Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN]

Für die FDP-Fraktion hat dann Herr Kollege Fresdorf das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Geschichte der inneren Sicherheit von Rot-Rot-Grün ist eine Geschichte voller Missverständnisse. Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Absichten, sagte George Bernard Shaw, und das kann man bei Ihrer Politik sehr gut erkennen.

Das Verbot der Demonstration am letzten Wochenende, Herr Senator Geisel, war ein großer Fehler.

[Beifall bei der FDP]

Schon im Jahr 2017 standen Sie vor einer ähnlichen Situation. Da gab es eine politisch nicht passende Demonstration, die uns, glaube ich, allen hier im Haus – so hoffe ich doch – nicht passt. Das war die Demonstration, die zum Todestag von Rudolf Hess in Spandau stattfinden sollte, vor dem ehemaligen Kriegsverbrechergefängnis, ein Ort, den wir – und da möchte ich auch meinem Freund Raed Saleh Danke sagen – gemeinsam mit SPD, CDU, Grünen im Bezirk Spandau umbenannt haben in „Platz der Weißen Rose“ als Signal des Widerstands gegen totalitäre Systeme.

[Beifall bei der FDP und der SPD]

An diesem Platz sollte eine Demonstration stattfinden: von Neonazis. Und wir sollten diese Begriffe nicht immer so vermischen: Es sind Neonazis, über die wir sprechen, Leute, die aus der Geschichte nichts gelernt haben, die alte Glaubensarten aufgreifen und probieren wiederzubeleben. Und diese Neonazis wollten nun in Spandau demonstrieren, und Sie, Herr Geisel, haben prüfen lassen, ob es denn möglich ist, das zu verbieten, und mit Erlaubnis des Präsidenten zitiere ich Sie aus der „Berliner Morgenpost“ vom 19.08.2017:

Ein Verbot wäre mir … sympathisch gewesen, wir haben das sehr sorgfältig geprüft und festgestellt, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung leider auch für Arschlöcher gilt.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Herr Senator Geisel! Was hat Sie davon weggebracht? Das ist doch die Frage, über die wir sprechen müssen. Was hat Sie denn von dieser Überzeugung weggebracht? Und ich gehe noch weiter: Sie gilt ja nicht nur für dieses unparlamentarische Wort, sie gilt ja auch noch für viele andere Gruppen von Menschen. Sie gilt für Freunde der Homöopathie, sie gilt für Impfgegner, sie gilt für Möhrenfeldzerstörer, sie gilt für so viele Gruppen in dieser Gesellschaft, dass man sagen kann: Das ist ein Jedermannsrecht, Herr Senator. Jedermann hat das Recht, wenn er mit der Regierung nicht einverstanden ist, den politischen Meinungskampf auf die Straße zu tragen.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Dieses Recht endet dann, wenn es zu Gewalt kommt. Und dann hat der Rechtsstaat dieses mit aller Kraft zu unterbinden und solche Versammlungen aufzulösen. Aber erst da ist die Grenze und nicht vorher, nicht, weil es missliebig ist, Herr Senator. Und das war Ihr Fehler, den Sie am letzten Wochenende gemacht haben. Sie haben durch das Verbot und Ihren politischen Begleittext – das war nämlich der noch größere Fehler, den Sie gemacht haben – den Fehler gemacht, den Anschein zu erwecken, dass politisch missliebige Veranstaltungen nicht genehmigt werden.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Christian Gräff (CDU)]

Damit haben Sie, Herr Senator Geisel, dazu beigetragen, diese Leute, diese Zielgruppe in Deutschland zu aktivieren und zu mobilisieren. Und wenn Sie in den sozialen Netzen unterwegs waren – und ich hoffe es, um Himmels willen, dass Ihr Haus so was beobachtet – und wenn Sie sich da umgeschaut haben, dann haben Sie doch gesehen, dass es mit der Entscheidung des Verbots auf einmal explosionsartig in den sozialen Netzen hoch her ging.

[Vereinzelter Beifall bei der FDP]

Sie haben diese Leute teilweise mit nach Berlin getrieben, durch Ihr ungeschicktes und plumpes Handeln.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Das ist doch Haltung! Das war doch nicht unprofessionell, wie er gesagt hat!]

(Anne Helm)