Protokoll der Sitzung vom 01.10.2020

Wo europäische Werte untergraben oder gar mit Füßen getreten werden, müssen wir aufstehen. Denn: Menschlicher Wille kann alles versetzen.

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Zu diesem Tagesordnungspunkt hat der fraktionslose Abgeordnete Wild gemäß § 64 Abs. 2 der Geschäftsordnung einen Redebeitrag angemeldet. Die Redezeit beträgt drei Minuten. – Herr Wild, Sie haben das Wort.

[Lars Düsterhöft (SPD): AfD-Mann!]

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn Donald Trump deutscher Kanzler wäre, würde er nicht von jenen sprechen, die schon länger hier leben. Er würde sagen: Let’s make Germany great again!

[Unruhe bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN – Lars Düsterhöft (SPD): Euer Mann! Euer Libero!]

Ich traf letztes Jahr auf einem englischen Campingplatz einen Briten, der dort mit seiner Tochter zeltete. Neben seinem Vaude-Zelt aus Schwaben stand ein nagelneuer Porsche 911. Nach einem kurzem Gespräch ließ er ihn stolz an und meinte: I love German Engineering.

Deutschland hat Kummer über die Welt gebracht. Deutschland hat der Welt viel gegeben. Deutschland hat seinen Platz in der Welt. Erinnern wir uns: Albert Einstein, Carl Benz, Friedrich Schiller, Ferdinand Porsche, Fritz Haber, Immanuel Kant, Johann Wolfgang von Goethe, Johannes Brahms, Ludwig van Beethoven, Nikolaus Otto, Rudolf Diesel und Werner von Siemens, um nur einige von Ihnen zu nennen.

[Zuruf von der LINKEN: Interessiert keinen!]

Deutschland ist eine große Nation mit vielen großen Geistern und vielen fleißigen Händen. Lasst uns Deutschland wieder stolz machen.

Kein Nachbar verlangt von uns, dass wir unser Licht unter den Scheffel stellen. Die kluge polnische Journalistin Aleksandra Rybinska berichtete 2018 beim „Politischen Frühschoppen“, die Polen hielten uns deshalb für geistig nicht mehr ganz auf der Höhe. Wer unser Deutschland neben der Kanzlerin am meisten beschädigt, sind die gehirngewaschenen Kinder der Achtundsechziger. Man findet sie heute überwiegend bei den Grünen. Claudia Roth meint: „Deutschland, du mieses Stück …“. – Ich meine: Deutschland, du wunderbares Vaterland. – Unsere Größe zeigt sich, wenn wir uns auf uns selbst besinnen, wenn wir die Rolle bescheiden, aber stolz annehmen, welche die Welt uns bietet. Deutsche bauen die besten Autos. Deutsche errichteten das beste Sozialsystem. Deutsche komponierten die schönsten Symphonien.

[Zuruf von Anja Kofbinger (GRÜNE)]

Deutschland ist die Loreley. Deutschland sind die Kreidefelsen bei Sassnitz. Deutschland ist die Wartburg, und Deutschland ist der Kurfürstendamm. Wir haben ein schönes Land, findige Köpfe und fleißige Hände. Wir haben ein schönes Land und ein Volk, auf das wir stolz sein können. Nach langer Selbstkritik ist es in Ordnung, wenn wir offen zu unserem Land stehen und alles dafür tun, dass es seinen Platz in der Welt wiederfindet. Deutschlands Platz ist neben den USA, Russland und China. Deutschlands Platz ist neben Italien, Japan, Frankreich und England. Lasst uns Deutschland wieder stolz machen.

[Zuruf von Katina Schubert (LINKE)]

Gebt Deutschland einen Platz in den Herzen der Deutschen und der Ausländer, die es werden wollen, weil es unser schönes und einziges Deutschland ist. Unser Deutschland, das wir lieben. Unser Deutschland – lasst es blühen in Einigkeit und Recht und Freiheit. – Danke!

[Beifall von Carsten Ubbelohde (AfD) und Dr. Hans-Joachim Berg (AfD) – Torsten Schneider (SPD): Amen!]

Für den Senat spricht der Regierende Bürgermeister Müller. – Sie haben das Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich freue mich sehr über diese Aktuelle Stunde im Vorfeld des Tages, der uns allen so viel bedeutet. Herr Dregger! Sie sind zu Beginn Ihrer Rede auf unser gemeinsames Geburtsdatum eingegangen und haben mich persönlich angesprochen. Ich möchte gerne auch kurz persönlich antworten. – Sie haben recht. Ich bin 1964 in Tempelhof geboren, also Westberliner und kein Wessi. Zwei Drittel unserer Familien haben allerdings in Ostberlin oder in Thüringen gewohnt. Ich muss zugeben, ich habe als Kind, als Jugendlicher, als junger Erwachsener die Situation in Berlin für mich nicht als bedrückend empfunden. Ich hatte auch ein gutes, freies Leben im Westteil der Stadt. Aber mit dem Fall der Mauer 1989 habe ich auch gewusst, was gefehlt hat, nämlich ein gemeinsames Leben in Frieden und Freiheit, nicht nur ausgewählte Besuche manchmal einige Tage in Thüringen, um die Familie zu sehen, sondern als Familie einen gemeinsamen Weg gehen zu können. Ich glaube, es geht vielen so wie mir und meiner Familie. Viele empfinden es bis heute als großes Glück, und wir sind sehr dankbar dafür, dass wir das erleben dürfen.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP – Beifall von Carsten Ubbelohde (AfD) und Tommy Tabor (AfD)]

Gerade an diesem Ort sollten wir kurz innehalten und uns darüber klarwerden, dass wir ohne Mauerfall und deutsche Einheit hier nicht zusammenkommen könnten, denn dieses Gebäude, nur einen Steinwurf von der Mauer entfernt, war Teil des Hauses der Ministerien der DDR. So wie viele Orte in unserer Stadt atmet auch das uns so selbstverständlich gewordene Berliner Abgeordnetenhaus die Geschichte unserer Stadt und unseres Landes. An Tagen wie heute, unmittelbar vor dem 30. Jahrestag der deutschen Einheit am 3. Oktober wird uns deutlich: Wir sollten uns vielleicht öfter an unsere wechselvolle Geschichte erinnern und dadurch noch stärker dieses Glück empfinden, das wir seit nunmehr 30 Jahren in der ungeteilten Stadt der Freiheit leben.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD, der CDU und der FDP]

Das ist mir sehr wichtig.

Es ist uns noch nicht alles gelungen, aber sehr vieles. Ja, es liegt noch einiges vor uns, aber eines kann uns niemand nehmen: Genau dieses Geschenk, die Teilung unserer Heimatstadt überwunden zu haben und friedlich gemeinsam heute in einer der spannendsten Metropolen der Welt zu leben und sogar noch in dieser Stadt Vorsitzender der Ostministerpräsidentenkonferenz werden zu können. Ich finde, das ist ein gutes Gefühl.

[Beifall bei der SPD und der LINKEN – Beifall von Stefan Evers (CDU) und Stefan Förster (FDP)]

Eine ganze Generation liegt es inzwischen zurück, dass hier in Berlin mit dem Inkrafttreten des Einigungsvertrages Geschichte geschrieben wurde. Wir alle erinnern uns an die Feierlichkeiten, die bereits einen Tag zuvor in unserer Stadt begonnen hatten. Es waren besondere Momente, die sich in der Geschichte unserer Stadt fest verankert haben, Momente, die wir denen verdanken, die mehr als ein Jahr zuvor, im Spätsommer 1989, friedlich auf die Straße gegangen sind und demonstriert haben, den mutigen Frauen und Männern in Ostdeutschland, die mit ihren Rufen nach Freiheit, nach einem selbstbestimmten Leben an immer mehr Orten und Plätzen in der DDR zu hören waren, die sich unter dem schützenden Dach der Kirchen organisierten und trotz großer persönlicher Risiken nicht aufgaben, sondern weitermachten und damit letztlich die Mauer zum Einsturz brachten.

Da, Herr Pazderski, kann ich es an der Stelle nicht umgehen, Sie persönlich anzusprechen. Als Sie das erste Mal heute hier gesprochen haben und sich und Ihre Laienspieltruppe zu Erben der Freiheitskämpfer gemacht haben, dachte ich, das wäre nur peinlich.

[Andreas Wild (fraktionslos): Für was halten Sie uns?]

Als Sie das zweite Mal aufgestanden sind und tatsächlich davon gesprochen haben, dass Ihr ganz persönliches Engagement auch dazu geführt hat, dass die sowjetischen

Truppen abgezogen sind und dass deswegen die deutsche Einheit gekommen ist,

[Georg Pazderski (AfD): Sie müssen einfach zuhören, Herr Müller! Nicht nur das hören, was Sie hören wollen!]

ist es an diesem Tag, kurz vor diesem 3. Oktober und in Anbetracht der vielen Opfer, die es gegeben hat, tatsächlich eine unerträgliche Schande, was Sie gesagt haben.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU – Georg Pazderski (AfD): Sie sind ein derartiger Heuchler! Ein Heuchler sind Sie!]

Ihnen ist gar nichts zu verdanken, sondern den mutigen Frauen und Männern, die 1989 auf die Straße gingen, haben wir diesen großen Moment unserer Geschichte zu verdanken.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Auch den Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtlern, die oft über Jahre in Gefängnissen saßen, weil sie gegen die SED-Diktatur aufbegehrten oder auch jenen, denen das ganze Leben verbaut wurde, weil sie den Maximen der SED nicht folgten. All denen, die bis zum Ende der DDR nicht aufgaben und widerständig blieben, genau denen verdanken wir diesen Tag, den wir am 3. Oktober feiern.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP – Georg Pazderski (AfD): Mit den anderen gehen Sie jetzt ins Bett! Sie Heuchler!]

Zwischen dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung lagen nur 328 Tage.

[Ülker Radziwill (SPD): Zuhören! – Georg Pazderski (AfD): Da muss man nicht zuhören! – Zuruf von Karsten Woldeit (AfD)]

Walter Momper hat später einmal davon gesprochen, dass es ein Meisterstück gewesen sei, in dieser kurzen Zeit, 328 Tage seit dem Mauerfall, den Einigungsvertrag auf den Weg gebracht zu haben. Das ist richtig, und wir können uns dabei mit Dankbarkeit in Erinnerung rufen, dass das ohne die Unterstützung unserer westlichen Verbündeten und unserer Nachbarn im Osten und auch der Sowjetunion nicht zustande gekommen wäre. Wir können uns glücklich schätzen, dass es damals den politischen Akteuren gelungen ist, die Vorbehalte gegenüber einem vereinten Deutschland zu überwinden, Vorbehalte, die aus der deutschen Geschichte resultierten, aus der Erfahrung mit einem Deutschland, das als Aggressor viel Leid über Europa gebracht hatte. Einen wichtige Grundstein für die Wiedervereinigung legte dabei auch die Erklärung der Volkskammer der DDR und des Deutschen Bundestages zur endgültigen Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze als Ostgrenze Deutschlands vom Juni 1990, eine Erklärung, die durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag sowie den späteren

(Regierender Bürgermeister Michael Müller)

deutsch-polnischen Grenzvertrag besiegelt wurde. Nicht nur deswegen spricht der Historiker Heinrich August Winkler von einer tiefen historischen Zäsur, die mit der Wiedervereinigung verbunden war, sondern auch, weil mit der Erlangung der deutschen Einheit auch die deutsche Frage eine Antwort gefunden hatte.

Das Bewusstsein um diesen historischen Moment geriet im Angesicht der Herausforderung, vor der die Menschen in Ostdeutschland standen, erst einmal ins Hintertreffen, denn von einem Tag auf den anderen änderte sich für sie einfach alles: ein neues Gesellschaftssystem mit neuen Freiheiten, einer neuen Währung und ungewohnten Regeln. Der gesamte Lebenskompass mit seinen alten Gewissheiten hatte sich plötzlich verändert. Als jemand, der, wie gesagt, im Westteil unserer Stadt aufgewachsen ist, wie auch für viele andere mit einer Westbiografie, ist es kaum vorstellbar, was das damals bedeutete. Gerade für die, die nach 1990 geboren sind, ist diese Vorstellung nicht einfach. Aber wir tun gut daran, uns diesen kolossalen Bruch im Leben der Menschen immer wieder vor Augen zu führen.

Für die Menschen in Ostdeutschland war die Transformation ihres gesamten Landes mit drastischen Umbrüchen verbunden, in ihren Berufen wie auch in anderen Bereichen ihres Lebens. Allein in Berlin gingen durch die Deindustrialisierung rund 200 000 Arbeitsplätze verloren. Die Arbeitslosenzahlen stiegen und damit auch vorher nicht bekannte Existenzängste. Viele Folgen zeigen sich noch heute und auch das Gefühl der Unterlegenheit wirkt in vielen Erinnerungen weiter. Dennoch dürfen wir nicht vergessen: Mit der Wiedervereinigung erlangten die Menschen endlich Freiheit. Für die jungen Generationen bedeutete das den Zugang zu einem selbstbestimmten Leben, einem Leben mit neuen Chancen, frei von staatlicher Bevormundung und den Zwängen der Diktatur. Für jene, die in der Diktatur gelitten hatten, die eingesperrt waren, die große Teile ihres Lebens bespitzelt und verfolgt wurden, ermöglichte die Wiedervereinigung das langersehnte, freie, selbstverantwortliche Leben.

[Georg Pazderski (AfD): Lafontaine ist deutlich – einfach mal hören, was er damals gesagt hat!]

Für die Westdeutschen bedeutete die Wiedervereinigung natürlich auch Veränderung. Aber vor allen Dingen bedeutete es, Solidarität zu üben und zu unterstützen und das nicht nur durch finanzielle Beteiligung, sondern auch durch die Förderung der Aufarbeitung der SED-Diktatur und die Solidarität mit den vielen Opfern. Auch das sollten wir nicht vergessen.

[Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Die deutsche Einheit war und ist eine Gemeinschaftsleistung. Beide Teile Deutschlands haben sie angenommen und tragen seit 30 Jahren dazu bei, diese Einheit zu gestalten. Gerade hier in unserer Stadt Berlin wird diese gemeinsame Leistung sichtbar. Die Fülle an Aufgaben,

vor denen die Verantwortlichen im Parlament und im Senat 1990 in Berlin standen, war beträchtlich, nicht zu vergessen auch die in den Berliner Bezirken. Die Jahre, das Zusammenwachsens zweier Stadthälften bedeutete für Berlin einen beispiellosen Kraftakt. Der Strukturwandel in Ostberlin kostete unzählige Arbeitsplätze, in deren Folge die Arbeitslosigkeit auf 20 Prozent stieg. Dann der Wegfall der finanziellen Unterstützung des Bundes und damit verbunden der dramatische Anstieg der Schulden. Der Konsolidierungs-, der Solidarpakt brachte viele weitere Härten, mit denen Berlin umzugehen hatte. Es waren Jahre enormer Anstrengung nicht nur für Politik und Verwaltung, sondern ganz konkret für die Berlinerinnen und Berliner.

Ich bin unserer Bevölkerung sehr dankbar, dass sie das mitgetragen hat, dass sie trotz der Zumutung mit ihrer Stadt immer solidarisch war. Auch das macht unsere Stärke aus, dass die Menschen mitmachen und die Ärmel hochkrempeln, um unserer Stadt zu helfen, dass sie eben in schweren Zeiten alles geben. Wie gesagt, dafür bin ich sehr dankbar.

Das Ergebnis unseres gemeinsamen Einsatzes kann sich sehen lassen. Berlin ist heute eine Kulturstadt, eine erfolgreiche Wirtschafts- und Wissenschaftsmetropole, Herr Saleh ist darauf schon eingegangen, eine Forschungsmetropole, eine, die sich mit ihrer Innovationsfähigkeit, ihrer Kreativität und ihrem Zukunftsdrang weltweit einen Namen gemacht hat. Der Name Adlershof steht wie kaum ein anderer für die Weitsicht, die bereits Anfang der Neunzigerjahre mit der Weichenstellung für Berlin als Innovationsmotor bewiesen wurde, auch damals im Übrigen eine umstrittene Entscheidung, als Eberhard Diepgen und sein Senat gesagt haben: Wir wollen bewusst an dieser Stelle investieren und einen Schwerpunkt setzen.

Berlin hat in den letzten 30 Jahren in seine Stärken investiert. Heute können wir sagen, dass sich das ausgezahlt hat. Wenn wir in unserer Geschichte noch etwas weiter zurückgehen, können wir sehen, dass sich auch schon früher genau dieser Mut, dieser Vorwärtsdrang bewährt hat.