Protokoll der Sitzung vom 19.11.2020

[Steffen Zillich (LINKE): Nö, ist er nicht!]

Es geht um eine längst überfällige Maßnahme, nämlich darum, die Abschiebung von Gefährdern und Schwerkriminellen nach Syrien wieder zu ermöglichen. Zwar werden wir mit Gefahrenabwehr allein den Islamismus nicht besiegen, aber im Kampf gegen die Gefährder als terroristische Speerspitze des Islamismus ist die Abschiebung ein hochwirksames Instrument.

Bundesweit gelten ca. 660 Personen als islamistische Gefährder; unter ihnen sind mehrere Hundert Ausländer,

die prinzipiell abgeschoben werden können. Konkret bei uns in Berlin gibt es eine hohe zweistellige Zahl von islamistischen Gefährdern, von denen 30 bis 40 Personen Ausländer sein dürften. Neben Nordrhein-Westfalen sind wir in Berlin leider ein Ballungsgebiet islamistischer Gefährder.

Welche Optionen haben wir, mit diesen Gefährdern umzugehen? – Eine elektronische Fußfessel gibt es nicht. Die Observation auch nur eines Gefährders über 24 Stunden erfordert 30 bis 40 Beamte. Das mit der Observation betraute MEK verfügt aber insgesamt nur über weniger als 200 Mann. Eine Überwachung mit technischen Mitteln mag bei Attentätern helfen, die einen längeren Vorlauf benötigen und etwa Zutaten für eine biologische Waffe oder Bomben im Internet bestellen. Aber bei den immer häufiger in Erscheinung tretenden Einzeltätern, die unvermittelt mit Alltagsgegenständen wie Autos oder Messern zuschlagen, hilft eine solche Überwachung mit technischen Mitteln auch nichts. Dann gibt es schließlich noch die Option, Gefährder in Haft zu nehmen. Das ist aber nur möglich, wenn jemand straffällig wird, was keinesfalls auf alle Gefährder zutrifft, bevor sie zuschlagen mit einem Attentat.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Hört, hört!]

Zudem werden sie irgendwann auch wieder entlassen und sind dann teils noch radikaler als zuvor, wie das Beispiel des Dresdener Attentäters belegt.

Die Zahl der Gefährder wie auch die begrenzten Handlungsoptionen der Polizei lassen eines klar ersehen: dass die Polizei schon alle Hände voll zu tun hat, die deutschen Gefährder irgendwie einzuhegen, und wir es uns nicht leisten können, auch noch die ausländischen Gefährder als tickende Zeitbomben frei durch die Gegend laufen zu lassen.

[Beifall bei der AfD]

Deshalb ist die Abschiebung als Maßnahme, die das von dem jeweiligen Gefährder ausgehende Risiko sofort auf null reduziert und zudem eine abschreckende Wirkung auf das gesamte Milieu hat, so wichtig. Wie aber verfahren wir in Berlin mit ausländischen Gefährdern? Meine diesbezügliche Anfrage an den Senat hat Folgendes ergeben: In den ersten neun Monaten dieses Jahres wurde sage und schreibe ein Gefährder abgeschoben – ein Gefährder.

[Zuruf von der AfD: Skandal! – Frank-Christian Hansel (AfD): Hört, hört!]

So sieht das Engagement des Senats für die Sicherheit der Berliner aus. Diese Untätigkeit verwundert allenfalls auf den ersten Blick, denn sie ist offensichtlich Programm, wie ein Zitat der Kollegin Schubert aus der Plenardebatte vom 30. November 2017 belegt. Ich zitiere mit Erlaubnis der Präsidentin:

Es konnte mir noch niemand erklären, warum es so wahnsinnig vorteilhaft ist, potenzielle Terroristen abzuschieben. Was ist denn gewonnen, wenn sie anderenorts schwere Verbrechen begehen? Der Terror ist längst global …

Zitat Ende. – Ich finde, das spricht für sich, und es sollten alle Berliner wissen, wie viel – oder treffender: wie wenig – ihr Leben der Linkspartei wert ist.

[Beifall bei der AfD]

Für uns ist die Abwägung hingegen eindeutig: Die potenziellen Opfer der Gefährder sind absolut unschuldig. Sie werden völlig willkürlich ermordet. Die Gefährder und Schwerkriminellen hingegen müssen mit der Abschiebung die Konsequenzen ihres Handelns tragen, denn es war ihre ureigene Entscheidung, sich so zu entwickeln, nachdem sie in Deutschland Schutz gefunden haben. Sie haben Ihre Rückführung durch ihr Verhalten selbst herausgefordert und ihren Schutzstatus verwirkt. Deshalb müssen sie auch die mit der Rückkehr nach Syrien verbundenen Risiken in Kauf nehmen.

[Beifall bei der AfD]

Wir können und wir werden uns nicht an Verhältnisse gewöhnen, in denen es quasi zum allgemeinen Lebensrisiko gehören soll, auf der Straße oder in der Kirche unvermittelt abgestochen oder auf dem Weihnachtsmarkt von einem Laster zerquetscht zu werden. Das können wir nicht hinnehmen.

[Zuruf von der AfD: Bravo! – Beifall bei der AfD]

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Lars Düsterhöft?

Nein, ich bin ja gleich fertig. Die Politik der unterlassenen Abschiebung von Gefährdern hat einen Preis, und dieser Preis bemisst sich im schlimmsten Fall in den verlorenen Leben Unschuldiger. Ich glaube, das kann niemand, vielleicht mit Ausnahme der Linkspartei, verantworten. Deshalb appelliere ich an den Innensenator, seiner Verantwortung gerecht zu werden und sich auf der Innenministerkonferenz für eine Rückführung von Gefährdern nach Syrien einzusetzen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der AfD]

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Zimmermann jetzt das Wort.

(Hanno Bachmann)

Frau Präsidentin! Meine geehrten Damen und Herren! Herr Kollege! Im Erfinden von verschiedenen Überschriften für ein und dieselbe Sache sind Sie und Ihre Fraktion wirklich unschlagbar.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Mal sind es die Terroristen, mal sind es die abgelehnten Asylbewerber, mal sind es wieder alle Ausreisepflichtigen, und diesmal sind es die Syrer. Aber immer geht es nur um das Eine: das Platzieren Ihrer Falschbehauptungen, wir würden nicht abschieben und das Gesetz missachten. Jedes Mal werden Sie durch die Tatsachen widerlegt, die ich Ihnen heute erneut vortragen muss.

[Christian Buchholz (AfD): Keine Abschiebung von Gefährdern! – Lachen bei der AfD – Zuruf von der AfD]

Berlin betreibt durchgängig ein Rückführungs- und Abschiebungsmanagement und koordiniert diese Bemühungen senatsseitig durch eine eigens dafür geschaffene Arbeitsgruppe. Über die freiwilligen Rückführungen hinaus hat Berlin im Jahr 2019 1 003 Personen abgeschoben und im Jahr 2020 bis Ende September 719. Anders, als Sie uns hier weismachen wollen, schieben wir auch konsequent Straftäter ab, wenn das rechtlich und tatsächlich möglich ist. 2019 waren es 207 und im laufenden Jahr bis Ende September 104 Straftäter. Dort jedoch, wo es rechtlich nicht möglich ist, abzuschieben, schiebt Berlin auch nicht ab, denn der Senat hält sich an geltendes Recht, und dieses zu missachten, kann dieses Haus schlechterdings nicht verlangen, auch nicht beschließen, und Sie verlangen das ja auch gar nicht.

[Vereinzelter Beifall bei der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Im deutschen Recht ist das Völkerrecht Teil unserer Rechtsordnung, weshalb das Aufenthaltsgesetz § 60 Absatz 5 auf die Europäische Menschenrechtskonvention verweist. Aufgrund dieser Rechtslage stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in ständiger Entscheidungspraxis ein Abschiebeverbot bei syrischen Staatsangehörigen fest. Dieses Abschiebeverbot entfällt auch bei Straftätern nicht. Ich nehme an, die Europäische Menschenrechtskonvention wollen Sie nicht ändern. Jedenfalls haben Sie das in Ihren Anträgen auch nicht angesprochen, auch nicht mündlich. Aufgrund also dieser auch von Ihnen unbestrittenen Rechtslage hat die Innenministerkonferenz vor Jahren gemeinsam mit dem Bundesinnenminister den Abschiebestopp für Syrer beschlossen, weil aufgrund der Lageberichte des Auswärtigen Amts die Lage in Syrien nach wie vor bedrohlich bis katastrophal ist.

[Harald Laatsch (AfD): Unsinn!]

Und wenn die Bundespolizei nicht nach Syrien fliegt, können auch wir nicht dahin abschieben, und jetzt kommt die entscheidende Frage: Muss der Abschiebestopp im

mer wieder verlängert werden, oder kann er in absehbarer Zeit ganz oder teilweise aufgehoben werden, und was muss geschehen, damit dies möglich wird? – Die Antwort darauf gibt der Bundesminister des Innern, Horst Seehofer, der in der Bundespressekonferenz am 23. Oktober dieses Jahres durch seinen Sprecher erklären ließ – ich zitiere mit Erlaubnis, Frau Präsidentin –,

dass es aus Sicht des Bundesinnenministeriums grundsätzlich zu begrüßen ist, wenn Straftäter und auch Gefährder abgeschoben werden können, dass dies aber natürlich nur dann geschehen kann, wenn sie nicht mit Gefahr für Leib und Leben bedroht sind.

Diese Aussage ist doch nicht deshalb falsch, weil Seehofer sie gemacht hat. Sie entspricht exakt der Rechtslage, an die sich selbstverständlich auch die Bundesregierung hält.

Es kommt also darauf an. Es kommt tatsächlich auf die Lage in Syrien an, wie die Verhältnisse dort sind, und damit auf die Lageberichte des Auswärtigen Amts und darauf, ob und wie weit dort eine Bedrohungslage fortbesteht oder ob etwa befriedete Zonen oder Sicherheitszonen festgestellt werden können, die gegebenenfalls eine Abschiebung rechtlich ermöglichen. Das ist die entscheidende Frage. Das muss aufgrund der Lageberichte beurteilt werden. Das macht das Bundesministerium des Innern, das machen die Innenminister der Länder, und dann wird eine Entscheidung getroffen. Bis jetzt ist keine Veränderung in dieser Lageeinschätzung vorgekommen, und deswegen ist es bis jetzt gültig.

Dies, was Sie hier anstreben, ist aber etwas, was wir hier weder im Abgeordnetenhaus beschließen können, noch der Senat anordnen kann, noch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verfügen kann. Dies ist Sache der Innenministerkonferenz einschließlich des Bundesministers des Innern, nämlich regelmäßig verantwortlich zu prüfen, welche Veränderungen sich im Herkunftsland ergeben und welche Konsequenzen daraus für die Abschiebepraxis zu ziehen sind. Wie auch immer sich die Situation entwickelt, Berlin hält sich an die Beschlusslage aller deutschen Innenminister und wird sich auch künftig daran halten. Wir handeln im Einklang mit dem Bund und den anderen Ländern, und wir machen hier keine Alleingänge, auch wenn Sie das hier beantragen. – Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit!

[Beifall bei der LINKEN und der SPD – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN]

Vielen Dank! Der Abgeordnete Bachmann hat die Gelegenheit zu einer Zwischenbemerkung.

Herr Kollege Zimmermann! Sie haben uns vorgehalten, wir würden hier immer wieder dasselbe Thema aufwärmen. Das stimmt so natürlich nicht. Sie wissen, dass das ein ganz spezieller Antrag ist, nämlich die Abschiebung von Gefährdern und Schwerkriminellen nach Syrien zu ermöglichen. Das hat mit der Abschiebung abgelehnter Asylbewerber, die wir anderweitig auch schon thematisiert haben, erst mal weniger zu tun. Da müssen Sie schon ein wenig differenzieren, nicht immer, wenn es um Abschiebung pauschal geht, ist das Thema von vornherein identisch.

Es gibt ja auch einen aktuellen Anlass, und der sollte Ihnen auch bekannt sein. Das ist einmal die Mordtat von Dresden, und das ist zusätzlich der Umstand, dass wir gerade in Berlin auch wieder letzte Woche einen Syrer als Angehörigen einer terroristischen Vereinigung festgenommen haben. Vor diesem Hintergrund stellt sich ganz akut die Frage, wie wir uns jetzt auf der Innenministerkonferenz dazu positionieren bzw. wie sich der Senat dazu verhält. Ich gebe Ihnen recht: Die Lage in Syrien ist ausschlaggebend, nur muss man die eben schon genau und analytisch betrachten.

Wir haben schon den Eindruck, dass bisher immer sehr routinehalber der Abschiebestopp verlängert worden ist. Manche Bundesländer haben das auch schon auf der vergangenen Innenministerkonferenz kritisiert. Da gibt es eine Protokollnotiz, dass manche Bundesländer nach verschiedenen Flüchtlingsgruppen differenzieren wollen. Natürlich gibt es in bestimmten Gebieten Syriens noch Krieg – das ist unbestritten –, und wir machen uns auch keine Illusionen über den Charakter des syrischen Regimes. Herr Assad ist sicher ein Fall für den internationalen Strafgerichtshof. Nichtsdestotrotz gibt es aber auch befriedete Gebiete in Syrien. Es gibt tausende von Syrern, die inzwischen Heimaturlaub dort machen. Es gibt Syrer, die Rückkehrhilfen in Anspruch nehmen, um nach Syrien zurückzukehren. Es verbietet sich da eine pauschale Betrachtung, und vor dem Hintergrund dessen, was wir jetzt an islamistischen Anschlägen zu beklagen hatten, ist es sehr wohl geboten, da ganz genau hinzusehen und sich dafür einzusetzen, dass, wenn es irgendwie möglich ist, Gefährder nach Syrien abzuschieben, dies dann auch zu tun.

Weiterhin haben Sie von einem Rückkehrmanagement gesprochen. Sie haben ja sogar einen Gefährdergewahrsam in Berlin-Lichtenrade mit zehn Plätzen eingerichtet, und die sind die meiste Zeit vakant. Sie stauben vor sich hin, weil Sie da aus ideologischen Gründen auch keine abgelehnten Asylbewerber unterbringen. Die Zahl der vollziehbar Ausreisepflichtigen hat mit über 14 000 einen neuen Rekordstand erreicht.

[Zuruf von der AfD]

Die Zahl der Abgeschobenen sinkt von Jahr zu Jahr, seit dieser Senat 2016 angetreten ist. Sie können das einfach schlechterdings nicht kaschieren, dass hier eine Blockade besteht. Vielleicht sind Sie dafür noch am wenigsten verantwortlich, aber da müssen Sie sich für Ihre Koalition in Haftung nehmen lassen.

[Beifall bei der AfD]

Dann hat der Kollege Zimmermann die Gelegenheit zur Erwiderung.

Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Herr Kollege! Ich kann es kurz machen. Es ist richtig, dass sich jede Pauschalbetrachtung verbietet, es sehr auf die tatsächliche Lage ankommt, diese Lage durchaus dynamisch sein kann, sich verändern kann und es deswegen entscheidend auf die nüchterne Betrachtung der Verhältnisse dort ankommt.

Zweitens gehe ich davon aus, dass die Innenministerkonferenz sich diese Analysen verantwortlich anguckt und dann eine Entscheidung trifft, nicht schematisch oder irgendwie reflexartig vorgeht, sondern ganz an der Sache und den tatsächlichen Verhältnissen orientiert, und natürlich dann versucht, die Ziele, die im Aufenthaltsrecht des Bundes angelegt sind, auch zu verwirklichen, nämlich dann, wenn das rechtlich und tatsächlich möglich ist, auch Straftäter und Gefährder abschieben zu können. Dieses Ziel ist das Ziel der Gesetzeslage.

Für die Koalition hier im Haus kann ich sagen, dass die Regeln, die das Völkerrecht zum Schutz von Humanität und Menschenleben aufstellt, vollständig beachtet werden und es dahinter kein Zurück gibt. Das werden wir auch künftig in der Praxis beachten, auch wenn Sie da noch so sehr drängen. Ich will Ihnen jetzt keine besondere Polemik vorwerfen. Das haben Sie hier nicht gemacht. Wir sollten als Haus das Signal aussenden, dass wir verantwortlich handeln. Und so wird der Senator garantiert in die nächsten Beratungen der Innenministerkonferenz eintreten und sich dort an der Analyse beteiligen. Alles vorwegzunehmen, was dort möglicherweise entschieden werden kann, macht keinen Sinn, weil man sich die Punkte erst angucken muss. – Herzlichen Dank!