Protokoll der Sitzung vom 19.11.2020

Nun möchte ich aber – die Kolleginnen haben ja schon sehr viel zum Antrag und den einzelnen Punkten geredet – sozusagen über den Antragsrand hinausblicken, denn ein so massives Problem bewältigt man nie allein oder im kleinen Rahmen. Deshalb haben wir schon vor

einiger Zeit in unseren jeweiligen Fraktionen über Berlin hinaus dafür geworben, tätig zu werden, um der IstanbulKonvention mehr Durchschlagskraft zu verleihen. Die grünen Justizministerinnen und Justizminister der Länder haben sich daraufhin zusammengesetzt und einen eigenen Forderungskatalog entworfen, den sie in der nächsten Woche auf der Justizministerinnen- und Justizministerkonferenz vorstellen werden.

Was ja auch schon in der Zeitung stand, ist zum Beispiel die Erfassung frauenfeindlicher Straftaten in der Polizeilichen Kriminalstatistik. Das ist übrigens mehr als häusliche Gewalt. Das finden wir auch sehr wichtig. Diese Straftaten finden natürlich derzeit statt, aber ohne dort offiziell benannt zu werden, im realen wie im digitalen Raum. Da dieses Thema bedauerlicherweise von der Bundesregierung vernachlässigt wurde, wollen die Beteiligten im ersten Schritt eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einsetzen, die im Austausch mit zivilgesellschaftlichen Organisationen auch weitere Themen bearbeiten soll, z. B. die Einführung einer justiziellen statistischen Erhebung für ein Lagebild der frauenfeindlich motivierten Kriminalität, die Überprüfung der strafrechtlichen und strafprozessualen Möglichkeiten, die Überprüfung der zivil- und insbesondere familienrechtlichen Ansatzpunkte. Für die Umsetzung dieser nächsten Schritte wünsche ich nicht nur Herrn Dr. Behrendt, sondern all seinen Kolleginnen und Kollegen alles Gute, und ich drücke die Daumen, dass das was wird!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Außerdem möchte ich auch noch auf das Arbeitsergebnis der GFMK vom letzten Monat hinweisen. Auch die Gleichstellungs- und Frauenministerinnenkonferenz hat natürlich zum Thema Gewalt gegen Frauen getagt. Hier haben sie sich besonders das Thema Hassgewalt vorgenommen. Sie werden jetzt an den Gesundheitsminister herantreten, um dort auch eine Studie zu den Auswirkungen dieser Gewalt, die ja bekannt sind, in Auftrag zu geben, um das genauer feststellen zu können. Das hat den Vorteil, dass dann auch der Schaden, der ohne Zweifel entstanden ist, beziffert werden kann. Das kann bedeuten, wenn das Justizministerium bei der Strafverfolgung nachbessert, dass wir z. B. über konkrete Schadenersatzforderungen reden. Das wiederum kann bedeuten, dass wir endlich ein angemessenes Mittel gegen den notorischen Personenkreis der Hater und Hasser in die Hand bekommen, um hier wirksam einzugreifen. Das betrifft nicht nur Frauen, deshalb dürfen sich jetzt alle freuen. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD und der LINKEN]

Für die Fraktion der FDP spricht Frau Abgeordnete Dr. Jasper-Winter.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! An fast jedem dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Expartner getötet. Seit Beginn dieses Jahres wurden allein in Berlin bereits sieben Frauen getötet. Zu oft wurden diese Verbrechen in der Vergangenheit tabuisiert oder als private Dramen verharmlost. Zu oft wurde das Thema häusliche Gewalt in der politischen Debatte als Randthema behandelt, irgendwo bei Frauen und Soziales. Frau Czyborra! Es ist eben nicht nur ein Frauenthema, es ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, an dem wir alle gemeinsam arbeiten.

[Beifall bei der FDP, der CDU, der LINKEN und den GRÜNEN]

Es geht um Verbrechensbekämpfung und Prävention, also um Inneres und Justiz. Es geht um Gesundheit und Soziales und auch um Bildungsarbeit. Ich bin deshalb besonders froh, dass wir heute eine überfraktionelle Entschließung eingebracht haben, denn wir müssen dieses Leid mit vereinten Kräften bekämpfen.

[Beifall bei der FDP, der CDU, der LINKEN und den GRÜNEN]

An die AfD: Mir wurde gesagt, Sie wurden zweimal eingeladen, an einer Besprechung zu diesem Thema teilzunehmen, und haben nicht reagiert. Wenn Ihnen das Thema wirklich wichtig wäre, dann wären Sie zumindest erschienen und hätten mit uns über diese Entschließung diskutiert.

[Beifall bei der FDP, der SPD, der LINKEN und den GRÜNEN]

Die Coronapandemie hat die Situation für viele Frauen noch einmal verschlimmert. Probleme, die wir vorher schon in der Stadt hatten, hat die Pandemie verstärkt und sichtbarer gemacht. Umso wichtiger ist es, nicht nur zu reden und die vorliegende Entschließung abzuheften, sondern zu handeln.

Zu viele Worte wurden gesprochen. Wir Freie Demokraten wollen nun endlich sehen, dass der Senat die vielen Worte umsetzt. Die Aktionen, die dringend notwendig sind, sind ja schon lange bekannt. – Frau Kofbinger! Sie haben viel von dem erzählt, was Sie mit grünen Justizministern und Justizministerinnen vorhaben, aber Sie hätten schon längst die bekannten Aktionen und notwendigen Handlungen umsetzen können.

Nur drei möchte ich herausgreifen: Wir brauchen in Berlin nicht nur ein siebtes, wir brauchen eine achtes Frauenhaus.

[Beifall bei der FDP – Beifall von Anne Helm (LINKE)]

Wir haben in den Haushaltsberatungen Ende letzten Jahres gemeinsam mit der CDU dieses gefordert und beantragt, leider durch Rot-Rot-Grün abgelehnt. Aber ich bin ja froh, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt

hier mitgehen und unsere Bemühungen, die wir gemeinsam mit der CDU letztes Jahr hatten, zum Erfolg führen.

[Beifall bei der FDP und der CDU]

Zweiter wichtiger Punkt – es ist eben nicht nur ein Frauenthema –: Wir brauchen in Berlin dringend Zentren für präventive Täter- und Täterinnenarbeit, denn wir wissen, dass die Täter von heute oft Opfer von gestern sind. Hier heißt es, Gewalt verhindern und Menschen, die merken, dass sie ein Problem haben, muss geholfen werden. Ich erwarte vom Senat, dass er klare Zuständigkeiten für die Finanzierung eines solchen Zentrums schafft.

[Beifall bei der FDP]

Bislang hat der grüne Justizsenat abgewehrt: Er sei ja nicht zuständig. Er sei nur zuständig, wenn Täter bereits straffällig geworden seien, aber nicht rein präventiv. Die Senatorin für Gesundheit, Pflege, Gleichstellung fühlte sich auch nicht angesprochen, da es ja kein Gleichstellungs- oder Frauenthema sei. Und von Soziales und Inneres war gar nichts zu hören. Mit diesem Kompetenzwirrwarr muss Schluss sein. Wir müssen hier gemeinsam arbeiten.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU]

Wer die häusliche Gewalt ernsthaft bekämpfen möchte, muss die präventive Täterarbeit in Berlin endlich vom Kopf auf die Füße stellen. Andere Bundesländer haben es vorgemacht: Zum Beispiel Rheinland-Pfalz hat schon 1999 unter FDP-Regierung ein parteiübergreifendes Konzept entwickelt. Hier gibt es allein neun Täter- und Täterinnen-Institutionen.

Der dritte und letzte Punkt: Wir müssen bei der Bekämpfung von Gewalt auch die Gewalt im digitalen Raum mitdenken. Es sind ekelhafte, sexistische Beleidigungen, die die Staatsekretärin Sawsan Chebli über sich ergehen lassen musste, es sind Bedrohungen, die die Fraktionsvorsitzende Anne Helm erlebt hat, und es sind tagtäglich viele Berliner Frauen, die über das Netz von Männern verfolgt werden.

Liebe Frau Helm! Liebe Frau Chebli! Wir stehen zu Ihnen und zu allen anderen betroffenen Frauen.

[Beifall bei der FDP und bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU und bei den GRÜNEN]

Wir brauchen in diesem Zusammenhang – auch für die männlichen Opfer, aber auch für die weiblichen – eine stärkere Spezialisierung der Polizei, der Staatsanwaltschaften, der Richterinnen und Richter. Wir brauchen eine bessere Zusammenarbeit mit digitalen Plattformen und NGOs. Wir müssen auch eine bessere Bildungsarbeit in diesem Feld leisten, denn nur wer grundlegendes Verständnis von der digitalen Welt hat, kann auch verstehen, worum es bei digitaler Gewalt geht. Wir wollen des

wegen eine Landeszentrale für digitale Bildung einrichten, die sich auch dieser Frage widmen kann.

[Beifall bei der FDP]

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Christian Buchholz?

Herr Buchholz, bitte!

Frau Jasper Winter! Nur mal eine kurze Frage: Sie haben jetzt mehrere Damen genannt, die jetzt im Internet irgendwie belästigt worden sind, aber kann es sein, dass man die vielleicht gar nicht so einfach in eine Reihe stellen kann, denn Frau Helm hat es ja durch besonders provozierendes und beleidigendes Verhalten den Dresdner Bürgern gegenüber provoziert.

[Unruhe und Zwischenrufe bei der LINKEN, den GRÜNEN und der SPD – Pfui! von der LINKEN und den GRÜNEN]

An die Adresse der AfD: Diese Argumentation, Frauen hätten ja selber Straftaten provoziert, lasse ich mir nicht mehr sagen. Da sind wir über die Fünfzigerjahre hinaus.

[Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU, der LINKEN und den GRÜNEN – Zuruf von Christian Buchholz (AfD)]

Zweiter Punkt ist: Straftaten sind Straftaten. Da gibt es nichts zu nivellieren, nichts irgendwie in eine Reihe oder auch nicht in eine Reihe zu stellen. Jede Frau und jeder Mann, die oder der von so einer psychischen Gewalt betroffen ist, erlebt das anders – schlimm oder nicht schlimm. Als Juristin muss ich Ihnen sagen: Straftaten sind Straftaten. Da differenziere ich nicht. Das muss geahndet werden, und zwar viel schneller als bisher möglich.

[Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU, der LINKEN und den GRÜNEN]

Kurzum: Mit der vorliegenden Entschließung bekräftigen wir fraktionsübergreifend den Willen zu ganz konkreten Veränderungen. Jetzt liegt es am Senat, das auch umzusetzen. Es geht um Schutz vor Gewalt, es geht um Prävention vor Gewalt in dem verletzlichen Bereich Familie – für Männer, für Frauen und für Kinder. Und das duldet keinen Aufschub.

[Beifall bei der FDP und der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei der CDU und den GRÜNEN]

Die AfD-Fraktion hat eine Kurzintervention angemeldet. – Frau Auricht, Sie haben das Wort, bitte schön!

[Lars Düsterhöft (SPD): Das wagen Sie auch noch!]

Vielen Dank! – Frau Jasper-Winter! Ich finde es sehr interessant, dass Sie offensichtlich Zugriff auf mein EMailpostfach haben, aber genau wie zu diesem Entschließungsantrag wurde ich persönlich – auch die Fraktion – nicht eingeladen. Und es ist nicht die erste und nicht die einzige Veranstaltung oder der einzige Antrag, zu der oder dem wir nicht eingeladen worden sind.

[Bettina Domer (SPD): Warum?]

Ja, genau: warum? Das habe ich ja vorhin schon erläutert: Weil wir die einzige Fraktion sind, die die Probleme beim Namen nennt – Probleme, die Sie in dieser Stadt nicht hören wollen, deshalb werden wir nicht eingeladen – ganz einfach.

[Beifall bei der AfD – Zurufe von der AfD]

Zum Grundsätzlichen kann ja Frau Dr. Jasper Winter gern antworten. Ich würde selbst gern auf diese Frage antworten, Frau Auricht, weil Sie von mir persönlich die Einladung bekommen haben. Alle anderen hat sie erreicht. Ihre muss dann auf dem Nirvana des Postwegs verloren gegangen sein,

[Zurufe von Tommy Tabor (AfD) und Gunnar Lindemann (AfD)]

aber normalerweise sind alle anderen angekommen – Ihre nicht. Aber die Einladung war von mir persönlich an alle frauenpolitischen Sprecherinnen dieses Hauses.