Protokoll der Sitzung vom 10.12.2020

Aber trotz all dieser erfolgreichen Anstrengungen können wir den Worst Case bislang nicht ausschließen, nämlich dass die Pandemie und Infektionsentwicklung die Arbeit des Abgeordnetenhauses an der Stelle lahmlegt, wo wir aufgrund unserer Verfassungslage besonders verwundbar sind. Das ist die Frage der Beschlussfähigkeit. Für einen solchen Fall wollen wir nun Vorsorge treffen, in der Hoffnung, dass er niemals eintritt.

Es ist kein Geheimnis, dass meine Fraktion einer Änderung der Landesverfassung ausgesprochen skeptisch gegenüberstand. Wir sind davon überzeugt, dass eine Verfassungsänderung eben nicht ein beliebiges politisches Mittel, sondern stets Ultima Ratio sein sollte, gerade in Krisenzeiten. Das gilt erst recht für alle Maßnahmen, die elementare Rechte von frei gewählten Abgeordneten oder der Opposition beschneiden würden. Der Kompromiss, der heute zur Abstimmung vorliegt, findet aber auch unsere Zustimmung, denn es handelt sich um den minimalinvasivsten denkbaren Eingriff, der im Zusammenhang mit der bestehenden Regelung der Be

schlussfähigkeit möglich ist und zugleich die funktionalen Anforderungen an das Worst-Case-Szenario erfüllt.

Diese Verfassungsänderung beinhaltet keine generelle Absenkung der Beschlussfähigkeit, sondern schafft lediglich die Möglichkeit für eine solche. Dies ist verbunden, wie der Kollege Rissmann ausgeführt hat, mit hohen politischen Hürden, nämlich einer Vierfünftelmehrheit sowie einem faktischen Vetorecht von zwei Fraktionen. Hinzu kommt eine doppelte zeitliche Limitierung. So ist ein Votum für eine Absenkung der Beschlussfähigkeit von mindestens der Hälfte auf mindestens ein Viertel der gewählten Abgeordneten auf maximal drei Monate befristet. Aber auch die Neuregelung in der Landesverfassung selbst ist befristet, nämlich auf das Ende der laufenden Legislatur, und läuft somit automatisch aus.

Festgelegt haben wir auch, was ein Parlament mit abgesenkter Beschlussfähigkeit alles nicht beschließen und entscheiden kann, sei es die Wahl einer Regierenden Bürgermeisterin oder eines Regierenden Bürgermeisters,

[Sebastian Czaja (FDP): Aha!]

sei es eine Änderung unserer Geschäftsordnung. Vielmehr müssen alle Gesetze, die ein Plenum in dieser Konfiguration beschließt, im Nachgang von einem mit herkömmlichem Beschlussfähigkeitsquorum bestätigt werden.

Erlauben Sie mir noch ein paar kurze Sätze zur Geschäftsordnung, die ebenfalls zur Abstimmung steht, denn mit der vollziehen wir hier nicht nur die Neuregelung in der Landesverfassung nach. Als Grüne freuen wir uns vielmehr darüber, dass es erstmals in der Geschichte des Berliner Abgeordnetenhauses gelingt, digitale Abstimmungen in Ausschüssen zu legalisieren. Nein, auch wir wollen kein rein virtuelles Parlament, denn der Parlamentarismus lebt nicht nur von der Präsenz und Interaktion von Argumenten, sondern auch der seiner Parlamentarierinnen und Parlamentarier. Aber auch hier gilt das Prinzip der Vorsorge für den pandemischen Worst Case, denn die digitale Meinungsbildung und Entscheidungsfindung ist demokratischer als gar keine Ausschusssitzung abhalten oder Beschlüsse fassen zu können, zumal dadurch auch die politische Mitwirkung von gewählten Abgeordneten gewährleistet werden kann, die infolge einer Infektion oder Quarantäne im Homeoffice verbleiben müssen. – Deshalb werbe ich im Namen der gesamten Grünen-Fraktion um Zustimmung für die beiden vorliegenden Anträge. – Vielen Dank!

[Beifall bei den GRÜNEN, der SPD, der CDU, der LINKEN und der FDP]

Für die Fraktion der FDP hat das Wort Herr Abgeordneter Fresdorf!

(Daniel Wesener)

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Kollege Wesener hat es gerade gesagt, es wird jetzt ein bisschen redundant werden, aber ich glaube, es ist wichtig, denn die Wiederholung ist bekanntlich die Mutter der Didaktik und kann dann vielleicht auch noch einige Erkenntniseffekte erreichen. Aber lassen Sie mich zu Beginn meiner Rede einmal Danke sagen. Ich möchte mich bei den diese Anträge tragenden Fraktionen für die kollegiale Zusammenarbeit bei der Erstellung bedanken. Kollege Zillich hat es richtig beschrieben. Wir mussten aufeinander zugehen und schauen, eine gemeinsame Regelung zu finden. Da muss der eine oder andere Abstriche und Zugeständnisse machen. Wir haben ein gutes Ergebnis zusammengebracht, was uns als Parlament krisensicherer macht, als wir es bisher sind. Dafür sage ich Ihnen ganz aufrichtig: Danke für diesen kollegiale Zusammenarbeit!

[Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der LINKEN]

Ich möchte Sie einmal mitnehmen auf eine kurze Reise. Als wir Anfang dieses Jahres vor dieser großen Herausforderung standen, mit der Pandemie umzugehen, stand schnell das Thema Notfallparlament irgendwo auf den Schirmen. Wir als Fraktion der Freien Demokraten haben natürlich als erstes gedacht, das muss doch digital gehen. Als Digitalisierungspartei war das für uns das Thema. Es muss doch eine digitale Lösung geben für parlamentarische Sitzungen. Wir haben eine Genese durchgemacht. Wir haben uns mit dem Thema befasst, haben das juristisch beleuchten lassen. Uns ist klar geworden, dass es sehr schwierig sein wird, eine digitale Lösung zu finden. Ich freue mich umso mehr, dass es uns gelungen ist, jetzt in der Geschäftsordnung das digitale Tagen von Ausschüssen in einer solchen Ausnahmesituation zu ermöglichen. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung und vor allem ein Schritt in Richtung Funktionsfähigkeit des Parlaments.

[Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der LINKEN]

Nun sollte Politik immer getragen sein von Verantwortung. Sie sollte auch Weitblick mit sich bringen. Diese Entwürfe, die Ihnen vorliegen, tragen beide Gedanken. Die Verantwortung und Beschlussfähigkeit dieses Hauses aufrechtzuerhalten, auch wenn ein großer Teil aus Krisensituationen heraus nicht an den Sitzungen teilnehmen kann, ist uns damit gelungen, was im Übrigen nicht heißt – Herr Vallendar, da sitzen Sie einem Irrtum auf – , dass nur ein Viertel hier sitzen darf. Wir haben momentan die Situation, dass 50 Prozent plus eine Stimme reichen, um beschlussfähig zu sein. Jetzt schauen Sie sich einmal um, Herr Vallendar, dann können Sie etwas lernen. Hier sitzen mehr als 50 Prozent plus eins. Wir reden nicht davon, dass das, was Beschlussfähigkeit ist, auch Sollstärke im Parlament betrifft. Wir öffnen aber eine Möglichkeit, und zwar die Möglichkeit, auch mit weniger Kolleginnen und Kollegen hier Beschlüsse zu fassen, um die Regierung zu

kontrollieren und um parlamentarische Abläufe zu sichern. Das ist entscheidend und wichtig für eine parlamentarische Demokratie.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall von der CDU – Beifall von Sebastian Schlüsselburg (LINKE)]

Wir haben bewusst sehr hohe Hürden, und zwar Hürden, die sonst nicht unbedingt üblich sind im Verfassungsrahmen, von vier Fünfteln dieses Hauses gewählt, um diesen Mechanismus anzuschalten und haben eine doppelte Hürde, die sehr klein ist, zum Ausschalten, nämlich ein Fünftel oder – das ist etwas ganz Neues – von zwei Fraktionen vorgesehen. Zwei Fraktionen dieses Hauses können gemeinsam sagen: Schluss! Das ist nicht mehr eine Notsituation, in der wir uns befinden. Wenn das kein Minderheitenschutz in einer solchen Regelung ist, dann weiß ich auch nicht, was sonst. Ich bin sehr stolz darauf, dass wir das gemeinsam geschafft haben.

[Beifall bei der FDP – Vereinzelter Beifall bei der CDU, den GRÜNEN und der LINKEN]

Warum reden wir von einer Verfassungsänderung? – Wir tun es, weil die Beschlussfähigkeit in Berlin in der Verfassung steht, wie in wenigen Ländern der Bundesrepublik Deutschland. In anderen Parlamenten wäre es eine Änderung der Geschäftsordnung gewesen. Umso sorgfältiger war es zu arbeiten. Das war unser Auftrag. Er ist uns gut gelungen. Ich bedanke mich noch einmal herzlich für die gute Zusammenarbeit. Ich denke, dass wir heute gute Regelungen auf den Weg bringen und hoffe, dass wir sie nicht so schnell anschalten müssen. – Vielen Dank!

[Beifall bei der FDP, der SPD, der CDU, den GRÜNEN und der LINKEN]

Vielen Dank! – Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Wir kommen nun zur Abstimmung. Zu dem Antrag Drucksache 18/3179 „Vierzehntes Gesetz zur Änderung der Verfassung von Berlin“ empfiehlt der Rechtsausschuss mehrheitlich – gegen die AfD-Fraktion – die Annahme mit Änderungen. Wer den Gesetzesantrag gemäß der Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3232 mit Änderungen annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, die SPD, die CDU und die FDP und ein fraktionsloser Abgeordneter, Herr Nerstheimer. Wer stimmt gegen diesen Gesetzesantrag? – Das sind die AfD-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Wild. – Damit liegt die in Artikel 100 der Verfassung von Berlin für Änderungen der Verfassung erforderliche Mehrheit von zwei Dritteln der gewählten Mitglieder des Abgeordnetenhauses vor, und das Gesetz ist so beschlossen.

[Beifall bei der SPD, der CDU, der LINKEN, den GRÜNEN und der FDP]

Zu dem Antrag Drucksache 18/3180 „Zweite Änderung der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin“ empfiehlt der Rechtsausschuss mehrheitlich – gegen die AfD-Fraktion – ebenfalls die Annahme mit Änderungen. Wer den Antrag gemäß der Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/3234 mit Änderungen annehmen möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Das sind die Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/Die Grünen, die SPD, die CDU und die FDP und des fraktionslosen Abgeordneten Nerstheimer. Wer stimmt dagegen? – Das sind die AfD-Fraktion und der fraktionslose Abgeordnete Wild. – Damit ist auch dieser Antrag so angenommen. – Vielen Dank!

Ich komme zu

lfd. Nr. 2:

Fragestunde

gemäß § 51 der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin

Nun können mündliche Anfragen an den Senat gerichtet werden. Die Fragen müssen ohne Begründung, kurz gefasst und von allgemeinem Interesse sein sowie eine kurze Beantwortung ermöglichen; sie dürfen nicht in Unterfragen gegliedert sein. Ansonsten werde ich die Frage zurückweisen.

Zuerst erfolgen die Wortmeldungen in einer Runde nach der Stärke der Fraktionen mit je einer Fragestellung. Nach der Beantwortung steht mindestens eine Zusatzfrage dem anfragenden Mitglied zu, eine weitere Zusatzfrage kann auch von einem anderen Mitglied des Hauses gestellt werden. Frage und auch Nachfragen werden von den Sitzplätzen aus gestellt. Es beginnt die Fraktion der SPD. Es hat das Wort Herr Abgeordneter Schopf. – Bitte schön!

Vielen Dank Frau Präsidentin! – Ich frage den Senat: Auf welcher belastbaren Grundlage basiert die Entscheidung, den Verkehrsversuch abschnittsweise Verlängerung der Sperrung der Friedrichstraße für den Autoverkehr bis zum 31. Oktober? Inwieweit wurden Anwohner und Gewerbetreibende hierbei eingebunden?

Für den Senat antwortet Frau Senatorin Günther. – Bitte schön!

Sehr geehrte Frau Vorsitzende! Sehr geehrter Herr Abgeordneter! Wir sind jetzt seit einer geraumen Zeit dabei, die Friedrichstraße attraktiver zu gestalten.

[Lachen bei der CDU und der FDP]

Wir haben gesehen, dass in den letzten Jahren reihenweise Geschäfte die Friedrichstraße verlassen haben. Es gibt mehr Leerstand. Dem gilt es, entgegenzuwirken. Wir haben im Vorfeld dieses Verkehrsversuchs mit sehr vielen Anrainern eine ganze Reihe von Sitzungen gehabt, von Gesprächen. Die IHK hat dazu eine Umfrage gemacht. Das Ergebnis war, dass die Mehrheit der Anrainer einen solchen Verkehrsversuch unterstützt.

Wir selbst zielen darauf, die Luftverschmutzung wie auch den Lärm zu reduzieren, der dort natürlich die Anwohner und die Anrainer sehr stört. Insofern haben wir gesagt: Wir nehmen den Autoverkehr auf einem Abschnitt raus. – Ich erinnere an Berichte gestern vom ADAC, der sagt: Sie unterstützen diesen Verkehrsversuch, weil sie es richtig finden, hier Veränderungen vorzunehmen.

[Paul Fresdorf (FDP): Der ADAC ist auch nicht mehr, was er mal war!]

Wir haben jetzt coronabedingt eine Lage, dass wir sehen, was wir heute machen, ist nicht vergleichbar mit dem, was im letzten Jahr passiert ist. Wir haben eine ganz andere Verkehrslage und wir haben auch ein ganz anderes Einkaufsgeschehen. Auch das ist etwas, worauf uns die Anrainer hinweisen.

Insofern haben wir uns entschieden zu sagen: Wir verlängern den Verkehrsversuch. Wir nehmen länger die Autos raus, damit wir auch testen können: Ist das, was wir uns versprechen – dass weniger Lärm, weniger Luftverschmutzung ist, dass auch die Anrainer davon profitieren – valide, geben das die Zahlen her?

Es ist unser Vorschlag. Wir sind jetzt im Gespräch mit dem Bezirk Mitte, der diesen Vorschlag sehr massiv unterstützt. Wir gehen jetzt in Gespräche mit den Anrainern. Was wir in ersten Reaktionen gehört haben – Sie haben das bestimmt auch gelesen – das Flagshiphaus Lafayette sagt: Oui! Wir wollen es so! Wir wollen da keine Autos mehr fahren lassen! – Das ist schon mal ein Indiz für uns.

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN Mario Czaja (CDU): Die sind ja schon pleite! – Holger Krestel (FDP): Bei den linken Schickimickis!]

Insofern ist es wichtig, dass wir diese Gespräche weiterführen, auch – das kann ich vielleicht auch sagen – weil wohl die zweite Umfrage der IHK auch damit geendet hat, dass die Mehrheit der Anrainer sagt: Ja, es soll fortgeführt werden! – Insofern glauben wir, dass wir hier auf einem guten Weg sind.

Es ist nicht abschließend entschieden, aber für die Richtung, so zu gehen, sehen wir in der Stadtgesellschaft, bei den wichtigen Verbänden und bei dem Flagshiphaus am Platz so viel Rückenwind, dass wir glauben, dass wir uns auf den richtigen Weg gemacht haben.

(Vizepräsidentin Dr. Manuela Schmidt)

[Beifall bei den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der LINKEN]

Vielen Dank! – Bevor ich Herrn Schopf die Möglichkeit zur Nachfrage gebe, bitte ich wirklich darum, die Zwiegespräche nach draußen zu verlagern. Es ist deutlich zu laut hier drin, meine Herren und Damen!

[Beifall von Dr. Turgut Altuḡ (GRÜNE)]

Herr Schopf! Sie haben die Möglichkeit zur Nachfrage!

Danke, Frau Präsidentin! – Danke, Frau Senatorin Günter! Sie haben jetzt einige Punkte angesprochen. Ich kann leider nur eine Nachfrage stellen.

[Heiko Melzer (CDU): Bisher war alles richtig!]