Protokoll der Sitzung vom 09.03.2017

Alle großen Städte in Deutschland – Leipzig, Köln, Hamburg, München, Stuttgart usw. – haben Stadtwerke. Das heißt, Stadtwerke sind in Deutschland nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Das ist kein Teufelszeug, sondern vernünftige kommunale Wirtschaftspolitik.

[Beifall bei der LINKEN, der SPD und den GRÜNEN – Frank-Christian Hansel (AfD): Wenn es Volumen hätte!]

Sie haben bisher ein Volumen von 100 Millionen Euro Eigenkapital. Wenn das kein Volumen ist, weiß ich es auch nicht. – Ich glaube auch überhaupt nicht, dass Handwerksbetriebe oder Kleinunternehmen vom Stadtwerk verdrängt werden. Das ist völlig absurd. Das Gegenteil wird passieren. Das Stadtwerk wird weitere Impulse für die regionale Wirtschaft schaffen. Es wird weitere Arbeitsplätze durch Investitionen anregen. Deswegen ist es richtig und sinnvoll, dass wir für diese Einschränkungen, die absurd sind und von der CDU in der letzten Legislaturperiode durgesetzt wurden, heute endgültig abschaffen.

[Beifall bei der LINKEN – Vereinzelter Beifall bei den GRÜNEN – Beifall von Daniel Buchholz (SPD)]

Ich will noch einmal in die Neunzehnhundertneunzigerjahre zurückgehen. Wir hatten damals unter der großen Koalition – das kann ich meinem Koalitionspartner jetzt nicht ersparen – die Privatisierung der GASAG und der Bewag. Beides war eindeutig falsch.

[Frank-Christian Hansel (AfD): Richtig!]

Wir haben damit Kontrolle und demokratische Steuerungsmöglichkeiten aus der Hand gegeben. Wir haben damit Kompetenzen in der Verwaltung verloren, und wir haben finanzwirtschaftlich davon nicht profitiert, denn es sind viele stabile Gewinne aus dem Netzbetrieb verloren gegangen. Das war ein Fehler. Wir sind dabei – ich freue mich, dass die SPD mitmacht –, das zu korrigieren. Wir wollen rekommunalisieren. Wir werden nicht mehr privatisieren. Wir wollen zurückgewinnen. Wir wollen redemokratisieren. Das ist ein großes Anliegen von Rot-RotGrün.

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN– Beifall von Daniel Buchholz (SPD)]

Was wir jetzt machen, ist noch nicht das Ende der Geschichte. Ich kann Sie beruhigen, da kommt noch sehr viel mehr im Energiebereich. Das ist noch lange nicht das Ende des Stadtwerks. Es ist hoffentlich der Beginn einer Erfolgsgeschichte. Ich freue mich sehr zu sehen, wie sich das in der Zukunft entwickeln wird.

Für uns ist es sehr wichtig, dass das Stadtwerk auch soziale Aspekte berücksichtigt. Wir wollen Energiearmut bekämpfen. Wir wollen weg von Energiesperren, von unsinnigen Schufa-Abfragen und solchen Dingen. Es geht mit Mieterstromprojekten und einer durchaus sozialen Tarifgestaltung schon in die richtige Richtung.

Ich will mich am Ende noch einmal ganz herzlich bei allen in der Koalition bedanken. Ich will mich auch bei Frau Pop, die nicht mehr da ist – vielleicht kann es jemand von den Senatskollegen ausrichten –, für die gute Zusammenarbeit bedanken.

[Sven Rissmann (CDU): Die war die ganze Zeit nicht da!]

Es ist ein guter Tag für Berlin. Ich freue mich, dass wir das geschafft haben. – Vielen Dank!

[Beifall bei der LINKEN und den GRÜNEN – Vereinzelter Beifall bei der SPD]

Vielen Dank! – Für die CDU-Fraktion folgt Herr Schultze-Berndt. – Bitte!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Efler! Jetzt habe ich es verstanden. Die Stadtwerke werden vom Bürgermeister regiert. So wollen Sie es auch in Berlin, und deswegen müssen wir 100 Millionen Euro in dieses Schaufensterunternehmen hineinpulvern. Das tun wir, damit der Bürgermeister mal zeigen kann, was richtig in ihm steckt. Wenn schon der Flughafen nicht funktioniert, dann wenigstens die Bereiche Strom, Gas und Fernwärme – zumindest scheinbar.

[Beifall bei der CDU und der FDP]

Herr Dr. Efler! Als Sie gerade sagten, das Stadtwerk wird entfesselt, applaudierten die Sozialdemokraten ganz intensiv. Wenn ich ganz ehrlich bin, dann bin ich echt überrascht über diesen kommunikativen Supergau der Sozialdemokraten. Seit 20 Jahren regiert die SPD in dieser Stadt mit, und jetzt sind die Linken und die Grünen in der Lage zu sagen: Ihr Völker der Welt, schaut auf diese Stadt! – Wir brauchen Rot-Grün, damit sich die Sozialdemokraten in Richtung Energiewende bewegen. Gab es denn keinen Bausenator Müller? Gab es denn keinen Bausenator Geisel? Gab es denn keinen Bürgermeister Wowereit? Gab es denn keinen Bürgermeister Müller? Gab es denn keinen Kollatz-Ahnen? Gab es denn keinen

(Dr. Michael Efler)

Nußbaum? War keiner von denen in der Lage, dafür Sorge zu tragen, dass Investitionen in energetische Sanierung stattfinden, dass selbstverständlich Photovoltaikanlagen angebracht werden, dass selbstverständlich Contracting über die Berliner Energieagentur stattfindet, dass die Stadt Berlin selbstverständlich umgebaut wird? Warum stellt ihr euer Licht so unter den Scheffel? Seid ihr so devot? Müsst ihr euch bei den Grünen kommunikativ in den Staub werfen? – Ich glaube es fast nicht. Ich jedenfalls bin stolz auf das, was die CDU hier über fünf Jahre lang an Innovationen durchgesetzt und an Zielen für die Stadt formuliert hat. Das bringt uns klimatechnisch jedenfalls nach vorne.

[Beifall bei der CDU]

Ein weiser Mann hat mich mal gewarnt: Fang bei einer Rede bloß nicht mit Zahlen an! – Deswegen mache ich es kurz. Ich habe nur sechs Zahlen.

[Dr. Wolfgang Albers (LINKE): Ein Beispiel!]

Sechs Zahlen: Es gibt in Berlin 534 Stromanbieter, von denen 196 Ökostrom anbieten.

[Daniel Buchholz (SPD): Davon gehört keins Berlin!]

Es gibt 101 Gastarife in Berlin, und wir haben 3 224 Unternehmen im Bereich Energietechnik mit knapp 40 000 Mitarbeitern. Eins dieser Unternehmen wollen wir jetzt gern mit 100 Millionen Euro ausstatten, damit die Energiewende endlich nach vorne kommt.

Das heutige Stadtwerk ist seinerzeit von SPD und CDU gemeinsam begründet worden. Das Unternehmen ist bei den Berliner Wasserbetrieben organisatorisch angedockt und wurde mit 8 Millionen Euro Eigenkapital ausgestattet. Das Unternehmen wird sehr pfiffig, innovativ und seriös geführt und hat gute Leute mit an Bord. Es sind aber insgesamt 10 Mitarbeiter. Heute ist es ein gut geführtes, flexibles Unternehmen, und jetzt haben wir den heute diskutierten Gesetzesentwurf von Rot-Rot-Grün. Diesem Unternehmen wird nun eine Finanzspritze von 100 Millionen Euro gegeben. Das ist eine Eins mit acht Nullen. Man hätte natürlich für das Geld auch 300 BVGBusse beschaffen können. Dann hätten alle etwas davon gehabt. Man hätte auch die einheitliche IT-Landschaft für alle Bezirke in Berlin schaffen können. Das hat man aber nicht gewollt, man möchte gern einen Schaufensterantrag.

Was will das Unternehmen mit dem Geld eigentlich machen, und was haben die Steuerzahler in Berlin davon? Was ist jetzt die Antwort von Rot-Rot-Grün? – Der Verweis auf eine mehr als 100 Punkte umfassende Liste von „Wünsch dir was!“ und „Hättest du gerne“, für die es natürlich keinen Businessplan und keinen Investitionsplan gibt! Es gibt natürlich auch keine Risikoanalyse, und man weiß auch nicht, wo die Mitarbeiter herkommen sollen. Aber auf dieser schwammigen Basis des Koaliti

onsvertrages soll dann sozusagen dieses Geld ausgegeben werden.

Es gibt die Aussage: Das neue Stadtwerk soll auch soziale Aufgaben übernehmen. Es soll Neuanschaffungen von energiesparenden Geräten geben. Es soll für sozial Schwache keine Stromsperren mehr geben. Sozial Schwache sollen weniger für Strom bezahlen. – Da stellt sich die Frage: Wer bezahlt denn dann eigentlich den Strom für die sozial Schwachen?

[Frank-Christian Hansel (AfD): Na, wir!]

Macht das der Staat, der Steuerzahler, oder machen das diejenigen, die natürlich mehr bezahlen müssen? Reichen die dann ihre Einkommenssteuererklärung ein, oder wie hätten Sie es gerne?

Heute produziert das Stadtwerk Strom, künftig soll es auch Strom einkaufen und weiterverkaufen, also als Handelsware. Dann soll das Stromnetz in Berlin eingekauft werden – Stichwort: Rekommunalisierung mit Milliardeninvestitionen. Dann soll das Gasnetz eingekauft werden – Rekommunalisierung mit Milliardeninvestitionen. Dann soll die Fernwärme übernommen werden – Rekommunalisierung mit Milliardeninvestitionen. Dann soll die Berliner Energieagentur übernommen werden. Dann sollen die Wasserbetriebe angegliedert werden. Dann sollen die städtischen Wohnungsbaugesellschaften ausschließlich mit dem Stadtwerk zusammenarbeiten, und dann sollen alle energetischen Sanierungsmaßnahmen der städtischen Gebäude und auch in den Bezirken über das Stadtwerk abgewickelt werden. Und dann haben wir das, was ich liebevoll als staatliche Krake bezeichne. Dann ist fraglich, ob das Stadtwerk wirklich noch eigenständig betrieben wird und inwieweit hier die Energiewende wirklich noch innovativ und technologieoffen vorangetrieben werden soll.

Wir alle leiden täglich und das schon seit Jahren unter dem Leistungslevel der Verkehrslenkung Berlin – VLB –, und die CDU ist in Sorge, dass wir dann ein noch schwerfälligeres Konzernverflechtungskonstrukt haben und eine Verwaltung mit dem Titel „Energiewendelenkung Berlin – ELB“. Eine weise Frau sagte mal, der Fortschritt sei eine Schnecke, aber so einen langsamen Fortschritt brauchen wir in Berlin nicht. Wir brauchen Technologiesprünge und Innovationen in Siebenmeilenstiefeln. Mit der CDU gibt es diesen Antrag nicht. – Vielen herzlichen Dank!

[Beifall bei der CDU, der AfD und der FDP]

Vielen Dank, Herr Kollege! – Für die SPD-Fraktion hat jetzt der Kollege Stroedter das Wort.

(Jürn Jakob Schultze-Berndt)

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir freuen uns sehr, dass wir heute erneut wieder ganz schnell über das Stadtwerk diskutieren können und dass wir die zweite Lesung haben. Die Anhörung im Ausschuss Wirtschaft, Energie und Betriebe hat eindeutig gezeigt – Kollege Dr. Efler hat es gesagt –, welche positiven Chancen das Berliner Stadtwerk für die Berlinerinnen und Berliner bietet. Fünf Jahre lang haben wir die energiepolitische Blockadehaltung der CDU im Senat ertragen. Herr Schultze-Berndt! Ja, dann gleich die Antwort: Wir hätten gern schon fünf Jahre früher mit dem Stadtwerk etwas gemacht. Das ging aber mit Ihnen nicht. Sie wollten genau das. Sie haben alles getan, damit das Stadtwerk so klein bleibt, wie es im Augenblick ist. Das können Sie uns dann nicht vorhalten. Stehen Sie zu Ihrer verfehlten Politik!

Wir wollen jedenfalls heute etwas ändern. Wir wollen mit der Gesetzesänderung das Berliner Stadtwerk nun aus seinem engen Korsett befreien und anfangen, die im breiten Konsens gefassten Beschlüsse der EnqueteKommission „Neue Energie“ Stück für Stück umzusetzen. Auch daran erinnere ich gern noch mal: Der Kollege Freymark und der Kollege Jupe saßen ja in dieser Kommission. Da waren wir sehr viel weiter. Da hatten wir eine hohe Übereinstimmung. Ich finde es bedauerlich, dass die CDU noch weit hinter diese Position zurückfällt.

[Heiko Melzer (CDU) meldet sich zu einer Zwischenfrage.]

Herr Kollege Stroedter! Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Melzer?

Ja, wie immer, Herr Kollege Melzer!

Vielen Dank! – Herr Stroedter! Ihr Koalitionspartner hat gerade vorgetragen, dass das Stadtwerk durch den Bürgermeister regiert wird. Mich würde interessieren, nachdem die Koalition ja auch 100 Millionen Euro in dieses Stadtwerk pumpt und angekündigt hat, dort noch mehr Geld zu investieren, ob das auch die Meinung der SPDFraktion ist, dass das Stadtwerk durch den Bürgermeister regiert wird. Dann wäre das ein klarer Fall von Spielzeug für den Bürgermeister – ein Punkt, weshalb wir diesem Stadtwerk in der neuen Form nicht zustimmen werden.

[Zurufe von der LINKEN]

Also ehrlich gesagt: Herr Melzer! Finden Sie das nicht absurd? Herr Kollege Dr. Efler ist ein äußerst qualifizierter Fachmann in dem Sektor. Der weiß genau, was er sagt, und es ist absurd, hier zu gucken – –

[Heiko Melzer (CDU): Ich habe ihm auch genau zugehört!]

Ja, das mag ja sein, dass er hier ein Wort gesetzt hat, was Sie so entsprechend interpretieren. Entscheidend ist doch die Sache. Äußern Sie sich doch mal zur Sache! Sie haben doch heute die Chance.

Und da bin ich bei meinem Grundproblem. Es hat 2015 eine Umfrage von Forsa gegeben. Die kennen Sie. 79 Prozent der Berlinerinnen und Berliner – Herr Czaja von der FDP geht immer auf solche Zahlen ein – sind dafür, dass das Berliner Stadtwerk als Produzent für erneuerbare Energien ausgebaut wird und dass die Berlinerinnen und Berliner ihren Ökostrom von dort beziehen. Das wollen wir auch.

Jetzt fragen wir doch mal, wie es damals war, als wir den betreffenden Volksentscheid hatten. Da haben 600 000 Leute abgestimmt. Das ist eine unglaubliche Zahl. Wie viele Wähler hatten Sie bei der letzten Wahl? Ich glaube, nicht 600 000.

[Sibylle Meister (FDP) und Stephan Standfuß (CDU): Sie aber auch nicht!]

Ja, wir auch nicht. Da sehen Sie mal, wie groß die Zahl ist. – Diese 600 000 Leute erwarten von uns, dass wir das jetzt umsetzen.