In nahezu jeder Plenarsitzung präsentiert die CDUFraktion einen neuen Vorschlag zur Änderung des ASOG oder zur inneren Sicherheit – bequemlicherweise natürlich erst, seit sie nicht mehr in der Verlegenheit ist, diese Vorschläge auch umsetzen zu müssen.
Statt aktionistisch irgendwelche Maßnahmen im Bereich der inneren Sicherheit zu ersinnen, müssen wir so bald als möglich den bisherigen Sachstand und gemachte Fehler der letzten Jahre analysieren. Dafür brauchen wir den Untersuchungsausschuss zum Breitscheidplatz, von dem auch dieser Antrag offenbar nur ablenken soll und den die CDU blockiert.
Es ist aber kein Antrag wie jeder andere, denn eins in an dem Vorschlag besonders: Hier handelt es sich nicht etwa nur um eine bloße weitere Maßnahme der Verbrechens- und Terrorbekämpfung. Es handelt sich um einen unverhohlenen Angriff auf die Werte, auf denen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung und damit unsere ganze Gesellschaft aufgebaut ist. Die Einschränkung der persönlichen Freiheit ist eine Strafe. Eine elektronische Fußfessel schränkt diese Freiheit ein, das Recht, sich ohne staatliche Kontrolle frei zu bewegen, das Recht auf Privatheit.
Diese Strafe soll aber nicht nur einen verurteilten Täter wegen seiner Tat treffen und ihm die Gelegenheit geben, zukünftig seinen Lebenswandel zu ändern und ein Leben ohne Straftaten zu führen; sie soll Personen treffen, von denen Polizisten glauben, dass sie möglicherweise künftig Vorbereitungen zu erheblichen politisch motivierten Straftaten treffen könnten. Diese Änderung ermöglicht es, Personen zu bestrafen, weil etwa deren Bekannte, Einkaufs- oder Sozialverhalten der Polizei verdächtig erscheinen, weil sie möglicherweise daran denken könnten, einmal eine politisch motivierte Straftat zu begehen. Allein die bloße Mutmaßung der Staatsschutzabteilung der Polizei könnte so direkte Einwirkungen auf die Grundrechte eine Bürgers haben. Parallelen zu den Gedankenverbrechen in George Orwells 1984 sind sicherlich kein Zufall. Mit dieser Maßnahme könnte ein Bürger zunächst einmal als sanktionierter Gefährder gelten und entsprechend seine Freiheit eingeschränkt bekommen, bis er seine Harmlosigkeit zur Zufriedenheit der Polizei beweist. Das wäre die Umkehr der Unschuldsvermutung. Diese Konstruktion – der Umkehr der Unschuldsvermutung – liegt derselbe Gedanke zugrunde wie der von einigen Vertretern der SPD geäußerte Vorschlag, der
Bürger müsse beweisen, woher genau er über Jahrzehnte sein Vermögen erworben habe, sonst verliere er es an den Staat. Beides geht nicht.
Der Staat, also wir alle, wird von Terroristen angegriffen, aber diesen Angriffen halten wir stand. Den Rechtsstaat zu Fall bringen, kann nur dieser selbst. Der Antrag der CDU-Fraktion bringt den Rechtsstaat ins Wanken. Diese Gefährdung unserer freien Gesellschaft ist durch nichts zu rechtfertigen. Mit der Annahme des Antrags beginge der Rechtsstaat aus Angst vor dem Tod Selbstmord. Das ist mit den Freien Demokraten nicht zu machen. – Vielen Dank!
Vielen Dank, Herr Kollege! Könnten Sie mir sagen, ob Sie mit der gleichen Argumentation gegen den existierenden Unterbindungsgewahrsam sind, der ja das gleiche zum Ziel hat, nämlich zum Zweck der Gefahrenabwehr Menschen in Gewahrsam zu nehmen, damit sie keine Straftaten begehen können? Oder sehen Sie da einen Unterschied? Für mich ist es nicht unterscheidbar. Es ist das gleiche Phänomen.
Ich glaube, das Zeitmoment macht da sehr wohl einen großen Unterschied. Die Frage ist, ob Sie, wie hier vorgesehen, zeitlich vollständig unbegrenzt Personen überwachen wollen oder ob sie eine zeitlich sehr klare Limitierung zur Abwehr einer konkreten Gefahr haben.
Vielen Dank, Herr Präsident! – Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Koalition steht für eine effektive und wirksame Sicherheitspolitik gegen den Terrorismus. Deswegen schauen wir uns die vorgeschlagenen Maßnahmen auch genau an. Wir wollen der Stadt mehr Sicherheit geben, aber auch nichts Falsches und Unrealistisches versp
rechen. Deswegen möchte ich Sie, Herr Dregger, erst einmal darauf verweisen, dass der Generalstaatsanwalt Rother – wahrlich kein Grüner – über die elektronische Fußfessel in Berlin gesagt hat:
Es ist insbesondere ein probates Mittel in Flächenstaaten. In Großstädten ist das immer ein generelles Problem. Wenn Funkzellen überlastet werden, geht die Anmeldung in die nächste Funkzelle.
Ich möchte gerne auf zwei Fälle hinweisen, die Sie auch hätten erwähnen können, um in eine Abwägung darüber einzutreten, was Risiken und Chancen einer Fußfessel sind. Es gab am 17. September 2015 in der Heerstraße in Berlin-Spandau einen Anschlag des irakischen Islamisten Rafik Y., der eine Fußfessel trug. Er nahm sie ab, die Meldung wurde gemacht, aber er stach auf offener Straße auf eine Polizistin ein und wurde dann erschossen. Am 26. Juli 2016 in der Normandie in Saint-Étienne-duRouvray war es der 19-jährige Adel Kermiche, der den 85-jährigen Priester, Jacques Hamel, ermordete. Auch dieser Mörder trug eine Fußfessel und konnte nicht an der Tat gehindert werden.
Herzlichen Dank, Herr Präsident und Herr Kollege Lux! Ich muss das ja jetzt als Frage formulieren. Deswegen: Haben Sie vernommen, dass ich ausgeführt habe, dass ich die elektronische Fußfessel als Ergänzung zur Observation erkenne, dass sie kein Allheilmittel ist – so war meine Wortwahl – und dass sie zur Erleichterung der Observation von Gefährdern dienen kann, aber nicht dazu, diese zu ersetzen? Bitte überprüfen Sie Ihre Worte daraufhin! – Danke!
Gut, Herr Dregger! Vielen Dank für Ihre Klarstellung! Damit haben Sie klargemacht, dass Sie vielleicht den Aufenthaltsort eines möglichen Gefährders kennen, aber Sie wissen nicht, was diese Person tut. Sie haben auch völlig recht: Eine Fußfessel kann niemals eine Observation ersetzen, gerade weil es dabei um Kontakte und Bewegungsprofile geht, die für die weiteren Ermittlungen sehr von Interesse sind. Ich möchte Sie darauf hinweisen: Letzte Woche stand in der „Welt“, dass selbst das Bundeskriminalamt auf elf Seiten in einem internen Papier an
den von Ihnen zitierten Bundesminister de Maizière davor warnt, die elektronische Fußfessel einzuführen. Alle Experten sind sich einig: Die Fußfessel kann sogar dazu führen, dass die Terrorgefahren erhöht werden. Warum? – Das möchte ich Ihnen sagen: Sie treten als erstes in eine offene Phase ein. So war das auch bei den beiden schrecklichen Beispielen, die ich genannt habe. Sie weisen eine gefährliche Person darauf hin, dass sie observiert, überwacht wird.
Zweitens: Sie haben große technische Unsicherheiten. In Frankreich, wo es die Fußfessel schon länger gibt, wurde innerhalb von vier Jahren sechsmal der Anbieter gewechselt, weil die elektronische Fußfessel gerade in Großstädten nicht funktioniert hat.
Viertens – und das halte ich für entscheidend: Sie finden bei den Personen in der Regel keinen Kooperationswillen, keinen Mitwirkungswillen. Wir haben die Fußfessel im Bereich des Strafgesetzbuchs bei der Haftentlassung als Auflage eingeführt, also immer bei den Straftätern, die kooperationswillig sind, ein geregeltes Leben führen wollen und sich deswegen auf eine Fußfessel einlassen.
Sie haben bei der Fußfessel, mit der Sie letztendlich terroristische Gefährder behandeln wollen, das Problem, dass Sie unterstellen, dass diese Personen kooperationswillig sind, mitwirkungswillig sind, also die Akkus der Fußfessel austauschen und an das Handy gehen, wenn jemand anruft. Das BKA warnt genau davor, dass Sie sich darauf einlassen, dass diese Person kooperiert, dass diese Person – also ein Gefährder – sagt: Ja, ich kooperiere mit den Sicherheitsbehörden und lasse mich darauf ein. – Deswegen warnt das BKA explizit davor, dass man dazu einlädt, auch Fehlalarme auszulösen, die dann wiederum zu einem erhöhten Arbeitsaufwand bei der Polizei führen, die ohnehin schon genug zu tun hat. Davor warnt also nicht irgendein Grüner, sondern das Bundeskriminalamt warnt davor. Herr Dregger! Dass Sie diese Kritik hier nicht würdigen, sondern wieder einen Haltungspopanz aufbauen, der von der AfD kaum überboten worden ist, das zeigt doch, wie unernst es Ihnen mit diesem Anliegen ist.
Vielen Dank, Herr Präsident! Vielen Dank, Herr Kollege Lux! – Sie sprachen gerade von der notwendigen Kooperation. Was denken Sie, wie hoch die Kooperationsbereitschaft aktuell bei den 70 bis 80 Gefährdern hier in Berlin ist?
Genau das meinte ich. Das ist ja genau der Punkt. Also sind wir jetzt einer Meinung, dass eine elektronische Fußfessel gegen einen terroristischen Gefährder, der entschlossen ist, nichts bringt. Keine Fußfessel hindert ihn daran. Im Fall Amri hätten Sie doch niemals erkennen können, ob Herr Amri mit dem Bus oder mit dem Lkw auf dem Breitscheidplatz unterwegs ist und welche Absichten er dabei hat. Deswegen wollen Sie für die Berlinerinnen und Berliner eine Scheinsicherheit simulieren und eine Fußfessel einführen.
Aufrüstung ist nicht alles. Wie naiv sind Sie denn, dass Sie glauben, dass die Terroristen sich von einer Fußfessel beeindrucken lassen? Entweder Sie sind so naiv – das habe ich jetzt Ihrer Frage entnommen –, oder aber Sie wollen die Berlinerinnen und Berliner hinter die Fichte führen, wie ich das eher bei Herrn Dregger vermute, denn der ist schlau genug, um zu wissen, dass terroristische Gefährder nicht kooperieren können, und stellen trotzdem einen solchen Scheinantrag, der völlig zu Recht von der Koalition abgelehnt wird. – Vielen Dank!
Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor. Es wird die Überweisung des Gesetzesantrags an den Ausschuss für Inneres, Sicherheit und Ordnung, Digitale Verwaltung, Datenschutz, Informationsfreiheit und zur Umsetzung von Artikel – –
Ich war jetzt schon weiter. Also gut, zu einer Kurzintervention hat Kollege Dregger das Wort. – Bitte sehr!
Vielen Dank, Herr Präsident! – Herr Kollege Lux! Wenn Sie den Gesetzesentwurf gelesen hätten, dann würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass die Nichtkooperation dazu führt, dass dann die Truppen oder die Observationseinheiten Kontakt aufnehmen. Das heißt, auch das wird gemeldet. Wenn jemand seine Fußfessel ablegt, zerstört oder dafür sorgt, dass sie nicht mehr funktionsfähig ist, dann wird genau das gemeldet, und das kann weitere Aktivitäten auslösen. – Das nur zu Ihrer Information.
Ich habe nicht gesagt, dass eine Fußfessel einen Lkw stoppen kann. Das ist auch absurd. Aber die Observation
beginnt nicht erst, wenn sich der Täter in den Lastwagen setzt, den er in eine Menschenmenge steuern möchte, sondern die Maßnahme, die Gefährderüberwachung, beginnt doch Monate vorher, wenn die ersten Erkenntnisse vorliegen, dass etwas anfallen könnte. In dieser Phase kann es lageabhängig auch möglich sein und nicht notwendig sein, ihn rund um die Uhr zu observieren, sondern sich auf seine Aufenthaltsbestimmung zu beschränken. Insofern ist das das mildere Mittel im Vergleich zu einer Rundumobservation.
Ich sehe in Ihrer Argumentation überhaupt keinen Ansatz, was dagegen sprechen könnte, dieses mildere Mittel zu ermöglichen. Wir müssen es doch den Profis der Berliner Polizei überlassen, welche Entscheidungen sie fällen will, um zu sagen, dass jetzt eine Observation geboten ist oder die Aufenthaltsbestimmung ausreicht. Ich bitte Sie, hierbei auch sachlich zu bleiben und es den Profis zu überlassen, welche Entscheidungen sie fällen. Wenn wir ihnen nichts an die Hand geben, dann bleibt alles so, wie es ist, und das ist keine Option angesichts der hohen Anzahl von Gefährdern, die wir kaum überwachen können. – Herzlichen Dank!
Vielen Dank, Herr Präsident! – Vielen Dank, Herr Kollege Dregger! Wir sind uns ja einig, dass man eine KostenNutzen-Abwägung vornehmen kann und dass man es den Experten überlassen sollte. Da sind wir uns einig. Wer, wenn nicht das Bundeskriminalamt, sind die Experten? Ich möchte Sie einfach noch mal bitten, in die Zeitung „Die Welt“ vom 20. Februar 2017 zu schauen. Dort warnt das Bundeskriminalamt explizit den Bundesgesetzgeber, der diese Wertungsentscheidung treffen muss, ob er eine Fußfessel haben will, davor, mit der Fußfessel vermeintlich mehr Sicherheit einzuführen, denn Sie haben natürlich noch andere Mittel als eine Fußfessel zur Aufenthaltsbestimmung. Sie haben eine Meldeauflage, bei der Sie zum Beispiel überhaupt kein Personal einsetzen müssen, sondern warten können, bis sich eine gefährliche Person meldet. Sie haben weitere Mittel zur Observation, und Sie haben auch Mittel zur Telefonüberwachung.
Wir können uns ja darauf einigen, dass der Bundesgesetzgeber im BKA-Gesetz die Fußfessel einführen wird – entgegen allen Bedenken der Experten, die sagen, dass nur mitwirkungswillige Personen mit der Fußfessel gut überwacht werden können. Wir werden dann sehen, welche Auswirkungen das hat. Aber ich sage Ihnen: Hier in Berlin, im Gefahrenabwehrrecht, das ohnehin schon im Bereich des Terrorismus durch die bundesgesetzliche
Gesetzgebung sehr nahe ins Vorfeld gegangen ist, werden Sie praktisch – das ist jetzt eine juristische Diskussion – kaum einen Anwendungsfall dafür finden, weil sämtliche Vorbereitungshandlungen von Terrorismusstraftaten bereits unter das Strafgesetzbuch fallen, wo Sie dann in der StPO tausendmal mehr und auch effektivere Maßnahmen haben als die Fußfessel, die – Schuster bleib bei Deinen Leisten – auch bei den Experten und Sicherheitsbehörden bereits eingeübt sind. Deswegen können Sie auch im ASOG kaum einen einzigen Anwendungsfall konstruieren, der überhaupt Raum für Ihre Regelung geben würde. Deswegen ist das vergossene Milch. Das wird nicht zu mehr Sicherheit für Berlin beitragen. – Vielen Dank!