Protokoll der Sitzung vom 22.03.2000

Aber lassen wir den Bereich Asyl weg, weil es nämlich mit dem jetzigen Asylrecht auch funktioniert. Nehmen wir mal ein konkretes Beispiel. Wir haben im Jahr 2000 eine bestimmte Zuwanderung. Wir wissen, aus welchen Quellen heute die Zuwanderung kommt. Sie kommt aus dem Asyl, aus dem Familiennachzug und über die Aussiedler. Jetzt sagen wir: Wir hätten gern im Jahr 2001 auf jeden Fall nicht mehr Zuwanderung. Das ist die Quote, und die legen wir fest. Jetzt ist es realistisch, dass all diese Quellen weniger werden: sowohl das Asyl wie die Aussiedler wie der Familiennachzug. Dann wäre natürlich Luft für ein Stück reine Einwanderungspolitik, bei der wir sagen können, was passiert und was nicht passiert.

Das funktioniert übrigens selbst dann noch, wenn Sie sagen, Sie hätten gerne im Jahr 2001 meinetwegen 10 % weniger Zuwanderung. Selbst dann würde nach heutigen Zahlen immer noch so viel Luft bleiben, dass wir uns den ganzen Wirbel um die Bosnier hätten ersparen können, son

(Minister Dr. Ulrich Goll)

dern im einen oder anderen Fall einfach hätten sagen können: Der bleibt legal hier. Dafür haben wir heute keine Grundlage.

Wir könnten uns also realistisch die Luft verschaffen für eine Art Einwanderungsverfahren ohne eine Mehrbelastung, auch für eine Art Auswahlverfahren. Wir könnten sagen, was wir haben wollen und was wir nicht haben wollen, gerade im Fall der Bosnier. Wir bräuchten solche Dinge wie jetzt die Greencard nicht, wo mal einer einen Zettel aus der Kutsche wirft mit einem Thema irgendeiner Schauaktion. Das ist nicht die saubere Lösung. Was man machen könnte, wäre eine saubere Lösung.

Weitermachen wie bisher ist in der Tat, glaube ich, keine ausreichend zukunftsfähige Variante. Es ist ja interessant, was wir gestern und heute in der Zeitung lesen. Das müsste auch zu denken geben. Der Singener Oberbürgermeister ist ja nicht irgendjemand, sondern er ist ehemaliger Vorsitzender der Jungen Union in Baden-Württemberg.

(Abg. Pfister FDP/DVP: CDU-Bundesvorstands- mitglied!)

Das muss man natürlich zur Kenntnis nehmen.

(Abg. Hauk CDU: Das wissen wir schon!)

Die Dinge sind in Bewegung geraten, und ich stelle auch eine Annäherung der Positionen am Rande fest. Ich sage: Festhalten am Status quo ist zu wenig. Es ist rückwärts gewandt. Wir wollen die Zukunft dieses Landes gestalten,

(Zuruf des Abg. Deuschle REP)

und zu dieser Gestaltung gehört nach meiner Überzeugung auch ein Zuwanderungssteuerungsgesetz.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Pfister.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Noch einige kurze Bemerkungen.

Herr Käs, ich habe eigentlich keinen Anlass, mich mit Ihren Äußerungen zu beschäftigen.

(Abg. Deuschle REP: Dann lassen Sie es bleiben!)

Wenn Sie sich hier hinstellen und sagen, Ausländerpolitik, Zuwanderungspolitik oder Nichtzuwanderungspolitik müsse darin bestehen, dass eine radikale, wie Sie sich ausgedrückt haben, Rückführung von Ausländern stattfindet, dann kann ich Ihnen nur empfehlen, einmal nachzulesen, was eine unabhängige Institution wie die Vereinten Nationen heute – UN-Bericht, Pressemitteilung vom heutigen Tag – unter der Überschrift – ich will das jetzt gar nicht quantifizieren – mitgeteilt hat: „Deutschland braucht viele ausländische Arbeitskräfte“. Ich will das jetzt gar nicht in Zahlen festlegen, sondern nur noch einmal feststellen: Alle renommierten Forschungsinstitute und wirtschaftswissenschaftlichen Institute – und ihre Zahl wächst jeden Tag mehr – kommen übereinstimmend zu der Meinung – übereinstimmend zu der Meinung! –, dass aus vielen Gründen –

aus demographischen, wirtschaftspolitischen und anderen Gründen – die Bundesrepublik Deutschland und damit auch Baden-Württemberg auf mittlere Sicht auf einen gewissen – ich sage: gesteuerten – Zuzug von Menschen nicht verzichten können.

Das gilt übrigens nicht nur für die Bundesrepublik Deutschland, sondern das gilt auch für alle anderen europäischen Staaten. Insofern wird auch zwischen den europäischen Staaten in der Zukunft ein Wettbewerb um die hellsten und besten Köpfe stattfinden.

Also, wenn Sie glauben, dass Sie mit dem Schlagwort „radikale Rückführung“ etwas erklären können, muss ich Ihnen sagen: Da liegen Sie nun wirklich völlig daneben und sind Sie auf dem Holzweg. Das ist das Erste.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Zweite: Herr Kollege Maurer, ich muss es noch einmal sagen: Ich nehme jetzt mit großem Interesse zur Kenntnis, dass Sie eigentlich auch – so steht es ja auch in Ihrem Programm; ich könnte das zitieren – für eine solche kalkulierte und begrenzte Zuwanderung sind, mit entsprechenden Festlegungen, die wir als Staat treffen. Die Kollegin der Grünen hat Ähnliches gesagt.

Ich stelle noch einmal fest: Im Deutschen Bundestag liegt eine Gesetzesinitiative der FDP genau zu diesem Thema. Wenn Sie wollen, dass zumindest im Deutschen Bundestag eine Mehrheit für ein solches Zuwanderungsbegrenzungsgesetz zustande kommt, dann gibt es eigentlich nur einen einzigen Rat: Stimmen Sie diesem Gesetzentwurf der FDPBundestagsfraktion zu!

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Bebber SPD: Ohne die Länder geht doch gar nichts! – Zuruf des Abg. Dr. Puchta SPD)

Ich bin schließlich dem Herrn Justizminister dafür dankbar, dass er auch noch einmal darauf hingewiesen hat, wie es sich mit dem Thema Asyl verhält. Natürlich ist das ein Problem. Aber erstens haben wir darauf hingewiesen, dass die Asylbewerberzahlen in der Vergangenheit schon deutlich zurückgegangen sind. Dies gibt Luft, auch anderen Gruppen, die wir dringend brauchen, eine Chance zu geben. Ich habe zweitens darauf hingewiesen, dass schon jetzt ein Grundsatz postuliert werden kann, der sagt: Wer einen Antrag auf Asyl stellt, hat keine Möglichkeit, einen Antrag auf Zuwanderung zu stellen. Das wird dazu führen, dass die Asylbewerberzahlen weiter zurückgehen werden.

Im Übrigen setze ich natürlich auch auf eine europäische Lösung, und eine europäische Lösung ist ja nicht nur angedacht, sondern bereits auf den Weg gebracht. Ich erinnere an den Amsterdamer Vertrag. Ich erinnere daran, dass dort eindeutig festgestellt ist, dass wir eine abgestimmte EUMigrationspolitik brauchen, dass dazu ausdrücklich eine Harmonisierung des europäischen Asylrechts gehört und dass dies übrigens nicht bedeutet, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland auf unser Grundrecht auf Asyl im Grundgesetz verzichten müssen.

(Abg. Deuschle REP: Als Grundrecht?)

Diese Behauptung ist eine Mär. Der Anspruch auf Asyl bleibt selbstverständlich erhalten und kann auch gerichtlich überprüft werden.

Im Übrigen stelle ich fest, dass alle europäischen Staaten vor einem oder zwei Jahren im Vertrag von Tampere in Finnland festgelegt haben, dass bei einer europäischen Lösung selbstverständlich die Genfer Flüchtlingskonvention über allem steht. Ich kenne kein europäisches Land, keine europäische Nation, die von sich aus irgendwo gesagt hätte, dass sie sich von der Genfer Flüchtlingskonvention verabschieden würde. Das heißt, die Genfer Flüchtlingskonvention wird selbstverständlich auch in Zukunft über allem stehen, egal, wie die Staaten das im Einzelnen dann organisieren, und eine Garantie dafür sein, dass Flüchtlinge, die plötzlich ohne Visum dastehen, nicht in ein Land abgeschoben werden können, in dem sie bedroht werden. Auch das muss man sagen.

Was dann am Ende stehen wird, wie das am Ende tatsächlich unter einem europäischen Dach geregelt wird, ob dann die Deutschen das Prozedere im Einzelnen organisieren müssen, ob da möglicherweise ein Gesetzesvorbehalt – Herr Kollege Haasis – im Grundgesetz erscheinen wird, das ist im Moment schwer zu sagen, aber nicht auszuschließen. Das will ich deutlich sagen. Nur, die Abschaffung des Grundrechts steht deshalb nicht zur Debatte.

Ich will noch einmal sagen, meine Damen und Herren: Wir brauchen eine europäische Lösung, aus den verschiedensten Gründen, wie sie jetzt genannt worden sind, auch was die Lastenverteilung angeht.

Aber wir sollten uns bei der derzeitigen Situation nicht dahinter verstecken, dass noch keine europäische Lösung vorhanden ist. Wir sollten das eine tun und das andere nicht lassen. Ich bleibe dabei und hoffe sehr, dass die Debatte, die jetzt eröffnet ist, bei den verschiedenen politischen Gruppierungen am Ende die Einsicht fördern wird, dass wir auf Sicht auf ein solches Einwanderungsgesetz, ein solches Zuwanderungsgesetz nach meiner persönlichen Überzeugung nicht werden verzichten können.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Haasis.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe nach Ihrem zweiten Redebeitrag, Herr Kollege Pfister, den Eindruck, dass CDU und FDP/DVP in dem Punkt doch weiter voneinander entfernt sind, als ich eingangs gedacht hatte. Sie haben unter anderem gesagt: Deutschland wird auf Zuwanderung angewiesen sein; es wird ein Wettbewerb der europäischen Länder um zuziehende Ausländer einsetzen.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das sage nicht ich, son- dern das sagt der Innovationsbeirat der Landesre- gierung!)

Das hatten Sie vorhin gesagt. Ich habe das als Ihre Position angenommen. – Und anschließend sagen Sie: Wir gehen aber davon aus, dass wir dann, wenn es eine Quote gibt, weniger Asylbewerber haben. Damit unterstellen Sie ja, dass dann, sage ich einmal, keine verkappten Asylbewerber

mehr kommen, solche, die behaupten, sie wollten Asyl beantragen, aber keine echten Asylanten sind, sondern solche, die als so genannte Wirtschaftsflüchtlinge in die Bundesrepublik kommen – die gibt es in größerer Zahl –,

(Abg. Pfister FDP/DVP: Klar!)

weil solche Personen dann legal auf der Quote einwandern. Ob das dann die Köpfe sind, die wir brauchen, daran hätte ich erhebliche Zweifel.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das entscheiden dann wir, Herr Kollege Haasis! Das ist doch genau das, was wir dann entscheiden!)

Wenn es aber diese Köpfe nicht sind, dann haben wir keine Entlastung durch diejenigen, die kommen.

Ich verstehe auch Ihre Schlussaussage nicht, dass Sie sagen: Wir können den Zugang über Asyl regeln, wenn wir das Grundrecht belassen. Diese Möglichkeit sehe ich nach wie vor nicht. Wenn wir das beschränken wollen, brauchen wir ein anderes Recht, wie es andere europäische Länder haben. Hier unterscheidet sich offenbar die Meinung der CDU von der der FDP/DVP.

(Abg. Pfister FDP/DVP: Das habe ich gesagt: eu- ropäische Lösung! Wie die dann aussehen wird, werden wir sehen!)

Ich will aber noch etwas zur Integration sagen, weil Herr Kollege Maurer gesagt hat, es gebe bei uns keine Integration. Ich denke, es ist nicht zu bestreiten, dass es vielfältige Integrationsversuche gibt:

(Abg. Bebber SPD: Unzulängliche Versuche!)

in den Kindergärten, in den Schulen, in den Vereinen, in den Betrieben. Da gibt es Integrationsversuche vielfältigster Art. Richtig ist aber natürlich, dass wir das bei weitem nicht leisten können. Wenn der zuständige Dezernent in Frankfurt jetzt sagt, dass 16- bis 22-jährige Ausländer in Frankfurt 40 % bis 50 % der Bevölkerung stellen, muss man sich fragen, wie Integration noch möglich ist. Herr Schuster hat im selben Artikel, der diese Woche veröffentlicht worden ist, erklärt, dass es in Stuttgart Kindergärten geben solle, in denen – von Kindern – 17 unterschiedliche Sprachen gesprochen werden.

(Abg. Ingrid Blank CDU: Ja!)

Welche Aufgabe da Integration ist, ist uns wohl, denke ich, allen klar.

Zum Dritten dazu: Wir haben ausländische Bevölkerungsgruppen innerhalb Deutschlands, die möglicherweise keine oder nur schwerlich eine Integration wünschen.