Protokoll der Sitzung vom 17.05.2000

Ich glaube, dass Sie – das ist das Unehrliche an Ihrem Papier – das Asylrecht als Voraussetzung für eine Zuwanderungsregelung schleifen wollen, für eine Regelung, von der Sie sich zusätzlich erhoffen, dass dann noch weniger da sind als vorher. Das kann so nicht hinhauen.

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Was hat das jetzt mit der Gewalt an Schulen zu tun? – Zuruf des Abg. Schuhmacher CDU)

Warum? Genau, Herr Schuhmacher: Schulen, Integration. Warum ist es intellektuell erst einmal wichtig, zu kapieren, dass Integration nur dann stattfinden kann, wenn man akzeptiert, dass Zuwanderung eben heißt, dass es nicht Gäste auf Zeit mit einem fremden Pass aus einer fremden Kultur sind, sondern dass das Leute sind, die auf Dauer hier wohnen?

(Abg. Haasis CDU: Er hat die Rede von morgen dabei!)

Das ist nämlich genau deshalb notwendig, weil diese Jugendlichen vielfach keine Chancen haben, hier auf dem Arbeitsmarkt unterzukommen.

(Abg. Deuschle REP: Warum denn? Deutsche Sprache lernen!)

Das ist doch der Punkt. Gucken Sie sich doch die Statistiken über ausländische Jugendliche an. Wie viele machen denn bei uns einen höheren Bildungsabschluss?

(Abg. Deuschle REP: Warum denn?)

Es sind doch viel zu wenige. Das ist doch der Punkt. – Ja warum denn? Weil sie nicht richtig deutsch sprechen.

(Abg. Deuschle REP: Warum können sie das nicht?)

Weil sie die Abschlüsse nicht schaffen. Das liegt daran, dass man kein richtiges Integrationskonzept hat. Darüber muss man sich informieren, und da muss man etwas machen. Die Jugendenquete hat gute Arbeit geleistet. Aber wie lange haben wir gebraucht, bis die CDU akzeptiert hat, dass man an Brennpunktschulen Schulsozialarbeit machen

muss. Das war doch für Sie eine Debatte, die Sie nicht haben wollten. Diese ganzen Punkte der Integration stehen an. Die sind auf der politischen Agenda, und die müssen in den nächsten zwei, drei Jahren geklärt werden.

(Glocke des Präsidenten)

Ich bin wirklich froh über Ihr Papier, aber ich befürchte, dass es nur auf der Oberfläche bleibt und Sie das Ganze nicht ernsthaft wollen. Wenn Sie das ernsthaft wollen, sind wir immer zu Gesprächen bereit.

Herr Abg. Dr. Salomon, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Kurz?

Aber gern.

Bitte schön, Herr Kurz.

Herr Dr. Salomon, kann es sein, dass Sie Ihr Redemanuskript von morgen in der Tasche hatten? Wir haben eben über „Begrenzung der Jugendgewalt an den Schulen“ diskutiert.

(Unruhe und Zurufe, u. a. Abg. Haasis CDU: Das ist eine Aktuelle Debatte! Da gibt es keine Manu- skripte!)

Herr Kurz, ich bin dankbar für Ihre Zwischenfrage, weil in einer Debatte, in der wir über Gewalt an Schulen reden und in der die Republikaner versuchen, wieder ihr Süppchen zu kochen, indem sie sagen, es seien die gewalttätigen ausländischen Jugendlichen und da müsse man endlich einmal drakonische Maßnahmen ergreifen, einfach die Zusammenhänge klargemacht werden müssen. Ich habe versucht, das hier deutlich zu machen: Wenn es um Gewalt an den Schulen und um ausländische Intensivstraftäter geht, hängt das ganz klar mit den Berufschancen und mit der Perspektivlosigkeit zusammen. Da kann ich nur sagen: Wenn Sie – Bund der Selbstständigen – in der Wirtschaft genügend Ausbildungsplätze schaffen und dafür sorgen, dass die ausländischen Jugendlichen hier richtig Deutsch lernen als Voraussetzung für Integration,

(Zurufe von den Republikanern, u. a. des Abg. Krisch)

wenn die Bildungsabschlüsse besser werden, können wir das Thema „Gewalt an Schulen“ auch bei Intensivtätern ad acta legen. Das war meine Absicht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen)

Herr Abg. Dr. Salomon, gestatten Sie noch eine Anschlussfrage des Herrn Abg. Kleinmann?

Aber gern, Herr Kollege.

Bitte schön, Herr Kleinmann.

Herr Kollege Salomon, nachdem Sie sehr ausführlich auf das Problem Ausländer eingegangen sind und dann auch noch den Bogen zur Gewalt an der Schule geschafft haben, meine Frage: Sind Sie wirklich der Meinung, dass das Phänomen „Gewalt von Jugendli

chen an Schulen“ – um das geht es ja – vorwiegend durch Migrantinnen und Migranten, durch Asylanten und Aussiedler kommt? Der Meinung bin ich nämlich nicht. Die Republikaner sind dieser Meinung, aber ich hoffe, dass die Grünen nicht der gleichen Meinung sind.

(Abg. Deuschle REP: 40 % sind schon ein biss- chen viel, Herr Kollege!)

Ich habe das zwar vorhin erwähnt. Wenn es bei Ihnen aber falsch angekommen sein sollte, nutze ich die Gelegenheit gerne, um auch das noch einmal aufzuklären.

Ich habe in meinem ersten Redebeitrag gesagt, dass Gewalt als Phänomen überhaupt nicht zugenommen hat – laut Landespolizeipräsident Hetger –, sondern dass sich nur die Bereitschaft, das, was als Gewalt verstanden wird, anzuzeigen, erhöht hat,

(Abg. Deuschle REP: Das stimmt doch gar nicht!)

und dass nur ein ganz kleiner Bruchteil, nämlich 0,4 Promille aller Schüler, als Intensivtäter auffällt. Das wiederum sind drei verschiedene Gruppen: in erster Linie Deutsche und in zweiter Linie Deutsche, nämlich Aussiedler, und in dritter Linie ein kleiner Kreis von ausländischen Jugendlichen.

(Lachen des Abg. Deuschle REP)

Wenn Sie sich aber anschauen, wo die Gewalt stattfindet, nämlich in Haupt-, Grund- und Sonderschulen, und wie hoch der Prozentsatz der ausländischen Jugendlichen an diesen Schulen ist, werden Sie merken, dass das gar nicht so signifikant anders ist als unter vergleichbaren deutschen Jugendlichen an diesen Schultypen. Von daher löst sich die Debatte meines Erachtens von selbst in Luft auf.

Danke schön.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und des Abg. Hofer FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Wacker.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Gestatten Sie mir nur noch einige wenige Bemerkungen zu den letzten Beiträgen.

Vom Kollegen Braun ist bewusst der Eindruck verbreitet worden, dass besonders die soziale Not der Kinder und Jugendlichen zu Gewaltauffälligkeiten führe. Ich darf in diesem Zusammenhang klarstellen, dass aus jeder Polizeilichen Kriminalstatistik, aus den Shell-Jugendstudien und aus dem Abschlussbericht der Jugendenquetekommission, wo sich alle Experten zu diesem Thema klar geäußert haben, hervorgeht, dass verschiedene Faktoren in der Summe zu Gewaltauffälligkeiten führen und nicht alleine die soziale Not, nicht alleine die Gewaltausübung in der Familie, nicht alleine die Arbeitslosigkeit des Vaters zu Gewalt führen, sondern viele Faktoren zusammen das Gewaltrisiko erhöhen. Insofern bitte ich darum, dass man aus diesem Thema keine bildungspolitische Debatte macht, sondern dass wir die Bildungspolitik zwar als eines der zentralen Hand

lungsfelder sehen, aber nicht alleine die Bildungspolitik für Jugendgewalt an Schulen verantwortlich machen. Das ist ungerecht und der Sache nicht dienlich.

(Beifall bei der CDU und Abgeordneten der FDP/ DVP – Zuruf der Abg. Dr. Eva Stanienda CDU)

Blicken wir doch einmal zurück zu unserer Vatergeneration, zu unserer Muttergeneration. Wie sah es denn nach dem Zweiten Weltkrieg bei uns aus? Wenn es so wäre, hätte es nach dem Zweiten Weltkrieg in unserem Land lauter Verbrecher geben müssen; denn damals gab es in unserem Land keine Reichen. Aber die Bevölkerung hat aus sozialer Not heraus den Wiederaufbau unseres Landes ohne Gewaltauffälligkeiten geschafft.

(Beifall bei der CDU)

Wenn diese Logik von Ihnen, Herr Braun, stimmen würde, dann müsste es heute viele Verbrecher und viele kriminelle Jugendliche unter den Sozialhilfeempfängern geben.

Deswegen: Die Summe der Risikofaktoren führt zu Gewaltauffälligkeiten. Eine Tatsache oder ein Faktor allein führt nicht zur Gewalt.

Als ein Zweites ist das Stichwort Schulsozialarbeit genannt worden. Sie ist eine der wichtigen Maßnahmen an Brennpunktschulen, vor allem an BVJ-Klassen, wo es wirklich auch Integrationsprobleme von ausländischen Jugendlichen gibt. Die Schulsozialarbeit ist ein wichtiges Instrument geworden, auch aus den Handlungsempfehlungen der Jugendenquetekommission heraus, und zwar aus dem Grund, weil wir gesagt haben, dass wir eine Brücke zu einem Verantwortungsbereich der Kommunen und der Landkreise schlagen wollen; denn die Schulsozialarbeit war bisher klar als eine Aufgabe der Kommunen und nicht als eine Aufgabe der Bildungspolitik definiert. Wir haben damit eine Brücke geschaffen, damit wir in der Zukunft vernünftig über dieses Thema reden können und auch konzeptionell versuchen, in diesem Themenbereich voranzukommen. Deswegen haben wir hier einen ersten wichtigen Schritt in diese Richtung getan.

Im Übrigen: Wenn behauptet wird, die Landesregierung habe die Sprachförderung gerade bei Migrantenkindern reduziert,

(Abg. Kleinmann FDP/DVP: Das ist falsch!)

dann ist das doch überhaupt nicht wahr.

(Zuruf des Abg. Weiser CDU)