Jetzt rechnen Sie selber einmal aus: Verdoppelung der Zahl der Studienplätze bzw. Versechsfachung der Zahl der Ausbildungsplätze im dualen System. Wenn das alle anderen 15 Länder in der gleichen Quantität und Qualität gemacht hätten wie Baden-Württemberg, dann hätten wir die 20 000 Fachkräfte. Dann bräuchten wir keine Einwanderung, sondern dann hätten eigene junge Leute eine Chance in dieser Zukunftsbranche.
Herr Ministerpräsident, die Anstrengungen des Landes Baden-Württemberg, genügend Ausbildungsplätze, auch Studienplätze, im Bereich Informatik zur Verfügung zu stellen, wurden hier in diesem hohen Haus noch nie bestritten. Wir haben ja schon verschiedene Debatten darüber geführt.
... dass dieser Fachkräftemangel kommt. Ist Ihnen bekannt – jetzt kommt meine Frage –, dass der Herr Wissenschaftsminister neulich in einem illustren Kreis zum Besten gegeben hat, dass Sie, nämlich der Herr Ministerpräsident, auf der CeBIT 1995 zu ihm gekommen seien und ihn gebeten hätten, zu prüfen, ob man nicht die Studienplätze im Fach Informatik zurückfahren könne, weil es nämlich Klagen von Unternehmen aus diesem Bereich gebe, die alle sagen, es gebe so viele Bewerbungen auf so wenig Stellen? Ist Ihnen das bekannt?
Das ist das Gegenteil von dem, was wahr ist, wie Sie an der praktischen Politik dieser Landesregierung und an meinem Verhalten sehen.
(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Ent- schuldigung, Herr Ministerpräsident, das hat der Wissenschaftsminister im Wissenschaftsausschuss behauptet!)
Mit viel Elan und Geld hatte die Uni Hildesheim 1984 den Studiengang Informatik gestartet, etwa 50 bis 60 Millionen DM kostete sein Aufbau. Die Wirtschaft riss sich um die Absolventen, denn die Ausbildung galt als praxisnah... Fast 700 angehende Informatiker studierten zuletzt in Hildesheim, am Ende legten 85 im Jahr das Diplom ab. „Es war ein prosperierender Bereich“, sagt die heutige Uni-Präsidentin... Dann kam das Aus. Niedersachsen war... verschuldet, sämtliche Universitäten mussten Stellen abbauen, doch Hildesheim traf es besonders hart: Per Verordnung vom 18. Juni 1996 schloss die damalige Ministerin für Wissenschaft und Kultur, Helga Schuchardt, die kompletten Studiengänge Informatik und Wirtschaftsmathematik...
Meine Damen und Herren, 50 bis 60 Millionen DM in den Sand gesetzt! Zum gleichen Zeitpunkt, zu dem wir mit Millionenaufwand in Freiburg, in Esslingen, in Mannheim und anderenorts neu aufbauen, hat Schröder Informatikfakultäten geschlossen. Das ist die Wahrheit, meine Damen und Herren.
Wir sind heute in der Situation, dass wir über Einwanderung von Fachkräften in dieser Branche nachdenken müssen, weil die SPD-regierten Länder die Zeichen der Zeit nicht erkannten, weil sie die Entwicklung verschlafen haben. Die SPD, das sind die bildungspolitischen Versager der Nation.
Meine Damen und Herren, die zweite Priorität heißt Qualifizierung. Ich argumentiere nicht mit den 4 Millionen Arbeitslosen, obwohl man diesen zentralen Punkt im Blick haben muss, bevor man Zehntausende zusätzliche ausländische Gastarbeiter anwirbt. Meine Damen und Herren von der SPD, Ihre Parteifreunde in den Gewerkschaften haben sie im Blick. Sie haben – und das ist bemerkenswert – mit keinem Wort von den Arbeitslosen geredet, denen man eine Chance im ersten Arbeitsmarkt wieder verschaffen muss. Ich sage, ich rede nicht von den 4 Millionen, aber ich rede von 32 000 auf den Arbeitsämtern in Deutschland gemeldeten Fachkräften aus dem IT-Bereich, die arbeitslos sind.
Ich rede zweitens von den 60 000 bei den Arbeitsämtern in Deutschland gemeldeten Ingenieuren. Ich sage: Von 32 000 Arbeitslosen dieser Fachrichtung müssen doch einige Prozent umgeschult werden können, wenn jetzt großer Bedarf in unserer Wirtschaft besteht.
Ich denke, die Bundesanstalt für Arbeit ist Sache der Bundesregierung. Es ist eigentlich Aufgabe der Bundesregierung und von Parteien, die die soziale Standarte immer vor sich her tragen, an die Arbeitslosen, an Umschulung zu denken, und zwar in Bereichen, wo Umschulung möglich ist.
Ich sage: Das ist die zweite Priorität. Man kann doch nicht sagen: Die Karawane zieht weiter, so ist halt die wirtschaftliche Entwicklung, und wir finden uns mit 4 Millionen Arbeitslosen ab. Das kann doch nicht unsere Politik sein.
(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Wintruff SPD: Wer hindert sie, umzuschu- len?)
Herr Ministerpräsident, ist Ihnen entgangen, dass der Fraktionschef der CDU eben gerade in einem Punkt zu der Arbeitslosig
keit Stellung genommen hat, und zwar so, dass er meinte, dass die Zumutbarkeitsregeln verschärft würden, und würden Sie das für die soziale Standarte halten?
Auch das. Das ist völlig richtig und meine Auffassung. Aber das bezieht sich auf viele Arbeitsfähige der 4 Millionen. Ich habe jetzt von 32 000 Fachkräften aus der IT-Branche und von 60 000 Ingenieuren geredet. Ich bin nicht so blauäugig, dass ich annehme, dass alle 32 000 oder alle 60 000 umgeschult und vermittelt werden könnten,
aber doch in diesem Bereich ein beachtlicher Prozentsatz. Das ist unsere Aufgabe, die wir in zweiter Priorität neben der Ausbildung unserer jungen Leute haben.
(Lebhafter Beifall bei der CDU – Zurufe der Abg. Christine Rudolf SPD und Dr. Hildebrandt Bünd- nis 90/Die Grünen)
Wenn Sie mir da ausdrücklich Recht geben, warum taucht dann bei Ihnen in Debattenbeiträgen nicht das Thema „Ausbildung“, nicht das Thema „Umschulung von Fachkräften“ auf,
Meine Position ist: Zuerst ist die Ausbildung der eigenen Leute gefragt – deswegen bauen wir weiter Studienplätze in Baden-Württemberg aus –,
(Zuruf des Abg. Dr. Hildebrandt Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grü- nen: Sie müssen öfters mal hier im Haus sein, dann hören Sie es!)
dann ist die Qualifizierung von geeigneten eigenen Arbeitslosen gefragt, und erst dann kann man in dritter Priorität über zusätzliche Zuwanderung reden.
Nun tun Sie so, als ob es bisher für Fachkräfte in Deutschland überhaupt nicht die Möglichkeit eines Aufenthaltsrechts und einer Arbeitserlaubnis gäbe. In Anwesenheit von Abgeordneten aller Fraktionen haben wir vor wenigen Wochen im Weißen Saal des Neuen Schlosses Gründerpreise für herausragende Existenzgründungen verliehen. Der erste Preis ging an ein Unternehmen dieser Branche, vor dreieinhalb Jahren gegründet. Das Unternehmen beschäftigt heute 120 Leute.