Protokoll der Sitzung vom 28.06.2000

(Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Drexler, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Weiser?

Bitte schön, Herr Abg. Weiser.

Herr Abg. Drexler, trifft es zu, dass die SPD auf ihrem Parteitag 1986 in Nürnberg beschlossen hat, innerhalb von zehn Jahren aus der Kernenergie auszusteigen? Und könnten Sie jetzt einmal erläutern, was die SPDregierten Länder getan haben, um alternative Energien zu entwickeln.

(Beifall bei der CDU – Abg. Dr. Salomon Bünd- nis 90/Die Grünen: Da muss man erst an der Re- gierung sein! – Unruhe)

Herr Kollege Weiser, das kann man eigentlich erst dann, wenn man an der Regierung ist. Jetzt sind wir an der Regierung.

(Unruhe bei der CDU)

Ja, natürlich! – Nachdem der entschädigungslose Ausstieg das Wichtigste für die SPD war, hat sich das jetzt – ich sage einmal – von 10 Jahren auf 20 Jahre verlängert. Sonst hätten wir Entschädigungszahlungen leisten müssen. Aber wir lernen auch, und das ist gar nicht schlimm. Meine Bitte ist nur, dass Sie auch lernen im Hinblick auf Ihr Beharren auf der Kernenergie. Das ist doch die zentrale Frage.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen – Zuruf des Abg. Weiser CDU)

Herr Kollege Müller, noch einmal zu Ihnen. Ich habe eigentlich immer gedacht, dass Sie ein sehr nachdenklicher Politiker sind. Wenn ein christdemokratischer Politiker keinerlei Gedanken darauf verschwendet, dass wir jedes Jahr Hunderte und Tausende von Tonnen Atommüll produzieren und nicht wissen, wo wir die sicher in einem Endlager unterbringen, dann frage ich Sie, was Sie denn zur Behandlung der Schöpfung und zu der Frage sagen, wie wir diese Erde hinterlassen. Sie wollen uns doch nicht erzählen, dass Sie die gesamten Energieprobleme der Welt jetzt mit Kernkraft lösen wollen? Welchen Müll produzieren Sie dann? Wohin gehen Sie dann mit dem Müll? Jeder, der hier in Baden-Württemberg ein WC baut, braucht eine Entsorgungsanlage, und Sie sprechen davon, dass Sie noch 40 Jahre lang Atomkraftwerke bauen wollen. Das ist doch ein Unsinn.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

In ganz Europa wird kein Atomkraftwerk mehr gebaut, Herr Kollege Müller. In Amerika wird kein Atomkraftwerk mehr neu gebaut. Warum denn? Weil dort genau diese Debatte geführt wird.

(Zuruf: Quatsch!)

Wenn wir als Industrienation nicht aus der Atomenergie aussteigen, werden andere genau die Kernenergiepolitik nachvollziehen, die wir gemacht haben und die wir jetzt für falsch halten. Denken Sie einmal darüber nach, was Sie mit dem Atommüll machen. Reden Sie einmal mit all den Menschen, die Angst davor haben, dass irgendwo Todeszonen entstehen, in die niemand mehr gehen kann.

(Unruhe)

Was machen Sie denn mit den Atommeilern, wenn sie am Ende sind? Sie haben kein Endlager. Auch darüber denken Sie offensichtlich nicht nach.

(Unruhe)

Genau das sagen zwei Drittel der Menschen in der Bundesrepublik.

Zum Schluss, liebe Kolleginnen und Kollegen, will ich Ihnen nur noch einmal etwas vorlesen, damit Sie sehen, dass es eine Menge Gutachten gibt, auch von der Energiewirtschaft, die deutlich machen, dass der Atomausstieg möglich ist. Es gibt ein Gutachten des Bremer Energieinstituts für die Energiewirtschaft aus dem Jahr 1998. Damals wurde von der Energiewirtschaft gefragt: Kann man in fünf Jahren aussteigen?

(Abg. Wieser CDU: Welches Gutachten?)

Das Gutachten des Bremer Energieinstituts von 1998, das die Energiewirtschaft in Auftrag gegeben hat. Darin heißt es – diesem Argument will ich gar nicht widersprechen –:

Es ist nur unmöglich, damit in nur fünf Jahren erfolgreich zu sein. Dazu braucht man mehr Zeit. Auf 10 bis 20 Jahre gestreckt, kann das funktionieren. Mit Energieeinsparen, effizienter Kraft-Wärme-Kopplung und erneuerbaren Energien kann das geleistet werden.

Dieses Gutachten können Sie von allen Energieversorgungsunternehmen erhalten. Es ist Ihnen vielleicht auch zugeschickt worden, aber wie immer haben Sie es wohl nicht gelesen, Herr Kollege Weiser.

(Zuruf des Abg. Weiser CDU)

Na, sehen Sie! Dann lesen Sie es.

Zum Schluss, Herr Kollege Ministerpräsident, will ich Ihnen nur noch etwas sagen.

(Abg. Wieser CDU: Der ist Ministerpräsident! – Weitere Zurufe von der CDU – Unruhe)

Nach den Zitaten aus der Rede – –

(Anhaltende Unruhe)

Ist er Abgeordnetenkollege oder nicht? – Nach den Zitaten von Herrn Ministerpräsidenten Teufel und nach seiner

Rede, die er 1986 gehalten hat, kann ich nur sagen, dass der Ministerpräsident die Zukunft hinter sich hat.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und beim Bündnis 90/Die Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Salomon.

(Zuruf: Nicht lärmen!)

„Nicht lärmen!“: Ich bin ganz leise.

(Abg. Wacker CDU: Keine Zwischenrufe, Herr Salomon!)

Wenn man von Energiewirtschaft redet, hat das Ganze ja etwas mit Ökonomie zu tun. Von Ökonomie habe ich hier überhaupt noch nichts gehört. Im Gegenteil, die so genannte Mondanbellerfraktion macht Obrigheim ideologisch zum Symbol.

(Zuruf des Abg. Weiser CDU)

Um Obrigheim geht es überhaupt nicht. Obrigheim ist der kleinste und der älteste Meiler. Meinetwegen könnten Sie ruhig Strommengen von einem neuen, wirtschaftlichen Kraftwerk auf den alten Meiler Obrigheim übertragen. Aber ich frage mich, wer so schwachsinnig sein sollte, einen solchen Antrag zu stellen, und wer so schwachsinnig sein sollte, diesen Antrag dann auch noch anzunehmen. Das ist doch eine völlig hirnrissige Diskussion, die Sie hier führen, was Herr Goll mit Herrn Schröder morgens um zwei beim Rotwein bespricht. Das können Sie einpacken. Das ist völliger Quatsch.

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen – Abg. Dr. Birk CDU: Vielen Dank für die Aussage!)

Was heißt denn Ökonomie, was heißt denn Liberalisierung? Warum sind denn die Preise auf dem Strommarkt verfallen? Denken Sie doch einmal scharf nach. Wir haben regionale Monopole gehabt. Das war Planwirtschaft, hatte mit Kosten überhaupt nichts zu tun. Wir haben auf dem europäischen Strommarkt Überkapazitäten – Überkapazitäten! – von 30 000 Megawatt. Die 19 deutschen Kernkraftwerke bringen vielleicht eine Leistung von 20 000 Megawatt im Jahr zustande. Das heißt, die anderthalbfache Menge der Produktion der deutschen Kernkraftwerke ist Überproduktion in Europa. Das heißt, Sie könnten, technisch gesehen, die Kraftwerke morgen abschalten. Dann würde überhaupt nichts passieren. Die Lichter wären genauso an wie heute. Das ist doch die Begründung dafür, dass die Strompreise zusammengefallen sind.

(Zuruf des Abg. Mappus CDU)

Sie tun immer so, als sei Obrigheim der Nabel der Welt. Wir haben eben einen europäischen Strommarkt. Das heißt, dass es ohnehin nicht mehr um Obrigheim geht. Spätestens dann, wenn die EdF die Finger darauf hat, wird das Kraftwerk Obrigheim ohnehin abgeschaltet.

Weil Sie uns Grünen immer unterstellen, wir seien Ideologen und wir würden davon nichts verstehen, zitiere ich einmal die Deutsche Bank Research, die letztes Jahr ein Gutachten erstellt hat.

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Der Deutschen Bank werden Sie ja nicht unterstellen, sie sei die Spitze der Anti-AKW-Bewegung. So weit sind wir doch noch einig, Herr Kollege Scheuermann, oder?

(Beifall bei Abgeordneten des Bündnisses 90/Die Grünen)

Dann hören Sie einmal zu. Die Deutsche Bank Research schreibt:

Neben der verminderten gesellschaftlichen Akzeptanz sprechen derzeit auch ökonomische Gründe für einen Ausstieg aus der Kernenergieerzeugung.