Protokoll der Sitzung vom 28.06.2000

Neben der verminderten gesellschaftlichen Akzeptanz sprechen derzeit auch ökonomische Gründe für einen Ausstieg aus der Kernenergieerzeugung.

Sie schreibt weiter:

Per saldo ist aufgrund gegenläufiger Preiseinflussfaktoren keineswegs ausgeschlossen, dass die Strompreise trotz geordnetem Ausstieg aus der Kernenergieerzeugung mittelfristig sogar sinken werden.

Hören Sie: „sinken werden“.

Eines will ich in dieser ganzen Debatte auch noch sagen. Sie müssen sich jetzt schon einmal auf einen schlüssigen, konsequenten Argumentationsstrang berufen. Entweder sagen Sie: „Wenn wir aussteigen, kommt der billige Importstrom. Was wollt ihr Grünen eigentlich? Ihr steigt da gar nicht aus. Der Importstrom bleibt ja.“ Dann können Sie andererseits aber nicht sagen: „Dann kommt die Klimakatastrophe, weil die Kernkraft am umweltfreundlichsten ist.“ Das ist völlig widersprüchlich.

Ich sage: Beide Argumente sind falsch, weil Deutschland als Vorreiter, als industrielle Spitzennation innerhalb der Europäischen Union durch den Ausstieg und die Beendigung der Plutoniumwirtschaft, durch den Ausstieg aus der Wiederaufbereitung die anderen Länder zum Nachziehen zwingen wird. Tatsächlich wird in ganz Europa – weder in Frankreich noch sonst wo – kein neues Kernkraftwerk geplant und keines gebaut. In Zeiten der Monopole hat man riesige Überkapazitäten aufgebaut. Diese werden allmählich schrumpfen. Deshalb wird sich das Ganze in Richtung Markt orientieren.

Zum Thema „Osteuropa und billiger Importstrom“ will ich Ihnen nur Folgendes sagen: Die eigentliche Sauerei ist doch – – Was heißt Sauerei?

(Abg. Dr. Birk CDU: Ökonomie!)

Im Gegensatz zu Ihnen, die Sie ideologisch sind, sind die Kraftwerksbetreiber Kaufleute, und diese haben keinerlei Hemmungen,

(Abg. Dr. Birk CDU: Eben!)

billigen Strom aus osteuropäischen Ländern einzukaufen, aus Ländern mit niedrigen Sicherheitsstandards, mit niedri

gen Umweltstandards. Sie müssten doch eigentlich etwas tun,

(Zurufe von der CDU)

damit die Kraftwerksbetreiber eine Selbstverpflichtung abschließen und die Standards bei den Importen einhalten müssen. Das ist doch der eigentliche Punkt.

(Zurufe von der CDU)

Jetzt beklagen Sie, dass die Bundesregierung versucht, den Sarkophag in Tschernobyl so weit zu sanieren, dass das Kraftwerk dann auch abgestellt wird. Das beklagen Sie. Das ist Ihre Schizophrenie.

(Zuruf des Abg. Weiser CDU)

Ich will Sie einmal an etwas anderes erinnern. Man hat ja das Gefühl, Sie hätten hier eine Amnesie, Sie wüssten überhaupt nicht mehr, was Sie noch vor einem Jahr gesagt haben. Die CDU-Fraktion selbst hat vor einem Jahr eine Große Anfrage gestellt, auf die die von der eigenen Fraktion mitgetragene Landesregierung zur Antwort gibt – zur Zukunft der Kernenergie; das ist ja hochinteressant, was Sie damals, vor einem Jahr, geschrieben haben –:

In einem dynamischen Wettbewerb nach Liberalisierung des europäischen Strommarkts, der den Stromerzeugern ein hohes Maß an Flexibilität abverlangt, sind diese bestrebt, ihr Kapital möglichst kurzfristig zu binden.

Logisch.

Sie werden daher bevorzugt in Gaskraftwerke investieren, die die kürzeste Kapitalrücklaufzeit und die geringsten Erzeugungskosten aufweisen.

Ich will nur zwei Zahlen nennen: In einem Atomkraftwerk erfordert jede erzeugte Kilowattstunde Investitionskosten von 4 300 DM, in einem modernen GuD-Kraftwerk sind es 650 DM. Da ist es doch logisch, wohin die Reise geht.

Ein zweites Zitat:

Kernenergiestrom kann mit dem Strom aus Gas- und Kohlekraftwerken mit Sicherheit konkurrieren, wenn er in ganz oder teilweise abgeschriebenen Anlagen erzeugt wird.

Das war das einzige Thema zwischen den Kraftwerksbetreibern und der Bundesregierung: Es ging einfach um die Frage, wie viel man noch verdienen darf. Sie schreiben selbst, bei der Vollkostenkalkulation – das ist der eigentliche Punkt – seien diese Kraftwerke bei den heutigen Preisen für fossile Brennstoffe wohl nicht wettbewerbsfähig.

Der dritte Punkt – ebenfalls ein Zitat der Landesregierung von Baden-Württemberg –:

Aus den genannten Gründen wäre unbeschadet der Diskussion um die Zukunft der Kernenergie in absehbarer Zeit kaum mit Aufträgen für Kraftwerksneubauten aus dem Binnenmarkt zu rechnen. Ausländische Aufträge liegen momentan nicht vor und sind in absehbarer Zeit auch unwahrscheinlich.

Das ist die ökonomische Debatte, die wir führen müssen. Dazu habe ich weder von Herrn Oettinger noch von Herrn Pfister etwas gehört, schon gar nicht vom Herrn Großökonomen und Juristen Umweltminister Müller. Ich dachte immer, „Umweltminister“ hätte etwas mit Umwelt zu tun. Wenn ich Ihnen zuhöre, Herr Minister Müller, habe ich eher das Gefühl, die Betonung liegt auf „Weltminister“. Sie als kleiner baden-württembergischer Umweltminister wollen hier die Weltprobleme lösen

(Abg. Oettinger CDU: Eine Arroganz ohneglei- chen!)

und nehmen nicht zur Kenntnis, dass weder in Europa noch in Nordamerika ein neues Kernkraftwerk genehmigt, geschweige denn gebaut wird.

Danke schön.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Dr. Birk CDU: Eine Schnöseligkeit! Eine arrogante Schnöseligkeit, die nicht zu überbieten ist!)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Pfister.

Herr Kollege Salomon, ich muss Ihnen sagen: Ich bin von Ihrer Rede sehr enttäuscht.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU – Oh-Rufe von der SPD – Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Ja, das freut mich! – Abg. Bebber SPD: Das ist das höchste Lob, das wir krie- gen können!)

Ich bin sehr enttäuscht, weil Sie hier zwar wieder ein riesiges Wortgeklingel veranstaltet, sich aber um die entscheidende Frage gedrückt haben. Auch Herr Kollege Drexler hat das übrigens getan.

Die entscheidende Frage ist doch nicht, ob man aus der Atomenergie aussteigen kann. Natürlich können Sie jederzeit aus der Atomenergie aussteigen.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Aha!)

Sie können morgen, übermorgen oder in 20 Jahren aussteigen. Das ist doch nicht die entscheidende Frage. Die entscheidende Frage heißt doch: Um welchen Preis und zu welchen Bedingungen steige ich aus der Atomenergie aus? Es geht letzten Endes darum, was hinterher geschieht. Es geht um die Frage, wie die Strukturen einer zukünftigen Energiepolitik in Deutschland und in Europa aussehen sollen.

(Abg. Drexler SPD: Ja!)

Diese Fragen sind wiederholt vom Kollegen Oettinger, vom Kollegen Verkehrsminister und Umweltminister und auch von mir gestellt worden. Ich wiederhole es noch einmal: Die Fragen sind gestellt. Die Tatsache, dass Sie bis zur Stunde nicht den Hauch einer Antwort auf diese Fragen gegeben haben, beweist, dass Sie auf dem falschen Weg sind. Das ist der entscheidende Punkt.

(Beifall bei der FDP/DVP – Abg. Drexler SPD: Lesen Sie mal die Rede nach!)

Jetzt möchte ich Herrn Kollegen Salomon – –

(Abg. Drexler SPD meldet sich zu einer Zwischen- frage. – Glocke des Präsidenten)

Herr Abg. Pfister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abg. Drexler?

Nein, im Augenblick nicht. Ich will mich jetzt mit dem Kollegen Salomon auseinander setzen.

Herr Kollege Salomon, wir können einen sportlichen Wettkampf veranstalten, wer von uns Nummer 3 und Nummer 4 ist.

(Zuruf von der SPD: Bei was?)

Einverstanden. Bei der nächsten Wahl gibt es einen sportlichen Wettkampf, den ich gerne aufnehme. Aber in einer Frage trete ich nicht mit Ihnen in Wettstreit: wer von uns beiden schizophren ist – nicht persönlich, meine ich jetzt, sondern welche Partei. Diesen Wettkampf haben Sie heute schon gewonnen.

(Beifall bei der FDP/DVP und des Abg. List CDU)

Das will ich Ihnen schon noch einmal sagen: Sie liegen völlig neben der Kappe, wenn Sie als Grüner zum einen mit Vehemenz die Abschaltung der Kernkraftwerke in Baden-Württemberg und in der Bundesrepublik Deutschland fordern und zum anderen zugleich Kernkraftwerke in anderen Teilen der Welt finanziell fördern, zum Beispiel in der Ukraine und in China. Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal: Das ist nicht nur ideologisch, sondern es ist eindeutig auch schizophren.