Protokoll der Sitzung vom 04.10.2000

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Das Psychotherapeutengesetz – das wurde schon angedeutet – war ja eine unendliche Geschichte, die am 16. Juni 1998 scheinbar zu einem Happy End geführt hat. Die Frage ist, ob alle Beteiligten mit diesem Gesetz derzeit noch so happy sind. Ich denke, es hatte einen schweren Geburtsfehler, nämlich den, dass es in die stringente Budgetierungsvorgabe der rot-grünen Bundesregierung eingebunden wurde. Was sich bei Ärzten und Fachärzten schleichend vollzogen hat – dass unter den Budgetvorgaben die wirtschaftliche Basis der Praxen teilweise wegbricht –, war für die Psychotherapeuten von Anbeginn ein drängendes Problem. Sie brauchen sich nur einmal in den Verbänden umzuhören.

In diesem Zusammenhang glaube ich, dass die Entscheidung, keine Selbstbeteiligung der Patienten in das Gesetz mit aufzunehmen, wie es die Vorgängerregierung vorhatte, im Grunde genommen ein schwerer Fehler war,

(Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen: Das wird sich noch erweisen! – Abg. Ursula Hauß- mann SPD: Das sagen Sie, Herr Noll!)

der sich bei den derzeit vorhandenen Finanzressourcen in allen Bereichen deutlich negativ auswirken wird. Ich sage das immer mit dem Hinweis: Die Zuzahlungen wären sozial abgefedert gewesen. Diesen Fehler haben Sie gemacht.

(Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen: Nein, kein Fehler!)

Die Folgen sehen wir jetzt.

Dass im Gefolge der Sozialgesetzgebung nun auch eine Kammerregelung für diesen neuen akademischen Heilberuf notwendig wird, ist schon gesagt worden.

Ihren Seitenhieb auf die Kammern, Frau Kollegin Bender, verstehe ich nicht so ganz. Wir sollten uns über eines im Klaren sein: Die Kammern erledigen für den Staat subsidiär Aufgaben, die sonst von staatlicher Seite geregelt wer

den müssten. Es ist mir schon wichtig, einmal darauf hinzuweisen, dass diese Aufgabenerfüllung von den Kammermitgliedern bezahlt wird. Das heißt, wenn wir die Kammer zerschlagen würden, kämen auf den Staat – Frau Bender, wenn Sie noch einmal zuhören könnten –

(Abg. Krisch REP: Das interessiert Frau Bender nicht!)

deutliche Mehrkosten zu. Von daher ist, wie ich denke, auch die Frage geklärt, wer für die Finanzierung des Errichtungsausschusses und der Landespsychotherapeutenkammer aufzukommen hat. Wenn es bei den anderen Kammern so ist, wird es auch bei der Psychotherapeutenkammer so geregelt werden.

(Zuruf des Abg. Kluck FDP/DVP)

Lassen Sie mich auf die angesprochenen kritischen Punkte eingehen. Mit dem Namen habe auch ich ein Problem. Es ist mehrfach gesagt worden – auch ich will ihn nicht wiederholen –, es ist ein Zungenbrecher. Vielleicht sollte man wenigstens in Klammern den Begriff Psychotherapeutenkammer mit aufnehmen, damit eine rechtliche Grundlage für diese Kurzform gegeben ist. Darüber sollten wir uns noch einmal im Ausschuss unterhalten.

Nächstes Thema war die Vertretung von Forschung und Lehre in der Kammer. Ich denke, es ist vernünftig, wenn ein Vertreter aus Forschung und Lehre der Kammer angehört. Der Gesetzeswortlaut ist an der einen oder anderen Stelle vielleicht noch ein bisschen unpräzise; darüber wollen wir uns im Ausschuss unterhalten. In der Begründung zum Gesetzentwurf ist es klar gesagt, aber im Gesetzestext könnte man es meiner Meinung nach noch ein bisschen präziser darstellen.

Das letzte konkrete Thema ist die Weiterbildungsordnung. Hier bin ich ein bisschen hin- und hergerissen, denn es gibt natürlich wie immer zwei Seiten der Medaille. Einerseits wollen wir keine zersplitterte fachliche Landschaft in der Bundesrepublik. Wie man der Synopse entnehmen kann, ist es aber andererseits so, dass die Mehrzahl der Länder, die bereits ein Psychotherapeutenkammergesetz haben, bereits eine Weiterbildungsordnung mit aufgenommen hat. In der Übergangszeit könnten also durchaus Verwerfungen an diesem Weiterbildungsmarkt stattfinden, der sich da bildet. Auch zu diesem Thema sollten wir im Ausschuss beraten, welche Lösung sachgerecht wäre. Aus meiner Sicht sollte die Tendenz dahin gehen, zu versuchen, eine möglichst einheitliche Regelung für das gesamte Bundesgebiet zu schaffen.

Meine letzte Bemerkung betrifft einen Punkt, den wir nicht aufgenommen haben, was mir eigentlich ein bisschen wehtut. Die Landesärztekammer hatte darum gebeten, es den Ärzten im Rahmen dieser Novellierung zu ermöglichen, ihre besonderen Kompetenzen und Qualifikationen künftig beispielsweise im Internet anzukündigen. Das hätten wir gerne aufgenommen gesehen, haben uns aber der Auffassung des Sozialministeriums gebeugt, das die Haltung vertrat, es komme in diesem Fall auf Tempo an: Die Kammer sollte schnell gebildet werden, weshalb der Gesetzentwurf nicht überfrachtet werden solle. Ich denke aber, wir sollten, auch im Interesse der Patientinnen und Patienten, klar sagen: Wir sind umgehend zu einer erneuten Novellierung

bereit, so denn auch eine Weiterbildungsordnung mit aufgenommen werden sollte, um dann auch Neuerungen, die eigentlich keine mehr sind, möglichst schnell in das Gesetz einbeziehen zu können.

(Beifall bei der FDP/DVP und Abgeordneten der CDU)

Das Wort erhält Herr Abg. Krisch.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Meine Vorredner haben es schon gesagt: Die Schaffung einer eigenen Kammer für Psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten ist durch das Psychotherapeutengesetz des Bundes vorgegeben. Die Schaffung dieser neuen Kammer entspricht nur jener Berufstätigenselbstverwaltung, wie sie für Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker schon längst besteht. Deshalb kann ich die Kritik der Kollegin Bender mit dem Hinweis auf angeblichen Standesdünkel im Kammerwesen nicht verstehen.

Schließlich ist die Tatsache, dass die neue Kammer nicht zur Schaffung einer eigenen Versorgungseinrichtung für ihre Mitglieder führen wird, die dann in Konkurrenz zur gesetzlichen Rentenversicherung treten könnte, sehr zu begrüßen.

Zu dem Thema Weiterbildung und ebenfalls zu der Kritik der Kollegin Bender möchte ich nur den Ausführungen des Kollegen Noll zustimmen.

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Oh, ausnahmsweise!)

Meine Fraktion stimmt dem Gesetzentwurf im Ganzen zu.

Jetzt bleibt nur noch eine kurze Nebenbemerkung. In der neuen Kammer wurde auf die Schaffung einer eigenen Ethikkommission zu Recht verzichtet, denn diese ist für die neue Kammer nicht erforderlich. Aber die Diskussion über Ethik in Heilberufen gewinnt angesichts der technischen Entwicklungen und der Forschung in der Medizin eine völlig neue Dimension. Ansätze bzw. Bestrebungen in Ethikverordnungen der Europäischen Union müssen uns alle aufhorchen lassen. Denn Formulierungen und Verordnungen der EU in der Bewertung menschlichen Lebens müssen nicht nur in Ethikkommissionen hinter verschlossenen Türen, sondern auch hier in unserem Parlament und in der Öffentlichkeit und mit der und von der und durch die Bevölkerung diskutiert werden. Manipulationen am menschlichen Erbgut, Manipulationen an Embryonen oder Bestrebungen, bestimmte Eigenschaften am menschlichen Erbgut zu verändern, sind doch vergleichbar einer modernen Version der Rassenvorstellungen des Dritten Reiches.

Die EU-Gesetzgebung zur Patentierung von Bestandteilen pflanzlicher, tierischer oder menschlicher Herkunft, ja die Möglichkeit der Patentierung von Teilen der DNA, bedeutet eine nicht hinnehmbare Einschränkung zukünftiger ärztlicher Tätigkeit. Hier muss ganz energisch Einspruch erhoben werden. Wenn ein EU-Mitgliedsstaat wie England Manipulationen an Embryonen zulässt, dann muss die Bundesrepublik und muss die Europäische Kommission dagegen einschreiten.

Aus diesem Grund wäre zu prüfen, ob nicht alle unsere Kammergesetze für die Ärzte, die Zahnärzte, die Tierärzte

und die Apotheker unter den hier genannten Gesichtspunkten zu novellieren sind und ob nicht in alle Gesetze besondere Hinweise zur ethischen Bewertung der hier angeschnittenen Fragen einzufügen sind.

Ansätze zu dem, was ich eben sagte, sind beispielsweise in den Veröffentlichungen von Peter Sloterdijk zu finden. Meine Fraktion wird entsprechende parlamentarische Initiativen einbringen.

(Beifall bei den Republikanern)

Meine Damen und Herren, wir kommen zur Beschlussfassung über die geschäftsordnungsmäßige Behandlung. Vorgeschlagen ist die Überweisung an den Sozialausschuss. – Sie stimmen zu.

Punkt 3 der Tagesordnung ist damit erledigt.

Bevor ich nun die Sitzung unterbreche, möchte ich darauf hinweisen, dass unten in der Eingangshalle die Musikkapelle Gögglingen-Donaustetten ein Ständchen darbieten wird.

Ferner mache ich darauf aufmerksam, dass die 33. Sitzung des Ständigen Ausschusses 30 Minuten vor dem Beginn der Nachmittagssitzung im Friedrich-Ebert-Saal stattfindet.

Ich unterbreche die Sitzung bis 14:00 Uhr. Die Sitzung des Ständigen Ausschusses beginnt somit um 13:30 Uhr.

(Unterbrechung der Sitzung: 12:39 Uhr)

(Wiederaufnahme der Sitzung: 14:00 Uhr)

Meine Damen und Herren, die unterbrochene Sitzung wird fortgesetzt.

Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf:

Antrag der Fraktion Die Republikaner und Stellungnahme des Innenministeriums – Organisierter Beschaffungsextremismus in Baden-Württemberg – Drucksache 12/3134

Das Präsidium hat folgende Redezeiten festgelegt: für die Begründung fünf Minuten und für die Aussprache fünf Minuten je Fraktion.

Wem darf ich das Wort erteilen? – Herr Abg. Dr. Schlierer, Sie erhalten das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Zunächst bedauere ich, dass diese Debatte eine so geringe Aufmerksamkeit erfährt.

(Abg. List CDU: Aber wir passen auf!)

Von den Grünen sind gerade zwei Abgeordnete, von der SPD gerade drei da. Ich glaube, das sollte man einmal festhalten.

(Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Da sind wir gut vertreten!)

Meine Damen und Herren, der gestrige Anschlag auf eine Synagoge in Düsseldorf ist ebenso zu verurteilen wie das Bombenattentat im Juli dieses Jahres in Düsseldorf, und

zwar ungeachtet dessen, wer die Täter in beiden Fällen waren, und ungeachtet dessen, welche Motivation dahinter steckte.

Bei dieser Gelegenheit darf ich allerdings auch darauf hinweisen, dass man vor Vorverurteilungen warnen sollte. Ich erinnere mich noch sehr genau, was Ende Juli dieses Jahres anlässlich des Bombenattentats in Düsseldorf alles schon an Täterfeststellungen getroffen wurde, obwohl wir ja inzwischen wissen, dass die Staatsanwaltschaft in Düsseldorf in ganz anderer Richtung ermittelt, als zunächst angenommen worden war.

Neben der klaren Verurteilung des Handlungsunwerts solcher Anschläge ist auch zu bedenken, welche katastrophale Wirkung solche Vorgänge auf das Image Deutschlands im Ausland und im Land haben. Vor diesem Hintergrund, meine Damen und Herren, sind die Vorgänge zu bewerten, die als organisierter Beschaffungsextremismus bezeichnet werden.

In der Stellungnahme der Landesregierung auf unseren Antrag Drucksache 12/3134 versucht der Innenminister vom Thema abzulenken. Es geht nämlich nicht um eine Diffamierung rechtsstaatlicher Interessenwahrnehmung von Polizei und Justiz – wir haben zu keinem Zeitpunkt das Fehlverhalten Einzelner der gesamten Polizei oder gar der Justiz zugerechnet –, sondern für uns geht es um die Frage nach den politisch Verantwortlichen.