Ich will aber nicht verheimlichen und will auch gar nicht in Abrede stellen, dass es tatsächlich ein Schritt dahin sein soll, die Dreistufigkeit zu ermöglichen.
Was damit erreicht werden soll, ergibt sich aus den Zahlen, die ich Ihnen noch einmal sage, und ich nenne jetzt die bundesrepublikanischen Zahlen, liebe Kolleginnen und Kollegen. Hier geht es ja nicht um ein Gesetz, das für Ba
den-Württemberg gemacht wird, sondern im Wege der Einheitlichkeit auch der Rechtsprechung in der Bundesrepublik Deutschland in 16 Bundesländern geht es auch um die Frage folgender Zahlen, die ich Ihnen einmal vorlesen möchte.
Wir haben bei den Amtsgerichten derzeit eine Belastung in der Bundesrepublik von 650 Fällen pro Richterin bzw. Richter. Wir haben bei den Landgerichten eine Belastung von 170 Fällen. Und wir haben nach meiner Vorlage bei den Oberlandesgerichten eine Belastung von insgesamt 70 Fällen. Das heißt doch, dass wir dort, wo die Menschen mit ihren Problemen ankommen, am allerwenigsten Zeit zur Verfügung stellen, am allerwenigsten Richterinnen und Richter zur Verfügung stellen, die sich mit den Fragen befassen, die die Menschen tatsächlich beschäftigen. Denen geht es nicht so sehr um grundsätzliche Rechtsfragen, sondern sehr oft um ganz pragmatische Lösungswege. Da brauchen wir mehr Kompetenz. Da brauchen wir mehr Manpower. Da brauchen wir mehr Menschen, mehr Richterstellen, damit sich die Richterinnen und Richter dann tatsächlich in erster Instanz kompetent mit den Fragen und Problemen der Bürgerinnen und Bürger beschäftigen können.
Anhand dieser Zahlen, die ich Ihnen vorgetragen habe und die, glaube ich, unbestreitbar sind, sehen wir schon, dass wir eine ganz andere Stärkung der Eingangsinstanz brauchen, die Sie bisher mit Ihren Entlastungs- und Beschleunigungsgesetzen geradezu verhindert haben.
Ein weiterer Punkt, den ich neben der Dreistufigkeit und den Fallzahlen noch benennen möchte, ist das Thema, das Sie angesprochen haben, dass wir auf der Berliner Ebene mit Deals oder Ähnlichem arbeiten würden. Herr Minister, ich versichere Ihnen, hier an diesem Rednerpult im Landtag stehend: Das, was ich Ihnen hier vorgetragen habe, Kollege Kiesswetter – deswegen verstehe ich auch Ihre Aufregung nicht –, trage ich Ihnen aus Überzeugung und aus der Erfahrung vor als einer, der sich seit 15 Jahren auch im Justizbetrieb aufhält und in der Praxis tätig ist und deswegen zu der Auffassung kommt, dass die Justizreform, so wie sie jetzt von der Bundesregierung angedacht und als Gesetzentwurf eingebracht und vom Kabinett beschlossen worden ist, einen Weg in die richtige Richtung zeigt. Das hat überhaupt nichts mit persönlichen Animositäten gegenüber der Justizministerin zu tun, die Sie vielleicht haben, aber ich nicht. Ich gebe zu, man kann da anders mit berufsständischen Einrichtungen etc. umgehen. Das hindert mich aber nicht daran, Herr Minister, an der Sache entlang zu argumentieren. Und von der Sache her bin ich und ist auch meine Fraktion schon allein deswegen davon überzeugt, dass wir hier den richtigen Weg gehen, weil die Stärkung der Eingangsinstanz, das Mehr an Rechtsmitteln, das diese Reform ermöglicht, und auch die Einheit der Rechtsprechung in der Bundesrepublik insgesamt, die dadurch gefördert wird, Ziele sind, die diese Reform verfolgt, und Sie werden mit dieser Reform auch erleben, dass dies umgesetzt wird. Geben Sie deswegen Ihre Reformresistenz an dieser Stelle auf. Wagen Sie mit uns den Schritt in eine Richtung, die eine Zukunftsfähigkeit auch des Justizapparats und des Justizaufbaus bedeutet.
Kollege Bender, das zum Schluss: Es ist ja lächerlich, wenn die FDP/DVP in ihren Antrag als Begründung hineinschreibt, die Computerisierung der Justiz sei hier quasi die Reform in Baden-Württemberg. Immer noch fällen Richterinnen und Richter Urteile und nicht Computer.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich darf zunächst eine Bemerkung oder eine Darstellung des Kollegen Bebber aufnehmen. Herr Bebber, das, was Sie hier gemacht haben, war eine unseriöse Beschimpfung unserer Amtsrichter, die ich hier mit allem Nachdruck zurückweisen muss.
(Beifall bei den Republikanern – Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen: Die werden sich über Ihre Unterstützung gerade freuen! Das ist ja lächerlich!)
Ich weiß nicht, wo Sie angeblich bei Amtsgerichten sind. Aber die Schilderung von den Zweiminutenentscheidungen ist ein Schlag ins Gesicht aller Richterinnen und Richter, die sich trotz hoher Belastung seit Jahren immer darum bemüht haben, den Recht Suchenden durch die Verhandlungsführung und durch die Entscheidungsfindung das Gefühl zu vermitteln, dass sie in einem Rechtsstaat leben.
Im Übrigen will ich sagen: Mit Ihrem Ablenkungsmanöver „Notariat“ versuchen Sie, eine falsche Spur zu legen. Das ist nicht Gegenstand dieser Debatte. Gegenstand dieser Debatte ist die Kritik an dieser Rechtsmittelreform im Zivilprozess, und dazu muss man mit aller Eindeutigkeit sagen:
Sie haben sich nicht dazu geäußert, welche Auswirkungen das geplante Einzelrichterprinzip bei den Landgerichten haben wird. Es gibt wirklich profunde Kenner, beispielsweise den Präsidenten des Oberlandesgerichts Braunschweig, der in einem Aufsatz klar und deutlich gesagt hat, dass, je verlässlicher das erstinstanzliche Gericht entscheiden soll, umso besser auch die Besetzung sein muss. Das widerspricht geradezu dem, was sich die Bundesregierung vorstellt. Es wäre mehr daran zu denken, die Kammern einzubinden als den Einzelrichter. Dazu von Ihnen kein Wort.
Sie haben hier davon gesprochen – auch Sie, Herr Kollege Oelmayer –, Sie wollten die erste Instanz stärken. Sie haben aber kein Wort dazu gesagt, wie Sie das machen wollen.
Also, Herr Bebber, Sie sind mit Ihren dümmlichen Zwischenrufen eigentlich jemand, der sich ständig disqualifiziert. Merken Sie das nicht?
Das Entscheidende ist doch, dass Sie die erste Instanz aufblähen. Sie blähen den Verfahrensgang auf, nicht nur durch die obligatorische Güteverhandlung, sondern auch durch die erweiterten Hinweis- und Dokumentationspflichten, und Sie zwingen beispielsweise die Parteien dazu, im Rahmen der ersten Instanz alles, aber auch nur alles Erdenkliche einzubringen, ein Effekt, den wir beispielsweise im Verwaltungsrecht nach der letzten VwGO-Novelle auch beobachtet haben. Ergebnis: Die erste Instanz dauert länger, sie braucht mehr Zeit, man braucht mehr Richter.
Jetzt frage ich: Wo wollen Sie die Richter hernehmen, um die erste Instanz beispielsweise im Bereich der Amtsgerichte zu stärken?
Das Nächste: Reduzierung der Berufung. Auch da will ich Ihnen entgegenhalten, was Praktiker, was Leute mit 35-jähriger Richtererfahrung sagen. Herr Flotho aus Braunschweig hat in einem Aufsatz klar und deutlich gesagt, dass die Herausnahme der Tatsacheninstanz in der Berufung keineswegs einen Vorteil darstellt. Und hier ist der Hinweis interessant, dass das vom gedanklichen Ansatz her wohl dem Verwaltungsrecht entnommen ist.
Da frage ich mich jetzt so langsam, ob nicht diejenigen, die im Bundesjustizministerium an dieser Reform gebastelt haben, einfach zu wenig Erfahrung im Zivilrecht haben.
Denn es sind immer wieder Denkansätze, die auf das Verwaltungsrecht zurückzuführen sind, und die greifen sicherlich im Zivilprozessrecht nicht.
Ergebnis: Aus der Sicht des Landes kann man festhalten: Alle Modellrechnungen zeigen, dass wir mehr Richterstellen brauchen, mehr Baumaßnahmen erforderlich sind und dass die Rechtspflege bürgerferner wird. Es wird Nachteile für die Recht Suchenden geben, und im Ergebnis bedeutet dies, dass das Vertrauen in den Rechtsstaat abnimmt.
Deswegen kann man an dieser Stelle nur eines sagen: Entweder Sie sind in der Lage, die notwendigen Korrekturen an diesem Entwurf noch durchzuführen, oder Sie müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, dass Sie eine rechtsstaatsfeindliche Justizpolitik betreiben.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich lerne heute Herrn Abg. Bebber in einer ganz neuen Rolle kennen, nämlich als Hüter des Niveaus einer Debatte.
Schwer getroffen, schwer getroffen. – Ich will Ihnen – genauer gesagt: nicht Ihnen, weil Sie es wissen – erklären: Sie verschließen sich im Grunde genommen nur dem, was wir Ihnen sagen, von dem Sie wissen, dass wir Ihnen das sehr zu Recht sagen. Aber damit bestimmte Dinge nicht so im Raume stehen, sondern ganz klar sind, sage ich noch ein paar Sätze zur Betroffenheit der kleinen Amtsgerichte. Das begreifen übrigens die 108 Bürgermeister, in deren Gemeinden Amtsgerichte liegen, sehr gut. Die haben mittlerweile sehr klar gesehen, was tatsächlich passiert: nämlich eine Reform, die einen strukturellen Druck auf die kleinen Amtsgerichte schafft.
Dieser neue Vorschlag für eine Zivilprozessrechtsmittelreform, dieser neue Prozess wäre sachlich besser in einer anderen Struktur zu erledigen, in einer zentralistischeren Struktur, und so ist das auch gemeint. Der Prozess in der ersten Instanz wird nämlich umständlicher, wird mehr aufgeladen, wird juristischer.
(Große Unruhe – Abg. Bebber SPD unterhält sich laut mit Abg. Oelmayer Bündnis 90/Die Grünen. – Abg. Pfister FDP/DVP: Hört zu!)