Protokoll der Sitzung vom 23.11.2000

(Abg. Kiefl CDU: Sie nicht!)

der mit Verbindungsstudenten zusammen das Deutschlandlied singt, ohne zu wissen, wo Etsch und Belt wirklich liegen und was sie in der deutschen Tradition wirklich bedeuten?

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen zur CDU: Da sieht man doch, dass es noch nicht ein- mal in Ihrem Haus eine Leitkultur gibt! – Lachen bei der CDU und den Republikanern)

Herr Kollege Hildebrandt, die Rede Ihres Kollegen Salomon war auch nicht schwächer, als es Ihre Frage gewesen ist.

Gestatten Sie mir an die Kollegen der SPD eine Frage zum Abschluss, die mir wichtig ist. Rot-Grün versucht das Thema zu einem Nicht-Thema zu erklären,

(Widerspruch beim Bündnis 90/Die Grünen – Abg. Birgitt Bender Bündnis 90/Die Grünen: Stimmt doch überhaupt nicht! – Abg. Dr. Salomon Bünd- nis 90/Die Grünen: Das ist doch völliger Quatsch!)

warnt davor, es in der Debatte mit dem Bürger einzuführen. Ich sage, es wird ein Thema und ein Wahlkampfthema sein. Wir wollen nicht, dass daraus eine Zuspitzung wird.

(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Kein Kampagnenthema, haben wir immer gesagt!)

Aber, Kollege Maurer, nachdem Frau Vogt im Sommer erklärt hat: „Macht kein Thema daraus“, hat sie vor einigen Wochen einen Bürgerentscheid

(Abg. Deuschle REP: Ja! Eine gute Sache!)

dazu vorgeschlagen. Was gilt denn nun? Will die SPD, dass ein Bürgerentscheid zur Frage der Zuwanderung kommen soll, oder wollen Sie ein Tabu?

Ich rate Ihnen zu einer sachlichen und deutlichen Diskussion. Wer tabuisiert, bringt den rechten Rand nach vorne. Wer demokratisch und sachpolitisch diskutiert, wird, glau

be ich, dem Thema gerecht. Ich bilde mir für die CDU in Deutschland ein, dass wir auf der Suche nach einem Weg in all der europäischen und globalen Veränderung weiter sind als die rot-grüne Bundesregierung, die dafür eigentlich die Verantwortung trägt.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Deuschle REP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Maurer.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich will zunächst die Schlussfrage des Kollegen Oettinger aufgreifen. Herr Kollege Oettinger, es geht natürlich nicht, dass Sie das Problem, dass Sie in Ihren eigenen Reihen wie die Kesselflicker über diesen Begriff und seine Ausfüllung streiten, dadurch lösen, dass Sie Ihre eigenen Erkenntnisprobleme an uns weiterreichen.

(Lachen bei den Republikanern – Abg. Deuschle REP: Da hat er Recht!)

Das ist ein nicht zulässiger Vorgang.

(Abg. Weiser CDU: Was zulässig ist, entscheiden doch nicht Sie!)

Die Antwort auf Ihre Frage ist sehr einfach. Wir glauben, dass man eine solch ernste Frage wie die Frage nach der Kontrolle und Steuerung von Zuwanderung und die Frage nach wirklicher Integrationspolitik in Deutschland nur gemeinsam angehen kann. Wir haben das Problem, dass hier 16 Jahre lang Integrationspolitik in Deutschland unterlassen worden ist.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen – Abg. Oettinger CDU: Das stimmt doch nicht! – Abg. Ingrid Blank CDU: Es wird nicht besser, wenn man es wiederholt!)

Wir haben das Problem, dass wir Desintegration haben, dass wir zurückgefallen sind, dass wir Gettoisierungsprobleme in diesem Land haben, und das macht unserer Bevölkerung Sorge. Da müssten Sie in sich gehen über das, was da stattgefunden hat in der Zeit, in der Sie in Deutschland und in Baden-Württemberg regiert haben.

Wir sagen, bei einem so ernsten Thema und bei einer so ernsten Frage – das erwartet auch unsere Bevölkerung von uns – ist es eigentlich notwendig, dass man einen seriösen Verständigungsprozess unter den demokratischen Parteien organisiert. Wir haben dazu auch Vorschläge und einen Fahrplan gemacht. Wir haben nicht umsonst eine Kommission berufen, die unter dem Vorsitz einer namhaften Repräsentantin Ihrer Partei steht. Wir warten die Vorschläge dieser Kommission ab. Wir glauben, dass es möglich ist, zunächst innerhalb dieser Kommission zwischen verschiedenen Repräsentanten sowohl der Sozialdemokratie als auch der Grünen als auch aus Ihrer Partei eine Plattform zu bilden, auf der man dann tatsächlich einen seriösen Diskurs führen kann und auch zu gemeinsamen Entscheidungen kommt.

Was wir nicht verstehen – das sage ich nun deutlich –, ist, warum Sie bei einem so ernsthaften, wichtigen und eigent

lich den Konsens der Demokraten erfordernden Thema eine solche Irrsinnsdebatte losgetrampelt haben, wie Sie das mit dem Begriff der Leitkultur gemacht haben. Das verstehe ich nicht.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen – Zuruf des Abg. Deuschle REP)

Deswegen können Sie hier alle zappeln, wie Sie wollen, es bleibt dabei: Es wird Vorschläge der Süssmuth-Kommission geben. Wir werden auf der Basis dieser Vorschläge ein Gespräch zwischen den demokratischen Parteien anbieten, wie man diese Probleme vernünftig löst und angeht, und wir werden Verständigung anstreben. Ich empfehle Ihnen aber dringend ein Nachdenken – wenn diese Debatte heute Morgen überhaupt einen Sinn hat, dann diesen – darüber, wem Sie mit dieser Konfusion bisher eigentlich genützt haben. Ich sage Ihnen: Ich vermute, dass Herr Schlierer schon blaue Flecken auf dem Oberschenkel hat vor lauter Begeisterung,

(Abg. Rapp REP: Die hat er schon lange! – Abg. Dr. Schlierer REP: Ich bin doch kein Masochist!)

weil das, was Sie hier machen, das Schlimmste ist, was Sie als große demokratische Partei überhaupt machen können. Sie schaden mit dieser Debatte nicht nur dem Land, sondern Sie schaden zutiefst auch sich selbst.

(Zurufe der Abg. Dr. Birk und Ingrid Blank CDU)

Wenn man ein Thema, das viele Emotionen berührt, auf die Tagesordnung hievt

(Abg. Dr. Birk CDU: Ihr habt mit dem Thema ei- gentlich die Meinungsführerschaft! Das ist euer Problem!)

und dabei dann nur deutlich wird, dass es in Ihrer Partei einen Riesenstreit über die Frage gibt, was das eigentlich ist,

(Abg. Deuschle REP: Richtig!)

dann nützt das Hochziehen dieses Themas bei gleichzeitiger Vorführung der innerparteilichen Wirrnis und Zerrüttung der CDU nur der deutschen Rechten. Das ist die objektive Wahrheit.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen – Abg. Dr. Birk CDU: Rot- Grün ist doch abgetaucht mit dem Thema! Von Schily kriegt man nichts mehr mit! – Abg. Ingrid Blank CDU: Gar nichts!)

Sie sind doch Ihres Glückes Schmied. Ich kann Ihnen nur diesen Rat geben.

(Zuruf des Abg. Dr. Birk CDU)

Aber wenn Sie sich selbst und dem Land etwas Gutes tun wollen, dann warten Sie die Vorschläge ab, die nun wirklich hochrangige Experten, unabhängige Leute aus den verschiedenen Lagern machen werden,

(Abg. Dr. Birk CDU: Ja, ja! Das würde euch so passen!)

und führen Sie darüber dann eine seriöse Debatte, anstatt sich selbst dauernd unter der johlenden Zustimmung der Falschen gegenseitig an die Backe zu hauen.

(Beifall bei der SPD und Abgeordneten des Bünd- nisses 90/Die Grünen)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Pfister.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Wichtigste für mich ist: Wir brauchen noch in dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestags ein vernünftiges, gesteuertes Zuwanderungsgesetz, und wir brauchen ein Zuwanderungsgesetz, das möglichst im großen Konsens der demokratischen Parteien zustande kommt.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Ich freue mich darüber, dass die Einsicht in die Notwendigkeit eines solchen Zuwanderungsgesetzes ganz offensichtlich wächst. Die Situation war vor einem Jahr noch anders. Wir hatten allerdings schon vor einem Jahr die Gutachten aller renommierten Institute auf dem Tisch liegen, die klar gesagt haben: Wir brauchen ein solches Zuwanderungsgesetz. Der Baden-Württembergische Städtetag, die kommunalen Spitzenverbände und viele andere – auch Untersuchungen der Landesregierung –, alle sind zu diesem Ergebnis gekommen: Wir brauchen ein solches Zuwanderungsgesetz. Die Gründe hierfür sind hinreichend bekannt. Es sind demographische Gründe, es sind Gründe der Arbeitsmarktpolitik, auch Gründe der Stabilisierung unseres sozialen Sicherungssystems, aber eben auch arbeitsmarktpolitische Gründe.

Lieber Kollege Oettinger, Sie haben natürlich Recht, wenn Sie in Zusammenhang mit den Bosnien-Flüchtlingen sagen, dass dies eine Angelegenheit des Bundes sei. Das Ausländergesetz ist ein Bundesgesetz. Aber ich biete Ihnen an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich an: Wenn es darum geht, bosnischen Flüchtlingen, die hier in Brot und Arbeit sind und dem Steuerzahler noch keinen Tag auf der Tasche gelegen haben, hier auch weiter eine Beschäftigung zu geben, weil sie gebraucht werden, dann kann eine Bundesratsinitiative für eine kleine Änderung des Artikels 10 im Ausländergesetz Wunder wirken. Ich biete Ihnen ausdrücklich an, dies zu tun.

(Beifall bei der FDP/DVP – Zuruf des Abg. Eigen- thaler REP)

Wenn es aber wahr ist, dass wir diese Zuwanderung brauchen, wenn es wahr ist, dass wir ein Zuwanderungsgesetz brauchen, und wenn es wahr ist, dass dies möglichst in großem Parteienkonsens zu geschehen hat, dann sage ich, dass dieser Begriff, über den wir heute sprechen,

(Abg. Deuschle REP: Jetzt kommen Sie endlich zum Punkt!)

diesem Ziel aus meiner Sicht eher abträglich ist, meine Damen und Herren.