Als Nächstes stellt sich die Frage – man kann darüber unterschiedlicher Auffassung sein –: Hat denn das Land die Gesetzgebungskompetenz für eine landesgesetzliche Regelung einer solchen nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung? Eines ist klar, und hier kann ich, können wir im Grunde mit dem Ergebnis des Gutachtens von Professor Würtenberger leben, der zu Recht sagt: Es ist, wenn wir als Land die Gesetzgebungskompetenz für diesen Fall in Anspruch nehmen, allerdings erforderlich, uns deutlich von der bundesgesetzlichen Regelung in § 66 des Strafgesetzbuchs abzugrenzen. Das heißt: keine Anknüpfung an die Straftat des Inhaftierten, sondern Anknüpfung
an das Vollzugsverhalten des Inhaftierten während der Zeit der Strafverbüßung, um über eine zeitnahe Prognose feststellen zu können, ob Rückfallgefahr besteht oder nicht. Das ist abhängig vom Verhalten des Inhaftierten, beispielsweise davon, ob er an der Erreichung des Vollzugsziels mitwirkt oder ob er jegliche Therapie ablehnt und eine sonstige Mitwirkung an der Erreichung des Vollzugsziels verweigert.
Meine Damen und Herren, zugegeben: Man kann über die Kompetenz des Landesgesetzgebers streiten. Für uns ist das Ergebnis des Gutachtens von Professor Würtenberger hinreichend verlässliche Basis, um den vom Justizminister unseres Landes vorgeschlagenen Weg mitzugehen. Restzweifel an der Gesetzgebungskompetenz des Landes nehmen wir in Kauf, da der Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger vor Sexual- und Gewaltstraftätern für uns Vorrang hat.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir sind uns sicherlich alle in der Zielsetzung einig, dass gefährliche Sexual- und Gewaltverbrecher aus dem Verkehr gezogen werden müssen. Ich gehe davon aus, dass wir uns nicht verleiten lassen, hier etwa unter parteipolitischen Gesichtspunkten Differenzen aufzeigen zu wollen. Einigkeit in der Abwehr der Gefahr – das scheint mir sicher zu sein. Das ist das eine.
Das andere: Ich halte es für problematisch, im Rahmen einer Aktuellen Debatte ein derartiges Rechtsproblem diskutieren zu wollen.
Das ist sehr schwierig. Wenn ich lese, den Fall Schmökel solle es hier in Baden-Württemberg nicht geben, dann ist das – da sind wir uns auch einig, Herr Kollege – haarscharf gerade nicht der Problemfall, um den es hier geht.
Das ist eine Frage des Maßregelvollzugs. Da geht es darum, den Maßregelvollzug so sicher wie nur möglich zu machen.
Da haben auch wir in Baden-Württemberg unsere Aufgaben. Herr Minister Repnik hat vor einigen Tagen zugesagt, dass Besserung erfolgen solle: bei der Personalausstattung, bei den Plätzen für die Unterbringung usw. Ausreichend ist das, was wir bisher im Maßregelvollzug haben, auch noch nicht. Aber das ist nicht das Rechtsproblem, das wir heute diskutieren.
Ich habe nur die Befürchtung, dass wir uns mit der Argumentation, wir müssten jetzt ein neues Gesetz machen, in
der Öffentlichkeit den Anschein geben, als könnten wir etwas absolut sicher machen. Das geht ja nicht.
Wir wissen, dass der Erfolg einer Regelung – ob sie nun bundesgesetzlich oder landesgesetzlich wäre, darauf komme ich gleich noch zurück – natürlich immer von der Prognose abhängt, die der Therapeut oder der Psychologe geben muss. Die Prognose ist ja genau der Schwachpunkt. Wer kann zu welchem Zeitpunkt eine halbwegs sichere Prognose über die Gefährlichkeit eines potenziellen Täters abgeben?
Deshalb ist auch eine diesbezügliche Initiative im Bundesrat gescheitert. Bayern hat 1997 in genau dieser Richtung einen Vorstoß unternommen, der damals vom Bundesrat abgelehnt worden ist – übrigens mit FDP- und CDU-Beteiligung, mit den Stimmen von großen Koalitionen in den Ländern, nicht jedoch von der Bundesjustizministerin. Das geschah, weil die Prognose genau der Schwachpunkt einer solchen Regelung ist.
Die Täter der Vergangenheit gingen alle gerade nicht aus dieser Lücke, die Sie gerade formuliert haben, hervor. Im Bundesrat ist deutlich gesagt worden:
Entwurf bleibt einen überzeugenden Beleg dafür schuldig, dass die Maßnahme die Gefahren für die öffentliche Sicherheit zu verringern geeignet ist. Die grausamen Verbrechen, auf die er Bezug nimmt, sind nicht von Tätern begangen worden, die nach Verbüßung ihrer Strafe in Kenntnis ihrer Gefährlichkeit aus der Haft entlassen worden wären
sondern genau von solchen Tätern, die sich durch unauffälliges, angepasstes Verhalten der Aufmerksamkeit der Vollzugsbediensteten entzogen haben.
Da kann man nur sagen: Die Leute, die das Gutachten für die – übrigens richterliche – Prognose erstellen müssen, müssten dann noch besser ausgebildet werden, damit sie ihre Prognose noch sicherer stellen können.
Aber welchen Anhaltspunkt haben Sie denn, wenn einer im Vollzug in keiner Weise in Erscheinung getreten ist und der Gutachter den Betreffenden dann, gewissermaßen vorsorglich, begutachtet? Welche Möglichkeit schaffen Sie durch die gesetzliche Regelung für den Gutachter, zu einer gesicherten Prognose zu kommen? Das ist meines Erachtens nicht ersichtlich. Das ist genau die Problematik.
Es ist für meine Begriffe interessant, zu hören, was zu dem bisherigen Maßregelvollzug gesagt wird, auch von den betroffenen Tätern, die sich ja zum Teil auch als krank empfinden und deshalb einer Therapie zugänglich sind. Sie sa
gen: Es muss uns von dritter Seite geholfen werden. Es muss von dritter Seite geholfen werden, und zwar von Leuten, die Sachverstand haben, nicht dadurch, dass man sagt: Jetzt sperren wir sie ein. Da sagen viele: Dann geht die Tür zu; dann gibt es keine Möglichkeit mehr, mit den betroffenen kranken Menschen zu sprechen und sie zu beeinflussen.
Mir scheint der Ansatz sehr problematisch zu sein, aber wir werden in der zweiten Runde sicherlich noch mehr dazu sagen können.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Mit meinen Vorrednern bin ich gemeinsam der Auffassung, dass wir die Gesellschaft vor schweren Sexualstraftätern und Gewalttätern schützen müssen. Da besteht ja überhaupt keine Differenz – um das gleich vorwegzunehmen.
Ich hätte mir aber aus meiner Sicht und aus der Sicht der antragstellenden Fraktion eher gewünscht, dass wir anhand eines konkreten Vorschlags, der sich dann auch im Gesetzestext wieder findet, diese Frage diskutiert hätten, weil wir natürlich hier ein Rechtsproblem sehen müssen, liebe Kolleginnen und Kollegen, einfach deswegen, weil es grundsätzlich – ich glaube, auch darüber besteht Einigkeit in diesem Haus – bei der Einheit der Rechtsordnung nicht sein kann, dass ein Sexualstraftäter in einem Bundesland X – ich will mal gar kein anderes nennen – einer anderen Behandlung unterzogen wird als ein Sexualstraftäter in Baden-Württemberg. Diese Rechtsproblematik müssen wir diskutieren. Das können wir umso einfacher tun, wenn ein konkreter Gesetzentwurf vorliegt.
Ein weiterer Punkt, der meines Erachtens bisher in der Debatte auch vonseiten des Ministers nicht angesprochen worden ist, jedenfalls nicht in seiner dazu veröffentlichten Presseerklärung: Es gibt ja, noch von der alten Bundesregierung und dem alten Bundestag verabschiedet, ein Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und von Straftätern, die gefährliche Straftaten begangen haben. Damit hat man die Möglichkeit geschaffen – das war die Intention dieser Gesetzesinitiative und auch des schon im Jahr 1998 in Kraft getretenen Gesetzes –, die Sicherheitsverwahrung als Möglichkeit der Maßregel auszudehnen. Dieses Argument wurde bisher von Ihnen in die Debatte nicht eingeführt.
Kollege Bender, Ihr Beispiel hinkt, das Sie dem Vortrag des Ministers bei seiner Pressekonferenz entlehnt haben, Ihr Beispiel mit dem Sexualstraftäter, der vor zehn Jahren verurteilt worden ist. Da muss man ja zunächst einmal die Frage stellen: Warum wurde denn damals keine Sicherungsverwahrung angeordnet?
(Abg. Hans-Michael Bender CDU: Die Antwort kann ich Ihnen in der zweiten Runde gern geben, Kollege Oelmayer!)
Diese Frage, Kollege Bender, wäre heute einfacher zu beantworten, und es wäre, meine ich, sogar fast davon auszugehen, dass Sicherungsverwahrung angeordnet worden wäre, wenn dieser Täter auf der heutigen gesetzlichen Grundlage verurteilt worden wäre. Das sind alles Argumente, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sie bei Ihrer Debatte bislang nicht berücksichtigt haben.
Ein weiteres Argument, das meines Erachtens hier auch eine Rolle spielen muss, ist die Frage, warum der Justizminister des Landes Baden-Württemberg denn keine Bundesratsinitiative einleitet.
Jetzt hat er in einer Pressemitteilung kundgetan, dass er das wohl schon versucht hat. Aber als Ultima Ratio
jetzt hier landesgesetzgeberisch tätig werden zu wollen in Bereichen, wo es zumindest strittig ist – auch der Kollege Bender hat das ja betont –, scheint mir nicht der richtige Weg zu sein.
Ein letztes Argument – auch das wurde ja von einem der Vorredner schon genannt –: Es gibt in Baden-Württemberg ein so genanntes Unterbringungsgesetz. Auch in diesem scheinen mir Möglichkeiten enthalten zu sein, um solchen Fällen entgegenzutreten. Ich will aber für unsere Fraktion an dieser Stelle erklären, dass wir natürlich gespannt sind, wie Sie mit einem Rechtsgutachten eines Professor Würtenberger aus Baden in Einklang bringen können,
(Abg. Dr. Salomon Bündnis 90/Die Grünen: Der war gut! – Abg. Hans-Michael Bender CDU: Aus Baden kommt viel Gutes, Herr Kollege!)
einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das dann auch verfassungskonform mit den Vorgaben des Grundgesetzes, den dortigen Gesetzgebungszuständigkeiten usw. harmonisiert.