Protokoll der Sitzung vom 06.10.2005

Ich sage Ihnen auch, Frau Umweltministerin: Wenn Sie nachher kommen werden, um Ihre Antwort zu geben, dann müssen Sie auf aktuelle Themen eingehen, wie Sie es auch beim vorherigen Tagesordnungspunkt gesagt haben. Sie müssen die Themen dann unter den jeweils aktuellen Gesichtspunkten sehen.

Die vier Jahre seit dem 11. September 2001 können wir nicht einfach wegdiskutieren. Deshalb ist es für mich wirklich unverständlich, wie unter Ihren Vorgängern in der Regierung des Landes Baden-Württemberg noch ausgeführt werden konnte, dass es sich – ich lese jetzt aus der entsprechenden Drucksache vor –

bei dem gezielten terroristischen Flugzeugabsturz auf kerntechnische Anlagen nicht um ein spezifisches Kernkraftwerksproblem handelt, sondern um ein Grundsatzproblem der Bedrohung der gesamten gesellschaftlichen Infrastruktur durch terroristische Angriffe, gegen die der Staat Schutz- und Abwehrmaßnahmen zu treffen hat.

(Abg. Fleischer CDU: Richtig! So ist es ja auch!)

Sie machen hier einen grundsätzlichen Fehler, den wir nachher auch unter dem Tagesordnungspunkt 12 noch diskutieren werden, nämlich den, dass die Gewinne kommerzialisiert werden und dass all das, was zum Schutz für die Bevölkerung unternommen werden muss, verstaatlicht wird und daher von der Allgemeinheit, also aus unseren Haushalten, bezahlt werden muss. Dies ist absolut falsch.

Zweiter Punkt: Es ist völlig unverständlich, dass Sie als Landesregierung im Hinblick auf unseren Beschlussantrag und in Bezug auf unsere Forderung, das Land solle sich dafür einsetzen, dass die unsicheren Kraftwerke vorzeitig abgeschaltet werden und vom Netz gehen, sagen, das sei nicht zielführend. Es ist ja möglich – so, wie das auch von den Grünen gefordert wird –, die Strommengen, die in diesen unsicheren Kraftwerken produziert werden, auf Kraftwerke zu verlagern, die zumindest etwas sicherer sind. Hier machen Sie den Fehler, zu sagen:

Eine vorfristige Stilllegung einzelner Kernkraftwerke in Baden-Württemberg wäre auch deshalb nicht zielführend, da Terroristen sich zahlreiche andere Ziele für ihre Anschläge aussuchen könnten. Ein Zugewinn an Sicherheit wäre damit nicht verbunden.

Meine Damen und Herren, wenn Sie sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen: Alles, was es an Zielen, an Infrastrukturprojekten in unserem Land gibt, setzen Sie mit den Risiken gleich, die von einem Kernkraftwerk ausgehen. Ich halte es für hanebüchen, solche Dinge zu schreiben, und ich halte es auch für hanebüchen, solche Dinge noch nach dem 11. September 2001, im Jahr 2004, zu schreiben.

Sie müssen sich einmal vergegenwärtigen, meine Damen und Herren, dass wir bei jedem unserer Kraftwerksstandorte – nachdem Obrigheim vom Netz gegangen ist, haben wir ja nur noch zwei Standorte – Gefahr laufen, dass, ähnlich wie nach dem Unglück von Tschernobyl, ein Gebiet im Umkreis von 30 Kilometern nicht mehr bewohnt werden könnte. Das würde bedeuten, dass wir 20 % der Bevölkerung von Baden-Württemberg umsiedeln müssten.

(Abg. Fleischer CDU: Sie interpretieren das unter völlig falschen Gesichtspunkten! Denken Sie mal an die biologischen Waffen, die eingesetzt werden könnten! Das geht doch in eine ganz falsche Rich- tung!)

Das geht nicht in eine falsche Richtung. Sie sagen, dass für den Schutz der Bevölkerung nur der Staat zuständig sei und dass die Kraftwerke selbst nichts tun müssten. Auf der anderen Seite jedoch setzen Sie so etwas mit einem Angriff durch eine – ich nenne jetzt einmal dieses Beispiel – Autobombe oder Ähnliches gleich. Ich glaube, da verkennen Sie die Situation total.

Deshalb sage ich Ihnen:

(Abg. Fleischer CDU: Sie verkürzen das Problem selber!)

Wir werden an unserem Beschlussantrag festhalten. Sie können gleich etwas dazu sagen, etwa dass die Landesregierung alles in ihrer Kraft Stehende tut, um zumindest in den Bereichen, wo unsichere Kraftwerke vorhanden sind – Obrigheim ist zwar vom Netz, aber jetzt haben wir noch Philippsburg 1 und Neckarwestheim I, die in einem deutlich schlechteren Schutzzustand sind als die jeweiligen Zweierkraftwerke an diesen Standorten –, deren Kapazität zumindest auf die etwas sichereren Kraftwerke – richtig sicher werden die zwar nie werden, aber auf die etwas sichereren Kraftwerke – zu verlagern und von dort die Strommengen zu beziehen. Dies wollen auch die Grünen mit ihrem Antrag. Dem werden wir nachher zustimmen. Das ist für die Energieversorgungsunternehmen kein Nachteil, aber es wäre ein absoluter Vorteil, ein absoluter Sicherheitsgewinn für die Bevölkerung.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum Schluss einen Satz sagen: Sie müssten doch jetzt eigentlich erkannt haben, dass Sie mit Ihrer Politik pro Atom gescheitert sind. Sie haben doch eine ganz eindeutige Nicht-Mehrheit im Bund und im Land bekommen

(Abg. Scheuermann CDU: Ihr doch auch!)

und deutlich verloren, weil Sie sich immer dafür ausgesprochen haben, weiterhin auf Kernkraft zu setzen.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Wie viel Pro- zent hat denn die SPD dazugewonnen?)

Die Bevölkerung draußen will das aber nicht. Da nützt es auch nichts, jetzt ein Programm zur Förderung der erneuerbaren Energien aufzulegen. Vielmehr muss man da einfach einmal erkennen, welche Stunde geschlagen hat.

(Abg. Heiderose Berroth FDP/DVP: Sie haben doch bloß im Hinblick auf die Prognosewerte ge- wonnen, aber nicht absolut!)

Sie können jetzt immer gemeinsam mit Ihrer Kanzlerkandidatin durch die Gegend laufen, die ja bei manchen schon als „Atom-Angie“ abgetan wurde, und sagen: „Wir wollen es weiterhin.“ Über 70 % der Bevölkerung wollen keine Kernkraft, und über 90 % der Bevölkerung wollen keine Kernkraftanlagen in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnorte, meine Damen und Herren.

(Zuruf von der CDU: Sie verhalten sich wie der Schröder! – Weitere Zurufe)

Sie müssen erkennen, dass Sie auf dem Holzweg sind.

(Abg. Blenke CDU: Kommen Sie doch mal zum Thema! – Zuruf des Abg. Fleischer CDU)

Drehen Sie um und gehen Sie mit uns zusammen den Schritt nach vorne. Bekämpfen Sie den Atomausstieg nicht, der übrigens Gesetz ist – das können Sie auch nicht so leicht ändern. Sehen Sie das endlich ein, drehen Sie mit uns um und gehen Sie auf den richtigen Weg.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD – Unruhe bei der CDU)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Dr. Witzel.

(Zuruf des Abg. Zimmermann CDU)

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine Damen, meine Herren! Die Terroranschläge vom 11. September 2001 zwingen uns zu einer Neubewertung der Risiken von Atomkraftwerken. Diese Anschläge haben deutlich gemacht, dass das, was wir bisher unter Restrisiken subsumiert haben, Realität werden kann und dass wir das bei den Sicherheitsbetrachtungen bei Atomkraftwerken nicht mehr vernachlässigen können: den gezielten Absturz eines Verkehrsflugzeugs auf ein Atomkraftwerk.

Zwar hat der Kampf gegen die Terrornetzwerke zwischenzeitlich gewisse Erfolge gehabt, aber wir haben weltweit auch weitere Attentate erlebt. Deshalb ist in dieser Hinsicht keine Entwarnung zu geben.

(Abg. Fleischer CDU: Das ist richtig!)

Das Risiko ist also weiterhin vorhanden. Die GRS als zuständige Fachbehörde hat eine Studie zu der Frage angefertigt, inwieweit auch deutsche Kernkraftwerke durch einen solchen Terroranschlag verwundet werden könnten. Diese Studie hat gezeigt, dass zahlreiche Kernkraftwerke angreifbar sind. Die Landesregierung gibt das im ersten Satz ihrer Stellungnahme zum Antrag der Fraktion der SPD auch zu:

Die Kernkraftwerke in Baden-Württemberg sind, wie weltweit alle Anlagen dieser Art, nicht gegen gezielt herbeigeführte Abstürze großer Verkehrsflugzeuge ausgelegt.

Dies ist nun einmal Fakt. Wir müssen weiterhin feststellen, dass die Atomkraftwerke Neckarwestheim I und Philippsburg 1, beide in Baden-Württemberg, besonders wenig gegen die diskutierten gezielten Flugzeugabstürze geschützt sind. Das heißt, sie sind relativ leicht verwundbar. Andere Kraftwerke sind vielleicht etwas schwieriger zu verwunden, aber auch dort ist ohne Zweifel noch ein Risiko vorhanden. Ich glaube, Herr Fleischer, über diese Fakten können wir uns jenseits der Frage „Ja oder nein zur Atomenergie?“ unterhalten. Es ist ein zusätzliches Risiko in den Blickpunkt gekommen, und die Frage stellt sich: Was müssen wir jetzt tun?

(Abg. Fleischer CDU: Das ist richtig, ja!)

Aus unserer Sicht muss gehandelt werden.

Eine Möglichkeit wäre es, die Atomkraftwerke abzuschalten. Dann würde das Risiko entfallen.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU)

Das wäre, wenn ich nach meinem Herzen gehe, natürlich die nahe liegende, radikale und gute Lösung.

(Zuruf des Abg. Scheuermann CDU)

Herr Scheuermann, wir sind aber realitätsbewusst und wissen auch, wie in Berlin die Mehrheiten sind.

(Abg. Knapp SPD: Die sind zumindest so, dass das Atomgesetz nicht geändert wird! – Zuruf des Abg. Zimmermann CDU)

Es gibt das Konzept, Atomkraftwerke gezielt zu vernebeln, wenn ein solcher Terroranschlag droht. Manch einer mag das zunächst erst einmal lächerlich finden, aber die Fachleute sagen eindeutig: Durch eine solche Vernebelungsaktion kann die Wahrscheinlichkeit eines punktgenauen Treffers vermindert werden. Damit kann der katastrophale Unfall weniger wahrscheinlich werden. Das heißt, solche Vernebelungskonzepte können, wenn sie geprüft sind, einen gewissen Beitrag leisten, aber sie bieten keinen sicheren Schutz.

(Zuruf des Abg. Dr. Caroli SPD)

Deshalb rückt die zweite Möglichkeit in den Blick – und damit auch unser Antrag. Sie wissen, dass wir Grünen den Atomkonsens mitgetragen haben. Der Atomkonsens verbietet es uns, alle Atomkraftwerke auf einmal abzuschalten, aber er eröffnet eine Möglichkeit, das Risiko, das durch gezielte Abstürze von Flugzeugen auf Kernkraftwerke entstehen könnte, zu vermindern. Der Atomkonsens eröffnet ja die Möglichkeit, Strommengen von älteren, weniger sicheren Kraftwerken auf modernere, sicherere Kraftwerke zu übertragen. Das ist ein Ansatzpunkt, um die Zahl der Ziele zu vermindern und die unsicheren Kraftwerke aus der Gefahrenzone zu nehmen. Das sollte angestrebt werden.

Wir beantragen daher als Grünen-Fraktion mit unserem Antrag, dass die Landesregierung in Gesprächen mit den Stromversorgern darauf hinwirkt, dass die Übertragung von Strommengen als ein Beitrag zu mehr Sicherheit der Atomkraftwerke auf den Weg gebracht wird.

(Beifall bei den Grünen und Abgeordneten der SPD)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Scheuermann.

(Zuruf von der CDU: Schlag zu!)

Frau Präsidentin, meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen!