Protokoll der Sitzung vom 09.11.2005

Wenn ich das lese, was aus Ihrer Mitte an Generalkritik an Frau Vogt geübt worden ist, war Ihre Kritik heute an mir fast schon ein Lob.

(Beifall und Heiterkeit bei der CDU und bei der FDP/DVP)

Nach dem Beifall zu urteilen, den Sie aus Ihrer Fraktion bekamen, habe ich eine Vermutung: Der Kampf, wer ab März 2006 Oppositionsführer in der SPD ist – Frau Vogt oder Sie –, ist längst entbrannt. Ihre Karten sind besser denn je.

(Abg. Zeller SPD: Sie lenken ab! – Abg. Drexler SPD: Wir sind doch dann an der Regierung! Was soll denn das? – Weitere Zurufe und Unruhe)

Gestatten Sie mir, in der Erwiderung auf einige wenige Punkte einzugehen. Zunächst zur Frage nach den Kindergärten und den Doppelstrukturen, wie Kollege Kretschmann sie uns vorgeworfen hat: Nein, ich glaube, beides ist eine Ergänzung, die ich begründen will.

Der Orientierungsplan spricht die Kindergärten in BadenWürttemberg und die Kinder in jedem Kindergartenalter an. Der Orientierungsplan soll mittelfristig vom dritten Lebensjahr bis zum Schulbeginn der Rahmen für alle Kindergärten für eine pädagogische Weiterentwicklung und für frühkindliche Bildung sein. Damit verstärken wir das, was im dritten und im vierten Lebensjahr möglich ist. Wir beschränken uns nicht auf das fünfte Lebensjahr. Der Orientierungsplan wird weiterentwickeln, was mit Kindern und für Kinder pädagogisch und frühkindlich in der Bildung und Erziehung im dritten und vierten Lebensjahr machbar ist.

Trotzdem gehen wir davon aus, dass ein Jahr vor Schulbeginn zu erkennen ist, ob die Schulreife eines Kindes gefährdet ist. Deswegen setzen wir das Projekt „Schulreifes Kind“ obendrauf. Wir haben vier Modelle entwickelt, die mit den Trägern der Einrichtungen und auch mit den Kirchen in Baden-Württemberg abgestimmt sind.

In vier Jahren wollen wir dann wissen, welches Konzept und welcher Ort für bis zu 20 % unserer Kindergartenkin

(Ministerpräsident Oettinger)

der im fünften Lebensjahr die richtige Konzeption ist, damit in Baden-Württemberg jedes Kind an seinem ersten Schultag auch schulreif ist.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP/DVP)

Wir sind auch bei einer gründlichen Betrachtung Ihrer Argumente – die uns nicht unbekannt sind – von der Differenziertheit und der Kinderbezogenheit unseres Konzepts für die Kindergärten in Baden-Württemberg, das den Orientierungsplan und das Programm „Schulreifes Kind“ umfasst, überzeugt. Mein Rat: Wenn Sie es nicht sind, fragen Sie die Bürgermeister. Dass der Gemeindetag mitmacht, dass der Landkreistag und der Städtetag mitmachen, dass Herr Gönner und Frau Weber an Bord sind, Ulm und Heidelberg, dass Herr Salomon an Bord kommt, ist ein klarer Beleg dafür, dass der Sachverstand von Sozialdemokraten und Grünen in den Rathäusern vielleicht größer ist als hier im Landtag von Baden-Württemberg.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Zuruf von der CDU: Das liegt vielleicht am Landtag! – Vereinzelt Heiterkeit bei der CDU)

Ich danke Ihnen für die faire Betrachtung, was den Jugendbegleiter anbelangt. Kollege Kretschmann spricht zu Recht von der Bürgergesellschaft und will sie – das wollen wir auch – in die Schule, die vom Lern- zum Lebensort wird, integrieren. Wenn Sie sagen, das sei ein gutes Konzept und Sie begrüßen es, spricht das auch für Sie. Deswegen biete ich allen Fraktionen bei der Frage, wen wir in die Schule integrieren, ausdrücklich unsere Offenheit an. Da sind auch unsere Gemeinderäte vor Ort gefragt: Christdemokraten, Freie Wähler, Liberale, Sozialdemokraten und Grüne. Ich glaube, dass vor Ort eine ganzheitliche Bewegung zur Integration der Jugendverbandsarbeit in den Lebensraum Schule in Gang gesetzt werden kann.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Ich finde es besonders interessant, dass zum Beispiel der DGB Baden-Württemberg, Herr Bliesener, dass BUND und NABU, aber auch der Schwäbische Albverein und der Schwarzwaldverein Interesse haben und mitmachen wollen. Diese Gruppen – DGB, BUND und NABU – sind ja nicht gerade für größte Nähe zur Landesregierung bekannt. Wenn sie hier einsteigen, dann zeigt dies, dass das Konzept für beide Seiten – für die Schule und die Kinder einerseits und für die Jugendverbandsarbeit andererseits – chancenreich ist. Deswegen danke ich Ihnen, dass hierfür die Unterstützung der Grünen für die Landesregierung besteht.

Bleibt der letzte Punkt: Wie wird das Ganztagsschulausbauprogramm finanziert? Nächsten Donnerstag werden wir im Finanzausschuss Änderungsanträge vorlegen. Wir machen unsere Hausaufgaben. Wir klären noch im November, wie das Land seine jährlich 16,5 Millionen € aufbringen kann und wie die 33 Millionen € aus der kommunalen Finanzmasse aufzubringen sind.

Am 7. November ging ein Brief der kommunalen Landesverbände bei uns ein. Eine Verständigung der drei kommunalen Landesverbände liegt vor. Die werden wir jetzt wohlwollend prüfen, und sie wird mit Sicherheit eine gewisse Richtschnur für die Regierungsfraktionen sein.

Dabei schlagen die kommunalen Spitzen vor, die durch eine VE-Sperre im Jahr 2006 frei werdenden Mittel abzuschöpfen. Wir haben eine restriktive Haushaltsführung. Wir geben nicht alle Mittel, die in den Programmen vorgesehen sind, aus. Diese abzuschöpfen heißt, dass im nächsten Jahr nicht gekürzt werden muss, sondern dass sich die Mittelfreigabe 2005 im Jahr 2006 fortsetzt und trotzdem eine entsprechende Finanzierung möglich wird.

Dabei wird ausdrücklich die Bitte geäußert, dass der Schulhausbau nicht einbezogen wird und dass der Krankenhausbau ebenfalls nicht einbezogen wird. Das heißt, die kommunalen Landesverbände setzen zwei Prioritäten, und ansonsten gehen sie von einem Haushaltsvollzug aus, der nicht alle Mittel freigibt und damit eine Umschichtung möglich macht.

Dann schlagen sie Kürzungen bei den Schlüsselzuweisungen vor. Auch bei der kommunalen Investitionspauschale wird angeboten, dass Kürzungen möglich seien. Wir stellen Ihnen dies am nächsten Donnerstag im Finanzausschuss vor, und Sie werden sehen, dass darauf aufbauend noch vor Jahresende mit dem Nachtragshaushalt, der zum richtigen Zeitpunkt kommt, die Finanzierung des ersten Programmjahres 2006 seriös und im Einvernehmen mit Städtetag, Landkreistag und Gemeindetag gelingen wird.

So verstehen wir unsere Politik: Führung durch das Land, aber Einvernehmen mit den Kommunen, damit vor Ort eine hohe Akzeptanz unserer Programme entstehen kann.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Eines irritiert mich dabei: Der Landtag ist zuallererst für die Landesinteressen da,

(Abg. Theurer FDP/DVP: Ja!)

die Landtagsfraktionen ebenso. Unter Landesinteressen verstehe ich die Interessen des Landes selbst, und die kommunalen Interessen kommen ergänzend hinzu. Wir haben eine Fürsorgeverpflichtung für die Kommunen in Baden-Württemberg, aber man kann doch nicht nur die Kommunen im Auge haben und Verrat am Landeshaushalt begehen.

(Lachen des Abg. Kretschmann GRÜNE)

Lieber Kollege Drexler, Sie tun alles, indem Sie mehr geben wollen, als die Kommunen brauchen und fordern.

(Abg. Drexler SPD: Stimmt doch gar nicht!)

Wie kommen Sie denn dazu, wenn mit der Unterschrift von Herrn Gönner, mit der Unterschrift von Herrn Kehle und mit der Unterschrift von Herrn Dr. Schütz ein Finanzierungspaket vorgelegt wird, bei dem das Land 16,5 Millionen € neue Mittel bringen muss und alle zufrieden sind,

(Abg. Drexler SPD: Zufrieden sind sie ja nicht!)

uns in den Rücken zu fallen, Untreue am Landeshaushalt zu begehen und mehr Geld aus dem Fenster zu werfen, als es notwendig ist?

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP – Abg. Drexler SPD: „Untreue“!)

(Ministerpräsident Oettinger)

In diesem Sinne sage ich: Wir gehen jetzt mit Maß und Ziel, mit ganz konkreten Schritten in die Weiterentwicklung unseres pädagogischen und erzieherischen Konzepts: für die bis zu Dreijährigen, für die Drei- bis Sechsjährigen, für die Vernetzung von Kindergarten und Schule und für die Ganztagsschule, entlang dessen, was Mutter und Vater als Bedarf bei Kommune und Land anmelden. Die Partner sind die Kommunen, die Kirchen und die Verbände der Jugendarbeit. Werden auch Sie Partner! Dann dienen Sie einer guten Sache, die heute beschlossen werden kann.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Kretschmann.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich möchte auf die am ärgsten strittigen zwei Punkte eingehen.

Der erste Punkt sind die Ganztagsschulen. Da haben Sie, Herr Kollege Mappus, finde ich, eine gewaltige Nebelkerze geworfen. Wir behaupten, dass Ihr Konzept der Ganztagsschule ausschließlich mit ehrenamtlichen Kräften dargestellt wird. Die 600 Stellen, die Sie genannt haben, sind die Stellen, die wir schon heute haben.

(Abg. Drexler SPD: Keine zusätzlich! – Abg. Map- pus CDU: Ja, richtig! Habe ich doch gesagt!)

Dann kommen vielleicht noch für 20 neue Hauptschulen Stellen mit dazu. Aber weder Sie noch der Ministerpräsident haben ausgeführt – auch der Ministerpräsident hat das jetzt in seiner Replik nicht getan –, was bei den neuen Ganztagsschulen – sowohl denen, die durch das IZBB ermöglicht werden, als auch denen, die durch das Landesprogramm ermöglicht werden – mit professionellem Personal geschieht, mit Stellen, mit Mitteln für Lehrbeauftragte, für Honorarbeauftragte, mit Honoraren und auch mit regulären Lehrerdeputaten, die man braucht.

Die Antwort darauf sind Sie schuldig geblieben, sodass wir klar feststellen müssen: Für die Ganztagsschulen der Zukunft haben Sie keine Mittel für professionelles Personal vorgesehen.

Natürlich sind wir für Ihre Jugendbegleitung. Wir finden das richtig und haben gar kein Problem, dass wir darin übereinstimmen. Aber wir sagen auch: Wenn Sie dahinter kein professionelles Gerüst haben, wird das Vorhaben scheitern!

(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Das wissen wir doch! – Abg. Mappus CDU: Einigkeit!)

Also will ich – noch einmal – wissen: Was ist mit den Mitteln für professionelles Personal an den Ganztagsschulen, die neu eingerichtet werden?

(Abg. Mappus CDU: Wo ist jetzt die Nebelkerze?)

Das Zweite, wo sich unsere Kritik noch einmal zugespitzt hat, ist in der Tat die Doppelstruktur: einerseits Orientierungsplan, andererseits jetzt draufgesetzt das Projekt „Schulreifes Kind“. Ich finde, dass Kollege Drexler auch mit den Zitaten aus der Wissenschaft noch einmal überzeu

gend dargelegt hat: Wir brauchen diesen Orientierungsplan, weil der Kindergarten als eigenständige Bildungseinrichtung ein eigenständiges Konzept braucht. Er braucht aber, wie das in Zukunft auch für unsere Schulen gilt, eine individuelle Begleitung der Kinder. Die Doppelstruktur ist falsch.

Sie weisen jetzt für Ihr Projekt „Schulreifes Kind“ erhebliche Mittel aus, nämlich 45 Millionen € pro anno, dagegen für den Orientierungsplan lediglich 20 Millionen – 10 Millionen € Kommunen, 10 Millionen € Land.

(Zuruf des Abg. Dr. Noll FDP/DVP)

Die Doppelstruktur ist an sich schon falsch, aber diese ungleiche Mittelzuweisung bedeutet noch zusätzlich ein krasses Missverhältnis. Wir brauchen genau diese Mittel noch einmal im Orientierungsplan, weil wir überzeugend darlegen können, dass insbesondere die Sprachförderung als Kernpunkt der Schulreife früher anfangen muss und nicht erst im letzten Kindergartenjahr beginnen darf.