Protokoll der Sitzung vom 10.11.2005

(Abg. Kretschmann GRÜNE: So, so! Jetzt bin ich aber gespannt! – Abg. Pfisterer CDU: Das ist eine Wiedervorlage-Rede!)

Dies suggeriert, es gäbe eine Beziehung zwischen Studenten und Hochschulen, die nach dem Prinzip „Geld folgt Studierenden“, Herr Kretschmann, wie die Beziehung zwischen Kunde und Kaufhaus oder Dienstleister funktioniert. Aber sagen Sie mir, welcher Kunde muss als Eintrittsvoraussetzung bei Karstadt, bei Lidl oder bei Aldi ein Abitur oder eine Fachhochschulreife vorweisen? Welcher Kunde braucht einen Notenschnitt von 1,2, um den Maler zu bestellen, damit er ihm die Wohnung renoviert?

(Zuruf des Abg. Walter GRÜNE)

Welcher Kunde braucht einen Eignungstest, um ein Auto zu kaufen?

(Zuruf von der CDU: Wovon redet sie eigentlich?)

Ich würde mir zwar öfter mal wünschen, dass es so wäre, aber die Realität ist eine andere.

(Zuruf des Abg. Walter GRÜNE)

Welcher Kunde – Sie sagen, Studenten würden zu Kunden – muss in einem Geschäft bestimmte Waren kaufen, weil das die Verkaufsordnung so vorschreibt?

(Abg. Pfisterer CDU: Warum sind die privaten Fachhochschulen so voll? Warum sind dann Hei- delberg und Berlin voll, obwohl es teuer ist?)

Ich sage Ihnen: Das Bild vom Studenten als Kunden ist eine Schimäre, denn 60 % der Studenten wählen ihren Studienort nach Heimatnähe und aus Kostengründen aus. 90 % der Studenten werden den Hochschulen zugewiesen oder gehen an eine bestimmte Hochschule, weil sie durch den Numerus clausus oder durch das Ergebnis von Auswahlverfahren gebunden sind. 80 % der Vorlesungen, der Seminare, der Laboraufgaben sind in der Prüfungsordnung festgelegt. Der Student kann da gar nicht entscheiden, was er will.

Für die Hochschulen machen die Einnahmen durch Studiengebühren einen relativ geringen Anteil ihres Haushalts aus, der maximal 8 % entspricht. Natürlich nehmen sie das Geld in ihrer Not. Es ist keine Frage, dass sie das nicht zurückweisen.

Für den Studenten ist es aber viel Geld. Ich frage Sie, Herr Minister Frankenberg: Auf welche Forderung von Studierenden wären Sie denn, als Sie noch Professor waren, eingegangen, wenn die Studierenden Studiengebühren gezahlt hätten? Hätten Sie eine Vorlesung mehr gehalten? Hätten Sie ein Seminar mehr gehalten? Hätten Sie eine Sprechstunde mehr gehalten, um die Betreuung zu verbessern? Sie können nachher ja darauf antworten.

Nicht einmal jetzt erhalten die Studierenden mehr Rechte. Es gibt keinen Studenten im Vorstand des Hochschulfonds. Es gibt nach wie vor das Verbot der verfassten Studierendenschaft.

(Abg. Pfisterer CDU: Gott sei Dank!)

Sie haben mit dem Landeshochschulgesetz den Hochschulrat und das Rektorat zu entscheidenden Gremien gemacht. Dort drin sitzt nirgendwo ein Student. Verabschieden Sie sich von dieser Schimäre, der Student würde Kunde. Stehen Sie dazu: Sie wollen das Geld der Studis und ihrer Eltern. An dieses Geld wollen Sie heran. Ich kann für die SPD nur sagen: Mit uns nicht!

(Beifall bei der SPD – Abg. Pfisterer CDU: Ganz neue Aussage! Der Wandel der SPD!)

Ich will aufräumen mit der Schimäre, nachlaufende Studiengebühren seien sozialverträglich. Was ist denn daran sozialverträglich, wenn ein Abgeordnetensohn unbelastet studiert, weil der Vater zahlt, während sich die Polizistentochter verschulden muss, weil der Vater nicht zahlen kann?

(Abg. Pfisterer CDU: Und anschließend einen gu- ten Job hat und gut Geld verdient! Wieso sollen wir das bezahlen? – Zuruf des Abg. Zimmermann CDU)

Was ist daran sozialverträglich, dass die Zahnarzttochter so lange studieren kann, wie sie will, dass sie studieren kann, was sie will, und den Studiengang wechseln kann, so oft sie will, weil der Vater das bezahlt, während die Kinder von Facharbeitern nur für die Regelstudienzeit ein Darlehen erhalten und mit Schulden in die Existenz- und Familiengründungsphase gehen?

(Zuruf des Abg. Pfisterer CDU)

Herr Pfisterer, an Ihrer Stelle wäre ich ganz still. Wenn jemand wie Sie als Beschäftigter der Universität Heidelberg sagt: „Mit mir nicht!“, wenn es um 80 € Parkraumbewirtschaftung für die Beschäftigten geht, sollten Sie sich hier nicht hinstellen und sagen: „Aber die Studiengebühren, die können wir von den Leuten holen!“

(Beifall bei der SPD – Abg. Pfisterer CDU: Das ist ein kleiner Unterschied, Frau Bregenzer! Ich habe meine Meisterausbildung selbst bezahlt, als Sohn eines Postbeamten! Ich weiß, was kleine Leute ver- dienen!)

Und Sie lamentieren jetzt über 80 € für die Parkraumbewirtschaftung. Es ist nicht sozial gerecht, wenn gerade die, die wir an unseren Hochschulen in Zukunft dringend brauchen, junge Menschen aus der Mittelschicht und aus Arbeiterfamilien, unter Umständen über 1 000 € mehr für ihr Studium bezahlen müssen als Kinder aus betuchten Familien und aus Akademikerfamilien.

(Abg. Pfisterer CDU: Daraus stamme ich übrigens, aus einer Arbeiterfamilie! Ich weiß, wovon ich re- de!)

Was ist daran bitte gerecht? Sie verantworten ein Schulsystem, das eine hohe soziale Selektion hat. „Wer reiche Eltern hat, kommt in der Schule weit.“ Sie wollen diesen Satz ergänzen: „Und der soll auch möglichst leicht studieren.“ Wir sagen: Wer reiche Eltern hat, darf studieren, und wer arme Eltern hat, muss noch leichter studieren können als die anderen. Denn wichtig ist, was die Leute im Kopf haben, und nicht, was die Leute im Geldbeutel haben.

(Beifall bei der SPD)

Sie bauen Hürden und versuchen, die Leute aus der Mittelschicht und aus den Arbeiterfamilien aus den Hochschulen herauszuhalten.

(Unruhe bei der CDU – Abg. Pfisterer CDU: Reine Polemik ist das! Klassenkampfparolen sind das wieder! – Abg. Kübler CDU: Der Wahlkampf be- ginnt nächstes Jahr! – Zuruf des Abg. Zimmermann CDU)

Die SPD will das nicht. Wir brauchen eine Verbesserung des BAföG. Wir brauchen einen Ausbau der Stipendien. Wir brauchen keine Studiengebühren. Das ist Hochschulpolitik mit Zukunft!

Sie haben den Großversuch ja selbst gemacht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, in der Bundesregierung Kohl. Die hat das BAföG praktisch abgeschafft, umgestellt in ein Darlehenssystem.

(Abg. Seimetz CDU: Richtig!)

Das hat – nachdem nach der Einführung des BAföG durch die von Willy Brandt geführte Bundesregierung 21 % aller Studierenden BAföG-Empfänger gewesen waren – dazu führt, dass der Anteil der Studierenden aus einkommensschwächeren Familien in den Hochschulen dramatisch zurückgegangen ist.

Als Rot-Grün dieses Darlehenssystem wieder auf hälftige Förderung umgestellt hatte, gab es aus diesen Familien wieder einen Anstieg. Trotzdem haben wir den ursprünglichen Stand nicht wieder erreicht. Mittelschicht- und Arbeiterfamilien reagieren auf veränderte finanzielle Bedingungen sehr viel sensibler. Für sie ist das Studium wirklich eine Hürde. Studieren ist nicht kostenlos. Studieren kostet eine ganze Menge Geld. Wenn Sie da jetzt noch einmal etwas draufpacken, dann tun Sie das nur, um noch mehr Leute aus dieser Schicht aus den Hochschulen herauszuhalten. Mit der SPD geht das nicht.

(Beifall bei der SPD – Abg. Pfisterer CDU: Wir packen es danach drauf, danach! Wenn Geld ver- dient wird, zahlen sie das zurück, nicht vorher! – Zuruf des Abg. Jägel CDU)

Das Wort erhält Frau Abg. Fauser.

(Abg. Walter GRÜNE: Die redet auch noch?)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wir haben uns schon gewundert, dass der Antrag der Grünen etwas kurzfristig auf die Tagesordnung gekommen ist. Da geht es um die Pläne der Landesregierung zur Einführung von Studiengebühren. Diese Pläne liegen seit geraumer Zeit vor.

(Abg. Kretschmann GRÜNE: Was heißt „kurzfris- tig“? Das ist ordnungsgemäß im Präsidium ange- meldet!)

Die gesamten Fragen, die in diesem Antrag erörtert werden, sind sozusagen hinfällig. Es ist selbstverständlich so, dass wir mitten in der Diskussion um diese Studiengebühren sind. Wir werden einen ersten Gesetzentwurf dazu demnächst hier vorliegen haben.

Also, Sie nehmen eine Debatte vorweg – wie Herr Jägel bereits sagte –, die wir Ende November bzw. nach der Anhörung führen möchten. Wir haben ja noch eine Anhörung, um die Argumente, die inzwischen unter anderem von der Hochschulrektorenkonferenz vorliegen, zu diskutieren.

Meine Damen und Herren, eines ist doch ganz sicher: Wir brauchen auch in Zukunft Baden-Württemberg als internationalen Wissenschafts- und Forschungsstandort. Wir tun unserer Jugend keinen Gefallen, wenn wir glauben, eine Massenuniversität in seitherigem Sinne fortführen zu können. Deshalb war man sich hier im Hause auch einig, dass wir Studiengebühren brauchen:

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Wo war man sich denn da einig?)

nicht um die Studenten und Studentinnen zu plagen oder sie vom Studium abzuhalten, sondern um international auch zukünftig konkurrenzfähig zu sein. Das tun wir ganz im Interesse auch unserer Kinder.

Meine Damen und Herren, die FDP/DVP hat sich lange über die auch von den Grünen angeführten Studiengutscheine unterhalten. Wir haben uns sehr darum bemüht, ein wirklich sozialverträgliches Gebührenmodell zu finden, und dies ist mit den nachlaufenden Studiengebühren möglich.

Ich habe hier schon einmal betont: Es kann doch nicht sein, dass eine Ergotherapeutenausbildung, für die sich häufig ja auch junge Menschen aus dem Mittelstand interessieren, sehr viel Geld kostet, dass angehende Meister am Abend und am Wochenende arbeiten, da sie für ihre Meisterprüfung viel Geld bezahlen müssen, dass aber diejenigen, die in der Zukunft die größten Chancen auf einen hervorragenden Arbeitsplatz haben, überhaupt nichts bezahlen sollen.

(Abg. Marianne Wonnay SPD: Wo leben Sie denn? – Abg. Zimmermann CDU: Wieso soll die Kran- kenschwester das Studium des Oberarztes mitbe- zahlen? Das verstehe ich nicht!)

Da müssen wir doch etwas anders ansetzen. Ich kann es wirklich nicht hören, dass man in Berlin über eine Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes um drei Prozentpunkte, die Abschaffung der Eigenheimzulage und sonstige Torturen nachdenkt,

(Lachen bei der SPD)

hier aber sagt, man halte durch Studiengebühren den Mittelstand vom Studium ab.

(Beifall bei der FDP/DVP)

Wir halten den Mittelstand überhaupt nicht vom Studium ab; denn die jungen Leute, die wirklich ein Ziel vor Augen haben und studieren wollen, werden das auch in Zukunft tun.