Protokoll der Sitzung vom 15.12.2005

So Abg. Ulrich Maurer.

(Abg. Stickelberger SPD: Wer ist das?)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, nicht derjenige, der sich auf rechtsstaatliche Grundsätze wie das Auskunftsverweigerungsrecht beruft, handelt sizilianisch, sondern derjenige, der sie in Zweifel zieht.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Hofer FDP/ DVP)

Abschließend, meine sehr verehrten Damen und Herren, füge ich hinzu: Das Auskunftsverweigerungsrecht gilt auch für Regierungsmitglieder. Auch ein Regierungsmitglied, das sich bei wahrheitsgemäßer Auskunft gegenüber dem Parlament der Gefahr der Strafverfolgung aussetzen würde, hat ein Auskunftsverweigerungsrecht und findet beim Bundesverfassungsgericht Schutz. Das sollten gerade wir Parlamentarier nicht infrage stellen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP/DVP)

Das Wort erteile ich Herrn Abg. Sakellariou.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zunächst einmal mit dem anfangen, mit dem Kollege Dr. Scheffold aufgehört hat, nämlich mit dem Dank an den Vorsitzenden Birzele, der es in diesem Ausschuss wirklich mit Zeugen der Sonderklasse zu tun hatte. Wir haben ja am eigenen Leib erlebt, wie Herr Hunzinger vor dem Untersuchungsausschuss aufgetreten ist. Wenn mir das jemand erzählt hätte, hätte ich es nicht geglaubt.

(Heiterkeit des Abg. Dr. Scheffold CDU)

Mein Kompliment geht an Herrn Birzele für die Fassung, mit der er das durchgezogen hat.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir reden heute davon – das ist von Dr. Scheffold ein bisschen verharmlost worden –, dass Baden-Württemberg Schauplatz, Dreh- und Angelpunkt eines der gigantischsten Wirtschaftsverbrechen in Deutschland war. Es waren nicht Nordrhein-Westfalen, nicht Bremen oder Sachsen-Anhalt, sondern das war Baden-Würt

temberg. Gerade der Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg, der immer so hoch gelobt wird, ist Schauplatz dieses wirtschaftspolitischen Desasters gewesen. Dazu kann ich nur sagen: Da wäre ein bisschen mehr Sensibilität erforderlich gewesen. Die Frage ist, warum das gerade hier in Baden-Württemberg möglich war und eben nicht in SachsenAnhalt, Bremen oder Nordrhein-Westfalen – Länder, die für so etwas immer gern als Beispiel herangezogen werden.

(Beifall bei der SPD – Abg. Zimmermann CDU: Weil hier das meiste Geld ist!)

Meine Damen und Herren, wir sind in diesen dreidreiviertel Jahren in 48 Sitzungen durch einen tiefen Sumpf gewatet. Das kann man wirklich so sagen. Was mit diesen 1 154 Seiten hier auf dem Tisch liegt, ist die „Sittengeschichte Baden-Württembergs im ausgehenden 20. Jahrhundert unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zwischen der CDU und der FDP/DVP einerseits und der örtlichen Wirtschaft andererseits“.

(Beifall und Heiterkeit bei der SPD – Lachen bei der CDU – Abg. Zimmermann CDU: Das glauben Sie ja selbst nicht!)

Deswegen hat Kollege Birzele Recht, wenn er uns dies zur Lektüre über Weihnachten empfiehlt.

(Abg. Zimmermann CDU: Sie sollten die Bibel le- sen!)

Das, was dort auftaucht, meine Damen und Herren, lässt uns sprachlos zurück. Es lässt uns vor allem sprachlos zurück, dass in diesem Land ein ehemaliger Schrotthändler zu einem märchenhaften Reichtum kommen konnte und das niemandem auffiel – außer dem kleinen Finanzbeamten, dem kleinen Polizeibeamten. Dieser läuft außen herum, sieht, in welchem Zustand die Gebäude sind und kann sich nicht vorstellen, dass aus dieser Lumpenbude solche Milliardensummen erlöst werden, die es möglich machen, dass sich der Firmenchef mit dem Hubschrauber an seinen zehn Kilometer entfernt liegenden Arbeitsplatz fliegen lässt. Alle, die im Gebäude waren, die sich mit teuersten Rotweinen haben durchfüttern lassen, sind nicht auf diesen Gedanken gekommen.

(Abg. Fleischer CDU: Die gibt es auch in Hanno- ver!)

Vielleicht war das deswegen, weil sich Dr. Kleiser ganz bescheiden im Aschenputtelweg niedergelassen hat. Vielleicht hat das die Beteiligten etwas geblendet und zur Bescheidenheit hingerissen.

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, wir mussten vor dem Hintergrund, dass es sich um einen gigantischen Betrug handelte, klären, inwieweit vonseiten der Behörden pflichtgemäß gehandelt worden ist. Uns ist aufgefallen, dass entweder die Herren Schmider überhaupt nicht angeklagt wurden oder die Verfahren gegen sie eingestellt wurden, auch gegen Zahlung einer Geldbuße. Immer ist die Polizei von BadenWürttemberg mit ihren Vorschlägen und ihren Vorstellungen gegen die Wand gelaufen. Immer haben sich andere

durchgesetzt. Immer stellte sich bei einem Vergleich, wie mit anderen Angeklagten vor der Justiz in Baden-Württemberg umgegangen wird, schon die Frage, ob hier mit gleichem Maßstab gemessen wurde.

Ich will Ihnen einmal ein Beispiel von einer jungen Mutter nennen: Diese hat im November ihr fünftes Kind bekommen und hatte das Pech, mit einem Drogenabhängigen zusammenzuleben. Sie kam im November aus dem Krankenhaus. Das Kind sollte natürlich im Warmen aufwachsen. Sie hatte kein Geld. Sie rief beim Sozialamt an und bestellte Heizölbeihilfe. Sie bekam diese Heizölbeihilfe und wartete, bis das Geld auf dem Konto war. Erst als das Geld auf dem Konto war, hat sie das Heizöl bestellt. Das war absolut korrekt. Was sie nicht wusste, war, dass ihr drogenabhängiger Lebensgefährte das Konto abgeräumt hat. Damit war das Geld nicht mehr da, um das Heizöl im Wert von 400 DM zu bezahlen. Dass das fünfte Kind im November direkt nach der Geburt eine warme Wohnung gebraucht hat, leuchtet wohl ein.

(Abg. Zimmermann CDU: Hat sie ihm Vollmacht für das Konto gegeben?)

Diese Frau ist vier Jahre später wegen Betrugs angeklagt worden, und bei einem Anruf beim zuständigen Amtsrichter hat ihr dieser gesagt: „Nehmen Sie sich bloß keinen Anwalt; das würde für Sie noch teurer.“ Die Frau wurde erst im Strafverfahren freigesprochen. Das muss man sich vor dem Hintergrund dessen überlegen, was sich hier im ausgehenden 20. Jahrhundert in Baden-Württemberg bei 1,5 Milliarden DM Schadenssumme abgespielt hat.

(Beifall bei der SPD – Abg. Zimmermann CDU: Was hat das jetzt mit FlowTex zu tun?)

Da ging es um 400 DM. Da kann ich nur sagen: Sehr absonderlich.

Absonderlich ist auch, wenn die zuständige Staatsanwältin, die im Nebenberuf oder, sage ich einmal, als Funktionsträgerin die Pressestaatsanwältin dieser Behörde war, sagt, sie habe noch nie in ihrem Leben von Herrn Schmider und nie etwas von FlowTex gehört. Das als Pressestaatsanwältin vor Ort!

Wenn man sich vor Augen führt, dass der Betriebsprüfer Seyfried – Seite 958 –, aus demselben Gäu, ausdrücklich ausgesagt hat:

Natürlich waren mir als Zeitungsleser auch die Presseberichte einerseits über die Firmengruppe einschließlich des Baden-Airparks bekannt, andererseits auch die Geschichte mit dem möglichen Raubüberfall, sodass ich durchaus neugierig war, diese Firma und Herrn Schmider kennen zu lernen.

Das ist ein aufmerksamer Zeitungsleser gewesen. Die Pressestaatsanwältin hatte keinen Schimmer. Die hatte den Namen nicht einmal gehört.

Nun stellt sich die Frage: Warum? Es sollte also untersucht werden, ob eine Sonderbehandlung etwas mit diesen vielfältigen finanziellen und privaten Kontakten zu tun hatte. Richtig ist: Was die Flugreisen angeht, haben wir kein hab

haftes Ergebnis bekommen. Was die Kontakte angeht, konzentrieren wir uns letztlich hauptsächlich auf die Geschichte, die mit „Umfrageaffäre“ zu bezeichnen ist.

Zu den Einzelheiten. Haben die Landesbehörden ihre Pflicht beachtet? Was den Komplex mit den Behörden und der Zusammenarbeit mit den Behörden des Landes Thüringen angeht, ist es eben nicht so, wie Sie sagen, dass hier keine Fragen mehr offen geblieben sind, im Gegenteil.

(Abg. Dr. Scheffold CDU: Das habe ich gar nicht gesagt! – Abg. Fleischer CDU: Über Thüringen hat er nicht gesprochen!)

Die ermittelnden Beamten aus Thüringen haben klipp und klar gesagt: Wir hatten die Durchsuchungsbefehle alle schon in der Tasche und wollten loslegen und sind dann in letzter Sekunde daran gehindert worden, sodass sich letztlich nicht nachweisen ließ, inwieweit da von oben gehandelt wurde.

(Abg. Zimmermann CDU: Hoi, hoi!)

Nur das ist letztlich nicht nachgewiesen worden, aber alle Indizien sind da, und die Fragen sind unbeantwortet geblieben, sind offen geblieben, und offene Fragen sind in einem Rechtsstaat bei solch heiklen Punkten etwas Verheerendes.

(Beifall bei der SPD)

Der nächste Punkt: Bei dem fingierten Raubüberfall, meine Damen und Herren, aus dem Jahr 1986 hat die Kriminalpolizei über 16 Jahre lang gegen die Herrschaften ermittelt. Das ist auf über 200 Seiten niedergelegt. Jedes Mal wurde das Verfahren gegen diese Herrschaften eingestellt. Da muss man schon die Frage stellen, warum und wieso dies geschah. Die Begründung, die die Staatsanwältin geliefert hat, muss man sich auch einmal auf der Zunge zergehen lassen. Die Begründung war die, dass die Zeugenaussagen der beiden Täter, die in das Haus Schmiders eingebrochen sind und das zugegeben haben, nicht verwertbar seien. Nach Auffassung der Staatsanwältin war das deswegen nicht möglich, weil ein Anwalt dieser beiden für einen kurzen Moment in die Akte des anderen hat hineinsehen können. Mit dieser Begründung wurden diese Aussagen nicht mehr verwertet, obwohl eigentlich nur noch das Geständnis von Schmider gefehlt hätte, um den Vorgang zum Abschluss zu bringen.

(Abg. Zimmermann CDU: Das Geständnis fehlt meistens leider! Herr Sakellariou, als Anwalt er- zählen Sie Dinge, das ist schon schlimm!)

Diesen Vorgang hat nicht einmal ein Richter gesehen. Nicht einmal gesehen hat ihn e i n Richter! Ich erinnere an das Beispiel von vorhin.

Ich will aus demselben Verfahren noch daran erinnern, welche Bedeutung dieser kurze Blick in die Akten des Gegners bei der Einstellung des Verfahrens beim Raubüberfall bedeutete. Bei der Ermittlung wegen der Horizontalbohrsysteme wurden die beiden Zeugen Dr. Kleiser und Schmider nicht nur gemeinsam vernommen. Nein, sie durften in den Vernehmungspausen sogar noch mit ihren Angehörigen telefonieren und während des Gefangenentransports noch angenehm speisen, und zwar mit der Begründung, es sollte

eine angenehme Vernehmungsatmosphäre geschaffen werden.

(Heiterkeit bei der SPD)

Da kann ich nur sagen: Wenn man beide Sachverhalte nebeneinander betrachtet, stellen sich doch Fragen, die unbeantwortet geblieben sind.

Den nächsten Punkt hat Herr Kollege Dr. Scheffold schon angesprochen, nämlich die Scheingeschäfte von vor 1996, wo das Steuerstrafverfahren ohne die erforderliche Zustimmung des Gerichts eingestellt worden ist. Das muss man sich einmal vorstellen. Das ist wirklich wieder ein solcher Fall, in dem Fragen offen geblieben sind, vor allem deswegen, weil auch hier eine völlige Ungleichbehandlung gegenüber anderen Fällen vorliegt. Es wurde nicht einmal geprüft, ob daneben eine nicht steuerliche Straftat vorliegt. Das wurde nicht einmal geprüft, obwohl es da um Umsatzsteuerbetrug mit einem Schaden von 17 Millionen € ging.

Ich will einmal ein Beispiel aus demselben Land BadenWürttemberg bringen. Kürzlich hatte ich jemanden im Petitionsverfahren, der im Alter von sechs Jahren als Flüchtling ins Land kam und hier schon seit über 20 Jahren lebt. Er wollte einen Antrag bei der Härtefallkommission stellen, worauf ein Vermerk zurückkam: „Das kann nicht sein; er ist vorbestraft wegen versuchten Betrugs“, also einer nicht steuerlichen Straftat. Dem bin ich nachgegangen und habe gefragt, welche Straftat da vorliegt, die verhindert, dass sich der Betreffende an die Härtefallkommission wenden kann. Das konnte mir keiner sagen. Nach weiteren Recherchen hat sich herausgestellt: Im Alter von 15 Jahren hatte der Junge eine Schwarzfahrt im Zug gemacht.