Statt die Potenziale tatsächlich zu nutzen, die ältere Menschen im bürgerschaftlichen Engagement erbringen – über 40 Millionen Stunden jährlich –, kürzen Sie die Haushaltsmittel weiter, die zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements zur Verfügung stehen. Sie werden Ihrer Verantwortung aus dem Landespflegegesetz für das Vor- und Umfeld der Pflege in immer geringerem Maß gerecht, indem Sie ohnehin geringe Mittel kürzen und damit viele Strukturen und gute Arbeit zerstören.
(Abg. Dr. Noll FDP/DVP: Wir haben nicht mehr gekürzt, wie Sie wissen, entgegen der ursprüngli- chen Absicht!)
Anstatt die Infrastruktur für die Betreuung älterer Menschen vorausschauend zu gestalten, beschreiten Sie einen finanzpolitischen Zickzackkurs. Ich möchte als Beispiel hier nur den großen Antragstau in der Pflegeheimförderung nennen. Ich möchte auch die mangelnden Modelle und Konzepte nennen. Konzepte und Modelle für die Zukunftsfähigkeit der Versorgung und der Betreuung der älteren Menschen sind nicht vorhanden.
Ein weiterer Punkt: Wenn wir hier von den Potenzialen älterer Menschen reden, wenn wir davon reden, dass zu wenig ältere Menschen heute noch in Beschäftigung sind, dass für viele – Beispiel Daimler-Chrysler mit der neuen Entlassungswelle – der Vorruhestand bereits mit 47 Jahren beginnt, und wenn Sie, Herr Seimetz, anprangern, dass wir hier etwas tun müssen, würde ich von einem Ministerpräsidenten dieses Landes erwarten, dass er nicht sagt, die Leistungsfähigkeit lasse mit 40 Jahren nach.
Sonst hätten wir ja an der einen oder anderen Stelle wirklich ein Problem, auch bei den Personen, die hier vertreten sind.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und den Grü- nen – Abg. Fischer SPD: Das ist eine sehr große Anzahl!)
Ich darf festhalten: Der demografische Wandel ist bei der CDU-Fraktion noch nicht angekommen. Er ist auch bei der Landesregierung noch nicht angekommen. Ich kann nicht erkennen, wie Sie diese Herausforderung und diese Möglichkeiten durch landespolitische Maßnahmen gestalten wollen. Außer wachsweichen, wenig habhaften Empfehlungen hat die Mehrheit in der Enquetekommission keine Vorschläge hierzu gemacht.
Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich bin dankbar, dass wir, nachdem wir gestern eher den wirtschaftlichen Aspekt einer alternden
Gesellschaft beleuchtet hatten, heute mehr den gesellschaftspolitischen Aspekt gemeinsam beleuchten können.
Ich darf sagen: Älter werden in Baden-Württemberg macht Spaß. Ich gehöre ja seit kurzem auch zu denen, lieber Kollege Seimetz, die über 60 Jahre alt sind.
(Abg. Seimetz CDU: Da haben wir etwas gemein- sam! – Abg. Zimmermann CDU: Nicht mehr ver- mittelbar!)
Wir sind in Baden-Württemberg auch Spitze, was die demografische Entwicklung anbetrifft. Baden-Württemberg ist das jüngste Bundesland, aber auch das Bundesland mit der höchsten Lebenserwartung. Das sollte man schon einmal zur Kenntnis nehmen. Das reklamiere ich nicht für die gute Politik der Koalition.
(Abg. Ursula Haußmann SPD: Bestimmt nicht! – Abg. Carla Bregenzer SPD: Trotz! – Abg. Capez- zuto SPD: Das würde ja gar nicht stimmen!)
Aber das spricht natürlich dafür, dass in Baden-Württemberg zunächst einmal nicht so furchtbar schlechte Bedingungen für das Älterwerden bestehen.
Wir sollten bei diesem Thema die Chance sehen, nicht einfach nur mehr Lebensjahre, sondern auch mehr positives Leben in diesen Jahren zu gewinnen, und nicht nur, wie dies häufig geschieht, die Defizite und die Risiken diskutieren.
Das klassische Beispiel ist die von Müntefering geforderte Erhöhung der Lebensarbeitszeit, wofür es auch Zustimmung gibt. Ich sage Ihnen einmal eines: Selbstverständlich muss man bei der demografischen Entwicklung die Relation von Ausbildungszeit, Erwerbslebenszeit und Rentenlaufzeit neu austarieren. Aber wir müssen künftig von der unseligen Diskussion, bei der alles immer nur an Altersgrenzen festgemacht wird, wegkommen. Ich stehe wirklich dazu: Wer 45 Jahre lang gearbeitet hat, muss die Möglichkeit haben, seine Rente in Anspruch zu nehmen, und zwar unabhängig von einer Altersgrenze. Das heißt, wenn jemand mit 15 Jahren schon angefangen hat, zu arbeiten, kann er die Rente eben schon mit 60 Jahren in Anspruch nehmen, und wenn er mit 20 Jahren angefangen hat zu arbeiten, kann er sie mit 65 Jahren in Anspruch nehmen. Es sollte aber nicht diese fallbeilartigen Altersgrenzen geben.
Wir sollten künftig einmal darauf schauen. Jemandem, der nach einem Studium erst mit 30 Jahren in das Berufsleben eintritt, ist etwas anderes zuzumuten – das müssen wir auch mit Blick auf die Landesverwaltung sagen – als jemandem, der zum Beispiel mit 16 Jahren nach der beruflichen Ausbildung ins Berufsleben eingestiegen ist. Letzterem können wir doch nicht erzählen, dass er bis zum Alter von 67 Jahren arbeiten soll.
Trotzdem müssen wir, glaube ich, den Menschen ehrlich sagen, dass da Veränderungen auf sie zukommen werden.
Nächster Punkt: Auch in der landespolitischen Diskussion neigen wir dazu, zunächst einmal die Defizite, die selbstverständlich mit dem Alter auf jeden zukommen, zu thematisieren. Dabei appelliere ich an uns alle, auch in der Wortwahl ein bisschen aufzupassen. Zwar ist es in der Tat so, dass sich bestimmte Merkmale der Leistungsfähigkeit mit zunehmendem Alter verändern, aber doch nicht so, dass man in der Summe sagen muss, dass man dann nichts mehr wert sei und zum alten Eisen gehöre. Gerade dann entstehen doch Kompetenzen: Lebenserfahrung, Gelassenheit im Umgang mit Problemen und die aufgrund langer Lebenserfahrung gewonnene Fähigkeit, das Wichtige vom Unwichtigen vielleicht schneller unterscheiden zu können, als junge Menschen dies können. Das darf man nicht gegeneinander ausspielen. Vielmehr müssen wir die positiven Aspekte, die ältere Menschen in unsere Gesellschaft, übrigens auch in die Wirtschaft, einbringen können, sehr viel stärker in den Vordergrund stellen. Da ist schon etwas dran. Das ist häufig noch nicht in den Köpfen angekommen.
Zu dem Thema, das wir gestern besprochen hatten: Frau Altpeter, es ist halt nicht so, dass sich die Landesregierung diesem Thema nicht stellen würde.
Selbstverständlich stellt sich die Frage, ob man als Arbeitnehmer ab 50 Jahren zum alten Eisen geworfen wird, zunächst einmal in den Betrieben. Da stehen wir auch zu dem, was die Kollegin Berroth gestern gesagt hat: Nicht alles auf den Staat abdrücken, sondern da sind natürlich auch die Betriebe gefordert.
Trotzdem hat unser Wirtschaftsminister schon seit längerem die Programme zur Fort- und Weiterbildung „50 plus“ für Männer und „45 plus“ für Frauen in Millionenhöhe, teilweise finanziert aus Stiftungsmitteln, aufgelegt. Wir tun also etwas. Es ist nicht so, dass wir dieser Entwicklung tatenlos zusähen.
Zweitens darf ich das Thema Chancen, das in der Wirtschaft vielleicht noch nicht wirklich wahrgenommen worden ist, stärker in den Blickpunkt rücken. Wenn man zum Beispiel weiß, dass die älteren Menschen natürlich auch ein hohes Kundenpotenzial darstellen, muss man doch seine gesamten Dienstleistungen, seine Angebote so gestalten, dass sie künftig auch für ältere Menschen attraktiv sind. Ich darf sie nicht „Seniorenangebote“ nennen. Dann geht keiner hin. Aber das beginnt mit Fragen wie: Wie breit sind die Gänge? Biete ich zwischendurch in einem Supermarkt oder in einem Einkaufsladen einen Platz, wo man sich hinsetzen kann? Dies alles sind konkrete Beispiele, bei denen wir gemeinsam darauf hinwirken müssen, die Chancen, die da an Kaufkraft vorhanden sind, herauszukitzeln, indem wir uns diesen neuen Bedingungen stellen.
Übrigens haben von all diesen Veränderungen im Denken nicht nur ältere Menschen, sondern auch jüngere Menschen, zum Beispiel natürlich auch Familien, einen Vorteil. Denn wenn wir im öffentlichen Personennahverkehr und im Wohnungsbau an das Thema Barrierefreiheit denken, ist festzustellen, dass wir auch da gehandelt haben. Frau Altpeter,
Sie wissen, dass wir auch im privaten Wohnungsbau in Zukunft zumindest den barrierefreien Zugang vorschreiben. Dies kommt langfristig allen zugute; denn wenn jemand ein Haus gebaut hat und später aus dem Grund nicht ausziehen und in ein Pflegeheim gehen muss, weil er rechtzeitig an die Barrierefreiheit gedacht hat,
(Abg. Fischer SPD: Wie oft haben wir das schon gefordert! Die Behindertenverbände fordern dies schon ewig!)
Was die Frage „Einbinden von bürgerschaftlichem Engagement Älterer“ betrifft, tut es mir manchmal schon weh, wenn ich die Diskussionen in der letzten Zeit zum bürgerschaftlichen Engagement in der Betreuung und in der schulischen Bildung verfolge und sehe, wie beispielsweise der Vorschlag lächerlich gemacht wird, dass auch Großeltern ihre Bereitschaft erklären könnten, im Mensaverein mitzumachen. Da wird das „schöne“ Bild aufgebaut, da solle das alte Mütterchen noch gezwungen werden, für die Kinder zu kochen. So ein Quatsch!
Wenn Sie in so einen Mensaverein einmal hineinsehen, können Sie manchmal nicht unterscheiden, welches eine Großmutter und welches eine Mutter ist. Daher ist an vielen Stellen neues Denken gefragt.
(Abg. Birzele SPD: Herr Kollege Noll muss sich vielleicht eine neue Brille kaufen, damit er die Großmütter besser unterscheiden kann!)
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch ich finde es gut, dass wir heute Morgen zu Beginn des zweiten Plenartags über das wichtige Thema „Älterwerden in Baden-Württemberg“ diskutieren. Auch wir halten dieses Thema für sehr wichtig und haben deshalb im letzten Jahr zur Umsetzung des Landesprogramms „Ältere Generation im Mittelpunkt“ eine Große Anfrage an die Landesregierung gestellt, die in der Demografie-Enquete diskutiert wurde.
Herr Kollege Seimetz hat zu Anfang angeführt, dass sich das Verhältnis der Generationen in diesem Land verschiebt, dass wir zum einen in Baden-Württemberg immer mehr ältere Menschen haben und dass zum anderen die Alten immer älter werden.
Diese Aspekte betreffen alle Politikfelder. Das ist ein Querschnittsthema von der Stadtentwicklungsplanung und dem Thema Mobilität über Weiterbildungsangebote für ältere Menschen, Möglichkeiten des bürgerschaftlichen Engagements, den Übergang vom Berufsleben in den so genannten Ruhestand bis hin zur Frage, wie wir im Alter wohnen wollen, wie in Baden-Württemberg die Pflegestruktur aussieht. Das geht aber auch bis hin zu den Fragen nach dem Ausbau der Hospizbewegung und der Palliativmedizin. Aber egal, welches Thema wir im Blick haben: Wir müssen uns an dem Kernanliegen älterer Menschen und damit an einem grundlegenden politischen Ziel orientieren, nämlich älteren Menschen ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben in Eigenverantwortung zu ermöglichen.